European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2016:0130OS00017.16Y.0518.000
Spruch:
Der Antrag wird zurückgewiesen.
Gründe:
Mit Urteil des Bezirksgerichts Innere Stadt Wien vom 16. Juni 2015, GZ 17 U 374/14k‑58, wurde ‑ soweit hier von Bedeutung ‑ Hasan K***** des Vergehens des Raufhandels nach § 91 Abs 1 „2. Fall“ StGB idF vor BGBl I 2015/112 schuldig erkannt und hiefür zu einer Geldstrafe verurteilt.
Nach dem Referat der entscheidenden Tatsachen (§ 260 Abs 1 Z 1 StPO) hat er am 20. Oktober 2013 in Wien an einer Schlägerei tätlich teilgenommen, wobei die Schlägerei eine schwere Körperverletzung (§ 84 Abs 1 StGB) des Amirhossein H*****, nämlich eine Ausrenkung des linken Schultergelenks mit einer 24 Tage überdauernden Gesundheitsschädigung und Berufsunfähigkeit, verursacht hat. Der Sanktionsausspruch (§ 260 Abs 1 Z 3 StPO) erfolgte nach § 91 Abs 1 „2. Strafsatz“ StGB idF vor BGBl I 2015/112 (ON 58 S 3).
Dagegen erhob Hasan K***** Berufung wegen Nichtigkeit, Schuld und Strafe (ON 75). Unter anderem relevierte er unter dem Gesichtspunkt des § 468 Abs 1 Z 2 StPO, dass § 91 Abs 1 „2. Fall“ StGB idF vor BGBl I 2015/112 zufolge der Strafdrohung von bis zu zwei Jahren Freiheitsstrafe außerhalb der sachlichen Zuständigkeit des Bezirksgerichts liege, und sah in der Heranziehung des erhöhten Strafrahmens des § 91 Abs 1 StGB einen unvertretbaren Verstoß gegen Strafbemessungsvorschriften (§ 468 Abs 1 Z 4 StPO iVm § 281 Abs 1 Z 11 StPO).
Nach Durchführung der Berufungsverhandlung in Anwesenheit des Verteidigers des Hasan K***** (ON 92) hob das Landesgericht für Strafsachen Wien mit Urteil vom 25. November 2015, AZ 134 Bl 120/15p (ON 96), in Stattgebung der Berufung des genannten Angeklagten wegen Nichtigkeit (§ 281 Abs 1 Z 11 StPO) das angefochtene Urteil, das im Schuldspruch unberührt blieb, in seinem „Ausspruch über die strafbare Handlung und im Strafausspruch“ auf, erkannte in der Sache selbst, dass Hasan K***** „hiedurch das Vergehen des Raufhandels nach § 91 Abs 1 erster Fall StGB“ idF vor BGBl I 2015/112 begangen hat, und verurteilte den Genannten nach „§ 91 Abs 1, erster Strafsatz StGB“ idF vor BGBl I 2015/112 erneut zu einer Geldstrafe. Im Übrigen wies es die Berufung des Angeklagten wegen Nichtigkeit als unbegründet zurück und gab seiner Berufung wegen Schuld „und Strafe“ keine Folge.
Mit am 11. Februar 2016 beim Obersten Gerichtshof eingebrachtem Schriftsatz beantragt Hasan K***** die Erneuerung des genannten Strafverfahrens gemäß § 363a StPO. Gestützt auf Art 6 MRK bringt er vor, er sei durch das Urteil des seiner Ansicht nach sachlich unzuständigen Bezirksgerichts in seinem Recht auf den gesetzlichen Richter (zudem Art 87 B‑VG) verletzt. In der zuvor nicht erörterten Entscheidung des Berufungsgerichts in der Sache selbst sieht er einen Verstoß gegen das Überraschungsverbot.
Rechtliche Beurteilung
Für den subsidiären Rechtsbehelf eines nicht auf ein Urteil des EGMR gestützten Erneuerungsantrags gelten alle gegenüber dem EGMR normierten Zulässigkeitsvoraussetzungen der Art 34 und 35 MRK sinngemäß (RIS‑Justiz RS0122737).
