European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2016:0030OB00135.16Y.0922.000
Spruch:
Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.
Die Revisionsrekursbeantwortung der Mutter und des Vaters wird zurückgewiesen.
Begründung:
Die Minderjährige ist am ***** Juni 2014 außerehelich geboren. Der Vater erkannte die Vaterschaft mit Wirksamkeit seit 1. Oktober 2014 an.
Am 15. September 2014 beantragte der Kinder- und Jugendhilfeträger (in der Folge KJHT), ihn wegen Gefährdung des Kindeswohls mit der Obsorge im Umfang der Pflege und Erziehung zu betrauen. Am 16. September 2014 entzog der KJHT der Mutter im Rahmen einer vorläufigen Maßnahme die Pflege und Erziehung. Die Minderjährige wurde an diesem Tag mit Unterstützung der Polizei aus einer Wohnung geholt und zu Krisenpflegeeltern gebracht.
Am 21. Oktober 2014 zog der KJHT den Antrag auf Entziehung der Obsorge zurück und beantragte die Verpflichtung beider Eltern zur Erfüllung von Auflagen. Am 22. April 2015 zog der KJHT schließlich alle Anträge zurück.
Gegenstand des Revisionsrekursverfahrens ist der am 19. September 2014 gestellte Antrag der Mutter auf Überprüfung der Zulässigkeit der vorläufigen Maßnahme. Die Abnahme der Minderjährigen durch eine Spezialeinheit der Polizei unter Einsatz vermummter und bewaffneter Polizisten sei völlig ungerechtfertigt erfolgt und habe die Minderjährige traumatisiert. Die Minderjährige sei gesund; die Mutter habe alle erforderlichen Eintragungen im Mutter‑Kind‑Pass. Sie verfüge über eine Wohnung, ihre wirtschaftliche Situation sei abgesichert. Lediglich die Auszahlungen durch die Krankenkasse seien aufgrund der Interventionen des KJHT verzögert erfolgt. Sie sei seit der Geburt der Minderjährigen in regelmäßigem E‑Mail‑Kontakt mit der Behörde gestanden.
Der KJHT und nunmehrige Revisionsrekurswerber wandte ein, die Maßnahme sei gerechtfertigt gewesen. Die Mutter habe unmittelbar nach der Geburt der Minderjährigen vereinbart, in ein Mutter‑Kind‑Heim einzuziehen, um eine Kindesabnahme abzuwenden. Sie habe danach jedoch die Zusammenarbeit verweigert und sei nicht erreichbar gewesen. Sie habe lediglich Unterlagen von einem Kinderarztbesuch und eine Kopie eines Mutter‑Kind‑Passes sowie Fotos eines Babys übermittelt. Die Kindesabnahme sei unter Beiziehung einer Sondereinheit der Polizei erfolgt. Das Betreten der Wohnung sei jedoch nicht gewaltsam erfolgt. Die Beamten seien auch nicht vermummt gewesen.
Das Erstgericht sprach aus, dass die vom KJHT am 16. September 2014 ergriffene Maßnahme ab 22. September 2014 unzulässig war.
Es traf folgende wesentliche Sachverhalts-feststellungen:
Bereits im April 2014 bestand eine mangelhafte Kooperation der Mutter mit der für ihren im Jahr 2003 geborenen Sohn, zuständigen Regionalstelle des Amts für Jugend und Familie. Sie war zu dieser Zeit – nach einer Trennung von ihrem letzten Lebensgefährten – von Niederösterreich nach Wien gezogen und strebte eine Gemeindewohnung an. Die zweijährige Wartefrist wollte sie überbrücken, indem sie bei verschiedenen Freunden wohnte. Einer Beschäftigung ging sie nicht nach. Anlässlich eines– eine Woche nach Geburt der Minderjährigen geführten –Gesprächs mit der Mutter in der Wohnung ihrer Freundin verneinte der stellvertretende Leiter der Regionalstelle des Amts für Jugend und Familie die Notwendigkeit einer Anmeldung an dieser Adresse, zumal die Mutter noch über keine Geburtsurkunde der Minderjährigen verfügte und ihr Einzug in ein Mutter‑Kind‑Haus geplant war. Der Mutter war bewusst, dass dieser Einzug eine Auflage für den Verbleib der Minderjährigen in ihrer Obhut war.
