OGH 1Ob153/16f

OGH1Ob153/16f27.9.2016

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Sailer als Vorsitzenden sowie die Hofräte Univ.‑Prof. Dr. Bydlinski, Mag. Wurzer, Mag. Dr. Wurdinger und die Hofrätin Dr. Hofer‑Zeni‑Rennhofer als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Wiener Gebietskrankenkasse, Wien 10, Wienerbergstraße 15–19, vertreten durch die Köhler Draskovits Unger Rechtsanwälte GmbH, Wien, gegen die beklagten Parteien 1. D***** Z*****, vertreten durch Dr. Heinrich H. Rösch, Rechtsanwalt in Wien, und 2. A***** D*****, vertreten durch Mag. Johannes Schreiber und Dr. Thomas Koller, Rechtsanwälte in Wien, wegen 110.872,08 EUR sA und Feststellung (Streitwert 5.000 EUR) über die außerordentlichen Revisionen der beklagten Parteien gegen das Teilzwischenurteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 23. Juni 2016, GZ 11 R 43/16y‑22, mit dem das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien vom 30. Dezember 2015, GZ 9 Cg 15/15i‑11, teilweise abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2016:0010OB00153.16F.0927.000

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

Rechtliche Beurteilung

1. Die Beeinträchtigung eines absoluten Rechts– hier der Gesundheit des Verletzten – indiziert in gewissem Maße die Rechtswidrigkeit (RIS‑Justiz RS0022917 [T3, T18]; RS0022939 [T2]). Gegenüber dem absoluten Rechtsgut der körperlichen Unversehrtheit muss das Interesse an der Ausführung der gefährlichen Handlung, deren Gefährlichkeit vom Standpunkt eines sachkundigen Beobachters im Zeitpunkt der Vornahme der Handlung zu beurteilen ist, zurücktreten (RIS‑Justiz RS0022917 [T3]). Stets entscheiden die Umstände des Einzelfalls, in welche Richtung die Interessenabwägung ausfällt (6 Ob 322/98s = RIS‑Justiz RS0022917 [T10]). Den Vorinstanzen ist bei der Annahme, die Beklagten hätten in sorgloser Weise gefährlich gehandelt und daher schadenersatzrechtlich für die verursachten Gesundheitsschäden einzustehen, keine korrekturbedürftige Fehlbeurteilung unterlaufen.

2. Die Behauptung, die Beladung des Transportwagens sei entsprechend den Vorgaben des Baumarkts vorgenommen worden, ist evident unrichtig, wurde doch festgestellt, dass auf dem entsprechenden Hinweisschild für Gipskartonplatten eine „V‑förmige“ Beladung (gemeint: beidseitig gleichmäßig nach außen geneigt und in der Mitte des Wagens zusammenstoßend) empfohlen wurde. Dass es bei einer Beladung mit mehr als 600 kg beim Umfallen einzelner der nahezu senkrecht aufgestellten Platten zu einem Kippen des Wagens kommen kann, muss jedem Kunden bei Anwendung der gebotenen Sorgfalt klar sein. Davon, dass das Wissen um den „dynamischen Kippeffekt“ erst im Zuge des Sachverständigengutachtens hervorgekommen sei, kann in diesem Zusammenhang keine Rede sein.

3. Soweit sich der Zweitbeklagte unter dem Revisionsgrund der Aktenwidrigkeit mit einzelnen Beweisergebnissen und den daraus vom Berufungsgericht gezogenen Schlussfolgerungen auseinandersetzt, unternimmt er in Wahrheit den Versuch der im Revisionsverfahren unzulässigen Bekämpfung der Beweiswürdigung (RIS‑Justiz RS0117019), die insbesondere auch auf dem Sachverständigengutachten beruht, das in diesem Zusammenhang in der Revision allerdings nicht erwähnt wird.

4. Unberechtigt ist auch der Vorwurf, die Entscheidung sei auf überschießende Feststellungen gestützt worden, haben doch die Gerichte alle relevanten Umstände festzustellen und zu berücksichtigen, die in den Rahmen des geltend gemachten Rechtsgrundes fallen (vgl nur RIS‑Justiz RS0040318). Gerade wenn der Verletzte keine Wahrnehmungen über den genauen Hergang gemacht hat, kann von ihm auch nicht verlangt werden, ein in jeder Hinsicht konkretisiertes Vorbringen zu den einzelnen Handlungen des Schädigers zu erstatten. Wenn die Klägerin im Verfahren erster Instanz vorgebracht hat, der Transportwagen sei wegen einseitiger Beladung gekippt, ist dies im Übrigen im Ergebnis keineswegs unzutreffend, führte doch das unvorsichtige Verhalten der Beklagten dazu, dass letztlich sämtliche Platten auf eine Seite des Wagens gelangten und auf den Mitarbeiter des Baumarkts kippten.

5. Welche Bedeutung es haben sollte, dass allenfalls auch dem Inhaber des Baumarkts „Verfehlungen“ wegen nicht ausreichender Gefahrenhinweise vorgeworfen werden könnten, wird nicht nachvollziehbar erklärt, schon gar nicht, inwiefern sich dadurch an der Haftung der Beklagten etwas ändern sollte. Ebensowenig ist zu erkennen, warum es für die Entscheidung von Relevanz sein sollte, dass der Zweitbeklagte ohne eigenes Interesse und nur über Ersuchen des Erstbeklagten tätig geworden ist, steht doch fest, dass beide unvorsichtig mit den schweren Platten hantiert und so den Unfall hervorgerufen haben.

6. Soweit die Revisionswerber das vom Berufungsgericht angenommene Mitverschulden des Verletzten im Ausmaß eines Viertels für zu niedrig halten und sich in diesem Zusammenhang insbesondere darauf berufen, dass sämtliche Mitarbeiter des Baumarkts angewiesen gewesen seien, Kunden auf eine allfällige Überladung des Transportwagens aufmerksam zu machen, übersehen sie offenbar, dass gerade nicht festgestellt wurde, dass der verletzte Mitarbeiter die von den Beklagten aufgeladene Ware und die Beladungsart überhaupt bemerkt hat. Somit könnte lediglich der Vorwurf verbleiben, sich nicht darüber vergewissert zu haben, mit welcher Menge von Platten und auf welche Weise die in seiner Nähe befindlichen Beklagten hantiert haben. Die einzelfallbezogene Entscheidung des Berufungsgerichts (vgl nur RIS‑Justiz RS0042405 [T15]), das Mitverschulden mit nicht mehr als 25 % zu gewichten, stellt keine korrekturbedürftige Fehlbeurteilung dar.

7. Insgesamt gelingt es den Revisionswerbern nicht, die unrichtige Lösung einer im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO erhebliche Rechtsfrage aufzuzeigen.

Einer weiteren Begründung bedarf es nicht (§ 510 Abs 3 ZPO).

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