OGH 4Ob104/16x

OGH4Ob104/16x30.8.2016

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Vogel als Vorsitzenden und die Hofräte Dr. Jensik und Dr. Musger sowie die fachkundigen Laienrichter DI Dr. Cunow und DI Nemec als weitere Richter in der Rechtssache der Antragstellerin A*****, Inc., *****, vertreten durch Kueß & Beetz Rechtsanwältepartnerschaft in Wien, unter Mitwirkung von Sonn & Partner Patentanwälte in Wien, wegen Erteilung eines ergänzenden Schutzzertifikats, über den außerordentlichen Revisionsrekurs der Antragstellerin gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Rekursgericht vom 10. Februar 2016, GZ 34 R 138/15m‑7, womit der Beschluss der technischen Abteilung des Patentamts vom 17. Juli 2015, SZ 57/2013‑6, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2016:0040OB00104.16X.0830.000

 

Spruch:

Der außerordentliche Revisionsrekurs wird mangels der Voraussetzungen des § 528 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Begründung

Die Vorinstanzen wiesen den Antrag auf Erteilung eines ergänzenden Schutzzertifikats für ein bestimmtes Erzeugnis auf Basis eines bestimmten Grundpatents mit der Begründung zurück, der Wirkstoff/das Erzeugnis sei nicht als vom Grundpatent umfasst anzusehen. Der konkrete Wirkstoff, für den nun das Schutzzertifikat beantragt werde, sei in den Ansprüchen des Grundpatents nicht genannt, selbst wenn die Ansprüche gemäß dem Protokoll über die Auslegung des Art 69 EPÜ unter anderem im Lichte der Beschreibung ausgelegt würden. Die Vorinstanzen gingen von der Feststellung aus, dass die unbedingt notwendige, eine Abgrenzung ermöglichende klare und deutliche Kennzeichnung nicht vorliege, um den Wirkstoff als vom Schutzbereich des Grundpatents umfasst anzusehen. Ein Grundpatent schütze einen Wirkstoff iSd Art 1 lit c und Art 3 lit a ESZ‑VO nur dann als solchen, wenn er der Gegenstand der vom Patent geschützten Erfindung sei.

Die Antragstellerin vermag in ihrem außerordentlichen Rechtsmittel, mit dem sie ihren Antrag auf Erteilung des ergänzenden Schutzzertifikats weiter verfolgt, keine erheblichen Rechtsfragen iSd § 528 Abs 1 ZPO aufzuzeigen.

Rechtliche Beurteilung

Nach Art 3 lit a der VO (EG) Nr 469/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6. 5. 2009 über das ergänzende Schutzzertifikat für Arzneimittel (ESZ‑VO) wird das Zertifikat erteilt, wenn in dem Mitgliedstaat, in dem die Anmeldung des Zertifikats eingereicht wird, zum Zeitpunkt dieser Anmeldung das Erzeugnis durch ein in Kraft befindliches Grundpatent geschützt ist. Art 1 lit b ESZ‑VO definiert das Erzeugnis als den Wirkstoff oder die Wirkstoffzusammensetzung eines Arzneimittels.

Gegenstand des Schutzzertifikats ist nicht die im Grundpatent geschützte Erfindung, sondern ein Erzeugnis. Nach der Rechtsprechung des EuGH kann ein Zertifikat nicht für Wirkstoffe erteilt werden, die in den Ansprüchen des Grundpatents nicht genannt sind (C‑322/10, Medeva ). Für die Einstufung eines Wirkstoffs als im Sinn von Art 3 ESZ‑VO „durch ein in Kraft befindliches Grundpatent geschützt“ ist es nicht erforderlich, diesen Wirkstoff in den Ansprüchen des Grundpatents mit einer Strukturformel auszuführen. Auch eine in den Ansprüchen des Grundpatents enthaltene Funktionsformel kann zur Definition eines Erzeugnisses ausreichend sein. Dies gilt jedoch nur unter der Voraussetzung, dass der Anspruch, der nach Art 69 EPÜ und dessen Auslegungsprotokoll unter anderem im Lichte der Beschreibung auszulegen ist, sich stillschweigend, aber notwendigerweise auf das in Rede stehende Erzeugnis bezieht und zwar ins spezifischer Art und Weise (C‑493/12m, Eli Lilly ). Schon zu C‑443/12, Actavis , hat der EuGH klargestellt, dass eine allgemeine Bezeichnung eines Erzeugnisses in den Ansprüchen des Grundpatents nicht den Anforderungen des Art 3 lit a ESZ‑VO genügt (Rz 41; vgl auch Schmidt‑Wudy , Ein Überblick zu aktuellen Entscheidungen des EuGH zu ergänzenden Schutzzertifikaten für Arzneimittel, PharmR 2014, 45).

Hängt die Entscheidung von der Lösung einer Frage des Gemeinschaftsrechts ab, so ist die Anrufung des Obersten Gerichtshofs zur Nachprüfung dessen Anwendung auf Grundlage der Rechtsprechung des EuGH im Übrigen nur zulässig, wenn der zweiten Instanz bei Lösung dieser Frage eine gravierende Fehlbeurteilung unterlief (zuletzt 4 Ob 120/16z; RIS‑Justiz RS0117100). Eine vom Obersten Gerichtshof im Interesse der Rechtssicherheit aufzugreifende Fehlbeurteilung ist hier nicht zu erkennen.

Unstrittig ist, dass der konkrete Wirkstoff, für den das Schutzzertifikat beantragt wird, weder in den Ansprüchen noch in der Beschreibung namentlich erwähnt wird. Im Hinblick auf die von den Vorinstanzen getroffene Feststellung, wonach die unbedingt notwendige, eine Abgrenzung ermöglichende klare und deutliche Kennzeichnung nicht vorliegt, um einen nicht genannten spezifischen Wirkstoff als von der funktionellen Angabe „antiinflamatorisches Mittel“ umfasst anzusehen, ist der daraus gezogene Schluss nicht zu beanstanden, dass das in der Rechtsprechung des EuGH aufgestellte Erfordernis, wonach sich der Anspruch stillschweigend, aber notwendigerweise auf das in Rede stehende Erzeugnis beziehen muss, und zwar in spezifischer Art und Weise, vorliegend nicht erfüllt ist.

Das Argument der Antragstellerin, wonach der Vertrieb des Arzneimittels, für das der Schutz begehrt wird, unter den Schutzbereich des gegenständlichen Grundpatents falle, woraus zwingend folge, dass das Grundpatent im vorliegenden Fall das Erzeugnis umfasse, solange dieses Erzeugnis Bestandteil des genannten Arzneimittels sei, greift hingegen zu kurz: Voraussetzung für die Erteilung eines ergänzenden Schutzzertifikats ist eben, dass der Wirkstoff in den Ansprüchen des Grundpatents in der in der Rechtsprechung des EuGH konkretisierten Weise genannt wird.

Der außerordentliche Revisionsrekurs ist daher zurückzuweisen.

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