OGH 1Ob193/16p

OGH1Ob193/16p19.10.2016

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Sailer als Vorsitzenden sowie die Hofräte Univ.‑Prof. Dr. Bydlinski, Mag. Wurzer, Mag. Dr. Wurdinger und die Hofrätin Dr. Hofer‑Zeni‑Rennhofer als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei R***** KG, *****, gegen die beklagte Partei Republik Österreich (Bund), vertreten durch die Finanzprokuratur in Wien, wegen 70.000 EUR sA, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht vom 17. August 2016, GZ 5 R 112/16d‑13, mit dem das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz vom 31. Mai 2016, GZ 19 Cg 25/15a‑9, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2016:0010OB00193.16P.1019.000

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

Rechtliche Beurteilung

1. Nach der Rechtsprechung ist die Berücksichtigung des Inhalts einer Urkunde, auf die sich auch die Gegenseite (in der Klagebeantwortung) berief, im Rahmen der rechtlichen Beurteilung auch ohne Durchführung einer mündlichen Berufungsverhandlung zulässig (vgl RIS‑Justiz RS0121557 [T3]), ist doch unstrittiges Parteienvorbringen, zu dem auch der Inhalt einer von beiden Seiten für bedeutsam angesehenen Urkunde gehört, im Sinn der §§ 266 f ZPO ohne weiteres der Entscheidung zugrunde zu legen (RIS‑Justiz RS0121557 [T1]). Die Behauptung einer Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens, weil das Berufungsgericht ohne Durchführung einer mündlichen Berufungsverhandlung eine Beweisergänzung vorgenommen habe, indem es aus dem von der Klägerin selbst vorgelegten Urteil des Handelsgerichts Wien Feststellungen traf, begründet daher keine erhebliche Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO.

Dasselbe gilt für den behaupteten Verfahrensmangel infolge unterlassener Einvernahme des Komplementärs der Klägerin zu den „ergänzenden“ Feststellungen. Ein dem Berufungsgericht unterlaufener Verfahrensverstoß könnte überhaupt nur dann ein Verfahrensmangel sein, wenn er abstrakt geeignet wäre, eine unrichtige Entscheidung des Gerichts zweiter Instanz herbeizuführen (RIS‑Justiz RS0043027; RS0043049). Diese Behauptung hätte die Rechtsmittelwerberin aufzustellen gehabt (RIS‑Justiz RS0043027 [T1, T10]).

2. Nach ständiger Rechtsprechung vermag auch eine unrichtige, jedoch vertretbare Rechtsauffassung keinen Amtshaftungsanspruch zu begründen; insbesondere geht es nicht an, jede Frage, die im Ermessensrahmen zu entscheiden ist, in einem nachfolgenden Amtshaftungsverfahren einer neuen Prüfung zu unterziehen (RIS‑Justiz RS0049955). Die Frage, ob eine Rechtsansicht als vertretbar angesehen werden kann, ist in jedem Einzelfall konkret zu prüfen; im Allgemeinen ist daher die Prüfung der Vertretbarkeit einer Rechtsansicht keine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO, es sei denn, es läge eine aufzugreifende Fehlbeurteilung vor (RIS‑Justiz RS0049955 [T10]).

