OGH 2Ob23/16w

OGH2Ob23/16w5.8.2016

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon.-Prof. Dr. Danzl als Vorsitzenden, die Hofräte Dr. Veith und Dr. Musger, die Hofrätin Dr. E. Solé sowie den Hofrat Dr. Nowotny als weitere Richter in der Verlassenschaftssache nach dem am ***** 2014 verstorbenen Dr. W***** F*****, infolge des außerordentlichen Revisionsrekurses der erbantrittserklärten Erbin C***** F*****, vertreten durch Dr. Peter Zdesar, öffentlicher Notar in Villach, gegen den Beschluss des Landesgerichts Klagenfurt als Rekursgericht vom 1. April 2015, GZ 2 R 71/15s‑31, womit infolge Rekurses der erbantrittserklärten Erbin der Beschluss des Bezirksgerichts Villach vom 24. Februar 2015, GZ 11 A 220/14b‑24, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2016:0020OB00023.16W.0805.000

 

Spruch:

Aus Anlass des Revisionsrekurses wird der angefochtene Beschluss als nichtig aufgehoben und der Rekurs gegen den Beschluss des Erstgerichts zurückgewiesen.

Begründung

Der am ***** 2014 verstorbene Erblasser hinterließ die Witwe, drei volljährige Töchter sowie eine minderjährige Enkelin, welche die Tochter einer vorverstorbenen weiteren Tochter des Erblassers ist. In seinem Testament vom 6. 8. 2013 hatte der Erblasser seine Ehefrau zur Alleinerbin bestimmt. In der Todesfallaufnahme wurde festgehalten, dass die Verlassenschaft im „schriftlichen Eingabenweg“ vom öffentlichen Notar Dr. ***** durchgeführt wird.

In der Eingabe vom 4. 9. 2014 schritt der Notar sowohl für die Erbin als auch für sämtliche Noterbinnen, die mj Noterbin vertreten durch ihren Vater, ein. Nur für diese beantragte er „aufgrund der Minderjährigkeit“ die Schätzung und Inventarisierung des Nachlasses. Die Testamentserbin gab zum gesamten Nachlass die unbedingte Erbantrittserklärung ab.

Der Erblasser und seine Ehefrau waren je zur Hälfte Miteigentümer zweier Liegenschaften (EZ ***** und EZ *****) sowie je zu 200/10700 Anteilen Miteigentümer der EZ ***** (*****) gewesen. Am 12. 9. 2013 schlossen die Ehegatten in der Form eines Notariatsakts einen wechselseitigen Übergabsvertrag auf den Todesfall, mit dem sie einander die erwähnten Miteigentumsanteile übertrugen.

Im Hinblick auf die minderjährige Noterbin errichtete der Gerichtskommissär ein Inventar, in welches er die auf den Todesfall übergebenen Liegenschaftsanteile des Erblassers aufnahm; sie sind sowohl unter den Aktiva als auch unter den Passiva ausgewiesen. Auf Antrag des Erbenmachthabers bewertete der Gerichtskommissär die Liegenschaftsanteile mit dem dreifachen Einheitswert (insgesamt 169.212,97 EUR).

Daraufhin traf das Erstgericht mit begründetem Beschluss die Anordnung, dass die Liegenschaftsanteile mit ihren Schätzwerten (Verkehrswerten) in das Nachlassinventar aufzunehmen sind.

Dagegen erhob die Testamentserbin einen Rekurs, der sich nur gegen die Anordnung der Schätzung richtete.

Das Rekursgericht bestätigte die erstinstanzliche Entscheidung. Es sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 30.000 EUR übersteigt und der ordentliche Revisionsrekurs nicht zulässig sei.

Gemäß § 167 Abs 2 AußStrG seien unbewegliche Sachen grundsätzlich mit ihrem dreifachen Einheitswert, beantrage dies aber eine der Parteien oder sei es im Interesse eines Pflegebefohlenen erforderlich, nach dem Liegenschaftsbewertungsgesetz (LBG) zu bewerten. Eine solche Bewertung liege bei der Ermittlung des Pflichtteils eines Minderjährigen grundsätzlich in dessen Interesse, weshalb auch ohne darauf abzielenden Antrag die Bewertung nach dem LBG vorzunehmen sei.

