OGH 8ObA18/17f

OGH8ObA18/17f28.3.2017

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Vizepräsidenten Prof. Dr. Spenling als Vorsitzenden, die Hofrätin Dr. Tarmann‑Prentner und den Hofrat Dr. Brenn als weitere Richter sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Dr. Bernhard Gruber und Harald Kohlruss in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei E***** G*****, vertreten durch Freimüller/Obereder/Pilz Rechtsanwält_innen GmbH in Wien, gegen die beklagte Partei V***** AG, *****, vertreten durch DLA Piper Weiss-Tessbach Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen Feststellung (Streitwert 282,56 EUR), über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 29. November 2016, GZ 7 Ra 90/16f‑19, mit dem das Urteil des Arbeits‑ und Sozialgerichts Wien vom 20. Juli 2016, GZ 33 Cga 50/16p‑15, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2017:008OBA00018.17F.0328.000

 

Spruch:

 

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Entscheidung des Berufungsgerichts wird dahin abgeändert, dass das Urteil des Erstgerichts einschließlich seiner Kostenentscheidung wiederhergestellt wird.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei binnen 14 Tagen die mit 452,28 EUR (darin 75,38 EUR USt) bestimmten Kosten des Berufungs‑ und Revisionsverfahrens zu ersetzen.

 

Entscheidungsgründe:

Die Klägerin war vom 13. 11. 2006 bis 31. 3. 2014 bei einer GmbH als Trainerin beschäftigt, und zwar bis 2011 als freie Dienstnehmerin, danach als Angestellte. Zwischen der Arbeitgeberin und der Beklagten bestand ein Beitrittsvertrag gemäß § 11 BMSVG, die Beklagte verwaltete die von der GmbH entrichteten Beiträge zum System der „Abfertigung-neu“.

Nachdem das Dienstverhältnis der Klägerin im Jahre 2014 beendet worden war, informierte sie die Beklagte schriftlich über ihre Verfügungsmöglichkeit nach § 17 BMSVG. Da die Klägerin Geld für ihren Lebensunterhalt benötigte, beschloss sie, sich den Abfertigungsanspruch auszahlen zu lassen.

In dem von der Klägerin unterfertigten Auszahlungsantrag befand sich oberhalb des für die Unterschrift des Antragstellers vorgesehenen Feldes der Passus: „Ich nehme zur Kenntnis, dass es aufgrund nachträglicher Meldungen durch den Hauptverband der Sozialversicherungsträger (etwa aufgrund von Irrtümern in der Lohnverrechnung meines Arbeitgebers oder nachträglicher Beitragsfestsetzungen im Zuge von Betriebsprüfungen) auch nach Auszahlung meines Guthabens rückwirkend zu einer Erhöhung oder Verminderung der mir zustehenden Abfertigung kommen kann. Ich verpflichte mich daher, nachweislich zu viel erhaltene Beträge nach entsprechender Rückforderung durch die V***** umgehend zurückzuerstatten. Ebenso wird die V***** Nachzahlungen auf meine Abfertigung unverzüglich vornehmen.

Die Klägerin las diesen Vorbehalt und wartete mit der Abgabe ihres Auszahlungsantrags noch rund zwei Monate zu, in der Annahme, dass die Beklagte bis dahin alles richtig berechnen und berücksichtigen könne.

Im Juli 2014 überwies die Beklagte der Klägerin aufgrund ihres Auszahlungsantrags 1.856,31 EUR netto. Die der Klägerin ebenfalls übermittelte Abrechnung enthielt den Passus: „Die V***** leistet gemäß § 24 betriebliches Mitarbeiter‑ und Selbständigenvorsorgegesetz (BMSVG) eine Garantie auf alle einlangenden Beiträge. Zum Stichtag 30. 05. 2014 beträgt dieses garantierte Kapital 1.879,95 EUR.

Im September 2014 wurde der Klägerin von der Beklagten noch eine Nachzahlung in Höhe von rund 20 EUR überwiesen. Sie verbrauchte beide Beträge zur Bestreitung ihres Lebensunterhalts.

Im Juli 2015 wurde der Beklagten vom Hauptverband der Sozialversicherungsträger mitgeteilt, dass die Lohnzettel bzw Beitragsgrundlagen der Klägerin aufgrund der Ergebnisse einer Betriebsprüfung für das Jahr 2010 von irrtümlich gemeldeten 48.451,50 EUR auf richtige 28.804,50 EUR reduziert worden seien.

Die Beklagte berechnete aufgrund dessen den Abfertigungsanspruch der Klägerin neu und forderte sie mit Schreiben vom 28. 12. 2015 zur Rückzahlung eines zu viel ausbezahlten Betrags von 282,56 EUR auf. Nachdem sich die Klägerin geweigert hatte, erklärte die Beklagte, von einer Einbringlichmachung vorläufig Abstand zu nehmen, sie werde aber ihre Forderung von allenfalls künftig fällig werdenden Abfertigungszahlungen abziehen.

