OGH 10Ob30/15g

OGH10Ob30/15g13.4.2016

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Fellinger als Vorsitzenden sowie die Hofräte Univ.‑Prof. Dr. Neumayr und Dr. Schramm, die Hofrätin Dr. Fichtenau und den Hofrat Mag. Ziegelbauer als weitere Richter in der Pflegschaftssache des minderjährigen Ra*, geboren am *, vertreten durch das Land Niederösterreich als Kinder‑ und Jugendhilfeträger (Bezirkshauptmannschaft Amstetten, Preinsbacher Straße 11, 3300 Amstetten), Vater Ro*, vertreten durch Dr. Georg Lugert, Rechtsanwalt in St. Pölten, über den Revisionsrekurs des Minderjährigen gegen den Beschluss des Landesgerichts St. Pölten als Rekursgericht vom 8. Jänner 2015, GZ 23 R 548/14g‑82, mit dem der Beschluss des Bezirksgerichts Amstetten vom 30. Oktober 2014, GZ 1 Pu 228/10x‑73, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2016:E114385

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs des Minderjährigen wird Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass sie einschließlich des bereits in Rechtskraft erwachsenen Teils insgesamt lauten:

„1. Ro* ist als Vater seines Sohnes Ra* in Abänderung der bisherigen Unterhaltsbemessung aufgrund des Vergleiches des Bezirksgerichts Amstetten vom 6. September 2012, GZ 1 Pu 228/10x‑54, schuldig,

a) für die Zeit von 1. August 2013 bis 31. Oktober 2013 zuzüglich zu dem bisherigen Unterhaltsbeitrag von 392 EUR einen weiteren monatlichen Unterhaltsbeitrag von 83 EUR, insgesamt also einen monatlichen Unterhaltsbeitrag von 475 EUR,

b) für die Zeit von 1. November 2013 bis 31. Dezember 2013 zuzüglich zu dem bisherigen Unterhaltsbeitrag von 392 EUR einen weiteren monatlichen Unterhaltsbeitrag von 128 EUR, insgesamt also einen monatlichen Unterhaltsbeitrag von 520 EUR, und

c) für die Zeit von 1. Jänner 2014 bis 30. September 2014 zuzüglich zu dem bisherigen Unterhaltsbeitrag von 392 EUR einen weiteren monatlichen Unterhaltsbeitrag von 113 EUR, insgesamt also einen monatlichen Unterhaltsbeitrag von 505 EUR, zu Handen des jeweiligen gesetzlichen Vertreters des Minderjährigen in Unterhaltsangelegenheiten, das ist derzeit die Mutter L*, bei sonstiger Exekution zu zahlen.

2. Die bis zur Rechtskraft dieses Beschlusses fällig gewordenen Beträge sind abzüglich inzwischen bereits geleisteter Zahlungen binnen 14 Tagen, die in Zukunft fällig werdenden Beträge jeweils am Ersten eines jeden Monates im Vorhinein zu entrichten.

3. Das Mehrbegehren, den Vater für die Zeit von 1. Jänner 2014 bis 30. September 2014 zu einem weiteren monatlichen Unterhaltsbeitrag von 15 EUR und für die Zeit ab 1. Oktober 2014 zu einer weiteren monatlichen Unterhaltsleistung von 128 EUR zu verpflichten, wird abgewiesen.“

 

Begründung:

Gegenstand des Revisionsrekursverfahrens ist allein die Frage, ob sich der 1998 geborene Ra* die von ihm für September 2014 im Nachhinein bezogene Lehrlingsentschädigung auf den Geldunterhaltsanspruch gegenüber seinem Vater für diesen Monat anrechnen lassen muss.

Mit Beschluss vom 30. Oktober 2014 erhöhte das Erstgericht den vom Vater zu leistenden Geldunterhalt für den Zeitraum bis einschließlich 31. August 2014 auf Beträge zwischen 475 EUR und 520 EUR monatlich. Ein Erhöhungsmehrbegehren von 128 EUR monatlich betreffend den Zeitraum ab 1. September 2014 wurde abgewiesen. Die Abweisung betreffend den Zeitraum ab 1. September 2014 wurde mit der teilweisen Selbsterhaltungsfähigkeit des Kindes begründet. Nach dem Akteninhalt hat Ra* mit 1. September 2014 eine Lehrstelle angetreten (ON 79); die Lehrlingsentschädigung für September 2014 erhielt er im Nachhinein ausgezahlt (ON 72).

Das Rekursgericht gab dem allein gegen die Abweisung des Erhöhungsbegehrens für den Monat September 2014 (um 113 EUR auf 505 EUR) gerichteten Rekurs des Kindes nicht Folge.

