OGH 10ObS197/03y

OGH10ObS197/03y8.6.2004

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Bauer als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Fellinger und Dr. Hoch sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Manfred Engelmann (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Mag. Johannes Denk (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Mag. Barbara B*****, vertreten durch Dorda Brugger Jordis Rechtsanwälte GmbH in Wien, gegen die beklagte Partei Wiener Gebietskrankenkasse, Wienerbergstraße 15-19, 1103 Wien, vertreten durch Dr. Heinz Edelmann, Rechtsanwalt in Wien, wegen Wochengeld, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 19. März 2003, GZ 9 Rs 350/02k-11, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 3. Juli 2002, GZ 3 Cgs 82/02y-7, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei hat die Kosten ihres Rechtsmittels selbst zu tragen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Klägerin war von 1. 10. 2001 bis 30. 11. 2001 als selbständige Rechtsanwältin erwerbstätig. In diesem Zeitraum erzielte sie ein (monatliches) Einkommen von brutto EUR 12.112,09 (netto EUR 6.927,36). Sie war im Rahmen eines Gruppenkrankenversicherungsvertrages bei der UNIQA Personenversicherung AG versichert und unterlag nicht der Krankenversicherungspflicht nach dem ASVG.

Ab dem 1. 12. 2001 war die Klägerin bei den Klagevertretern (als Rechtsanwältin) angestellt, unterlag der Krankenpflichtversicherung nach dem ASVG und bezog bis zum 6. 1. 2002 ein (monatliches) Nettoeinkommen von EUR 3.417,96. An diesem Tag trat der Versicherungsfall der Mutterschaft (§ 120 Abs 1 Z 3 ASVG) ein. Die Tochter der Klägerin wurde am 18. 2. 2002 geboren.

Außer Streit steht, dass - ausgehend vom letztgenannten Nettoeinkommen - die Berechnung des täglichen Wochengeldes von EUR 43,47 "zutreffend erfolgt sei".

Mit Bescheid vom 4. 4. 2002 lehnte die beklagte Krankenkasse den Antrag der Klägerin auf Gewährung eines "höheren Wochengeldes als EUR 43,47" gemäß § 162 Abs 3 und Abs 4 ASVG iVm § 43 Z 2 ihrer Satzung ab. Die Klägerin habe in den letzten drei Kalendermonaten vor Eintritt des Versicherungsfalles einen Arbeitsverdienst von EUR 3.417,96 erzielt, woraus sich unter Berücksichtigung der Sonderzahlungen ein Wochengeld von EUR 43,47 pro Tag errechne.

Das Erstgericht verpflichtete die Beklagte, der Klägerin ein Wochengeld im Ausmaß von EUR 43,47 anlässlich der Entbindung am 18. 2. 2002 "im gesetzlichen Ausmaß" und unter Anrechnung des bereits aus dem Titel des Wochengeldes anlässlich der genannten Entbindung gezahlten Beträge zu zahlen, und wies das Mehrbegehren auf Bezahlung eines darüber hinausgehenden Wochengeldes in Höhe von EUR 131,57 pro Tag für den gesamten Zeitraum des Mutterschutzes ab.

Die in den Monaten Oktober und November 2001 für die als selbständige Rechtsanwältin tätige Klägerin bestehende Krankenversicherungspflicht gemäß § 5 Abs 1 GSVG könne nichts daran ändern, dass die Klägerin insoweit Einkünfte aus selbständiger Tätigkeit, nicht aber einen "Arbeitsverdienst" iSd § 162 ASVG bezogen habe; dafür sei nämlich maßgebend, dass er aus einem unselbständigen Beschäftigungsverhältnis erzielt werde (SSV-NF 2/40), also einer Tätigkeit entspringen müsse, die an sich der ASVG-Krankenversicherung unterliege (SVSlg 45.366). Das im genannten Zeitraum als selbständige Rechtsanwältin erzielte Einkommen sei daher - mangels Vorliegens eines "Arbeitsverdienstes" - nicht in die Berechnung des Wochengeldanspruches einzubeziehen.

Das Berufungsgericht bestätigte dieses Urteil.

