European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2016:0070OB00050.16B.0427.000
Spruch:
Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
Begründung:
Am 1. 5. 2010 hat P***** C***** (in Hinkunft Versicherungsnehmer) mit der Beklagten einen Ablebens-Risikoversicherungsvertrag mit einer Versicherungssumme von 250.000 EUR abgeschlossen. Dem Versicherungs-verhältnis liegen die Versicherungsbedingungen der Ablebens‑Risikoversicherung mit laufender konstanter Prämie VB 204 Anlage 204 zugrunde. Diese lauten auszugsweise:
„§ 2 Pflichten des Versicherungsnehmers
2.1 Als Versicherungsnehmer stellen Sie einen schriftlichen Antrag auf Abschluss eines Lebensversicherungsvertrages. Darin müssen alle Tatsachen angegeben werden, die für die Übernahme des Risikos bedeutend sind.
2.2 Sie sind verpflichtet, den Antrag und die damit verbundenen Fragen wahrheitsgemäß auszufüllen bzw zu beantworten.
2.3 Werden Fragen schuldhaft unrichtig oder unvollständig beantwortet, können wir gemäß §§ 20 ff und § 163 VersVG innerhalb von 3 Jahren nach Abschluss, Wiederherstellung oder Änderung des Vertrages zurücktreten. Wir können den Rücktritt gemäß § 20 VersVG nur innerhalb eines Monats ab Kenntnis der Unrichtigkeit oder Unvollständigkeit der Angaben erklären. Wir können nicht vom Vertrag zurücktreten, wenn
‑ wir von der Unrichtigkeit oder Unvollständigkeit der Angaben Kenntnis hatten oder
‑ verschwiegene Umstände keinen Einfluss auf den Eintritt des Versicherungsfalles hatten.
Bei arglistiger Täuschung können wir gemäß § 22 VersVG den Vertrag jederzeit anfechten. Wenn wir den Vertrag anfechten oder vom Vertrag zurücktreten, leisten wir den Rückkaufswert abzüglich eventuell offener Prämien. Schuldhaft unrichtige oder unvollständige Angaben können darüber hinaus nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zum Verlust des Versicherungsschutzes führen, sodass wir im Versicherungsfall nur den Rückkaufswert leisten. …
§ 3 Umfang des Versicherungsschutzes
…
3.2 Bei Selbstmord des Versicherten innerhalb von 3 Jahren seit Abschluss, Wiederherstellung oder einer die Leistungspflicht des Versicherers erweiternden Änderung des Vertrages leisten wir die Deckungsrückstellung.
Wird uns nachgewiesen, dass Selbstmord in einem die freie Willensbestimmung ausschließenden Zustand krankhafter Störung der Geistestätigkeit begangen wurde, besteht hingegen voller Versicherungsschutz.“
Der Versicherungsnehmer beging am 4. 1. 2011 Selbstmord. Die Beklagte bezahlte 10.000 EUR an die Vinkulargläubigerin, eine kreditgewährende Bank. Nunmehr begehrt die Klägerin ‑ als Bezugsberechtigte ‑ die Zahlung weiterer 240.000 EUR sA.
Rechtliche Beurteilung
1. Die Beurteilung der Möglichkeit der Auszahlung der (restlichen) Versicherungssumme an die bezugsberechtigte Klägerin trotz Vinkulierung kann dahingestellt bleiben, weil die Vorinstanzen ‑ nicht korrekturbedürftig ‑ die Leistungsfreiheit der Beklagten wegen Verletzung der Anzeigeobliegenheit durch den Versicherungsnehmer bejahten:
2. Nach § 16 Abs 1 VersVG hat der Versicherungsnehmer bei Abschluss des Versicherungs-vertrags alle ihm bekannten Umstände, die für die Übernahme der Gefahr erheblich sind, dem Versicherer anzuzeigen. Zur Bejahung der Gefahrenerheblichkeit von Umständen ist es nicht erforderlich, dass der Versicherer bei Kenntnis des wahren Sachverhalts den Vertrag tatsächlich abgelehnt oder nicht zu den bestimmten Bedingungen geschlossen hätte. Es reicht aus, dass der vom Versicherer nachgewiesene Umstand bei objektiver Betrachtung geeignet ist, einen solchen Entschluss des Versicherers zu motivieren (RIS‑Justiz RS0080637). Ein Umstand nach dem der Versicherer ausdrücklich und schriftlich gefragt hat, gilt im Zweifel als erheblich (RIS‑Justiz RS0080628 [T1]). Nicht ausdrücklich nachgefragte Umstände sind nicht schon wegen ihrer objektiven Gefahrenerheblichkeit mitzuteilen, sondern nur dann, wenn sich eine Frage konkludent auch auf sie bezieht oder wenn ihre Mitteilung als selbstverständlich erscheint (RIS‑Justiz RS0119955 [T1]). So liegt eine