European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2016:0070OB00102.15Y.0316.000
Spruch:
Beiden Rekursen wird nicht Folge gegeben.
Die Kosten des Rekursverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.
Begründung:
Der Kläger erlitt am 19. 12. 2007 bei einem Schiunfall schwere Verletzungen. Er war damals bei der Beklagten unfallversichert. Die dem Versicherungsvertrag zugrundeliegenden AUVB 2006 lauten auszugsweise:
„Artikel 7 ‑ Dauernde Invalidität
1. Wann besteht ein Anspruch auf Leistung für Dauernde Invalidität?
Ergibt sich innerhalb eines Jahres vom Unfalltag an gerechnet, dass als Folge des Unfalles eine dauernde Invalidität zurückbleibt, wird ‑ unbeschadet des Artikel 7.5 - aus der hiefür versicherten Summe der dem Grade der Invalidität entsprechende Betrag gezahlt.
Ein Anspruch auf Leistung für dauernde Invalidität ist innerhalb von 15 Monaten vom Unfalltag an geltend zu machen und unter Vorlage eines ärztlichen Befundes zu begründen.
…
2.4 Mehrere sich aus Artikel 7.2.1 bis Artikel 7.2.3 ergebende Prozentsätze werden zusammengerechnet. Der Invaliditätsgrad aus einem Unfall ist jedoch mit 100 % begrenzt.
…
4. Was geschieht, wenn der Invaliditätsgrad nicht eindeutig feststeht?
Steht der Invaliditätsgrad nicht eindeutig fest, sind sowohl der Versicherte als auch der Versicherer berechtigt, den Invaliditätsgrad jährlich bis vier Jahre ab dem Unfalltag ärztlich neu bemessen zu lassen und zwar ab zwei Jahren nach dem Unfalltag auch durch die Ärztekommission (Artikel 18).
Ergibt in einem solchen Fall die endgültige Bemessung eine höhere Invaliditätsleistung als der Versicherer bereits erbracht hat, so ist der Mehrbetrag ab Fälligkeit des Vorschusses (Artikel 17.3.) mit 4 % jährlich zu verzinsen.
…
Artikel 9 ‑ Unfall‑Invaliditäts‑Rente
1. Wann wird die Unfall-Invaliditäts-Rente gezahlt?
Ergibt sich innerhalb eines Jahres vom Unfalltag an gerechnet, dass als Folge des Unfalles eine dauernde Invalidität mit einem Invaliditätsgrad von mindestens 50 % zurückbleibt, dann wird ‑ unabhängig vom Alter des Versicherten ‑ die vereinbarte monatliche Unfall-Invaliditäts-Rente gezahlt.
Für die Bemessung des Invaliditätsgrades gelten die Bestimmungen des Artikel 7.2.1 bis Artikel 7.2.4.
Ein Anspruch auf Leistung für die Unfall‑Invaliditäts‑Rente ist innerhalb von 15 Monaten vom Unfalltag an geltend zu machen und unter Vorlage eines ärztlichen Befundes zu begründen.
…
2. Was geschieht, wenn der Invaliditätsgrad nicht eindeutig feststeht?
Steht der Grad der dauernden Invalidität nicht eindeutig fest, sind sowohl der Versicherte als auch der Versicherer berechtigt, den Invaliditätsgrad jährlich bis vier Jahre ab dem Unfalltag ärztlich neu bemessen zu lassen und zwar ab zwei Jahren nach dem Unfalltag auch durch die Ärztekommission (Artikel 18). Ergibt die endgültige Bemessung einen Invaliditätsgrad von mindestens 50 %, entsteht ein Anspruch auf Rentenleistung.
3. Ab welchem Zeitpunkt erfolgt die Rentenleistung?
Steht die Leistungspflicht des Versicherers dem Grunde nach fest, besteht Anspruch auf Unfall‑Invaliditäts-Rente ab Beginn des Monates, in dem sich der Unfall ereignet hat.
Die Rentenleistung erfolgt monatlich im Vorhinein.
…
9. Wird die Rente jährlich erhöht?
Die Unfallrente erhöht sich jährlich jeweils zum 1. 1. des Jahres, erstmals zum 1. 1. des zweiten auf den Unfalltag folgenden Jahres, um den vereinbarten Prozentsatz (Dynamisierung). Diesen entnehmen Sie der Polizze.
…
Artikel 17 ‑ Fälligkeit der Leistung des Versicherers und Verjährung
1. Wann ist die Leistung des Versicherers fällig?
Geldleistungen des Versicherers sind erst mit Beendigung der zur Feststellung des Versicherungsfalles und des Umfanges der Leistung des Versicherers nötigen Erhebungen fällig. Die Fälligkeit tritt jedoch unabhängig davon ein, wenn der Versicherungsnehmer nach Ablauf zweier Monate seit dem Begehren nach einer Geldleistung eine Erklärung des Versicherers verlangt, aus welchen Gründen die Erhebungen noch nicht beendet werden konnten, und der Versicherer diesem Verlangen nicht binnen eines Monates entspricht.