Ab 15. Juli 2014 hielt die Mutter mit dem Amt für Jugend und Familie vereinbarte Termine nicht ein. Sie unterschrieb zwar am 24. Juli 2014 den Vertrag zum Einzug in das Mutter-Kind-Heim, allerdings mit dem Beisatz „unter Zwang“. Tatsächlich zog sie jedoch nicht in das Heim, sondern schaltete einen Rechtsanwalt ein. Ihr Aufenthaltsort war dem Amt für Jugend und Familie nicht bekannt.
Die Geburt der Minderjährigen wurde vom Standesamt am 25. Juli 2014 eingetragen, die Eintragung wurde jedoch nicht umgehend dem Amt für Jugend und Familie bekannt gegeben. Die Mutter meldete sich am 13. August 2014 per E‑Mail beim Amt für Jugend und Familie und übermittelte angeforderte Unterlagen, unter anderem betreffend die Familienbeihilfe und ärztliche Untersuchungen der Minderjährigen vom 4. und 14. Juli 2014. Diese waren dem Amt für Jugend und Familie bereits bekannt, das am 18. August 2014 den Nachweis der vorgeburtlichen Untersuchungen der Minderjährigen und ärztlicher Kontrollen der letzten 30 Tage sowie weitere Aufklärung über die finanzielle Situation der Mutter forderte. Zuvor hatte der Rechtsanwalt der Mutter am 16. August 2014 erstmals die Geburtsurkunde der Minderjährigen vorgelegt. Die ihm vorliegenden Unterlagen der Mutter zu ihrer finanziellen Situation leitete er dem Amt für Jugend und Familie nicht weiter. Die Mutter reichte weitere Unterlagen nach, unter anderem jene von der kinderärztlichen Untersuchung der Minderjährigen vom 14. August 2014 einschließlich aller notwendigen Mutter‑Kind‑Pass‑Untersuchungen. Am 19. August 2014 holte das Jugendamt bei dem die Minderjährige behandelnden Kinderarzt telefonisch Auskünfte über die Versicherung der Minderjährigen ein. Dieser ersuchte, weitere Anfragen schriftlich zu stellen.
Am 26. August 2014 beantragte die Mutter Kinderbetreuungsgeld, das mit 25. Juli 2014 rückwirkend gewährt wurde. Der Kinderarzt behandelte die Minderjährige ohne E‑Card. Am 1. September 2014 legte die Mutter beim Kinderarzt einen E‑Card‑Ersatzbeleg vor. Die datierten Befunde der Gewichts‑ und Größenmessung der Minderjährigen von diesem Tag leitete die Mutter an das Amt für Jugend und Familie weiter. Den Bezug von Familienbeihilfe organisierte die Mutter mit Hilfe einer Bekannten.
Am 12. und 14. September 2014 erstatteten drei Frauen telefonisch Gefährdungsmeldungen beim Amt für Jugend und Familie. Eine Frau teilte mit, die Mutter hindere den Vater daran, die Vaterschaft zur Minderjährigen anzuerkennen; sie sei ihm gegenüber gewalttätig. Es kümmere sich ausschließlich der Vater um die Minderjährige. Eine weitere Bekannte meldete, dass die Eltern „brandgefährlich“ seien, weil die Mutter einen Kleinrevolver und der Vater ein Hirschmesser mit sich führten. Sie seien verbal aggressiv und fielen durch gewalttätige Übergriffe auf. Sie würden alle Menschen instrumentalisieren, die ihnen helfen wollten. Überdies bettle die Mutter um Gewand und Essen für die Minderjährige. Die Bekannte habe die Eltern der Minderjährigen und die Minderjährige der Wohnung verwiesen, nachdem die Sicherheitsbehörden bei ihr nach der Mutter gesucht hätten. Die dritte Frau, die sich telefonisch beim Amt für Jugend und Familie meldete, bestätigte diese Meldungen und äußerte die Vermutung, die Mutter müsse psychisch krank sein.
Um ein erneutes Untertauchen der Mutter nach Bekanntwerden dieser Gefährdungsmeldungen zu verhindern, stellte der KJHT den eingangs genannten Antrag vom 15. September 2014 mit dem Ziel, die Minderjährige bei Pflegeeltern unterzubringen.