Verletzung der Anzeigepflicht vor, wenn der Versicherungsnehmer bei der Frage nach Gemütskrankheiten oder Geisteskrankheiten einen unternommenen Selbstmordversuch verschweigt (RIS‑Justiz RS0080741). An die vom Versicherten bzw Versicherungsnehmer bei Erfüllung seiner vorvertraglichen Anzeigepflicht anzuwendende Sorgfalt sind ganz erhebliche Anforderungen zu stellen (RIS‑Justiz RS0080641). Für eine schuldhafte Verletzung der vorvertraglichen Anzeigepflicht genügt bereits leichte Fahrlässigkeit (RIS‑Justiz RS0080572). Die Beweislast für das mangelnde Verschulden an der Verletzung einer vorvertraglichen Anzeigepflicht trifft grundsätzlich den Versicherungsnehmer (RIS‑Justiz RS0080809). Ist der Vorschrift des § 16 Abs 1 VersVG zuwider die Angabe eines erheblichen Umstands unterblieben, so kann der Versicherer nach § 16 Abs 2 VersVG vom Vertrag zurücktreten. Nach ständiger oberstgerichtlicher Rechtsprechung kann sich der Versicherer aber auch ohne Vertragsauflösung auf Leistungsfreiheit berufen, wenn er von der Verletzung der betreffenden vertraglichen Obliegenheit (Anzeigeobliegenheit) erst nach dem Versicherungsfall erfahren hat (7 Ob 131/15p mwN). Der Versicherer bleibt nur dann zur Leistung im Sinn des § 21 VersVG verpflichtet, wenn der Versicherungsnehmer jede mögliche Mitursache des falsch angezeigten oder verschwiegenen Umstands am Eintritt des Versicherungsfalls und den Umfang der Leistungen des Versicherers ausschließen kann (RIS‑Justiz RS0080025).
2.1 In Punkt 6 des „großen Untersuchungs-befundes“ wurde nach Krankheiten, Störungen oder Beschwerden der Psyche, zB Depression, Selbstmordversuch oder Psychose gefragt. Der Versicherungsnehmer kreuzte dies mit ja an und führte unter den Erläuterungen an, dass er seit fünf Jahren von einem namentlich angeführten Arzt wegen Depressionen behandelt werde. Er gab aber nicht an, dass er wegen einer massiven depressiven Symptomatik mit Gedankeneinengung und suizidalen Tendenzen in den Zeiträumen 17. 3. bis 7. 4. 2005, 19. 12. 2005 bis 11. 1. 2006, 15. 1. bis 21. 1. 2006, 22. 9. bis 3. 10. 2006, 18. 12. bis 23. 12. 2006, 9. 2. bis 24. 2. 2007, 29. 3. bis 11. 4. 2007, 22. 2. bis 8. 3. 2008 und 18. 3. bis 3. 4. 2008 stationär aufgenommen worden war. So erfolgte insbesondere die Aufnahme am 29. 3. 2007 nach angekündigtem Selbstmordversuch mit Tabletten und jene am 18. 3. 2008 wegen schwerer depressiver Episoden mit Selbstmordideen. Unmittelbar vor Abschluss des Versicherungsvertrags war der Versicherungsnehmer vom 2. 2. bis 8. 2. 2010 wegen Depressionen in stationärer Behandlung. Selbst nach Abschluss des Versicherungsvertrags war er stationär aufgenommen und zwar vom 14. 6. bis 24. 6. 2010 und vom 22. 7. bis 29. 7. 2010. Die in Punkt 17 gestellte Frage zur regelmäßigen Einnahme von alkoholischen Getränken wurde wahrheitswidrig mit nein beantwortet, obwohl der Versicherungsnehmer seit zumindest 2006 alkoholkrank war. Die Frage Nr 20, ob er Medikamente nehme bzw eine Suchtmittel‑ oder Drogenabhängigkeit bestehe, wurde trotz bereits genannter Alkoholerkrankung und einer seit 2008 bestehenden Abhängigkeit von Xanor und Halzion verneint. Die in Punkt 32 gestellte Frage nach Untersuchungen und Behandlungen in einem Krankenhaus wurden zwar bejaht, die weiteren Fragen nach wo und weshalb blieben unbeantwortet. Die Frage Nr 33 nach Kuraufenthalten und Entziehungskuren wurde verneint, obwohl sich der Versicherungsnehmer 2006 auf einer Alkoholentzugskur befunden hatte. Die Frage Nr 36 nach dem gewöhnlich in Anspruch genommenen Arzt (Hausarzt) bzw den über die Gesundheitsverhältnisse am besten informierten Arzt beantwortete der Versicherungsnehmer unter Anführung seines Hausarztes. Die Frage Nr 37 nach anderen Ärzten, Psychologen oder Therapeuten ‑ außer den Genannten ‑, von denen der Versicherungsnehmer in den letzten fünf Jahren untersucht, beraten oder behandelt wurde und weshalb, blieb unbeantwortet. Auch weitere Fragen zu ‑ hier nicht weiter interessierenden ‑ physischen Erkrankungen beantwortete der Versicherungsnehmer wahrheitswidrig.