Zwischen den Parteien sei lediglich strittig, ob das von der Klägerin während des Beobachtungszeitraumes des § 162 Abs 3 ASVG erzielte Einkommen aus selbständiger Erwerbstätigkeit als Arbeitsverdienst nach leg cit anzusehen sei oder nicht. Entgegen der Auffassung der Klägerin, dass auch selbständiges Einkommen unter diesen Begriff falle, bringe die Rechtsprechung, wonach es beim "Arbeitsverdienst" iSd § 162 Abs 3 ASVG nicht auf seine beitrags- oder einkommenssteuerliche Qualifikation ankomme, lediglich zum Ausdruck, dass die Einbeziehung der Arbeitsentgelte in die Bemessungsgrundlage davon unabhängig sei, ob es sich um ein voll- oder teilversichertes oder auch um ein geringfügiges Beschäftigungsverhältnis handle, und ob hiefür Krankenversicherungsbeiträge entrichtet wurden oder nicht. Zu beachten sei nämlich der Zusammenhang zwischen Arbeitsverdienst und Pflichtversicherung nach dem ASVG, welches unter dem genannten Begriff das durch die pflichtversicherte Tätigkeit zustehende Einkommen (vgl § 44 ASVG) verstehe (Krejci/Marhold in Tomandl SV-System, Kapitel 1.2.4.1.4.1.B, 13. Erg-Lfg, 75). Dass jeglicher Arbeitsverdienst im weitesten Sinne, unabhängig von einer Beziehung zu einer nach dem ASVG versicherten (versicherungsfähigen) Tätigkeit bei der Berechnung des Wochengeldes zu berücksichtigen sein sollte, werde auch in der Literatur abgelehnt (vgl Firlei in seiner Glosse zu ZAS 1990/4).

Mangels Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes zur strittigen Auslegung des Begriffes "Arbeitsentgelt" (richtig: "Arbeitsverdienst") iSd § 162 Abs 3 ASVG sei die ordentliche Revision zulässig.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision der Klägerin aus dem Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag auf Abänderung im klagsstattgebenden Sinn; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die beklagte Partei beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist aus dem genannten Grund zulässig aber nicht berechtigt.

Die im angefochtenen Urteil enthaltene rechtliche Beurteilung der Sache ist zutreffend, weshalb gemäß § 510 Abs 3 Satz 2 ZPO auf die Richtigkeit dieser Ausführungen verwiesen werden kann.

Was die in den Revision angesprochene "Pflichtversicherung" (vgl dazu Tomandl Grundriss5 Rz 45) bzw die im Fall der Klägerin in der Krankenversicherung bestehende Ausnahme von der Pflichtversicherung für Mitglieder der Rechtsanwaltskammer (Tomandl aaO Rz 73 FN 41 mwN) betrifft, ist zunächst klarzustellen, dass nach § 5 Abs 1 GSVG Personen, die - wie die Klägerin - aufgrund der Zugehörigkeit zu einer beruflichen Vertretung (Kammer) und aufgrund der Ausübung einer selbständigen Erwerbstätigkeit iSd § 2 Abs 1 Z 4 GSVG Anspruch auf Leistungen haben, ausdrücklich von der Pflichtversicherung in der Kranken- und/oder Pensionsversicherung ausgenommen sind:

Wenn gesetzliche oder berufliche Vertretungen eigene Einrichtungen aufgebaut haben, die ihren Mitgliedern zumindest annähernd gleichwertige Ansprüche wie die gesetzliche Kranken- und Pensionsversicherung gewähren, können sie für ihre Mitglieder die Ausnahme aus der Pflichtversicherung in der Kranken- und/oder Pensionsversicherung beantragen (sogenanntes "opting-out"); für die Krankenversicherung genügt allerdings auch eine verpflichtend abgeschlossene Selbstversicherung gemäß ASVG oder GSVG (§ 5 Abs 1 Z 2 GSVG). Ausgenommen sind deshalb etwa die Mitglieder der Kammer der Rechtsanwälte (Tomandl aaO Rz 73 FN 41; zu den diesbezüglichen Bescheiden siehe die Nachweise bei Marhold, Kodex Sozialversicherungsrecht FN a) zu § 5 GSVG).

