OGH 10ObS127/16y

OGH10ObS127/16y11.10.2016

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen durch den Hofrat Univ.‑Prof. Dr. Neumayr als Vorsitzenden, die Hofräte Dr. Schramm und Mag. Ziegelbauer sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Dr. Werner Hallas (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und KR Karl Frint (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei HR Mag. H*****, vertreten durch Dr. Klaus Plätzer, Rechtsanwalt in Salzburg, gegen die beklagte Partei Versicherungsanstalt öffentlich Bediensteter, 1081 Wien, Josefstädterstraße 80, wegen Versehrtenrente, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen vom 4. August 2016, GZ 11 Rs 67/16a‑12, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2016:010OBS00127.16Y.1011.000

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

1. Eine Entscheidung, die zwar bisher die einzige ist, die aber ausführlich begründet und mehrfach veröffentlicht wurde, zu der gegenteilige Entscheidungen nicht vorliegen und die auch vom Schrifttum ohne Kritik übernommen wurde, reicht für das Vorliegen einer gesicherten Rechtsprechung aus (RIS‑Justiz RS0103384). Der Oberste Gerichtshof hat in der – von den Vorinstanzen zitierten – Entscheidung 10 ObS 105/04w, SSV‑NF 19/72 (= SZ 2005/192 uam) ausführlich dargelegt, dass psychische Erkrankungen (hier: depressives Achsensyndrom in Form einer depressiven Anpassungsstörung) vom Gesetzgeber von vornherein nicht als Berufskrankheiten anerkannt werden. Sie werden weder – wie der Revisionswerber selbst zugesteht – gemäß § 92 Abs 1 B‑KUVG in Anlage 1 zum ASVG aufgezählt, noch sind sie iSd § 92 Abs 3 B‑KUVG (ausschließlich oder überwiegend) durch die Verwendung schädigender Stoffe oder Strahlen entstanden.

2. In der Entscheidung 10 ObS 105/04w begründete der Oberste Gerichtshof auch, dass gegen die Verfassungsmäßigkeit der Bestimmung des § 92 Abs 3 B‑KUVG vor dem Hintergrund des Art 7 B‑VG keine Bedenken bestehen, weil dem Gesetzgeber bei der Einbeziehung von Krankheiten in die Liste der Berufskrankheiten ein weiter rechts‑ und sozialpolitischer Gestaltungsspielraum zusteht, der durch das Sachlichkeitsgebot des Gleichheitssatzes (mangels Vergleichbarkeit typischerweise ganz unterschiedlicher Krankheitsbilder und Krankheitsursachen) kaum eingeschränkt wird (Müller in SV‑Komm [162. Lfg] § 177 ASVG Rz 23). Der vom Revisionswerber dagegen ins Treffen geführte Art 66 des Staatsvertrags von St. Germain, StGBl 1920/303, normiert nichts über Art 2 StGG und Art 7 B‑VG Hinausgehendes (VfGH VfSlg 802/1927; 6919/1972; 10104/1984; Mayr/Kucsko‑Stadlmayer/Stöger, Bundes-verfassungsrecht11 Rz 1352). Zur angeregten Einleitung eines Gesetzesprüfungsverfahrens vor dem Verfassungsgerichtshof besteht daher keine Veranlassung. Die in diesem Zusammenhang vom Revisionswerber behauptete Nichtigkeit des Verfahrens liegt schon daher nicht vor.

3. Eine Analogie ist jedenfalls dann unzulässig, wenn Gesetzeswortlaut und klare gesetzgeberische Absicht in die Gegenrichtung weisen (P. Bydlinski in KBB4 § 7 ABGB Rz 2; RIS‑Justiz RS0106092; 6 Ob 187/14i mwH). Wie ebenfalls bereits in der Entscheidung 10 ObS 105/04w ausgeführt, hat der Gesetzgeber mit der Schaffung der Normen des § 92 Abs 1 B‑KUVG iZm Anlage 1 zum ASVG, § 92 Abs 3 B‑KUVG bewusst nicht auf einen lückenlosen Unfallversicherungsschutz bei Krankheiten gezielt, die durch die Berufstätigkeit hervorgerufen werden (Müller in SV‑Komm § 177 ASVG Rz 22). Erkrankungen durch psychische Einwirkungen sind auch nicht in der vom Revisionswerber zitierten Empfehlung der Europäischen Kommission vom 19. September 2003 über die Europäische Liste der Berufskrankheiten (2003/670/EG) enthalten (insbesondere auch nicht in deren Anhang II, in der Krankheiten genannt werden, deren spätere Aufnahme in Anhang I der Empfehlung „ins Auge gefasst werden könnte“). Ausgehend von dieser bewussten Entscheidung des Gesetzgebers und der von ihm in den genannten Bestimmungen gewählten Regelungstechnik fehlt es an der für den vom Revisionswerber gewünschten Analogieschluss erforderlichen planwidrigen Unvollständigkeit der rechtlichen Regelungen (RIS‑Justiz RS0098756).

4. An diesen Grundsätzen hat die Entscheidung 10 ObS 125/15b nichts geändert. Mit dieser Entscheidung wurde die frühere Rechtsprechung dahin geändert, dass die bescheidmäßige Ablehnung der Anerkennung einer Krankheit als konkrete Berufskrankheit durch den Unfallversicherungsträger die Klage vor dem Arbeits‑ und Sozialgericht gemäß § 67 Abs 1 Z 1 ASGG eröffnet. Das Arbeits‑ und Sozialgericht hat eigenständig nach den Vorgaben des § 177 Abs 2 ASVG (§ 92 Abs 3 B‑KUVG) zu prüfen, ob im Einzelfall eine Krankheit ausschließlich oder überwiegend durch die Verwendung schädigender Stoffe oder Strahlen bei einer vom Versicherten ausgeübten Beschäftigung entstanden ist. Das Gericht ist bei dieser Beurteilung nicht von einer Zustimmung des „Bundesministers für Gesundheit“ abhängig. Da es im vorliegenden Fall aber schon nach den Behauptungen des Klägers an einer durch Stoffe oder Strahlen verursachten Erkrankung iSd § 92 Abs 3 B‑KUVG fehlt, zeigt er auch mit diesen Ausführungen keine Korrekturbedürftigkeit der Entscheidungen der Vorinstanzen auf.

Mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO war die außerordentliche Revision daher zurückzuweisen.

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