European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2016:010OBS00108.16D.1111.000
Spruch:
Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
Begründung:
Unstrittig hat die Klägerin Anspruch auf Wochengeld in Höhe von 71,37 EUR täglich ab 9. 1. 2015 aus dem an diesem Tag eingetretenen Versicherungsfall der Mutterschaft. Dieser Anspruch errechnet sich aus den Bezügen, die die Klägerin im Zeitraum der letzten drei Monate vor Eintritt des Versicherungsfalls als Dienstnehmerin zweier Dienstgeber in Dienstverhältnissen verdient hat, die der Pflichtversicherung nach dem ASVG unterlagen und zum Zeitpunkt des Eintritts des Versicherungsfalls aufrecht bestanden.
Die Klägerin war darüber hinaus vom 1. 9. 2013 bis 30. 11. 2014 als Vertragsbedienstete der Stadt D***** in einem der Pflichtversicherung nach dem B‑KUVG unterliegenden Dienstverhältnis beschäftigt. Dieses Vertragsbedienstetenverhältnis endete durch Kündigung der Klägerin zum 30. 11. 2014.
Strittig ist im Verfahren, ob die von der Klägerin im Beobachtungszeitraum zwischen 1. 10. 2014 und 30. 11. 2014 als Vertragsbedienstete der Stadt D***** erzielten Bezüge in die Berechnung des Anspruchs auf Wochengeld einzubeziehen sind (Standpunkt der Klägerin) oder ob dies nicht der Fall ist, weil dieses Beschäftigungsverhältnis nicht dem ASVG, sondern dem B‑KUVG unterlag (Standpunkt der Beklagten).
Die Vorinstanzen wiesen das Klagebegehren, soweit es sich auf Zahlung eines höheren Wochengeldes als 71,37 EUR täglich richtete, ab.
Rechtliche Beurteilung
In ihrer außerordentlichen Revision zeigt die Klägerin keine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung iSd § 502 Abs 1 ZPO auf.
1.1 Nach Rechtsprechung und Lehre kommt es für die Berücksichtigung des nach § 162 Abs 3 Satz 1 ASVG „gebührenden Arbeitsverdienstes“, der der Berechnung des Wochengeldes zugrunde liegt, maßgeblich darauf an, dass der Arbeitsverdienst aus einer Tätigkeit erzielt wird, die als solche der Krankenversicherung nach dem ASVG unterliegt (10 ObS 197/03y, SSV‑NF 18/53; 10 ObS 33/11t, SSV‑NF 25/38; 10 ObS 22/16g; RIS‑Justiz RS0084112 [T3]); Drs in SV‑Komm [29. Lfg] § 162 ASVG Rz 52; Schober in Sonntag , ASVG 7 § 162 Rz 25).
1.2 Dies ergibt sich entgegen den Ausführungen der Revisionswerberin auch aus der Entscheidung 10 ObS 197/03y, in der sich der Oberste Gerichtshof mit der auch von der Revisionswerberin zitierten Anmerkung von Firlei zur Entscheidung 10 ObS 78/88, SSV‑NF 2/40 (ZAS 1990, 32), ausführlich und zustimmend auseinandergesetzt hat. Gerade Firlei führt entgegen der Ansicht der Revisionswerberin aus, dass es nicht vertretbar wäre, „dass jeglicher Arbeitsverdienst im weitesten Sinn, unabhängig von einer Beziehung zu einer nach ASVG versicherten (versicherungsfähigen) Tätigkeit (und in voller Netto‑Höhe!) beim Wochengeld berücksichtigt wird“. Der Arbeitsverdienst iSd § 162 Abs 3 ASVG muss auch nach seiner Ansicht einer Tätigkeit entspringen, die „an sich“ der ASVG‑Krankenversicherung unterliegt. „Tätigkeiten, die gar nicht 'wochengeldfähig' iS des ASVG sind, aus denen aber ein 'Arbeitsverdienst' bezogen wird, dürfen nicht in die Berechnung der Höhe des Wochengeldes einfließen“ ( Firlei , ZAS 1990, 33). Dem hat sich im Verfahren 10 ObS 197/03y bereits das Berufungsgericht angeschlossen, dessen Ausführungen der Oberste Gerichtshof unter Hinweis auf § 510 Abs 3 Satz 2 ZPO ausdrücklich als zutreffend bezeichnete.
2.1 Die Rechtsansicht des Berufungsgerichts, dass der aus der Tätigkeit der Klägerin als Vertragsbedienstete im Beobachtungszeitraum erzielte Arbeitsverdienst im konkreten Fall nicht für die Berechnung des Wochengeldes zu berücksichtigen sei, weil es sich dabei nicht um eine Tätigkeit handelte, die an sich der Krankenversicherung nach dem ASVG unterlag, steht mit dieser Rechtsprechung im Einklang. Eine Korrekturbedürftigkeit der Entscheidung zeigt die Revisionswerberin nicht auf. Es genügt entgegen den Ausführungen in der Revision nicht, dass die Klägerin als Vertragsbedienstete der vollen Versicherungspflicht unterlag. Denn durch diese Tätigkeit wurde keine Pflichtversicherung nach dem ASVG, sondern nach dem B‑KUVG begründet. Maßgeblich ist auch nicht der in der Revision hervorgehobene Umstand, dass die Klägerin – anders als die Klägerin zu 10 ObS 197/03y – als Vertragsbedienstete unselbständig tätig war, sondern allein die Frage, ob eine Tätigkeit als solche der Krankenversicherung nach dem ASVG unterliegt.
