OGH 8ObA48/16s

OGH8ObA48/16s27.9.2016

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen durch den Vizepräsidenten Prof. Dr. Spenling als Vorsitzenden, die Hofrätinnen Dr. Tarmann‑Prentner und Mag. Korn sowie die fachkundigen Laienrichter Werner Rodlauer und Mag. Regina Albrecht als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei S*****, vertreten durch Mag. Danijela Lakovic, Rechtsanwältin in Wien, gegen die beklagte Partei H***** Gesellschaft m.b.H., *****, vertreten durch TELOS Law Group Winalek, Wutte‑Lang, Nikodem Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen 24.789,28 EUR sA, über die außerordentliche Revision der beklagten Partei (Revisionsinteresse 19.066,28 EUR sA) gegen das Teilurteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits-und Sozialrechtssachen vom 28. April 2016, GZ 10 Ra 65/15x‑32, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2016:008OBA00048.16S.0927.000

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Begründung

Rechtliche Beurteilung

1. Nach ständiger Rechtsprechung stellt die Beurteilung, ob im Einzelfall ein Kündigungs‑ oder Entlassungsgrund verwirklicht wurde, keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO dar (RIS‑Justiz RS0106298), es sei denn, dem Berufungsgericht wäre bei der Entscheidung eine auffallende Fehlbeurteilung unterlaufen, wovon im vorliegenden Fall nicht auszugehen ist.

2. Nach § 82 lit e 2. Fall GewO 1859 stellt es einen Entlassungsgrund dar, wenn der Arbeitnehmer ohne Einwilligung des Gewerbeinhabers ein der Verwendung beim Gewerbe abträgliches Nebengeschäft betreibt. Die abträgliche Auswirkung kann unter anderem darin bestehen, dass das Nebengeschäft im Gewerbe des Dienstgebers betrieben wird, der Dienstnehmer also seinem Dienstgeber Konkurrenz macht (RIS-Justiz RS0060554). Weiters ist der Entlassungsgrund des § 82 lit d GewO 1859 erfüllt, wenn sich der Arbeitnehmer eines Diebstahls, einer Veruntreuung oder einer sonstigen strafbaren Handlung schuldig macht, welche ihn des Vertrauens des Gewerbeinhabers unwürdig erscheinen lässt.

Grundsätzlich ist nicht daran zu zweifeln, dass ein Arbeitnehmer, der im Unternehmen des Arbeitgebers (Autoreparaturwerkstatt) in seiner Freizeit mit Kleinmaterial des Arbeitgebers auf eigene Rechnung Reparaturen durchführt, dadurch die genannten Entlassungsgründe verwirklicht. Das wurde aber auch von den Vorinstanzen nicht in Abrede gestellt, die nur aufgrund der besonderen Umstände des Falls von einer Duldung dieser Nebentätigkeit durch den Arbeitgeber bzw der Zumutbarkeit der Weiterbeschäftigung während der Kündigungsfrist ausgegangen sind.

3. Richtig ist, dass der Arbeitnehmer für alle für den Untergang des Entlassungsrechts maßgeblichen Umstände behauptungs‑ und beweispflichtig ist. Die Prüfung der Rechtzeitigkeit der Entlassung setzt daher stets den vom Arbeitnehmer zu erhebenden Einwand des Fehlens der Rechtzeitigkeit voraus (vgl RIS‑Justiz RS0029249), der im vorliegenden Fall unstrittig nicht erhoben wurde.

Auf der anderen Seite trifft den Arbeitgeber die Beweislast für das Vorliegen eines Entlassungsgrundes und für die Verwirklichung der einzelnen Tatbestandsmerkmale (RIS‑Justiz RS0029127).

Bei Vorliegen fortgesetzter Entlassungsgründe verliert der Arbeitgeber nur hinsichtlich jenes Entlassungsgrundes das Entlassungsrecht, hinsichtlich dessen er die Entlassung nicht (rechtzeitig) ausgesprochen hat. Es kann allerdings unter Umständen dem Grundsatz von Treu und Glauben und der Fürsorgepflicht des Arbeitgebers widersprechen, wenn er zunächst längere Zeit hindurch ein tatbestandsmäßiges Verhalten des Arbeitnehmers widerspruchslos hinnimmt, sodass der Arbeitnehmer ein Einverständnis oder doch eine Gleichgültigkeit des Arbeitgebers annehmen kann, dieser aber dann dennoch eine Entlassung ausspricht. In einem solchen Fall muss er einen Arbeitnehmer vorher zu einem pflichtgemäßen Verhalten auffordern (RIS‑Justiz RS0028859). Auch wenn der Arbeitgeber auf ein Dauerverhalten des Arbeitnehmers nicht mit Entlassung reagiert und sein Entlassungsrecht nicht untergegangen ist, muss er, bevor er eine Entlassung ausspricht, den Arbeitnehmer zur Beseitigung des Zustands unter Hinweis auf arbeitsvertragliche Konsequenzen auffordern (RIS‑Justiz RS0107592).

4. Essentielles Tatbestandsmerkmal jeder gerechtfertigten Entlassung ist, dass dem Arbeitgeber die Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers wegen des Entlassungsgrundes so unzumutbar geworden ist, dass eine sofortige Abhilfe erforderlich wird (RIS‑Justiz RS0029009). Die Unzumutbarkeit der Weiterbeschäftigung muss vom Arbeitgeber auch als solche betrachtet werden (9 ObA 155/00k). Er darf kein Verhalten an den Tag gelegt haben, das erkennen lässt, dass er dem im Übrigen tatbestandsmäßigen Verhalten des Arbeitnehmers eine solche schwerwiegende Bedeutung nicht beimisst (9 ObA 323/00s).

Ob ein bestimmtes Verhalten des Arbeitnehmers die Annahme der Unzumutbarkeit der Weiterbeschäftigung im konkreten Fall rechtfertigt, ist insbesondere von der Schuldintensität, den näheren Umständen der Begehung, dem Ausmaß der Verfehlung und deren tatsächlichen oder möglichen Folgen und Auswirkungen auf den Betriebsablauf oder Dritte, der Verletzung der betrieblichen Interessen, einer allfälligen Duldung des Verhaltens, der Art der Arbeit, der sozialen Stellung des Arbeitnehmers im Betrieb, der Dauer des Arbeitsverhältnisses sowie dem bisherigen Verhalten des Arbeitnehmers abhängig (RIS‑Justiz RS0113899).

5. Ausgehend von diesen Grundsätzen ist die Beurteilung des Berufungsgerichts, dass der Kläger aufgrund der familiären Führung des Kleinstbetriebs, den Verzögerungen bei der Lohnauszahlung und dem Umstand, dass der Geschäftsführer der Beklagten über mehrere Monate vor der Entlassung von der privaten Nutzung der Werkstatt durch den Kläger außerhalb der Arbeitszeit wusste und nicht dagegen vorging, weshalb der Kläger von einer Duldung seines Verhaltens durch die Beklagte ausgehen durfte und der Entlassungstatbestand des § 82 lit e GewO 1859 nicht erfüllt sei, nicht korrekturbedürftig.

Die außerordentliche Revision ist daher mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO zurückzuweisen.

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