European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2016:0050NC00025.16W.1216.000
Spruch:
Der Ordinationsantrag wird abgewiesen.
B e g r ü n d u n g :
Die Klägerin begehrte mit ihrer beim Bezirksgericht Schwechat eingebrachten Klage von der Beklagten die Zahlung von 600 EUR sA an Ausgleichsleistung gemäß Art 7 Abs 1 lit c der Verordnung (EG) Nr 261/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Februar 2004 über eine gemeinsame Regelung für Ausgleichs‑ und Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Fall der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen und zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr 295/91 (folgend: FluggastrechteVO). Sie sei aufgrund einer einheitlichen Buchung und einer einzigen Buchungsnummer am 7. 3. 2015 vom Flughafen Wien‑Schwechat (VIE) über London‑Heathrow (LHR) nach Miami International (MIA) und weiter zum Endziel Guatemala City (GUA) geflogen. Der Flughafen Wien‑Schwechat sei der Abflugort der ersten Teilstrecke gewesen und liege im Sprengel des angerufenen Gerichts. Vertragspartner der Klägerin sei British Airways gewesen. Die Beklagte, ein amerikanisches Unternehmen mit Niederlassung in Deutschland, zu der keine Vertragsbeziehung der Klägerin bestehe, habe als ausführendes Flugunternehmen die Beförderung von London nach Miami und weiter nach Guatemala vorgenommen. Infolge eines allein von der Beklagten zu verantwortenden Umstands habe sich der Abflug ab London verspätet, sodass die Klägerin ihr Zwischenziel Miami verspätet erreicht und den Anschlussflug nach Guatemala verpasst habe. In Guatemala sei sie schließlich mit einer Verspätung von mehr als drei Stunden angekommen. Bei Klagen, die auf die FluggastrechteVO gestützt werden, liege der Erfüllungsort nach § 88 JN sowie nach Art 5 Abs 1 (nunmehr Art 7 Abs 1) EuGVVO sowohl am Ort des Abflugs als auch am Ort der Ankunft des betreffenden Flugs.
Das Bezirksgericht Schwechat wies die Klage zurück und sprach aus, dass es international nicht zuständig sei. Die Beklagte sei lediglich in den Vertrag der Klägerin einbezogen worden, was aber noch nicht den Erfüllungsort Wien‑Schwechat begründe. Die Zuständigkeitsfrage sei nach dem Flugabschnitt zu beurteilen, bei dem die Beklagte ausführendes Flugunternehmen gewesen sei, weshalb es an der örtlichen und internationalen Zuständigkeit des angerufenen Gerichts fehle. Das Rekursgericht gab dem gegen diese Entscheidung erhobenen Rekurs der Klägerin nicht Folge.
Die Klägerin begehrt nunmehr, der Oberste Gerichtshof möge eine Ordination des Rechtsstreits an das Bezirksgericht für Handelssachen Wien vornehmen. Die inländische (österreichische) Gerichtsbarkeit liege auf der Hand, weil Österreich zur effektiven Durchsetzung der Ansprüche von Fluggästen aus der FluggastrechteVO verpflichtet sei. Eine Klagsführung in den USA sei der Klägerin nicht zumutbar. Aus den ihre Klage zurückweisenden Entscheidungen folge, dass ein örtlich zuständiges Gericht in Österreich infolge Fehlens eines inländischen Erfüllungsorts nicht existiere.
Rechtliche Beurteilung
Der Ordinationsantrag ist nicht berechtigt.
1. Die bereits erfolgte Zurückweisung der Klage wegen örtlicher Unzuständigkeit steht dem Ordinationsantrag nicht grundsätzlich entgegen, weil im Fall seiner Stattgebung die Klage neu beim ordinierten Gericht einzubringen wäre (10 Nd 510/00; 10 Nd 502/98; vgl auch 2 Ob 32/08g).
2. Die Klägerin hat die neu einzubringende Klage ihrem Ordinationsantrag nicht angeschlossen. Dies ist deshalb unschädlich, weil der geltend zu machende Anspruch durch die Darstellung im Ordinationsantrag und die vorgelegten Urkunden, insbesondere der die (erste) Klage zurückweisenden Entscheidungen, ausreichend individualisiert ist (RIS‑Justiz RS0046300 [insb T2]).
3. Das Fehlen eines örtlichen Zuständigkeitstatbestands in den Normen des inländischen Zivilprozessrechts ist ein Indiz dafür, dass die betreffende Rechtssache nach dem Willen des Gesetzgebers nicht der österreichischen Jurisdiktion unterworfen werden sollte (RIS‑Justiz RS0045463). Die Bestimmung der Zuständigkeit durch den Obersten Gerichtshof setzt deshalb nach § 28 Abs 1 JN voraus, dass 1. Österreich auf Grund eines völkerrechtlichen Vertrags zur Ausübung von Gerichtsbarkeit verpflichtet ist, 2. der Kläger österreichischer Staatsbürger ist oder seinen Wohnsitz, gewöhnlichen Aufenthalt oder Sitz im Inland hat und im Einzelfall die Rechtsverfolgung im Ausland nicht möglich oder unzumutbar wäre oder 3. die inländische Gerichtsbarkeit, nicht aber ein örtlich zuständiges Gericht vereinbart worden ist.