Am 16. September 2014 ersuchte das Amt für Jugend und Familie um Unterstützung durch die Polizei bei der beabsichtigten Kindesabnahme. Die Mutter wurde gegenüber den Polizisten als gewaltbereite Person beschrieben und der Verdacht der Bewaffnung mit einer Faustfeuerwaffe geäußert. Die Beiziehung des Einsatzkommandos erfolgte durch die zuständige Polizeiinspektion. Zunächst sollte die Abnahme bei einem arrangierten Treffen der Mutter mit einer Bekannten geschehen. Zu diesem Treffen kam die Mutter jedoch ohne die Minderjährige. Gegen 18:00 Uhr wurde sie in der Nähe des Hauses, in dem sie zu diesem Zeitpunkt wohnte, „gesichtet“. Die Beamten des Einsatzkommandos in Zivil mit Überwurfwesten mit dem Schriftzug „Polizei“ und zum Teil maskiert, klopften an die Wohnungstür, aus der sie Kindergeräusche wahrnahmen. Der Vater öffnete, wurde über das Einschreiten der Polizei informiert und auf dem Gang durch zwei Beamte mit der Aufforderung fixiert, keinen Widerstand zu leisten. Seine Durchsuchung nach einem Jagdmesser war erfolglos. Die Mutter wurde in der Wohnung ebenfalls an der Wand fixiert und danach vom Einsatzgrund in Kenntnis gesetzt. Die Sozialarbeiterin wurde bei der Abnahme des Kindes, das die Mutter noch bekleidete, von den Beamten begleitet. Weder die Mutter noch der Vater zeigten sich während der Kindesabnahme aggressiv. Nach den behaupteten Waffen der Eltern wurde nicht weiter gesucht. Die weitere Amtshandlung wegen unterlassener Meldung wurde von anderen Beamten durchgeführt. Die Wohnung der Eltern befand sich in tadellosem Zustand. Bei den nach der Kindesabnahme vom Amt für Jugend und Familie veranlassten ärztlichen Untersuchungen der Minderjährigen zeigten sich keine Auffälligkeiten. Der bisher behandelnde Kinderarzt bestätigte mit Schreiben vom 18. September 2014, dass die Minderjährige gut gepflegt und ernährt und ihre Entwicklung altersentsprechend sei. Die vorgesehenen Mutter‑Kind-Pass‑Untersuchungen und Kontrollen seien plangemäß durchgeführt worden. Am 22. September 2014 gaben die Eltern dem Amt für Jugend und Familie bekannt, sich nunmehr an der Adresse des Großvaters väterlicherseits im 22. Wiener Gemeindebezirk angemeldet zu haben. Sie wollten aber tatsächlich im 11. Wiener Gemeindebezirk in der Genossenschaftswohnung eines Freundes wohnen bleiben. Beide Eltern meldeten sich beim AMS Wien an.
Mitte September 2014 wäre es dem Amt für Jugend und Familie möglich gewesen, sich durch Nachfragen beim Kinderarzt und der Krankenkasse vom unproblematischen Gesundheits- und Entwicklungszustand der Minderjährigen und von der Zuerkennung von Kinderbetreuungsgeld an die Mutter zu informieren. Bereits aus den Gefährdungsmeldungen ergab sich, dass die Mutter Familienbeihilfe bezog.
Das Erstgericht vertrat die Auffassung, zur Beurteilung, ob eine Maßnahme zulässig sei, die einen Eingriff in die Obsorge nach sich ziehe, seien jene Informationen maßgeblich, die dem KJHT zum damaligen Zeitpunkt zur Verfügung gestanden seien bzw bei sorgfältiger Ermittlung zur Verfügung gestanden wären. Da eine vorläufige Maßnahme nicht nur durch eine Verfügung des Pflegschaftsgerichts, sondern auch durch den KJHT selbst außer Kraft gesetzt werden könne, dürfe dieser die getroffene Maßnahme jedenfalls dann nicht aufrecht erhalten, wenn das über seinen Antrag eingeleitete Verfahren eindeutige Erhebungsergebnisse liefere, nach denen eine Gefährdung des Kindeswohls mit Gefahr im Verzug auszuschließen sei. Die vom KJHT dennoch fortgesetzte Maßnahme sei ein Grundrechtseingriff, dessen Unzulässigkeit über einen Antrag nach § 107a Abs 2 AußStrG festzustellen sei. Die Entscheidung habe in einem solchen Fall dahin zu lauten, dass die Maßnahme ab einem bestimmten Zeitpunkt unzulässig gewesen sei.