2.2 Der in § 162 Abs 3 Satz 1 ASVG verwendete Begriff des „gebührenden Arbeitsverdienstes“ hat seine Grundlage in § 44 Abs 1 ASVG. Unter Arbeitsverdienst versteht das ASVG das durch die pflichtversicherte Tätigkeit zustehende Einkommen ( Krejci/Marhold/Karl/Risak in Tomandl , SV‑System [26. ErgLfg] 1.2.4.1.4.1 B, 80). Gemeint ist (nur) das durch eine nach dem ASVG pflichtversicherte Tätigkeit erzielte Einkommen, denn § 44 ASVG selbst legt den Begriff „Arbeitsverdienst“ aus als Entgelt im Sinn des § 49 Abs 1, 3, 4 und 6 ASVG ( Lubey , Der Entgeltbegriff des ASVG [2005] 27). An dieser Qualifikation ändert der von der Revisionswerberin ins Treffen geführte Umstand, dass die überwiegende Finanzierung der den Sozialversicherungsträgern entstandenen Aufwendungen für das Wochengeld (Betriebshilfe) durch den Ausgleichsfonds für Familienbeihilfen (§ 168 ASVG, § 39a FLAG) erfolgt, nichts. Auch die Rechtsprechung, wonach es beim „Arbeitsverdienst“ iSd § 162 Abs 3 ASVG nicht auf seine beitrags‑ oder einkommensteuerliche Qualifikation ankommt (10 ObS 78/88, SSV‑NF 2/40; RIS‑Justiz RS0084112), bringt lediglich zum Ausdruck, dass die Einbeziehung der Arbeitsentgelte in die Bemessungsgrundlage davon unabhängig ist, ob es sich um eine voll‑ oder teilversicherte oder auch um eine geringfügige Beschäftigung (vgl dazu § 162 Abs 3a Z 1 ASVG) handelt und ob hiefür Krankenversicherungsbeiträge zu zahlen sind (10 ObS 197/03y).
2.3 Dass der Gesetzgeber nicht davon ausgegangen ist, dass Verdienste, die nicht durch eine als solche der Krankenversicherung nach dem ASVG unterliegende Tätigkeit erzielt wurden, bei der Berechnung des Wochengeldes gemäß § 162 Abs 3 ASVG einzubeziehen sind, ergibt sich daraus, dass er den Anspruch auf Wochengeld – das im Bereich der Unselbständigen als Entgeltersatz und im Bereich der Gewerbetreibenden und Bauern als Betriebshilfe zur Zahlung der die Versicherte entlastenden Arbeitskräfte konstruiert ist ( Felten in Tomandl , SV‑System [28. ErgLfg] 2.2.7.4.1. A, 264/15) – nicht nur nach dem ASVG und dem B‑KUVG, sondern auch nach dem GSVG (§ 102a) und dem BSVG (§ 98) vorsieht. Für den Fall der Mehrfachversicherung in der Krankenversicherung hat der Gesetzgeber auch Regelungen geschaffen, die eine Berücksichtigung der Verdienste aus jeder dieser Tätigkeiten vorsieht (zB § 128 ASVG, § 57 B‑KUVG; vgl Windisch‑Graetz in SV‑Komm [164. Lfg] § 128 ASVG Rz 4). Dieser Fall liegt jedoch hier unstrittig nicht vor. Dass der Gesetzgeber dadurch, dass er bei Fehlen einer Mehrfachversicherung keine Bestimmungen über die Berücksichtigung von Verdiensten aus im Beobachtungszeitraum ausgeübten Tätigkeiten, die anderen Pflichtversicherungen unterliegen und für die daher auch Beiträge in andere Pflichtversicherungssysteme gezahlt wurden, geschaffen hat, den ihm bei der Umsetzung seiner rechts‑ und wirtschaftspolitischen Zielsetzungen verfassungsrechtlich zustehenden Gestaltungsspielraum (vgl zB RIS‑Justiz RS0053889) verlassen hätte, behauptet auch die Revisionswerberin nicht.
3. Für die hier zu beurteilende Rechtsfrage ist unerheblich, ob – was die Revisionswerberin in Frage stellt – die Klägerin allenfalls noch einen Anspruch auf Wochengeld gegenüber der Versicherungsanstalt öffentlich Bediensteter geltend machen könnte. Weder kommt es daher auf die von der Revisionswerberin in diesem Zusammenhang als erheblich bezeichnete Rechtsfrage an, noch bedarf es einer Auseinandersetzung mit den diesbezüglichen Ausführungen des Berufungsgerichts.
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)