4. Die Voraussetzung nach § 28 Abs 1 Z 1 JN ist (ua) dann gegeben, wenn sich die Verpflichtung zur Ausübung der österreichischen Gerichtsbarkeit aus einem Unionsrechtsakt ergibt, der die internationale Zuständigkeit der Vertragsstaaten, aber keinen örtlichen Gerichtsstand normiert (vgl RIS‑Justiz RS0118240; Garber in Fasching/Konecny 3 § 28 JN Rz 30, 32 und 35).
5.1. Nach Art 3 Abs 1 FluggastrechteVO gilt diese für Fluggäste, die auf Flughäfen im Gebiet eines Mitgliedstaats, das den Bestimmungen des Vertrags unterliegt, einen Flug antreten (lit a) und sofern das ausführende Luftfahrtunternehmen ein Luftfahrtunternehmen der Gemeinschaft ist, für Fluggäste, die von einem Flughafen in einem Drittstaat einen Flug zu einem Flughafen im Gebiet eines Mitgliedstaats, das den Bestimmungen des Vertrags unterliegt, antreten, es sei denn, sie haben in diesem Drittstaat Gegen- oder Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen erhalten (lit a). Nach Art 3 Abs 5 FluggastrechteVO gilt diese für alle ausführenden Luftfahrtunternehmen, die Beförderungen für Fluggäste im Sinn der Absätze 1 und 2 erbringen. Erfüllt ein ausführendes Luftfahrtunternehmen, das in keiner Vertragsbeziehung mit dem Fluggast steht, Verpflichtungen im Rahmen dieser Verordnung, so wird davon ausgegangen, dass es im Namen der Person handelt, die in einer Vertragsbeziehung mit dem betreffenden Fluggast steht.
5.2. Mit Art 3 FluggastrechteVO wird deren Anwendungsbereich bestimmt. Eigene Regelungen über die internationale gerichtliche Zuständigkeit der Vertragsstaaten hinsichtlich ihrer Anwendung enthält die FluggastrechteVO aber nicht (vgl Schlussanträge Rs C-94/14 [Rn 17]). Aus der FluggastrechteVO selbst folgt also keine Verpflichtung zur Ausübung der österreichischen Gerichtsbarkeit im Sinn des § 28 Abs 1 Z 1 JN.
6. Die Verpflichtung zur Ausübung der österreichischen Gerichtsbarkeit und folglich zur Ordination nach § 28 Abs 1 Z 1 JN könnte sich auch aus der EuGVVO (2012) ergeben, sofern diese nur die internationale, nicht aber auch die örtliche Zuständigkeit regelt ( Garber in Fasching/Konecny 3 § 28 JN Rz 39 und 45). Wollte man aber den von der Klägerin angestrebten Anspruch auf eine Ausgleichszahlung – ungeachtet des Umstands, dass sich dieser nicht gegen ihren Vertragspartner sondern gegen das ausführende Luftfahrtunternehmen richtet – als Anspruch aus einem Vertrag ansehen (vgl idS BGH X ZR 2/15 [insb Rn 9 ff]), könnte daraus der Gerichtsstand nach Art 7 Abs 1 lit b zweiter Spiegelstrich EuGVVO 2012 folgen (vgl dazu auch die Vorabentscheidungsersuchen zu Rs C‑533/15; Rs C‑447/16; Rs C‑448/16; AG Königs Wusterhausen 20 C 83/11). Dann ergibt sich aber die internationale örtliche Zuständigkeit ohnehin unmittelbar aus dem anwendbaren Unionsrechtsakt, was einen Rückgriff auf das innerstaatliche Recht und auch eine Ordination nach § 28 Abs 1 Z 1 JN ausschließt ( Garber in Fasching/Konecny 3 § 28 JN Rz 36). Sonstige Hinweise für die unionsrechtliche Anordnung einer internationalen Zuständigkeit Österreichs und zugleich fehlender örtlicher Zuständigkeit eines österreichischen Gerichts liegen nicht vor.
7. Soweit sich die Klägerin auf die angebliche Unmöglichkeit oder Unzumutbarkeit einer Rechtsverfolgung im Ausland (§ 28 Abs 1 Z 2 JN) beruft, hat sie nicht dargetan – und es ist auch nicht einsichtig –, welche Hindernisse einer Klagsführung im Ausland (7 Ob 2421/96x [New York]; 6 Nc 20/08f [Jersey]) entgegenstehen würden und ein vor Ort zu erwirkender Titel dort auch nicht vollstreckbar wäre ( Garber in Fasching/Konecny 3 § 28 JN Rz 78). Dass gegebenenfalls die inländische materiell-rechtliche Rechtslage günstiger ist als die ausländische rechtfertigt die Ordination ebenfalls nicht (RIS‑Justiz RS0117751).
8. Ein Fall des § 28 Abs 1 Z 3 JN liegt offenkundig nicht vor.
9. Insgesamt besteht – so nicht ohnehin der Gerichtsstand nach Art 7 Abs 1 lit b zweiter Spiegelstrich EuGVVO 2012 zu bejahen sein sollte – keine Grundlage für die Gewährung inländischen Rechtsschutzes trotz Fehlens eines Gerichtsstands im Inland. Der Ordinationsantrag ist demnach nicht berechtigt.
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