In der die Herabsetzung von Unterhaltsvorschüssen betreffenden Entscheidung 10 Ob 23/14a habe der Oberste Gerichtshof ausschließlich mit der Verfügbarkeit der erst am Monatsende ausgezahlten Lehrlingsentschädigung argumentiert. Folge man diesem Gedankengang, müsse die gleiche Überlegung auch für den Unterhaltspflichtigen gelten, etwa bei Erhöhung der Unterhaltspflicht, wenn er ein Dienstverhältnis am Ersten eines Monats beginne, aber das Entgelt erst im Nachhinein erhalte, möglicherweise überhaupt erst im Folgemonat. Dies stehe nicht nur in Widerspruch zur bisherigen zweitinstanzlichen Rechtsprechung, sondern könne sich bei globaler Betrachtung der Interessen der Unterhaltsberechtigten durchaus als Pyrrhussieg erweisen. Darüber hinaus würden Unterhaltsverfahren noch weiter aufgebläht, wenn in jedem Einzelfall festzustellen wäre, wann jeweils die ersten Gehaltsauszahlungen tatsächlich am Konto des Unterhaltsberechtigten einerseits und des Unterhaltspflichtigen andererseits eingehen. Das Rekursgericht sei daher der Auffassung, dass bei Aufnahme eines Dienstverhältnisses mit einem Monatsersten, gleichgültig ob dies auf Seiten des Unterhaltsberechtigten oder des Unterhaltspflichtigen erfolge, dies im jeweiligen Monat zu berücksichtigen sei, bei Aufnahme des Beschäftigungsverhältnisses zu einem späteren Zeitpunkt im Lauf eines Monats dagegen erst ab dem Folgemonat.

Der Revisionsrekurs sei wegen des Fehlens höchstgerichtlicher Rechtsprechung zu der zu beurteilenden Rechtsfrage zulässig.

Gegen diese Entscheidung richtet sich der Revisionsrekurs des Minderjährigen aus dem Revisionsrekursgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag auf Abänderung dahin, dass ihm für den Zeitraum von 1. September 2014 bis 30. September 2014 ein monatlicher Unterhalt von 505 EUR zugesprochen werde.

Der Vater hat sich nicht am Revisionsrekursverfahren beteiligt.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist aus dem vom Rekursgericht genannten Grund zulässig; er ist auch im Sinne einer Abänderung der vorinstanzlichen Entscheidungen berechtigt.

In seinem Revisionsrekurs bringt der Minderjährige vor, dass er seine Lehrstelle am 1. September 2014 angetreten und sein erstes Einkommen erst am Monatsende im Nachhinein erhalten habe. Somit seien ihm im Monat September 2014 keine Einkünfte zur Verfügung gestanden, mit welchen er seinen Lebensunterhalt auch nur zum Teil decken habe können, weshalb er auf die Unterhaltsleistung des Vaters angewiesen gewesen sei. Auch die Rechtsprechung zum UVG rechne die Lehrlingsentschädigung erst ab dem dem Lehrbeginn folgenden Monatsersten an.

Dazu wurde erwogen:

1. Der Revisionsrekurswerber beruft sich im Wesentlichen auf die Entscheidung 10 Ob 23/14a. Nach dieser in einer Unterhaltsvorschusssache ergangenen Entscheidung tritt die Selbsterhaltungsfähigkeit des unterhaltsberechtigten Kindes regelmäßig erst dann ein, wenn es über die für eine Deckung des angemessenen Lebensbedarfs erforderlichen Mittel verfügt. Wird das Arbeitsentgelt nicht im Vorhinein ausgezahlt, ist Selbsterhaltungsfähigkeit erst mit Ablauf desjenigen Monats anzunehmen, in welchem die erste Lohnauszahlung erfolgte. In diesem Sinn sind Unterhaltsvorschüsse ‑ im Hinblick auf das Eigeneinkommen ‑ erst mit Ablauf desjenigen Monats einzustellen, in dessen Lauf die erste Lohnauszahlung erfolgt.

2. Bis zu dieser Entscheidung 10 Ob 23/14a hatte sich die österreichische Rechtsprechung mit der Thematik nicht näher auseinandergesetzt. Die davor ergangene Rechtsprechung hatte in der Regel auf den Zeitpunkt des Arbeitsantritts und nicht auf den Zeitpunkt der ersten Lohnauszahlung abgestellt, und zwar unabhängig davon, ob es um die Sphäre des Unterhaltsberechtigten oder diejenige des Unterhaltspflichtigen ging. Zuletzt hatte der Oberste Gerichtshof in einem Fall, in dem es um die fiktive Selbsterhaltungsfähigkeit des Kindes wegen Arbeits‑ und Ausbildungsverweigerung ging, (implizit) auf den Zeitpunkt des Lehrstellenantritts und nicht den Entgeltauszahlungszeitpunkt abgestellt (10 Ob 10/15s).