…
4. Wann verjähren die Ansprüche aus dem Versicherungsvertrag?
Für die Verjährung gilt § 12 VersVG.
…“
Der Kläger machte kurz nach seinem Unfall vom 19. 12. 2007 gestützt auf Art 7 AUVB 2006 Ansprüche aus unfallbedingter dauernder Invalidität geltend. Die Beklagte beauftragte daraufhin zwei medizinische Gutachter. Der Facharzt für Unfallchirurgie erstattete erstmals am 21. 8. 2009 ein Gutachten, in dem er unfallchirurgisch zu einer 20%igen Invalidität des Klägers im Sinne des AUVB gelangte. Er betonte ausdrücklich, dass, sollten weitere Behandlungen notwendig sein, diese eindeutig als Unfallfolgen zu sehen seien und dass mit einer eventuellen Veränderung der Einschätzung zu rechnen sei. Aus dem Gutachten des Fachbereichs Neurologie und Psychiatrie vom 16. 9. 2009 ergab sich neurologisch eine Invalidität von 10 % zusätzlich zur unfallchirurgischen Invalidität. Aufgrund des in diesen beiden Gutachten ermittelten Invaliditätsgrades von insgesamt 30 % leistete die Beklagte an den Kläger 102.000 EUR und informierte ihn davon mit Schreiben vom 26. 11. 2009, dem die beiden Gutachten beigeschlossen waren.
Im September 2011 holte die Beklagte auf Wunsch des Klägers wegen der im unfallchirurgischen Gutachten in Aussicht gestellten Erforderlichkeit einer Neubemessung neuerlich ein unfallchirurgisches Privatgutachten ein. Dieses Gutachten vom 20. 9. 2011 kam zum Ergebnis, dass infolge einer am 1. 6. 2010 durchgeführten Operation eine zusätzliche Dauerinvalidität (5 %) eingetreten sei und nunmehr aus unfallchirurgischer Sicht eine Invalidität von 25 % vorliege. Aufgrund dieses Gutachtens bot die Beklagte dem Kläger mit Schreiben vom 24. 11. 2011 (ausgehend von einer Versicherungssumme von 340.000 EUR) die Zahlung eines weiteren Entschädigungsbetrags von 17.000 EUR für die zusätzlichen 5 % Invalidität an und teilte ihm mit, dass die zur Berechnung der Invaliditätsentschädigung erforderlichen ärztlichen Unterlagen vorlägen. Diese Zahlung machte die Beklagte davon abhängig, dass der Kläger eine ihm zugleich übermittelte „Entschädigungsquittung“ unterfertigen sollte mit (ua) folgendem Wortlaut:
„Ich erkläre, mit dem oben angeführten Betrag, bezüglich aller Ansprüche aus oben angeführtem Unfall, gegenüber der M***** AG für Vergangenheit und Zukunft vollkommen abgefunden zu sein.“
Diese Erklärung unterfertigte der Kläger nicht.
Der Kläger begehrte dann von der Beklagten mit seiner am 27. 2. 2012 zu AZ 69 Cg 23/12z beim Landesgericht Innsbruck eingebrachten Klage die Zahlung von letztlich (ausgedehnt) 161.500 EUR mit der Behauptung, bei ihm liege eine dauernde Invalidität von mehr als 50 % vor. Diesem Klagebegehren gab das Landesgericht Innsbruck mit Urteil vom 29. 4. 2014 zur Gänze statt. Es stellte (ua) fest, dass die vom Kläger erlittenen unfallkausalen körperlichen Beeinträchtigungen zu einer auf Lebensdauer anhaltenden dauernden Invalidität im Sinne des AUVB 2006 im Ausmaß von 35 % geführt haben und diese jedenfalls bereits seit Anfang des Jahres 2011 vorliegt. Zudem ist beim Kläger eine unfallkausale neurologische Schädigung aufgetreten, aufgrund derer bei ihm eine auf Lebensdauer anhaltende dauernde Invalidität im Sinne des AUVB 2006 von zumindest 20 % gegeben ist, die ebenfalls bereits seit Anfang des Jahres 2011 besteht.
Der Kläger brachte in diesem Verfahren mit Schriftsatz vom 20. 4. 2012 ua vor:
„Gemäß § 11 VersVG (und Art 17 AUVB 2006) sind Geldleistungen mit Beendigung der zur Feststellung des Versicherungsfalles und des Umfanges der Leistung des Versicherers nötigen Erhebungen fällig. Das von der Beklagten in Auftrag gegebene unfallchirurgische Gutachten von Dr. Hackl wurde am 21. 8. 2009 und das neurologischpsychiatrische Gutachten von Dr. Stahr am 16. 9. 2009 erstellt. Spätestens am 16. 9. 2009 waren die notwendigen Erhebungen durch die Beklagte also abgeschlossen und die Versicherungsleistung damit fällig. Der Anspruch auf Zinsen besteht daher seit 16. 9. 2009. Aus dem Unfall resultiert eine Invalidität im Ausmaß von zumindest 55 % von 100 %.“
Im Verfahren zu AZ 69 Cg 23/12z des Landesgerichts Innsbruck waren das neurologische Gutachten am 11. 6. 2013 und die schriftliche Ergänzung des unfallchirurgischen Gutachtens am 11. 7. 2013 bei Gericht eingelangt. In der Tagsatzung am 14. 11. 2013 fand eine mündliche Gutachtenserörterung mit beiden Sachverständigen statt.