In der Klage wird die Feststellung begehrt, dass der Rückforderungsanspruch nicht zu Recht bestehe. Die Klägerin habe den gesamten Abfertigungsbetrag gutgläubig zur Bestreitung ihres Lebensunterhalts verbraucht.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt.

Der Rückforderungsanspruch der Beklagten sei nach allgemeinen arbeitsrechtlichen Kriterien zu beurteilen. Es habe daher der Rückfordernde zu beweisen, dass der Empfänger bei objektiver Beurteilung an der Rechtmäßigkeit des ihm ausbezahlten Betrags zweifeln musste. Angesichts der geringen Höhe des strittigen Betrags, der schwierigen Nachvollziehbarkeit der übermittelten Berechnungen und der erhaltenen Nachzahlung habe die Klägerin die Überzahlung gutgläubig verbraucht.

Das Berufungsgericht gab dem Rechtsmittel der Beklagten Folge und wies das Klagebegehren ab.

Bei der Beurteilung des gutgläubigen Verbrauchs sei ein objektiver Maßstab anzulegen. Die Klägerin habe den festgestellten Vorbehalt einer Neuberechnung im Fall der nachträglichen Änderung der Beitragsgrundlagen gelesen und unterschrieben. Sie habe folglich damit rechnen müssen, dass es zumindest innerhalb der allgemein für die Rückzahlung irrtümlich bezahlten Arbeitsentgelts geltenden dreijährigen Verjährungsfrist zu einer Rückforderung kommen könnte. Es sei notorisch, dass Betriebsprüfungen der Gebietskrankenkasse in größeren, unregelmäßigen Abständen stattfänden.

Die ordentliche Revision sei zulässig, weil zur Frage des gutgläubigen Verbrauchs der BMSVG-Abfertigungszahlung bei vereinbarter Vorbehaltsklausel und unterfertigter Rückzahlungsverpflichtung keine höchstgerichtliche Rechtsprechung vorliege.

Die Revision der Klägerin strebt die Wiederherstellung der erstgerichtlichen Entscheidung an. Die Beklagte hat eine Revisionsbeantwortung erstattet.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist im Sinne des Ausspruchs des Berufungsgerichts zulässig und auch berechtigt.

1. Die Vorinstanzen sind in Übereinstimmung mit der höchstgerichtlichen Rechtsprechung zutreffend davon ausgegangen, dass die Rückforderung einer nach § 17 Abs 1 Z 1 BMSVG ausbezahlten Abfertigung wegen nachträglicher Korrektur des Beitragsgrundlagennachweises nach allgemeinen arbeitsrechtlichen Kriterien zu beurteilen ist, insbesondere im Hinblick auf einen gutgläubigen Verbrauch (RIS‑Justiz RS0128484 = 9 ObA 120/12f).

2. Nach den Grundsätzen des Judikats 33 neu ist bei Leistungsbezügen mit Unterhaltscharakter, wozu auch die verschiedensten Formen des Arbeitsentgelts gezählt werden, die Rückforderung einer irrtümlich erbrachten Mehrleistung ausgeschlossen, wenn sie vom Empfänger gutgläubig verbraucht wurde. Der gute Glaube wird nicht nur durch auffallende Sorglosigkeit des Empfängers ausgeschlossen, sondern schon dann verneint, wenn der Dienstnehmer bei objektiver Beurteilung an der Rechtmäßigkeit des ihm ausgezahlten Betrags auch nur zweifeln musste (RIS‑Justiz RS0010271 [T19]).

Auch eine Abfertigungszahlung nach dem BMSVG kann als Leistung mit Unterhaltscharakter iSd Jud 33 neu angesehen werden, zumal der Abfertigung nach Verlust des bisherigen Arbeitseinkommens eine Versorgungs- und Überbrückungsfunktion zukommt (RIS‑Justiz RS0028911). Bei einem relativ geringen Betrag liegt die Verwendung für den normalen Lebensaufwand nahe (9 ObA 120/12f). Im vorliegenden Verfahren steht fest, dass die Klägerin von der Auszahlungsmöglichkeit deswegen Gebrauch machte, weil sie Geld zum Lebensunterhalt benötigte, und dass sie die erhaltenen Beträge auch dafür verwendete.