Die Revisionswerberin hält daran fest, durch die Verwendung des [nicht näher determinierten] Begriffes "Arbeitsverdienst" werde zum Ausdruck gebracht, dass [davon] nicht nur Bezüge, die aus der die Pflichtversicherung begründenden Tätigkeit erzielt wurden, umfasst seien und beruft sich dazu weiterhin auf die Entscheidung 10 ObS 78/88 (SSV-NF 2/40 = ZAS 1990/4 [zust Firlei] = ARD 4010/1/88 = SVSlg 32.673 und 34.697), von der die Vorinstanzen als "gesicherte Rechtsprechung" abgewichen seien.

Tatsächlich hat der erkennende Senat im dortigen Fall (einer infolge ihres geringfügigen Arbeitsverdienstes nur in der Unfallversicherung teilversicherten Beschäftigten) ausgesprochen, dass "als gebührender Arbeitsverdienst im Sinne dieser Gesetzesstelle [§ 162 Abs 3 ASVG] grundsätzlich jeder Geldbezug und Sachbezug zu verstehen ist, der der vollversicherten oder teilversicherten Arbeitnehmerin als Arbeitsverdienst im Beobachtungszeitraum zustand, und zwar unabhängig von beitrags- oder einkommenssteuer[recht]licher Qualifikation" (RIS-Justiz RS008412; so auch Binder in Tomandl SV-System, Kapitel 2.2.6.4.1, 15. Erg-Lfg, 264/8 FN 12). Entgegen den Revisionsausführungen ist jedoch nicht nur der zitierten Entscheidung, sondern auch der anlässlich ihrer Veröffentlichung in ZAS 1990/4 erschienenen Glosse (die der Entscheidung im Ergebnis zustimmt) eindeutig zu entnehmen, dass es "auch dem Höchstgericht auf das Vorliegen einer Pflichtversicherung ankommt", die im hier fraglichen Zeitraum unstrittig fehlt.

Aber auch die vom Glossator vertretene Auffassung zur Frage des Zusammenhanges zwischen den Begriffen "Arbeitsverdienst" und "Pflichtversicherung", auf die sich das vorliegende Rechtsmittel beruft, vermag den Standpunkt der Klägerin nicht zu stützen. In seiner Glosse hält Firlei nämlich ausdrücklich fest, man werde sich mit dem Obersten Gerichtshof nicht gänzlich vom Erfordernis des Bestehens einer Pflichtversicherung lösen können. Es sei nämlich nicht vertretbar, dass jeglicher Arbeitsverdienst im weitesten Sinne, unabhängig von einer Beziehung zu einer nach ASVG versicherten (versicherungsfähigen) Tätigkeit (und in voller Netto-Höhe!) beim Wochengeld berücksichtigt werde. Erschwerend falle nämlich ins Gewicht, dass auch nur wenige Tage der Pflichtversicherung in der Krankenversicherung ausreichten, um den Anspruch dem Grunde nach entstehen zu lassen. Jene Tätigkeit, die Quelle des leistungsbestimmenden Einkommens ist, müsse daher ein "gewisses Naheverhältnis zum ASVG" aufweisen, welches der Genannte wie folgt präzisiert:

Der Hinweis des Obersten Gerichtshofes auf die bestehende Pflichtversicherung in der Unfallversicherung sei zwar im Ergebnis nicht unrichtig, aber Sinn und Zweck der Forderung nach dem Bestehen einer Pflichtversicherung beim Wochengeld würden damit nicht präzise getroffen. Vielmehr müsse der Arbeitsverdienst im Sinne der Wochengeldregelung einer Tätigkeit entspringen, die "an sich" der ASVG-Krankenversicherung unterliege. Tätigkeiten, die gar nicht "wochengeldfähig" im Sinne des ASVG seien, aus denen aber ein "Arbeitsverdienst" iwS bezogen werde, dürften nicht in die Berechnung der Höhe des Wochengeldes miteinbezogen werden. Liege also am Stichtag eine Tätigkeit vor, die dem Grunde nach einen Wochengeldanspruch gewährleiste (Pflichtversicherung in der Krankenversicherung; siehe M. Schwarz, RdA 1984, 162 ff), dann werde der für die Leistungsbemessung erforderliche Zusammenhang zwischen Arbeitsverdienst und Pflichtversicherung schon dadurch hergestellt, dass diese (uU geringfügigen) Arbeitsverdienste "aufgrund eben jener Tätigkeit" erzielt worden seien, die am Stichtag den Anspruchsvoraussetzungen genügt habe (Firlei aaO; Hervorhebungen durch den erkennenden Senat).