Dagegen richtet sich der außerordentliche Revisionsrekurs der Testamentserbin mit dem Antrag, die Beschlüsse der Vorinstanzen ersatzlos aufzuheben.

Sämtliche Noterbinnen machten von der ihnen (persönlich) eingeräumten Möglichkeit einer Revisionsrekursbeantwortung keinen Gebrauch.

Rechtliche Beurteilung

Aus Anlass des Revisionsrekurses ist eine dem angefochtenen Beschluss anhaftende Nichtigkeit aufzugreifen.

In diesem Zusammenhang wurde erwogen:

1. Das Verfahren zur Errichtung des Inventars ist vom Gerichtskommissär durchzuführen (§ 1 Abs 1 Z 1 lit b GKG). Das Inventar bedarf zu seiner Feststellung keiner Annahme oder – abgesehen von jener über die Nachlasszugehörigkeit nach § 166 Abs 2 AußStrG – Entscheidung des Gerichts (§ 169 Satz 2 AußStrG). Innerhalb des Abhandlungsverfahrens besteht daher keine Möglichkeit, das Inventar als solches anzufechten (2 Ob 55/15z; Schilchegger/Kieber, Verlassenschaftsverfahren² [2015] 139; Verweijen, Verlassenschaftsverfahren [2014] 147). Das gilt insbesondere für die vom Gerichtskommissär gewählte Bewertung, die für das Abhandlungsverfahren bindend ist. Dem Verlassenschaftsgericht fehlt es insoweit an einer Entscheidungs‑ oder Bestätigungskompetenz (2 Ob 55/15z mwN).

2. Eine Ausnahme von dieser Regel wird anerkannt, wenn das Inventar formal nicht den Grundsätzen eines solchen entspricht, etwa wegen „substanzloser Dürftigkeit“, mangelnder Nachvollziehbarkeit oder Missachtung der in § 167 AußStrG gegebenen „Wertungsrahmenbedingungen“ (vgl 2 Ob 55/15z; Knoll, Einiges zum neuen Verlassenschaftsverfahren, RZ 2005, 2 [4]; Spruzina in Gitschthaler/Höllwerth, AußStrG § 169 Rz 5; Fucik/Kloiber, AußStrG § 169 Rz 3). Zum letzteren dieser drei Fälle gehört es auch, wenn entgegen § 167 Abs 2 AußStrG Liegenschaften nicht nach dem LBG bewertet wurden, obwohl dies im Interesse eines Pflegebefohlenen erforderlich gewesen wäre (Knoll aaO 4). Pflegebefohlene iSd zitierten Bestimmung sind Minderjährige und solche Personen, denen ein Sachwalter bestellt wurde (vgl Fucik/Kloiber, AußStrG § 167 Rz 5 und § 176 Rz 3).

3. Im vorliegenden Fall wurden die Liegenschaftsanteile trotz Vorhandenseins einer minderjährigen Noterbin mit dem dreifachen Einheitswert (so die Grundregel des § 167 Abs 2 AußStrG) und nicht nach dem LBG bewertet. Das Erstgericht hat von der ihm ausnahmsweise zustehenden Prüfkompetenz Gebrauch gemacht und von Amts wegen angeordnet, dass die Liegenschaftsanteile mit ihren Schätzwerten (Verkehrswerten) in das Inventar aufzunehmen sind. Die gesetzliche Grundlage für diese Vorgangsweise findet sich in § 7a Abs 1 GKG. Danach kann das Verlassenschaftsgericht dem Gerichtskommissär im Rahmen seiner Überwachungspflichten ua Aufträge erteilen, was auch in der Form eines Beschlusses möglich ist (Mondel, Warum macht das der Gerichtskommissär?, ÖRPfl 2014 H 2, 10 [11]; vgl auch Spruzina in Gitschthaler/Höllwerth, AußStrG § 167 Rz 21). Es liegt hier also ein in Beschlussform erteilter Auftrag an den Gerichtskommissär vor, bei der Erstellung des Inventars in bestimmter Weise zu verfahren.