3. Fehlende Redlichkeit des Empfängers ist vom Arbeitgeber nachzuweisen (RIS‑Justiz RS0010271 [T19]).

Nach der Lehre (Spielbüchler in Floretta/Spielbüchler/Strasser,Arbeitsrecht4 I 273; Burger in Reissner/Neumayr,Zeller Handbuch Arbeitsvertrags-Klauseln, Rz 48.08) kann sich der Arbeitgeber dieser Beweislast nicht schlechthin durch einen Vorbehalt bei der Zahlung entledigen (nach Mosler, Nachträgliche Änderung von Beitragsgrundlagen der betrieblichen Mitarbeitervorsorge, SozSi 2014, 88, könne ein solcher Hinweis nur die „Rückforderungschancen verbessern“). Es müssen vielmehr darüber hinaus noch objektive Anhaltspunkte für einen Fehler vorliegen, sodass dem Arbeitnehmer tatsächlich Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Empfangenen kommen müssen.

Diese Rechtsansicht wird vom erkennenden Senat geteilt. Es folgt daraus nicht, dass eine abstrakte Vorbehaltsklausel unzulässig oder funktionslos wäre, sie verhindert zumindest, dass der Rückforderung ein schlüssiges Anerkenntnis oder bewusste Zahlung einer Nichtschuld entgegengehalten werden könnte. Die in der Revisionsbeantwortung zitierte Rechtsprechung (RIS‑Justiz RS0033749; RS0112349) ist nicht einschlägig, sondern betrifft jeweils vorschussweise Leistungen, die bewusst im Einvernehmen der Vertragsparteien bzw aufgrund einer kollektivrechtlichen Anordnung gegen spätere Verrechnung geleistet wurden.

4. Die Entscheidung, ob der Empfänger unredlich war und die irrtümliche Zahlung nicht gutgläubig verbrauchen konnte, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab (RIS‑Justiz RS0010271 [T25]). Im vorliegenden Fall erscheint die Beurteilung des Berufungsgerichts nach den Grundsätzen der höchstgerichtlichen Rechtsprechung aufgrund des festgestellten Sachverhalts allerdings korrekturbedürftig.

5. Die Umstände, die einen Dienstnehmer bei objektiver Betrachtung zu Zweifeln an der Rechtmäßigkeit eines vom Dienstgeber erhaltenen Betrags veranlassen müssen, können vielfältig sein (vgl 4 Ob 108/81, 8 ObA 289/01k – Doppelzahlung innerhalb weniger Tage; 9 ObA 32/88 – den gesetzlichen Anspruch weit übersteigender Betrag; 8 ObA 176/02v – erkennbar rechtsgrundlose Zahlung).

Der Klägerin war hier aufgrund des unterfertigten Vorbehalts bekannt, dass der ihr mitgeteilte Abfertigungsbetrag von ihrem endgültigen Abfertigungsanspruch sowohl nach oben als auch nach unten abweichen kann, wenn es zu „nachträglichen Meldungen durch den Hauptverband der Sozialversicherungsträger (etwa aufgrund von Irrtümern in der Lohnverrechnung meines Arbeitgebers oder nachträglicher Beitragsfestsetzungen im Zuge von Betriebsprüfungen)“ kommen sollte.

Die Klägerin hat diesen Hinweis aber nicht unbeachtet gelassen, sondern ihm dadurch Rechnung getragen, dass sie rund zwei Monate mit der Antragstellung zugewartet hat, um der Beklagten Zeit für die Überprüfung zu geben. Aus den Feststellungen lässt sich nicht ableiten, dass die Klägerin darüber hinaus von den Verwaltungsvorgängen innerhalb der Beklagten und ihren Beziehungen zur Gebietskrankenkasse Kenntnisse hatte, die ihr eine andere Einschätzung des Zeitraums ermöglicht hätten, der bis zum endgültigen Ausschluss einer irrtümlichen Zahlung zu verstreichen hätte.

Auch die für nicht einschlägig juristisch gebildete Empfänger schwer nachvollziehbaren schriftlichen Mitteilungen der Beklagten (unterschiedliche Abrechnungsbeträge, Verweis auf eine „Garantie“, zu deren Erläuterung der Adressat auf einen nicht beigefügten Gesetzestext verwiesen wird) enthalten dafür keinen Anhaltspunkt. Insbesondere aber durfte die kommentarlose Überweisung einer geringfügigen Nachzahlung im September 2014 von der Klägerin als Bestätigung verstanden werden, dass die Beklagte ihre Prüfung der Anspruchshöhe nun jedenfalls zur Gänze abgeschlossen und keine Überzahlung, sondern endgültig ein Guthaben ermittelt hatte.

6. Der Revision war daher Folge zu geben und die Entscheidung des Erstgerichts einschließlich der Kostenentscheidung wieder herzustellen.

Die Entscheidung über die Kosten des Rechtsmittelverfahrens gründet sich auf § 2 ASGG, §§ 41 und 50 ZPO.

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