Ein Zulässigkeitskriterium für die Befassung des EGMR durch Erhebung einer Individualbeschwerde ist das Einhalten einer sechsmonatigen Frist nach der endgültigen innerstaatlichen Entscheidung (Art 35 Abs 1 MRK; RIS‑Justiz RS0122737 [T4]). In Betracht kommt demnach eine Entscheidung, die letztinstanzlich infolge eines effektiven Rechtsmittels und in Bezug auf den Beschwerdegegenstand ergangen ist (11 Os 7/12g, 14 Os 154/13y).
Dieser Anforderung wird der gegen das bereits mit Berufung bekämpfte Urteil des Einzelrichters des Bezirksgerichts Innere Stadt Wien gerichtete Erneuerungsantrag nicht gerecht.
Soweit sich der Erneuerungswerber (bloß) durch die Bezugnahme auf die Geltendmachung der sachlichen Unzuständigkeit in der Berufung wegen Nichtigkeit der Sache nach auch gegen die Entscheidung des Rechtsmittelgerichts wendet, lässt er die erforderliche inhaltliche Auseinandersetzung mit dem Urteil des Berufungsgerichts in allen relevanten Punkten vermissen (RIS‑Justiz RS0124359).
Im Übrigen bestimmt sich die rechtliche Beurteilung der sachlichen Unzuständigkeit (§ 468 Abs 1 Z 2 StPO) bezogen auf das angefochtene Urteil nach der Feststellung der für die Schuld‑ und die Subsumtionsfrage entscheidenden Tatsachen in den Entscheidungsgründen, ungeachtet der vom Richter als begründet angesehenen strafbaren Handlungen (§ 260 Abs 1 Z 2 StPO; vgl Ratz , WK‑StPO § 468 Rz 18). Dass aber nach den Feststellungen des Erstgerichts die urteilsgegenständliche Schlägerei nicht ‑ wie für die Anwendung des erhöhten Strafrahmens des § 91 Abs 1 StGB erforderlich ‑ den Tod (vgl Jerabek in WK 2 StGB § 91 Rz 2), sondern eine schwere Körperverletzung (§ 84 Abs 1 StGB) eines anderen verursacht hat, wird vom Verurteilten sowohl in der Berufung als auch in seinem Erneuerungsantrag zutreffend eingeräumt.
Zudem übersieht Hasan K*****, dass das Berufungsgericht, Berufung wegen Schuld vorausgesetzt, im Rahmen der Anfechtungsrichtung gesetzlicher Richter mit voller Kognitionsbefugnis ist ( Ratz , WK‑StPO § 473 Rz 8/1). Die Unzuständigkeit des als Berufungsgericht entscheidenden (Senats des) Landesgerichts für Strafsachen Wien wird indes ‑ zutreffend ‑ nicht in Frage gestellt (vgl auch RIS‑Justiz RS0127458):
Als Verletzung des fair‑trial Gebots des Art 6 MRK macht der Erneuerungswerber geltend, dass er durch die für ihn „völlig überraschend(e)“ Entscheidung des Berufungsgerichts in der Sache selbst daran gehindert worden sei, die Einvernahme eines dem Gericht bisher noch nicht bekannten Tatzeugen zu beantragen. Weshalb die von der Strafprozessordnung für den Fall der Stattgebung einer aus § 468 Abs 1 Z 4 StPO iVm § 281 Abs 1 Z 11 StPO erhobenen Berufung wegen Nichtigkeit vorgesehene Entscheidung des Rechtsmittelgerichts in der Sache selbst (§ 288 Abs 2 Z 3 erster Satz StPO iVm § 471 StPO) für den Berufungswerber einen Verstoß gegen das aus dem Schutzzweck des Art 6 Abs 3 lit a und lit b MRK abgeleitete Überraschungsverbot in Ansehung von Feststellungen zu entscheidenden Tatsachen (vgl RIS‑Justiz RS0125372; Ratz , WK‑StPO § 281 Rz 480) darstellen sollte, macht der Erneuerungswerber mit diesem Vorbringen nicht klar. Auch in diesem Umfang ist der solcherart ohne methodengerechte Ableitung der aufgestellten Rechtsbehauptung aus der reklamierten Grundrechtsverheißung bloß unter scheinbarer Berufung auf ein Grundrecht gestellte Antrag unzulässig (RIS‑Justiz RS0128393).
Der Erneuerungsantrag war daher gemäß § 363b Abs 1, Abs 2 StPO bereits in der nichtöffentlichen Beratung als unzulässig zurückzuweisen.
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