4. Gegen einzelne Maßnahmen des Gerichtskommissärs oder deren Unterlassung kann sich eine Partei nur mit „Abhilfeantrag“ nach § 7a Abs 2 GKG zur Wehr setzen. Entscheidungen über solche „Abhilfeanträge“ können mit Rekurs anfechtbar sein, soweit darin nicht bloß eine verfahrensleitende Verfügung liegt (2 Ob 55/15z; Fucik/Kloiber, AußStrG, Anh 1 [AußStr-BegleitG] § 7a GKG Rz 3). Dasselbe muss zur Vermeidung von Wertungswidersprüchen gelten, wenn das Gericht über Maßnahmen oder Unterlassungen des Gerichtskommissärs nicht aufgrund eines Parteiantrags, sondern von Amts wegen eine auf § 7a Abs 1 GKG gegründete Entscheidung trifft.

5. Für die Anfechtbarkeit der erstinstanzlichen Entscheidung ist daher zunächst zu prüfen, ob diese als verfahrensleitender Beschluss iSd § 45 Satz 2 AußStrG zu qualifizieren ist:

5.1 In der schon mehrmals zitierten Entscheidung 2 Ob 55/15z hatte der Senat die Ablehnung einer mittels „Abhilfeantrags“ iSd § 7a Abs 2 GKG begehrten Weisung an den Gerichtskommissär, dem Sachverständigen eine bestimmte Methode für die Bewertung eines nachlasszugehörigen GmbH-Anteils aufzutragen, als mit Rekurs nicht bekämpfbar erachtet. Begründet wurde dies damit, dass Aufträge an einen Sachverständigen typischerweise verfahrensleitende Verfügungen iSd § 45 Satz 2 AußStrG seien und es keinen Unterschied mache, ob ein solcher Auftrag direkt an den Sachverständigen oder nur mittelbar, nämlich über den „Umweg“ einer Weisung an den Gerichtskommissär erfolge. Außerdem sei die vom Gerichtskommissär gewählte Bewertung für das Abhandlungsgericht bindend; eine Missachtung der in § 167 AußStrG gegebenen „Wertungsrahmenbedingungen“ komme nicht in Frage, weil die Bewertung von Unternehmen und Gesellschaftsanteilen in dieser Bestimmung nicht geregelt sei und auch keine sonstige rechtlich vorgeschriebene Art der Bewertung von Unternehmen existiere.

5.2 Davon unterscheidet sich der vorliegende Fall in mehrfacher Hinsicht: Gegenstand der vorinstanzlichen Beschlüsse ist nicht die Anordnung einer bestimmten Bewertungsmethode bei der jedenfalls vorzunehmenden Ermittlung des Verkehrswerts, sondern die grundsätzliche Entscheidung darüber, ob die Liegenschaftsanteile im Interesse der minderjährigen Noterbin überhaupt nach dem LBG zu bewerten sind. Dabei kann auch – wie in Punkt 2 erörtert – gegen die gesetzlichen „Wertungsrahmen-bedingungen“ des § 167 Abs 2 AußStrG verstoßen werden. In Frage kommt nicht nur ein Verstoß des Gerichtskommissärs, sondern auch ein solcher des Verlassenschaftsgerichts, falls dessen Anordnung, die Liegenschaftsanteile mit dem Verkehrswert zu bewerten, den nach § 167 Abs 2 AußStrG zu schützenden Interessen der minderjährigen Noterbin – etwa wegen der zu erwartenden hohen Kosten der Schätzung bei ungewisser Pflichtteilsrelevanz der Liegenschaftsanteile - widersprechen sollte. Diese Entscheidung berührt unmittelbar die Rechtsstellung der minderjährigen Noterbin, sodass der Anordnung des Erstgerichts nicht bloß verfahrensleitender Charakter zugemessen werden kann.