Unmittelbarer Anlass für die Kindesabnahme sei der gehäufte Eingang von Gefährdungsmeldungen aus dem Umfeld der bisherigen Unterstützerinnen der Mutter gewesen. Dazu sei die langjährige Problematik des unsteten Aufenthalts der Mutter und die mangelhafte Sicherung ihrer finanziellen Lage gekommen. Im Ergebnis sei daher die Kindesabnahme am 16. September 2014 als Maßnahme zur Wahrung des Kindeswohls zwar erforderlich gewesen, ab 22. September 2014 habe jedoch kein Anlass bestanden, die Kindesabnahme fortzusetzen. Da der KJHT die Maßnahme erst am 20. Oktober 2014 beendet habe, sei ihre Unzulässigkeit ab 22. September 2014 auszusprechen.
Das Rekursgericht gab dem dagegen nur vom KJHT erhobenen Rekurs nicht Folge und erklärte den ordentlichen Revisionsrekurs für zulässig, weil Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zur Frage fehle, ob die nachträgliche Prüfung der Zulässigkeit einer Maßnahme nach § 107a Abs 1 oder Abs 2 AußStrG zu erfolgen habe.
Rechtlich billigte das Rekursgericht die Rechtsauffassung des Erstgerichts. Da eine vorläufige Maßnahme auch durch den KJHT selbst außer Kraft gesetzt werden könne, müsse dieser von der Maßnahme abstehen, sobald sich in dem über seinen Antrag eingeleiteten Verfahren ergebe, dass eine Gefährdung des Kindeswohls auszuschließen sei. Ab diesem Zeitpunkt sei die vom KJHT dennoch fortgesetzte Maßnahme auch dann, wenn sie ursprünglich – wie hier – berechtigt ergriffen worden sei, unzulässig. Auch das könne über einen Antrag nach § 107a Abs 2 AußStrG festgestellt werden.
Ab 22. September 2014 sei nach den erstgerichtlichen Feststellungen die Wohnsituation der Eltern geklärt gewesen; ferner hätte der KJHT bereits Mitte September 2014 durch neuerliche und weitere Nachfragen beim Kinderarzt der Mutter die Möglichkeit gehabt, sich den unproblematischen Gesundheits‑ und Entwicklungszustand der Minderjährigen und den Bezug finanzieller Mittel durch die Mutter bestätigen zu lassen.
Rechtliche Beurteilung
Der dagegen vom KJHT erhobene Revisionsrekurs ist zulässig, weil geprüft werden muss, ob ein Antrag nach § 107a Abs 2 AußStrG auch dann möglich ist, wenn eine ursprünglich zulässige Maßnahme erst nachträglich unzulässig wurde. Der Revisionsrekurs ist jedoch nicht berechtigt.
Die Revisionsrekursbeantwortung der Eltern ist verspätet: Sie erhoben zunächst rechtzeitige – allerdings nicht durch einen Rechtsanwalt unterfertigte – Revisionsrekursbeantwortungen. Das Erstgericht trug ihnen mit am 10. Juni 2016 zugestelltem Beschluss die Verbesserung der Revisionsrekursbeantwortungen binnen 14 Tagen durch Unterfertigung durch einen Rechtsanwalt auf. Davon ausgehend ist die erst am 27. Juni 2016 eingebrachte Revisionsrekursbeantwortung beider Elternteile verspätet, weil dem Verbesserungsauftrag nicht binnen der Verbesserungsfrist entsprochen wurde.
Im Revisionsrekurs vertritt der KJHT zusammengefasst die Auffassung, Beurteilungszeitpunkt für die Zulässigkeit einer Maßnahme nach § 211 ABGB sei der Zeitpunkt ihrer Ergreifung; sei die Maßnahme berechtigt gewesen, komme eine Feststellung einer nachträglich eingetretenen Unzulässigkeit nicht in Betracht. Jedenfalls aber sei eine Kindeswohlgefährdung erst ab dem Zeitpunkt auszuschließen, zu dem sämtliche Punkte, insbesondere die Wohnsituation, geklärt gewesen seien. Das sei am 22. September 2014 noch nicht der Fall gewesen.
