OGH 10ObS147/16i

OGH10ObS147/16i21.3.2017

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Univ‑Prof. Dr. Neumayr als Vorsitzenden und die Hofräte Dr. Schramm und Mag. Ziegelbauer (Dreiersenat gemäß § 11a Abs 3 Z 1 ASGG) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei S*****, vertreten durch Dr. Sebastian Lenz, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei Wiener Gebietskrankenkasse, 1100 Wien, Wienerbergstraße 15–19, vertreten durch Dr. Heinz Edelmann, Rechtsanwalt in Wien, wegen Kinderbetreuungsgeld, infolge der Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen vom 25. August 2016, GZ 9 Rs 31/16v‑27, womit das Urteil des Arbeits‑ und Sozialgerichts Wien vom 11. November 2015, GZ 8 Cgs 67/15y‑21, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2017:010OBS00147.16I.0321.000

 

Spruch:

Das Verfahren 10 ObS 147/16i wird bis zur Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union über das Vorabentscheidungsersuchen vom 18. März 2015 des Centrale Raad van Beroep (Niederlande), Rechtssache C‑133/15, unterbrochen.

Nach Ergehen dieser Vorabentscheidung wird das Verfahren von Amts wegen fortgesetzt.

 

Begründung:

Die Klägerin begehrt für ihre am 17. 4. 2012 geborene Tochter pauschales Kinderbetreuungsgeld in der Variante 30 + 6 für den Zeitraum von 6. 5. 2014 bis 16. 3. 2015.

Die Klägerin ist thailändische Staatsbürgerin. Ihr Lebensgefährte, der Vater der Tochter, sowie die Tochter sind österreichische Staatsbürger. Die Klägerin reiste am 1. 9. 2013 in Österreich ein. Zu diesem Zeitpunkt verfügte sie über ein Visum D für den Zeitraum von 30. 8. 2013 bis 28. 2. 2014. Am 3. 2. 2014 beantragte die Klägerin die Erteilung eines Aufenthaltstitels. Am 2. 3. 2015 wurde der Klägerin ein Aufenthaltstitel „Angehöriger“ für den Zeitraum von 16. 2. 2015 bis 16. 2. 2016 ausgefolgt.

Die Klägerin lebte gemeinsam mit ihrer Tochter und ihrem Lebensgefährten ab 3. 9. 2013 an Wohnadressen, an denen alle drei auch gemeldet waren. Der Lebensgefährte der Klägerin war von 15. 10. 2013 bis 30. 9. 2014 Arbeitnehmer im Rahmen einer Vollzeitbeschäftigung. Während seiner beruflichen Tätigkeit sorgte der Vater für den gemeinsamen Unterhalt, während die Klägerin ihre Tochter betreute.

Rechtliche Beurteilung

Strittig ist im Verfahren unter anderem auch, ob der Klägerin für den Zeitraum von 6. 5. 2014 bis 16. 3. 2015 ein (abgeleitetes) unionsrechtliches Aufenthaltsrecht zukommt oder nicht. Dafür ist zentral die Frage zu beurteilen, ob die Tochter für den Fall, dass sich die Klägerin im genannten Zeitraum in Österreich nicht berechtigt aufgehalten und Österreich aus freien Stücken zu verlassen gehabt hätte, im Kernbestand ihrer Unionsbürgerschaft beeinträchtigt worden wäre, wenn sie de facto mit ihrer Mutter, der Klägerin, das Unionsgebiet hätte verlassen müssen.

In seinem Vorabentscheidungsersuchen vom 18. 3. 2015 legte der Centrale Raad van Beroep (Berufungsgericht für den Bereich der sozialen Sicherheit und des öffentlichen Dienstes) der Niederlande dem Gerichtshof der Europäischen Union folgende Fragen zur Vorabentscheidung vor (Rechtssache C‑133/15, Chavez‑Vilchez ua):

„1. Ist Art 20 AEUV dahin auszulegen, dass er es einem Mitgliedstaat verwehrt, einem Drittstaatsangehörigen, der die tägliche und tatsächliche Sorge für sein minderjähriges Kind wahrnimmt, das Angehöriger dieses Mitgliedstaats ist, das Aufenthaltsrecht in diesem Mitgliedstaat zu verweigern?

2. Ist es für die Beantwortung dieser Frage von Belang, dass dieser Elternteil die rechtliche, finanzielle und/oder affektive Sorge nicht allein ausübt, und ferner, dass nicht ausgeschlossen ist, dass der andere Elternteil, der Angehöriger dieses Mitgliedstaats ist, de facto in der Lage sein könnte, für das Kind zu sorgen?

3. Hat der drittstaatsangehörige Elternteil in diesem Fall glaubhaft zu machen, dass dieser andere Elternteil die elterliche Sorge für das Kind nicht übernehmen kann, so dass sich das Kind gezwungen sähe, das Gebiet der Union zu verlassen, wenn dem drittstaatsangehörigen Elternteil ein Aufenthaltsrecht verweigert würde?“

Die Beantwortung dieser Fragen ist auch für die vorliegende Klage maßgeblich. Da der Oberste Gerichtshof auch in Rechtssachen, in denen er nicht unmittelbar Anlassfallgericht ist, von einer allgemeinen Wirkung der Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union auszugehen und diese auch für andere als die unmittelbaren Anlassfälle anzuwenden hat, ist das vorliegende Verfahren aus prozessökonomischen Gründen zu unterbrechen (RIS‑Justiz RS0110583 mwH).

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