Auch davon ausgehend liegt die mangelnde "Wochengeldfähigkeit" der hier zu beurteilenden Tätigkeit der Klägerin auf der Hand; stand ihre selbständige Erwerbstätigkeit doch schon deshalb jedenfalls nicht in einem "gewissen Naheverhältnis zum ASVG", weil es sich dabei nicht um jene (nach § 7 Z 1 lit e ASVG) pflichtversicherte Tätigkeit der Klägerin handelte, die am Stichtag den Anspruchsvoraussetzungen genügte, sondern um die von ihr zuvor ausgeübte Tätigkeit einer nicht der Pflichtversicherung nach dem ASVG unterliegenden selbständigen Rechtsanwältin.

Dass die Bestimmung des § 44 Abs 1 Z 1 ASVG (wonach als Arbeitsverdienst bei pflichtversicherten Dienstnehmern [und Lehrlingen] das Entgelt iSd § 49 Abs 1, 3, 4 und 6 ASVG gilt) im vorliegenden Fall unanwendbar ist, weil die Klägerin im streitgegenständlichen Zeitraum (noch) "nicht Dienstnehmerin im Sinne dieser Bestimmung war", hält die Revisionswerberin selbst fest (Seite 4 der Revision). Es ist daher nicht nachvollziehbar wenn sie in ihrem Rechtsmittel abschließend die Auffassung vertritt, (auch) ihre Tätigkeit im Zeitraum Oktober bis November 2001 "unterlag 'an sich' der ASVG-Krankenversicherung, weil es sich um eine krankenversicherungspflichtige Tätigkeit handelte, die 'an sich' der ASVG-Krankenversicherung unterliegt [?], für die allerdings aufgrund der opting-out Variante keine Beiträge bezahlt wurden" (Seite 7 der Revision).

Nicht das Berufungs- bzw das Erstgericht sondern die Revision verwechselt hier offenbar die bestehende Verpflichtung zum Abschluss einer Gruppenkrankenversicherung mit dem Vorliegen einer Pflichtversicherung; damit bleibt nämlich außer Betracht, dass die Klägerin im fraglichen Zeitraum als selbständige Rechtsanwältin nicht nur keiner Pflichtversicherung in der Krankenversicherung nach dem ASVG unterlag, sondern auch von jener - für sie allein in Frage kommenden - nach dem GSVG (als "neue Selbständige") gemäß § 5 Abs 1 GSVG ausgenommen war. Vom Fehlen einer Pflichtversicherung ist daher nicht wegen des "opting-out" auszugehen, sondern schon aufgrund der Art der Tätigkeit an sich, aus der somit auch kein "Arbeitsverdienst" iSd § 162 Abs 3 ASVG bezogen wurde (vgl dazu auch Mahr [Die Ruhensbestimmungen des § 166 Abs 1 Z 2 ASVG, ZAS 1992, 43 f], der ausführt, dass der Anspruch auf Wochengeld berufstätigen Frauen zusteht, die pflichtversichert sind, und dass es beim Wochengeld keiner versicherungsrechtlichen Anwartschaftszeit bedarf, sondern nur eines bestehenden sozialversicherungspflichtigen Dienstverhältnisses).

Es bleibt somit nur noch zu erwähnen, dass der Klägerin, hätte sie ihre ursprüngliche Tätigkeit bis zum Zeitpunkt des Eintrittes des Versicherungsfalles der Mutterschaft fortgesetzt (anstatt die einer nach § 7 Z 1 lit e ASVG in der Kranken- und Unfallversicherung teilversicherten angestellten Rechtsanwältin aufzunehmen), überhaupt kein Wochengeldanspruch zugestanden wäre.

Der Revision ist daher ein Erfolg zu versagen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG.

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