Dazu wurde erwogen:
1. Zutreffend haben die Vorinstanzen die Möglichkeit bejaht, die nachträglich eingetretene Unzulässigkeit einer ursprünglich berechtigten Maßnahme festzustellen.
1.1 § 107a Abs 1 AußStrG idF des KindNamRÄG (BGBl 2013/15) eröffnet nunmehr dem Kind und dem Obsorgeberechtigten den Antrag auf Überprüfung der vorläufigen Maßnahme des KJHT auf ihre – aktuelle – Zulässigkeit mit der Folge, dass der KJHT diese im Fall der Unzulässigkeit zu beenden hat. Die Beurteilung hat das Gericht nach dem zum Entscheidungszeitpunkt vorliegenden Erkenntnisstand vorzunehmen (ErlRV 2004 BlgNR 24. GP 40). Ob die Maßnahme ursprünglich berechtigt war, ist hingegen nicht Gegenstand der Entscheidung über einen Antrag nach § 107a Abs 1 AußStrG (Höllwerth, Die neue Prüfung der Interimskompetenz des Kinder‑ und Jugendhilfeträgers, ÖJZ 2015, 389 [391]).
1.2 § 107a Abs 2 AußStrG sieht ein mit drei Monaten befristetes nachträgliches Antragsrecht für den Fall vor, dass die Maßnahme bereits beendet wurde. In diesem Fall hat das Gericht auf Antrag des Kindes oder der Person, in deren Obsorge eingegriffen wurde, auszusprechen, ob die Maßnahme unzulässig war. Die Materialien verweisen dazu auf ein rechtliches Interesse an der Feststellung der antragsberechtigten Personen, ob der Grundrechtseingriff zulässig war (ErlRV 2004 BlgNR 24. GP 40; ebenso bereits für die alte Rechtslage 2 Ob 270/04a; anders 1 Ob 60/05p).
1.3 Da das Gesetz nicht unterscheidet, aus welchem Grund es zur Beendigung der Maßnahme gekommen ist, erfasst das Antragsrecht nach § 107a Abs 2 AußStrG sowohl Fälle, in denen das Gericht die Unzulässigkeit der Maßnahme nach § 107a Abs 1 AußStrG ausgesprochen hat als auch den – hier vorliegenden – Fall der Beendigung der Maßnahme durch den KJHT (Höllwerth, ÖJZ 2015, 389 [392]).
1.4 Auch wenn die Materialien (ErlRV 2004 BlgNR 24. GP 40) davon sprechen, dass das Gericht nach § 107a Abs 2 AußStrG zu beurteilen hat, ob die Maßnahme zum Zeitpunkt ihrer erstmaligen Setzung unzulässig war, muss den Betroffenen zur Vermeidung einer Rechtsschutzlücke die Feststellung einer (erst) während des Überprüfungsverfahrens eingetretenen Unzulässigkeit gewährt werden. Dem Gesetzeswortlaut ist im Übrigen eine Einschränkung in die vom Revisionsrekurswerber gewünschte Richtung nicht zu entnehmen (Höllwerth, ÖJZ 2015, 389 [392]).
1.5 Der von der Mutter am 19. September 2014 innerhalb der in § 107a Abs 1 AußStrG geregelten vierwöchigen Antragsfrist gestellte Antrag war ein Antrag gemäß § 107 Abs 1 AußStrG. Die Auslegung der Vorinstanzen, das Aufrechterhalten dieses Antrags nach Beendigung der Maßnahme sei dahin zu verstehen, dass die Mutter nun eine Entscheidung nach § 107 Abs 2 AußStrG begehrt, ist nicht zu beanstanden und wird auch vom Revisionsrekurs nicht bezweifelt.
2. Auch inhaltlich ist die Entscheidung des Rekursgerichts zutreffend.
2.1 Gemäß § 211 Abs 1 ABGB idF des KindNamRÄG hat der KJHT die zur Wahrung des Wohls eines Minderjährigen erforderlichen gerichtlichen Verfügungen im Bereich der Obsorge zu beantragen. Bei Gefahr im Verzug kann er die erforderlichen Maßnahmen der Pflege und Erziehung vorläufig mit Wirksamkeit bis zur gerichtlichen Entscheidung selbst treffen; er hat diese Entscheidung unverzüglich, jedenfalls innerhalb von acht Tagen, bei Gericht zu beantragen. Im Umfang der ergriffenen und mit ihrer Durchführung sofort wirksamen Maßnahmen ist der KJHT vorläufig mit der Obsorge betraut. Diese Rechtslage entspricht unverändert jener des § 215 Abs 1 ABGB idF vor dem KindNamRÄG, weshalb die dazu ergangene Rechtsprechung verwertbar bleibt.