6. Allerdings ließ die minderjährige Noterbin die erstinstanzliche Entscheidung unbekämpft. Hinsichtlich der Testamentserbin stellt sich somit die Frage ihrer Beschwer:

6.1 Auch im Außerstreitverfahren ist Voraussetzung für die Zulässigkeit eines Rechtsmittels ein Eingriff in die geschützte Rechtssphäre (RIS‑Justiz RS0006497). Es bedarf also nicht nur der formellen, sondern auch der materiellen Beschwer, die dann vorliegt, wenn die rechtlich geschützten Interessen des Rechtsmittelwerbers durch die Entscheidung beeinträchtigt werden (RIS‑Justiz RS0006641, RS0041868, RS0118925).

6.2 Die formelle Beschwer der Testamentserbin mag aufgrund der von Amts wegen ergangenen Entscheidung des Erstgerichts zu bejahen sein. Zur Wahrung der Interessen Dritter fehlt es ihr aber an der materiellen Beschwer (vgl 5 Ob 128/07w; RIS‑Justiz RS0118925). Diese lässt sich daher nicht auf die Rechtsansicht stützen, dass die Anordnung des Erstgerichts entgegen der Annahme der Vorinstanzen nicht im Interesse der minderjährigen Noterbin liege. Darauf laufen aber sämtliche Argumente der Testamentserbin in ihren Rechtsmittelschriften hinaus. Worin ihr eigenes rechtliches (nicht bloß wirtschaftliches) Interesse am Unterbleiben der Ermittlung des Verkehrswerts bestehen soll, ist hingegen nicht ersichtlich.

6.3 Insbesondere ergibt sich ein solches auch nicht aus der in § 176 Abs 2 AußStrG als Voraussetzung für die Einantwortung statuierten Pflicht zur Sicherstellung der Ansprüche der minderjährigen Noterbin. Sollte der Testamentserbin der Erlag einer sich am Verkehrswert der Liegenschaftsanteile orientierenden Sicherheitsleistung aufgetragen werden, so wäre dieser Beschluss selbständig bekämpfbar (vgl dazu 2 Ob 166/15y; 2 Ob 9/16m EF‑Z 2016/101 [A. Tschugguel]). Erst ein solcher Auftrag würde in die Rechtssphäre der Testamentserbin eingreifen, während mit der nunmehrigen Anordnung des Erstgerichts noch keine nachteiligen Rechtsfolgen für sie verbunden sind. Wirkt doch das ausschließlich den Zwecken des Verlassenschaftsverfahrens dienende Inventar über dieses Verfahren nicht hinaus (RIS‑Justiz RS0006465).

6.4 Somit fehlte es der Testamentserbin schon für den Rekurs an die zweite Instanz an der materiellen Beschwer. Das Rekursgericht hätte daher den Rekurs als unzulässig zurückweisen müssen.

7. Entscheidet ein Gericht zweiter Instanz über einen unzulässigen Rekurs meritorisch, so ist der Mangel der funktionellen Zuständigkeit für eine solche Erledigung vom Obersten Gerichtshof aus Anlass des gegen die unzulässige Sachentscheidung erhobenen Revisionsrekurses als Nichtigkeit, die immer eine erhebliche Rechtsfrage aufwirft, wahrzunehmen. Als Folge dessen ist der unzulässige Rekurs gegen den Beschluss erster Instanz zurückzuweisen (RIS‑Justiz RS0042059, RS0115201). Dieser allgemeine Verfahrensgrundsatz gilt nicht nur im Zivilprozess, sondern, wie aus § 54 AußStrG iVm § 71 Abs 4 AußStrG abzuleiten ist, auch für eine vom Obersten Gerichtshof im Außerstreitverfahren zu treffende Entscheidung (vgl 5 Ob 170/10m; 6 Ob 185/10i; 8 Ob 117/12g; 7 Ob 143/15b; 2 Ob 64/16z).

8. Aus Anlass des Revisionsrekurses ist daher die Entscheidung des Rekursgerichts ersatzlos aufzuheben und der Rekurs zurückzuweisen.

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