2.2 Zwar gab der Versicherungsnehmer an, dass er wegen Depressionen in Behandlung sei, doch kann kein Zweifel daran bestehen, dass ‑ wiederholte ‑ wegen Selbstmordgedanken erfolgte stationäre Aufnahmen gerade im Zusammenhang mit dem Abschluss einer ‑ auch Selbstmord versichernden ‑ Ablebens-Risikoversicherung weitere, den angefragten und damit als erheblich geltenden Umstand der Erkrankung der Psyche, präzisierende gefahrenerhebliche Umstände darstellen, auf die sich diese Frage insbesondere im Zusammenhang mit der Frage nach Krankenhausaufenthalten und nach weiteren behandelnden Ärzten nicht nur konkludent bezieht, sondern deren Mitteilung auch als selbstverständlich erscheint, wobei diese Umstände jedenfalls bei objektiver Betrachtung auch geeignet sind, die Beklagte zu motivieren, den Versicherungsvertrag nicht abzuschließen.
Die Beurteilung der Vorinstanzen, der Versicherungsnehmer habe seine Anzeigepflicht verletzt, indem er lediglich „Depressionen“, nicht hingegen die wegen Selbstmordgedanken erfolgten stationären Aufenthalte bekannt gegeben habe, ist nicht zu beanstanden.
2.3 Die Klägerin argumentiert, dass das Berufungsgericht ihre Ausführungen, nicht der Versicherungsnehmer, sondern sein von der Beklagten mit dem Ausfüllen des Untersuchungsbefundes beauftragte Hausarzt habe unvollständige Angaben gemacht, unrichtig als Verstoß gegen das Neuerungsverbot gewertet habe.
Die Auslegung des Parteivorbringens und damit die Beantwortung der Frage, ob eine im Berufungsverfahren unzulässige Neuerung vorliegt, geht in ihrer Bedeutung nicht über den Einzelfall hinaus und begründet daher ‑ vom hier nicht vorliegenden Fall einer grob unrichtigen Fehlbeurteilung abgesehen ‑ keine erhebliche Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO (RIS‑Justiz RS0044273 [T49, T57, T61 uva]).
Abgesehen davon unterfertigte der Versicherungsnehmer das unvollständig und unrichtig ausgefüllte Formular über Individualtatsachen, über die er aus eigenem Wissen Auskunft geben konnte, sodass keinesfalls gesagt werden kann, dass es sich nicht um seine falschen Angaben handelte.
2.4 Aus dem Einwand der Klägerin, die Beklagte hätte sich die notwendigen Informationen bei den Ärzten des Versicherungsnehmers holen können, ist nichts zu gewinnen, weil die entsprechenden Angaben zum Gesundheitszustand bestimmen, ob und welche Erhebungen der Versicherer als notwendig erachten wird (7 Ob 164/11k). Allein aus der verharmlosenden Angabe „Depression“ konnte der Versicherer nicht auf eine derart schwere Selbstmordgefährdung schließen. Zwar wurde die Frage nach den Krankenhausaufenthalten bejaht, aber ohne weitere Ausführungen konnte der Versicherer davon ausgehen, dass diese mit den angeführten Verletzungen des Bewegungsapparats im Zusammenhang standen. Im Hinblick auf die Anführung zweier behandelnder Ärzte ließ das Fehlen der Angaben weiterer Ärzte, insbesondere jener während der Krankenhausaufenthalte, die Notwendigkeit zusätzlicher Erhebungen gleichfalls nicht als notwendig erscheinen.
2.5 Davon, dass die rezidivierende Depression, die Suizidgedanken und die suizidale Einengung zum Suizid führten, geht die Klägerin selbst aus.
2.6 Die Beurteilung einer allfälligen Verfristung des Vertragsrücktritts kann dahingestellt bleiben, weil sich der Versicherer auch ohne Vertragsauflösung auf Leistungsfreiheit berufen kann, wenn er von der Verletzung der betreffenden vorvertraglichen Anzeigepflicht (wie hier) erst nach dem Versicherungsfall erfahren hat (RIS‑Justiz RS0129732, RS0112356).
2.7 Die Rechtsansicht, die Leistungsfreiheit der Beklagten sei wegen zumindest leicht fahrlässiger Verletzung der vorvertraglichen Aufklärungspflicht durch den Versicherungsnehmer gegeben, wobei auch nicht jede mögliche Mitursache des verschwiegenen Umstands am Eintritt des Versicherungsfalls oder am Umfang der Leistung der Beklagten ausgeschlossen worden sei, ist damit nicht korrekturbedürftig.
3. Davon ausgehend erübrigt sich die Beurteilung der Frage, ob Leistungsfreiheit auch aufgrund des Verschweigens der Alkoholerkrankung und der Medikamentenabhängigkeit durch die Beklagte bestünde. Die in diesem Zusammenhang geltend gemachte Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens und Aktenwidrigkeit bedürfen keines weiteren Eingehens.
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