2.2 Eine vorläufige Maßnahme nach § 211 Abs 1 zweiter Satz ABGB hat nicht schon dann zu erfolgen, wenn eine Kindeswohlgefährdung nicht zweifelsfrei auszuschließen ist; sie kommt vielmehr nur in Frage, wenn ganz bestimmte Umstände darauf hinweisen, dass die Eltern (bzw der allein obsorgebetraute Elternteil) die elterlichen Pflichten (objektiv) nicht erfüllen (erfüllt) oder diese (subjektiv) gröblich vernachlässigt worden sind und die Eltern (bzw der allein obsorgebetraute Elternteil) durch ihr (sein) Gesamtverhalten das Wohl des Kindes gefährden (gefährdet) (5 Ob 152/12g = RIS‑Justiz RS0128436; RS0048633 [T15]).
2.3 Die Prüfung der Frage, ob die anfängliche Inanspruchnahme der Interimskompetenz durch den KJHT rechtmäßig war, ist nach einer ex‑ante‑Betrachtung vorzunehmen. Maßgeblich ist somit, ob die Maßnahme nach jenen Informationen, die dem KHJT zur Verfügung standen oder bei Vornahme der nach den Umständen gebotenen Erhebungen zu erlangen gewesen wären, berechtigt war (1 Ob 4/12p; Höllwerth, ÖJZ 2015, 389 [392]).
2.4 Diese Grundsätze gelten sinngemäß auch für die Beurteilung, wie lange eine Maßnahme aufrecht zu erhalten ist: Ab dem Zeitpunkt, zu dem dem KJHT Informationen zur Verfügung standen (bei gebotenen Erhebungen zur Verfügung gestanden wären), aus denen sich ergab (ergeben hätte), dass die Maßnahme zur Abwendung einer drohenden Kindeswohlgefährdung nicht mehr erforderlich ist, muss er die Maßnahme beenden.
2.5 Der Oberste Gerichtshof teilt die Auffassung des Rekursgerichts, auf dessen Ausführungen verwiesen wird (§ 71 Abs 3 AußStrG), dass der KJHT ab 22. September 2014 aus den vom Rekursgericht genannten Gründen ausreichende Informationen hatte bzw durch gebotene Nachfragen erlangen hätte können, die ihn zur Beendigung der Maßnahme zu diesem Zeitpunkt verpflichteten:
Dabei ist hervorzuheben, dass unmittelbarer Anlass für die – ursprünglich berechtigte – Maßnahme die drei Gefährdungsmeldungen aus dem Umfeld der Eltern waren. Die Haltlosigkeit dieser Gefährdungsmeldungen hat sich unmittelbar bei und nach der Kindesabnahme herausgestellt. Die Argumente im Revisionsrekurs beziehen sich hingegen auf Umstände, die eine unmittelbar drohende Gefährdung der Minderjährigen nicht belegten. Der Hinweis, die Mutter habe ihre finanzielle Lage bis 22. September 2014 nicht belegt, lässt unbeachtet, dass sich der Bezug des Kinderbetreuungsgeldes durch einfache Nachfrage bei der Krankenkasse bestätigt hätte. Zutreffend verwies das Rekursgericht auch darauf, dass dem Zeitpunkt des Vaterschaftsanerkenntnisses im Hinblick auf die vom Erstgericht getroffenen Tatsachenfeststellungen zur Wohnsituation der Familie und dem Gesundheitszustand der Minderjährigen keine entscheidende Bedeutung zukommt. Die im Revisionsrekurs hervorgehobene mangelnde Kooperationsbereitschaft der Eltern allein ist ohne Hinweis auf eine dadurch drohende Gefährdung des Kindeswohls ebenfalls nicht geeignet, das Aufrechterhalten der Maßnahme ab 22. September 2014 zu begründen.
3. Dem unberechtigten Revisionsrekurs ist daher ein Erfolg zu versagen.
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