OGH 8ObA71/15x

OGH8ObA71/15x17.8.2016

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Prof. Dr. Spenling als Vorsitzenden und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Tarmann‑Prentner und Dr. Weixelbraun-Mohr sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Christoph Wiesinger und Harald Kohlruss als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Dr. M*****, vertreten durch Holzer Kofler Mikosch Kasper Rechtsanwälte OG in Klagenfurt, gegen die beklagte Partei A***** U*****, vertreten durch Dr. Norbert Moser, Rechtsanwalt in Klagenfurt, wegen Kündigungsanfechtung, über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen vom 30. Juli 2015, GZ 6 Ra 36/15h‑38, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2016:008OBA00071.15X.0817.000

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen (§ 510 Abs 3 ZPO iVm § 2 Abs 1 ASGG).

Begründung

Rechtliche Beurteilung

1. Bei der Beurteilung der Frage, ob eine Kündigung sozial ungerechtfertigt ist, weil durch sie wesentliche Interessen des betroffenen Arbeitnehmers beeinträchtigt werden (RIS‑Justiz RS0051640 ua), kommt es stets auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalls an (RIS‑Justiz RS0051741 [T3]; 8 ObA 34/16g). Die Beurteilung von Einzelfällen aber wirft, soweit sie in Übereinstimmung mit den vom Obersten Gerichtshof in seiner Rechtsprechung erarbeiteten Grundsätzen erfolgt, keine erhebliche Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO auf.

Das Berufungsgericht hat bei seiner Beurteilung die wirtschaftliche und soziale Lage der Klägerin umfassend gewürdigt. Eine unvertretbare Fehlbeurteilung vermag die Beklagte nicht aufzuzeigen. Die festgestellte Frist der zu erwartenden Arbeitslosigkeit der Klägerin ist (anders als die Revision darzustellen sucht) eine Mindestfrist; die Klägerin, die jahrelang als wissenschaftliche Mitarbeiterin der Universität gearbeitet hatte, ist „schwer vermittelbar“ und hat sich vergeblich um zahlreiche Stellen beworben, obwohl sie sich sogar um Arbeitsplätze weit unterhalb ihres Qualifikationsniveaus (zB Lohnverrechnerin, Kindermädchen) bemüht hat. Von einer unvertretbaren Beurteilung durch das Berufungsgericht kann daher keine Rede sein.

2. Zentrales Argument der Revision ist das Vorliegen betriebsbedingter Umstände, die nach Ansicht der Beklagten die Kündigung rechtfertigen.

Beim Wegfall des bisherigen Arbeitsplatzes (hier: wegen Nichtweiterführung einer Organisationseinheit mangels Rentabilität) ist – wie dies auch die Revisionswerberin zutreffend erkennt – im Rahmen der Beurteilung der Betriebsbedingtheit der Kündigung zu überprüfen, ob der Arbeitgeber seiner sozialen Gestaltungspflicht nachgekommen ist. Diese verpflichtet ihn zur Prüfung, ob noch einschlägige Stellen „im Betrieb“ vorhanden sind, die er dem zu kündigenden Arbeitnehmer anbieten muss. Bei sozial benachteiligenden Kündigungen müssen demnach vom Arbeitgeber alle Möglichkeiten zur Weiterbeschäftigung ausgeschöpft werden, um trotz Wegfalls des bisherigen Arbeitsplatzes den Arbeitnehmer weiter zu beschäftigen. Es obliegt dem Arbeitgeber, alle Umstände zu behaupten und zu beweisen, die für die Annahme des Ausnahmetatbestands „betrieblicher Erfordernisse“ der Kündigung wesentlich sind (RIS‑Justiz RS0110154, zuletzt 9 ObA 143/05b).

Den dazu angestellten Überlegungen des Berufungsgerichts, wonach die Beklagte nicht konkret behauptet und auch nicht bewiesen habe, ihrer sozialen Gestaltungspflicht nachgekommen zu sein, hält die Revision umfangreiche Ausführungen entgegen, die zum größten Teil an der Begründung des Berufungsgerichts völlig vorbeigehen. Das Berufungsgericht hat nämlich die Frage, ob die Beklagte (wie sie geltend macht) nur verpflichtet wäre, der Klägerin ausschließlich drittmittelfinanzierte Arbeitsplätze anzubieten, ausdrücklich offen gelassen. Diese Frage sei nicht entscheidend, weil die Beklagte weder konkret behauptet noch bewiesen habe, dass sich die Beklagte auch nur in diesem Bereich bemüht habe, für die Klägerin eine Verwendung zu finden. Dem vermag die Revisionswerberin nichts Stichhältiges entgegenzusetzen. Dass es (wie sie nunmehr geltend macht) in diesem Bereich keinen einzigen in Betracht kommenden Arbeitsplatz gegeben habe, steht nicht fest; festgestellt wurde nur, dass der Klägerin vor ihrer Kündigung „empfohlen“ wurde, sich „in den einschlägigen Instituten einen Projektleiter zu suchen, unter dem sie auf Drittmittelbasis arbeiten könne“. Im Übrigen trifft es auch nicht zu, dass die Klägerin immer nur im Bereich der Organisationseinheit „biztec“ eingesetzt worden sei.

3. Die Verneinung von die Kündigung rechtfertigenden personenbezogenen Kündigungsgründen hat das Berufungsgericht ebenfalls sehr ausführlich begründet. Auch mit dieser Rechtsauffassung hat es den ihm zustehenden Beurteilungsspielraum nicht überschritten: Die Beklagte vermag nicht zu bestreiten, dass der überwiegende Teil der der Klägerin angelasteten Sachverhalte bereits lange zurücklag. Mag es auch missverständlich sein, von einer (gar nicht eingewendeten) „Verfristung“ zu sprechen, so trifft es doch zu, dass bei der Beurteilung der Gewichtung der geltend gemachten Kündigungsgründe der zeitliche Abstand zur Kündigung Beachtung finden muss. Demgemäß hat ja auch das Berufungsgericht das lange zurückliegende Verhalten nicht als unbeachtlich angesehen, sondern ausdrücklich ausgeführt, dass dieses Verhalten allein nicht zur Rechtfertigung der Kündigung ausreicht. Die im zeitlichen Nahbereich der Kündigung gelegenen Vorfälle hat das Berufungsgericht ausführlich analysiert und mit nachvollziehbarer und keineswegs unvertretbarer Begründung als wenig gewichtig erachtet. Ebenso steht fest (mag auch bei der Begründung der Kündigung dann auch das Verhalten der Klägerin eine Rolle gespielt haben), dass der Kündigungsentschluss aus ganz anderen Gründen (nämlich wegen der Schließung des „biztec“) gefallen ist. Auch insofern zeigt die Revision eine die Zulässigkeit der Revision begründende Fehlbeurteilung nicht auf.

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