OGH 10ObS128/16w

OGH10ObS128/16w20.12.2016

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen durch den Hofrat Univ.‑Prof. Dr. Neumayr als Vorsitzenden, den Hofrat Dr. Schramm und die Hofrätin Dr. Fichtenau sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Reinhard Drössler (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und ADir. Angelika Neuhauser (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei M*****, vertreten durch Mahringer Steinwender Bestebner Rechtsanwälte OG in Salzburg, gegen die beklagte Partei Allgemeine Unfallversicherungsanstalt, 1200 Wien, Adalbert‑Stifter‑Straße 65, vertreten durch Dr. Josef Milchram und andere Rechtsanwälte in Wien, wegen Versehrtenrente, infolge außerordentlicher Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen vom 4. August 2016, GZ 11 Rs 69/16w‑11, womit das Urteil des Landesgerichts Salzburg als Arbeits‑ und Sozialgericht vom 4. April 2016, GZ 19 Cgs 117/15v‑7, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2016:010OBS00128.16W.1220.000

 

Spruch:

 

Der außerordentlichen Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei hat die Kosten ihrer Revision selbst zu tragen.

 

Entscheidungsgründe:

Der Kläger wohnt in der K*****straße in A*****. Er ist unselbständig als Spengler und Installateur bei einem Unternehmen in E***** beschäftigt. Er ist Mitglied der Freiwilligen Feuerwehr A*****.

Am 18. 5. 2015 arbeitete der Kläger bis ca 16:30 Uhr im Betrieb seines Arbeitgebers in E*****. Anschließend fuhr er mit seinem Motorrad nach A*****, um dort in seiner Freizeit im Rahmen seiner Tätigkeit für den Verein „A***** Dorfbuam“ nach dem stattgefundenen Maibaumfest an Aufräumarbeiten teilzunehmen. Die Aufräumarbeiten fanden auf einer Wiese neben dem Kundenparkplatz des A*****‑Kaufhauses in der S***** Straße in A***** statt. Der Kläger bog gegen 16:45 Uhr von der S***** Straße ab, fuhr etwa 15 m in den Parkplatz des A*****‑Kaufhauses ein und parkte sein Motorrad auf der Wiese neben dem ersten Abstellplatz.

Gegen 18:30 Uhr beendete der Kläger die Aufräumarbeiten, um mit seinem Motorrad zum Feuerwehrhaus in A***** zu fahren. Von dort wollte er mit einem Feuerwehrfahrzeug zu dem für 19:00 Uhr angesetzten Training der Freiwilligen Feuerwehr beim Stützpunkt E***** fahren. Der geplante Zwischenstopp beim Feuerwehrhaus in A***** war notwendig, weil der Kläger dort die für das Training erforderliche Ausrüstung abholen musste, die er mit seinem Motorrad nicht transportieren konnte.

Noch beim Wegfahren aus der Parkposition in der Wiese rutschte dem Kläger das Hinterrad des Motorrades auf dem feuchten Untergrund weg, wodurch er zu Sturz kam und sich eine Verletzung an der Schulter zuzog.

Um auf kürzestem Weg vom Arbeitsplatz zum Wohnort des Klägers bzw vom Wohnort zum Feuerwehrhaus in A***** zu gelangen, ist es erforderlich, die S***** Straße in A***** zu benutzen und den Parkplatz des A*****‑Kaufhauses zu passieren.

Mit Bescheid vom 20. 10. 2015 erkannte die Beklagte den Unfall des Klägers vom 18. 5. 2015 nicht als Arbeitsunfall an und sprach aus, dass ein Anspruch auf Leistungen aus der Unfallversicherung nicht bestehe.

Der Kläger begehrt mit seiner Klage, die Beklagte schuldig zu erkennen, ihm wegen der Folgen des als Arbeitsunfall zu qualifizierenden Ereignisses ab dem Ende des unfallbedingten Krankenstandes die Versehrtenrente im gesetzlichen Ausmaß zu gewähren. Der Unfall habe sich auf dem Weg zu einer Feuerwehrübung ereignet und sei daher nach § 176 ASVG einem Arbeitsunfall gleichgestellt. Da es für freiwillige Übungen charakteristisch sei, dass diese in der Freizeit abgehalten werden, stehe der Weg zum Übungsort, auch wenn er nicht von der Wohnung, sondern von einem anderen Ort aus angetreten werde, unter Unfallversicherungsschutz.

Die beklagte Allgemeine Unfallversicherungsanstalt beantragte die Abweisung des Klagebegehrens. Ein einem Arbeitsunfall gleichgestellter Unfall im Sinn des § 176 ASVG liege nicht vor, weil sich der Unfall nicht auf dem direkten Weg von der Arbeitsstätte des Klägers zum Feuerwehrhaus, sondern auf einem Abweg, der dem privaten Interessenbereich zuzuordnen sei, ereignet habe. Es sei auch der zeitliche Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit nicht mehr gegeben gewesen.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Der Unfall habe sich weder auf dem direkten Weg zwischen Arbeitsstätte und Wohnung noch auf dem Weg zwischen Wohnung und dem Feuerwehrhaus ereignet; der Abweg sei ausschließlich im eigenwirtschaftlichen Interesse erfolgt.

Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung und sprach aus, dass die ordentliche Revision nicht zulässig sei. Ein Unfallversicherungsschutz sei dann zu verneinen, wenn sich der Unfall auf einer Phase des Weges ereignet habe, der ausschließlich eigenwirtschaftlichen (persönlichen) Interessen gedient habe. Das Abstellen des Motorrades auf der Wiese, das das spätere zum Unfall führende Wegfahren auf dem rutschigen Untergrund erforderlich gemacht habe, habe ausschließlich den eigenwirtschaftlichen (Freizeit‑)Interessen des Klägers gedient. Der Unfall habe sich auf einem Teil des Weges ereignet, der nicht zu bewältigen gewesen wäre, wenn der Kläger von seinem ständigen Aufenthaltsort aus die Fahrt zum Feuerwehrhaus in A***** angetreten hätte, um an einem Training der Freiwilligen Feuerwehr teilzunehmen. Es fehle daher der nach den allgemeinen Regel der wesentlichen Bedingung notwendige hinreichende sachliche Zusammenhang zwischen der realisierten Unfallgefahr und der Zurücklegung des Weges zu der geschützten Tätigkeit als Mitglied der Freiwilligen Feuerwehr A*****.

Rechtliche Beurteilung

Die außerordentliche Revision des Klägers ist zulässig, weil Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zu § 176 Abs 5 iVm § 175 Abs 2 Z 1 ASVG im Zusammenhang mit einer nach § 176 Abs 1 Z 7 lit a ASVG geschützten Tätigkeit fehlt. Sie ist aber nicht berechtigt.

Die beklagte Partei hat eine Revisionsbeantwortung erstattet.

1. Der Revisionswerber meint, ein innerer Zusammenhang mit der geschützten Tätigkeit habe schon deshalb bestanden, weil er mit seinem Motorrad zum Zweck des Antritts der Feuerwehrübung auf einer Strecke losgefahren sei, die er auch dann hätte benützen müssen, wenn er den Weg von zu Hause angetreten hätte. Für Feuerwehreinsätze und -übungen sei es charakteristisch, dass diese zu jeder Zeit, also auch in der Freizeit erfolgen könnten. Übungen fänden üblicherweise in der Freizeit statt. Es könne nicht davon ausgegangen werden, dass Feuerwehreinsätze und -übungen regelmäßig von zu Hause aus angetreten würden. Es müsse daher der Antritt von jedem beliebigen Ort aus vom Unfallversicherungsschutz umfasst sein.

Hiezu wurde erwogen:

2. Den Arbeitsunfällen (§ 175 Abs 1 ASVG) sind Unfälle gleichgestellt, die sich in Ausübung der den Mitgliedern von freiwilligen Feuerwehren im Rahmen der Ausbildung, der Übungen und des Einsatzfalls obliegenden Pflichten ereignen (§ 176 Abs 1 Z 7 lit a ASVG). Gemäß § 176 Abs 5 ASVG ist § 175 Abs 2 Z 1 ASVG „entsprechend anzuwenden“.

3. Nach der zuletzt genannten Norm ist der mit der Beschäftigung zusammenhängende direkte Weg zur oder von der Arbeits- oder Ausbildungsstätte versichert (RIS-Justiz RS0084380), der in der Absicht zurückgelegt wird, die versicherte Tätigkeit aufzunehmen bzw nach ihrer Beendigung wieder in den privaten Wohnbereich zurückzukehren. Ausgangspunkt des Weges ist somit der ständige Aufenthaltsort (10 ObS 209/95, SSV‑NF 9/98). Wird der Weg zur Arbeits- oder Ausbildungsstätte nicht von der Wohnung („dritter Ort“) aus angetreten, so besteht Unfallversicherungsschutz, wenn objektive Gründe vorliegen, die den Versicherten veranlassen, seine Wohnfunktion an einem anderen Ort als der ständigen Wohnung auszuüben, etwa weil seine ständige Wohnung unbenützbar oder ihre Benutzung wegen Reparaturarbeiten unzumutbar ist. Andere Gründe sind nur dann beachtlich, wenn sie in einem inneren Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit stehen (10 ObS 60/93, SSV-NF 7/36; Müller in SV-Komm § 175 ASVG Rz 205 f). Ein versicherter Arbeitsweg liegt auch dann vor, wenn der Versicherte außerplanmäßig von einem zufälligen Aufenthaltsort zur Arbeit gerufen wird (10 ObS 47/07w, SSV-NF 21/27; Müller in SV-Komm § 175 ASVG Rz 206).

Wendet man diese Rechtsprechung „entsprechend“ (§ 176 Abs 5 ASVG) auf die Teilnahme eines Mitglieds einer freiwilligen Feuerwehr an einer vom Versicherungsschutz erfassten Übung an, stehen demnach Unfälle auf Wegen zu oder von einer Übung unter Unfallversicherungsschutz, deren Ausgangs- bzw Endpunkt der Wohnort ist. Der Schutz auf dem Weg von einem „dritten Ort“ zu einer Übung ist dann nicht ausgeschlossen, wenn für den Aufenthalt an diesem Ort Gründe bestehen, die mit der versicherten Tätigkeit (Ausübung der im Rahmen der Übung obliegenden Pflichten) in einem inneren Zusammenhang stehen, so zB dann, wenn die Übung von diesem anderen Ort aus leichter und gefahrloser erreicht werden kann (etwa wenn eine Übung so terminisiert ist, dass daran ein einer unselbständigen Beschäftigung nachgehendes Mitglied einer freiwilligen Feuerwehr nur teilnehmen kann, wenn es den Weg von der Arbeitsstätte aus antritt) oder wenn ein Feuerwehrmitglied außerplanmäßig von einem zufälligen Aufenthaltsort zur Übung gerufen wird.

Im vorliegenden Fall befand sich der Kläger zum Unfallszeitpunkt aber nicht auf einem derartigen Weg, sondern auf dem Weg von einem ausschließlich aus eigenwirtschaftlichen (privaten) Motiven, also aus nicht in einem inneren Zusammenhang mit der erst für Stunden später anberaumten Übung stehenden Gründen, aufgesuchten Ort.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG. Gründe für einen Kostenzuspruch nach Billigkeit wurden weder geltend gemacht noch ergeben sie sich aus der Aktenlage.

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