Davon, dass dem Berufungsgericht eine derartige Fehlbeurteilung unterlaufen wäre, weil es die Rechtsansicht des Berufungsgerichts im Anlassfall zur schuldbefreienden Zahlung des Honorars durch die Schuldnerin (Beklagte im Anlassverfahren) an den ausgeschiedenen Komplementär der Klägerin und damit zu deren konkludentem Verzicht auf ihren Anspruch gegenüber der Honorarschuldnerin als vertretbar angesehen hat, kann keine Rede sein, auch wenn im Hinblick auf die später ergangene Entscheidung 2 Ob 207/12y (= RIS‑Justiz RS0019549 = ÖBA 2014/2014, 376 [zustimmend Apathy]; dazu Wilhelm, Verwendungsanspruch – und die Magie der Konkludenz, Zwei Fragen aus 2 Ob 207/12y, ecolex 2014, 489; zustimmend [die für die Klägerin in dieser Angelegenheit Tätigen] Perner/Spitzer, Der Verwendungsanspruch gegen den Scheingläubiger, in FS Reich‑Rohrwig [2014], 293 [304]; nunmehr auch W. Faber in Schwimann/Kodek, ABGB4 § 1424 Rz 7 FN 39) die besseren Argumente für eine andere Auslegung sprechen. Das Berufungsgericht im Anlassverfahren konnte sich auf die Entscheidungen 4 Ob 513/88 (= RIS‑Justiz RS0019549) und 10 Ob 9/04b sowie die Ansicht Reischauers (in Rummel, ABGB3 § 1424 Rz 3; ebenso Mader/W. Faber in Schwimann, ABGB3 § 1424 Rz 6) stützen. Die in der Entscheidung 4 Ob 513/88 unter Berufung auf § 1016 ABGB vertretene Auffassung, das gegen den Scheingläubiger gerichtete Ausfolgungsbegehren des wahren Gläubigers müsse (gemeint wohl: stets) dahin verstanden werden, „dass er den Einzug der Forderung durch den Scheingläubiger hinnimmt und sich daher an diesen und nicht an den Schuldner halten will“, hielt erst die Entscheidung 2 Ob 207/12y in dieser Allgemeinheit nicht aufrecht. Höchstgerichtliche Entscheidungen, die bereits im Zeitpunkt der Entscheidungen des Berufungsgerichts im Anlassprozess von diesem Rechtsstandpunkt abwichen, gab es entgegen der Ansicht der Klägerin nicht.

3. Gegen einen im Berufungsverfahren ergehenden Aufhebungs‑ und Zurückverweisungsbeschluss des Berufungsgerichts ist der Rekurs gemäß § 519 Abs 1 Z 2 ZPO nur dann zulässig, wenn ein entsprechender Zulassungsausspruch des Berufungsgerichts erfolgt ist. Dieser darf gemäß § 519 Abs 2 ZPO nur dann erfolgen, wenn das Berufungsgericht die Voraussetzungen für gegeben erachtet, unter denen nach § 502 ZPO die Revision zulässig ist. Nach § 502 Abs 1 ZPO ist das Rechtsmittel nur dann zulässig, wenn die Entscheidung von der Lösung einer Rechtsfrage des materiellen Rechts oder des Verfahrensrechts abhängt, der zur Wahrung der Rechtseinheit, Rechtssicherheit oder Rechtsentwicklung erhebliche Bedeutung zukommt, etwa weil das Berufungsgericht von der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs abweicht oder eine solche Rechtsprechung fehlt oder uneinheitlich ist. Der Zweck des Rekurses besteht in der Überprüfung der Rechtsansicht des Berufungsgerichts durch den Obersten Gerichtshof (9 Ob 54/13a ua; E. Kodek in Rechberger 4 § 519 ZPO Rz 26).

Auf Basis dieser Grundsätze steht die Zulassung des Rekurses im Ermessen des Berufungsgerichts (Zechner in Fasching/Konecny 2 § 519 ZPO Rz 58). Die Rechtsansicht des Berufungsgerichts im Anlassverfahren nahm auf eine zum damaligen Zeitpunkt einheitliche Rechtsprechung Bezug. Ob nach den Umständen des Einzelfalls ein Verzicht anzunehmen ist oder nicht, ist im Regelfall keine erhebliche Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO (RIS‑Justiz RS0044298 [T3, T29]; RS0107199). Die Beurteilung des Berufungsgerichts, dass dem Berufungsgericht im Anlassprozess, das in seiner Entscheidung vom 27. 11. 2009 einen Zulassungsausspruch unterließ, im Rahmen seiner Ermessensentscheidung keine unvertretbare Rechtsauffassung angelastet werden kann, ist daher nicht zu beanstanden.

4. Einer weiteren Begründung bedarf es nicht (§ 510 Abs 3 ZPO).

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