OGH 10ObS67/16z

OGH10ObS67/16z7.6.2016

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Dr. Fellinger als Vorsitzenden, die Hofräte Univ.‑Prof. Dr. Neumayr und Mag. Ziegelbauer sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Reinhard Drössler (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Mag. Andreas Hach (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei G*****, vertreten durch Saxinger Chalupsky & Partner Rechtsanwälte GmbH in Linz, gegen die beklagte Partei Allgemeine Unfallversicherungsanstalt, 1200 Wien, Adalbert‑Stifter‑Straße 65, wegen Versehrtenrente, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen vom 6. April 2016, GZ 11 Rs 23/16f‑29, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2016:010OBS00067.16Z.0607.000

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Begründung

1. Gegenstand des vorliegenden Verfahrens sind die behaupteten Berufskrankheiten Asbeststaublungenerkrankung (Abestose) mit objektiv feststellbarer Leistungsminderung von Atmung oder Kreislauf (lfd Nr 27 a der Anlage 1 zum ASVG), einer durch allergisierende Stoffe verursachten Erkrankung an Asthma bronchiale (einschließlich Rhinopathie), wenn und solange sie zur Aufgabe schädigender Tätigkeiten zwingen (lfd Nr 30 der Anlage 1 zum ASVG), sowie durch chemisch‑irritativ oder toxisch wirkende Stoffe verursachte Erkrankungen der tieferen Atemwege und der Lunge mit objektivem Nachweis einer Leistungsminderung von Atmung oder Kreislauf (lfd Nr 41 der Anlage 1 zum ASVG).

Rechtliche Beurteilung

2. Die Ausführungen des Revisionswerbers zu der von ihm als erheblich relevierten Rechtsfrage, ob es im konkreten Fall einer mündlichen Erörterung des pulmologischen Gutachtens bedurft hätte (§ 75 Abs 2 ASGG) und zusätzlich weitere Sachverständigengutachten eingeholt hätten werden müssen, war bereits Gegenstand der Mängelrüge der Berufung. Das Berufungsgericht hat sich mit diesen Ausführungen auseinandergesetzt und ist zum Ergebnis gelangt, dass Verfahrensmängel nicht vorliegen. Nach ständiger – vom Revisionswerber selbst wiedergegebener – Rechtsprechung können aber Mängel des Verfahrens erster Instanz, deren Vorliegen vom Berufungsgericht verneint wurde, im Revisionsverfahren nicht neuerlich geltend gemacht werden (RIS‑Justiz RS0042963). Ob ein Sachverständigengutachten erschöpfend ist und die getroffenen Feststellungen rechtfertigt, ob ein weiterer Sachverständiger vernommen werden soll oder ob zusätzlich zu den bereits vorliegenden noch weitere Beweise zu dem selben Beweisthema aufgenommen werden sollen, sind vielmehr Fragen der Beweiswürdigung der Vorinstanzen, die mit Revision nicht bekämpft werden kann (RIS‑Justiz RS0043163; RS0043320).

3.1 Es gelingt dem Revisionswerber auch nicht aufzuzeigen, dass dem Berufungsgericht bei Erledigung der Mängelrüge ein Verfahrensmangel unterlaufen wäre:

3.2 Der Grundsatz der materiellen Wahrheitsforschung ist auch im Sozialrecht nicht anzuwenden. Die Verpflichtung zur amtswegigen Beweisaufnahme (§ 87 Abs 1 ASGG) besteht nach ständiger Rechtsprechung nur hinsichtlich von Umständen, für deren Vorliegen sich aus den Ergebnissen des Verfahrens Anhaltspunkte ergeben (RIS‑Justiz RS0103347). Die Ansicht der Vorinstanzen, im vorliegenden Fall bestünden keine Anhaltspunkte, die zusätzlich zu den zwei schriftlichen Ergänzungsgutachten auch noch die (im erstinstanzlichen Verfahren zwar „allenfalls“ angekündigte, letztlich aber gar nicht beantragte) mündliche Erörterung des Gutachtens sowie die Einholung weiterer Gutachten erfordern würden, stellt – zumal auch der vom Erstgericht beigezogene Sachverständige ausführte, dass die Beiziehung weiterer Sachverständiger nicht erforderlich sei – keine Verletzung tragender Grundsätze des Verfahrensrechts dar und führt auch zu keinen rechtlichen Feststellungsmängeln.

3.3 Auch eine dem Berufungsgericht bei Erledigung der Mängelrüge unterlaufene Aktenwidrigkeit ist zu verneinen. Das Berufungsgericht hat ua darauf hingewiesen, dass sich im Hinblick auf die behaupteten Berufskrankheiten „schon bei laienhafter Betrachtung“ die Einholung weiterer Gutachten aus anderen Fachgebieten (als dem pulmologischen Fachgebiet) erübrige. Eine Aktenwidrigkeit wäre aber nur dann gegeben, wenn ein Widerspruch zwischen dem Akteninhalt und der darauf beruhenden wesentlichen Tatsachenfeststellung im Urteil vorläge, der nicht das Ergebnis eines richterlichen Werturteils ist. Eine – wie hier – im Rahmen der Erledigung der Mängelrüge vorgenommene Wertung kann hingegen nie eine zur Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens führende Aktenwidrigkeit begründen (RIS‑Justiz RS0043277), sondern stellt einen irrevisiblen Akt der Beweiswürdigung dar. Der Revisionsgrund der Aktenwidrigkeit kann nicht als Ersatz für eine unzulässige Beweisrüge herangezogen werden (RIS‑Justiz RS0117019).

4. Letztlich bringt der Revisionswerber vor, das Berufungsgericht habe bei Behandlung der Mängelrüge in unzulässiger Weise gerichtsnotorisches Tatsachenwissen angenommen (arg: “bei laienhafter Betrachtung“), woraus mangels Erörterung eine Nichtigkeit der Berufungsentscheidung wegen Verletzung des rechtlichen Gehörs (§ 477 Abs 1 Z 4 ZPO) resultieren soll. Auch mit diesem Vorbringen gelingt es dem Revisionswerber aber nicht, eine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung iSd § 502 Abs 1 ZPO geltend zu machen. Das Berufungsgericht hat kein ihm aus eigener amtlicher Wahrnehmung bekanntes gerichtsnotorisches Tatsachenwissen verwertet (RIS‑Justiz RS0110714 [T1]; RS0040230), sondern – wie bereits dargelegt – im Rahmen der Erledigung der Mängelrüge mittels richterlicher Wertung die Notwendigkeit der Einholung weiterer Gutachten beurteilt und diese Notwendigkeit verneint.

Die außerordentliche Revision war aus diesen Gründen als unzulässig zurückzuweisen.

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