3. Bei der hier allein zu beurteilenden Frage der Anrechnung eines vom Unterhaltsberechtigten tatsächlich bezogenen Eigeneinkommens auf seinen Geldunterhaltsanspruch spricht für die Relevanz des Datums der Entgeltauszahlung an den Unterhaltsberechtigten vor allem der Umstand, dass im Unterhaltsrecht die tatsächliche Verfügbarkeit relevanter Mittel im Vordergrund steht. Teleologische Erwägungen können dies insofern bestätigen, als es Sinn und Zweck des Unterhalts und der Vorauszahlungspflicht gemäß § 1418 ABGB ist, dass „der Berechtigte nie Mangel leide“ (Heidinger in Schwimann, ABGB-Praxiskommentar3 § 1418 Rz 1 mit Hinweis auf Zeiller, Commentar IV 123; in diesem Sinn etwa auch 6 Ob 690/90). Mit ähnlichen Zweckmäßigkeitsüberlegungen spricht sich auch der Oberste Gerichtshof in der Entscheidung 10 Ob 23/14a dafür aus, dass es für den Eintritt der Selbsterhaltungsfähigkeit darauf ankommt, ob das Entgelt im Vorhinein oder im Nachhinein ausgezahlt wird (siehe auch Gitschthaler, Unterhaltsrecht3 [2015] Rz 933; Neuhauser in Schwimann, ABGB‑TaKom3 § 231 Rz 187; Gitschthaler, Anmerkung zu LG Salzburg 21 R 421/13b, EF-Z 2014/51, 82).

Auch die Parallelität des Unterhaltsrechts mit dem Unterhaltsvorschussrecht (vgl ErläutRV 5 BlgNR 14. GP  18) kann für diesen Standpunkt ins Treffen geführt werden: Jedenfalls dann, wenn ein Änderungsgrund (im gegebenen Zusammenhang in Form des Zurverfügungstehens eigener Mittel) nicht am Monatsersten eintritt (vgl § 19 Abs 2 UVG), wirkt er sich erst ab dem folgenden Monatsersten aus.

4. Für die vom Rekursgericht vertretene Relevanz des Arbeitsbeginns auf Seite des Unterhaltsberechtigten sprechen hauptsächlich Gründe der Praktikabilität, weil die Frage, ob die Entlohnung im Vorhinein oder im Nachhinein erfolgt, außer Betracht bleiben kann. Gerade bei einer Entlohnung im Nachhinein wird allerdings dem Umstand, dass der Unterhaltsberechtigte am Monatsbeginn bereits über die erforderlichen Mittel verfügen soll, zu geringes Gewicht beigemessen.

5. Dies gilt auch für die in Deutschland herrschende Ansicht, wonach es zwar ebenfalls auf die Entgeltauszahlung ankommt, diese aber bereits für den Monat der Auszahlung „wirkt“ (zB OLG Hamm II-3 UF 245/12, FamRZ 2013, 1812 = BeckRS 2013, 04432; Schwonberg in Eschenbruch/Schürmann/Menne, Der Unterhaltsprozess6 [2013] Kap 2 Rz 879; Klinkhammer in Wendl/Dose, Unterhaltsrecht9 [2015] § 2 Rz 107; Brudermüller in Palandt75 [2016] § 1602 Rz 7; Viefhues in jurisPK-BGB7 [2016] § 1602 Rz 26; siehe auch Schürmann, Die Entwicklung des materiellen Unterhaltsrechts nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs und der Oberlandesgerichte, FamRZ 2014, 981 [990]). Grund dafür, jeweils auf den Ersten desjenigen Monats abzustellen, in dem das Entgelt ausgezahlt wird, dürfte vor allem die Vereinfachung der Verfahren sein (so ausdrücklich Klinkhammer in Wendl/Dose, Unterhaltsrecht9 [2015] § 2 Rz 107). Dabei wird ebenfalls außer Acht gelassen, dass es beim Unterhaltsanspruch darauf ankommt, dem Berechtigten Mittel zur Lebenserhaltung zur Verfügung zu stellen, die er faktisch nicht hat.

6. Im Hinblick auf den entscheidenden Aspekt, dass dem Unterhaltsberechtigten „alternative“ Mittel zur Deckung seiner Bedürfnisse tatsächlich zur Verfügung stehen müssen, ist daher dem vom Obersten Gerichtshof in der Entscheidung 10 Ob 23/14a eingeschlagenen Weg zu folgen, weshalb dem Kind im vorliegenden Fall, in dem ihm die für seine Bedürfnisbefriedigung notwendigen Geldmittel in Form der Lehrlingsentschädigung erst monatlich im Nachhinein zur Verfügung standen, der Unterhalt in Höhe von insgesamt 505 EUR auch noch für den Zeitraum von 1. September 2014 bis 30. September 2014 zusteht.

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