OGH 4Ob199/16t

OGH4Ob199/16t20.12.2016

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Vogel als Vorsitzenden und die Hofräte Dr. Jensik, Dr. Musger, Dr. Schwarzenbacher und Dr. Rassi als weitere Richter in der Rechtssache des Klägers H***** W*****, vertreten durch Dr. Richard Benda und andere Rechtsanwälte in Graz, gegen die Beklagte A***** GmbH, *****, vertreten durch Dr. Karin Prutsch, Rechtsanwältin in Graz, wegen 165.000 EUR sA, über die außerordentliche Revision der Beklagten gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht vom 22. Juli 2016, GZ 2 R 98/16y‑57, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2016:0040OB00199.16T.1220.000

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

 

Begründung:

Die Vorinstanzen haben den Rückabwicklungsanspruch von Glücksspielverträgen des Klägers mit der beklagten Betreiberin einer Spielstätte bejaht und seiner Zahlungsklage mit dem Zuspruch von 98.000 EUR sA stattgegeben.

Die Beklagte macht in ihrer außerordentlichen Revision im Wesentlichen die Unschlüssigkeit der Klage, die teilweise Geschäftsfähigkeit des Klägers, überschießende Feststellungen sowie ein Mitverschulden des Klägers geltend. Damit zeigt sie jedoch keine erheblichen Rechtsfragen im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO auf:

Rechtliche Beurteilung

1. Der Frage, ob eine Klage schlüssig ist, kommt im Allgemeinen – vom hier nicht vorliegenden Fall auffallender Fehlbeurteilung abgesehen – keine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zu (RIS‑Justiz RS0116144; ähnlich RS0037780). Auch die Beurteilung, ob eine Person zu einem bestimmten Zeitpunkt die Tragweite bestimmter Willenserklärungen verstandesmäßig erfassen konnte oder ob ihm diese Fähigkeit durch eine die Handlungsfähigkeit und Geschäftsfähigkeit ausschließende geistige Störung fehlte, ist eine typische Beurteilung des Einzelfalls (RIS‑Justiz RS0117658).

2. Wenngleich grundsätzlich jeder von mehreren in einer Klage geltend gemachten Ansprüchen ziffernmäßig bestimmt und individualisiert sein muss (vgl RIS‑Justiz RS0031014 [T29]), hat es der Oberste Gerichtshof in Fällen, in denen sich ein Begehren aus zahlreichen Einzelforderungen zusammensetzte, die während eines längeren Zeitraums aufgelaufen sind, als Überspannung des Gebots nach einer Präzisierung des Vorbringens angesehen, würde man für jeden einzelnen von unter Umständen hunderten Fällen ein gesondertes detailliertes Vorbringen fordern (RIS‑Justiz RS0037907). Nicht nur ein einheitlicher Anspruch (vgl dazu RS0037907 [T9]), sondern auch gleichartige Ansprüche können zu einem einheitlichen Begehren zusammengefasst werden, sodass etwa bei Geldleistungsansprüchen nur mehr die Gesamtsumme im Klagebegehren aufscheint (RIS‑Justiz RS0037907 [T1]). Dabei wird wesentlich auf das Kriterium der Zumutbarkeit einer Aufgliederung abgestellt (vgl RIS‑Justiz RS0037907 [T13]).

Im Lichte dieser Rechtsprechung ist es daher vertretbar, wenn die Vorinstanzen von einer Unzumutbarkeit der von der Beklagten geforderten Aufschlüsselung jedes einzelnen klagsgegenständlichen Glücksspiels ausgingen und die Konkretisierung des Anspruchs nach dem Zeitraum des wiederholten Spielgeschehens und dem Gesamtverlust als hinreichend schlüssig ansahen. Andernfalls wäre die schlüssige Geltendmachung eines Bereicherungsanspruchs wie des vorliegenden bei über einen längeren Zeitraum vielfach wiederholten (Automaten‑)Glücksspielen praktisch unmöglich, zumal die genaue Wiedergabe jedes einzelnen von hunderten oder sogar tausenden Einzelspielen die Grenzen des menschlichen Erinnerungsvermögens wohl deutlich überstiege und eine laufende detaillierte Mitprotokollierung durch den Spieler sozial unüblich ist.

3. Die Revisionsausführungen zu einer lediglich partiellen Geschäftsunfähigkeit des Klägers gehen schon deshalb ins Leere, weil die Vorinstanzen ohnehin nur eine partielle, sich auf die hier gegenständlichen Glücksspielverträge beziehende Geschäftsunfähigkeit angenommen haben. Geschäftsunfähigkeit eines an geistigen Störungen leidenden Vertragsschließenden ist schon dann anzunehmen, wenn das in Betracht kommende Geschäft – wie hier – von diesen geistigen Störungen „tangiert“ wurde (RIS‑Justiz RS0014626). Die weitwendigen Revisionsausführungen zur Frage der Geschäftsfähigkeit laufen auf eine – in dritter Instanz unzulässige – Tatsachen‑ und Beweisrüge hinaus (vgl RIS‑Justiz RS0069246 [T1,T2]).

4. Sogenannte „überschießende“ Feststellungen sind (nur) insoweit zu berücksichtigen, als sie in den Rahmen des geltend gemachten Klagegrundes oder der erhobenen Einwendungen fallen (RIS‑Justiz RS0037972 [T9, T15]). Solches trifft auf die von der Beklagten monierten Feststellungen zu den vom Kläger bei ihr verspielten Beträgen zu. Dass das Berufungsgericht diese Feststellungen bei seiner rechtlichen Beurteilung berücksichtigte, ist somit nicht zu beanstanden.

5. Es steht im Einklang mit der Rechtsprechung, wenn das Berufungsgericht die Ausführungen der Beklagten zu einem Mitverschulden des Klägers daran, dass es überhaupt zum Abschluss der gegenständlichen Glücksspielverträge kam, unberücksichtigt gelassen hat, da es auf ein solches bei der vorliegend begehrten bereicherungsrechtlichen Rückabwicklung nicht ankommt. Die Rückabwicklung eines wegen Geschäftsunfähigkeit eines Vertragsteils nichtigen Vertrags erfolgt nach § 877 ABGB (vgl RIS‑Justiz RS0108234). Diese Bestimmung verweist auf das allgemeine Bereicherungsrecht (RIS‑Justiz RS0016328). Es handelt sich dabei um einen vom Verschulden unabhängigen Kondiktionsanspruch (vgl RIS‑Justiz RS0018505 [T6] zu § 1435 ABGB), sodass eine unmittelbare Anwendung des § 1304 ABGB schon deshalb nicht in Betracht kommt. Zwar hat der Oberste Gerichtshof bei bestimmten Aspekten bereicherungsrechtlicher Rückabwicklung auch ein Verschulden der Beteiligten berücksichtigt (vgl zu den beim Nachteilsausgleich anzustellenden Billigkeitserwägungen: RIS‑Justiz RS0033818 [T3], sowie zur analogen Anwendung des § 1304 ABGB bei beiderseitigem Verschulden an der Vereitelung des Erfolgs wider Treu und Glauben im Anwendungsbereich des § 1435 ABGB: 6 Ob 29/06t = RIS‑Justiz RS0033564 [T5, T6]); diese Fälle sind aber mit dem hier vorliegenden nicht vergleichbar, sodass es nicht zu beanstanden ist, dass das Berufungsgericht die von der Beklagten aufgeworfene Verschuldensfrage außer Betracht gelassen hat.

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