Bis zur Klagseinbringung in diesem Verfahren hat die Beklagte den Kläger nie auf die in Art 9.1. AUVB 2006 enthaltene Frist von 15 Monaten hingewiesen.
Der Kläger machte gegenüber der Beklagten erstmals mit Schreiben vom 24. 6. 2014 ein auf Art 9 AUVB 2006 gestütztes Rentenbegehren geltend.
Der Kläger begehrte mit der am 11. 7. 2014 beim Erstgericht eingelangten Klage von der Beklagten die Zahlung von 37.036,09 EUR an Renten von Dezember 2007 bis einschließlich Juli 2014 samt 4 % Zinsen seit 1. 8. 2014 sowie ab 1. 8. 2014 eine monatliche Rente von 443,93 EUR, welche künftig jeweils mit 1,5 % pro Jahr zu dynamisieren sei. Er brachte zusammengefasst vor, dass er durch den Unfall eine Invalidität von 55 % erlitten habe. Er habe daher Anspruch auf die im Versicherungsvertrag vereinbarte Rente, deren Fälligkeit am 24. 11. 2011 eingetreten sei. Das Rentenbegehren sei nicht verjährt, weil der Versicherungsfall rechtzeitig gemeldet worden und daher die Verjährung gemäß § 12 Abs 2 VersVG gehemmt gewesen sei. Die schriftliche Ablehnung durch die Beklagte sei erst am 24. 11. 2011 erfolgt. Tatsächlich sei die Verjährungsfrist noch später in Gang gesetzt worden, nämlich mit Einlangen des letzten Gutachtens im Verfahren AZ 69 Cg 23/12z des Landesgerichts Innsbruck am 11. 6. 2013. Darüber hinaus könne die Verjährungsfrist erst zu laufen beginnen, wenn dem Versicherungsnehmer der Schaden in einer Dichte bekannt sei, dass er Klage mit Aussicht auf Erfolg erheben könne. Die Beklagte habe den Kläger nie auf die in Art 9.1. AUVB 2006 normierte Ausschlussfrist von 15 Monaten hingewiesen und diese verkürze in unzulässiger Weise die Verjährungsfrist. Diese Bestimmung sei intransparent, sittenwidrig und gröblich benachteiligend. Der von der Beklagten erhobene Einwand der Verfristung verstoße gegen Treu und Glauben.
Die Beklagte beantragte Abweisung des Klagebegehrens und wandte ein, dass das Rentenbegehren innerhalb von 15 Monaten nach dem Unfalltag hätte geltend gemacht werden müssen. Tatsächlich habe der Kläger die Unfallrente erstmals am 24. 6. 2014 angesprochen, weshalb dieses Begehren verfristet sei. Die Beklagte sei nicht verpflichtet gewesen, den Kläger auf die 15‑Monats‑Frist hinzuweisen, sei dieser doch seit Einleitung des Verfahrens zu AZ 69 Cg 23/12z des Landesgerichts Innsbruck qualifiziert vertreten gewesen. Die Ausschlussfrist des Art 9.1. AUVB 2006 sei weder intransparent noch sittenwidrig. Die Rentenansprüche des Klägers seien auch verjährt, habe dieser doch im Verfahren AZ 69 Cg 23/12z des Landesgerichts Innsbruck selbst vorgebracht, dass die Erhebungen der Beklagten bereits mit 16. 9. 2009 abgeschlossen gewesen seien und bereits damals eine Invalidität von 55 % vorgelegen sei. Die Rentenansprüche hätte der Kläger bereits ab diesem Zeitpunkt geltend machen können. Der Kläger habe sich auch dem Abrechnungsschreiben vom 26. 11. 2009 gefügt und die dort angekündigte Zahlung in Empfang genommen. Nach Art 9.1. AUVB 2006 müsse der Kläger beweisen, dass sich die für die Unfallinvaliditätsrente erforderliche Invalidität von mindestens 50 % binnen Jahresfrist ergeben habe. Innerhalb eines Jahres sei aber beim Kläger nur eine Invalidität von 30 % vorgelegen. Die Höhe der begehrten Rentenzahlung sei nicht nachvollziehbar.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren ‑ auf der Grundlage des eingangs zusammengefassten Sachverhalts ‑ ab. Es führte rechtlich aus, dass die Rentenansprüche des Klägers nach Art 9.1. AUVB 2006 verfristet seien, weil dieser seine Ansprüche nicht innerhalb der rechtlich unbedenklichen Frist von 15 Monaten geltend gemacht habe. Dass sich die Beklagte auf diese Ausschlussfrist berufe, verstoße nicht gegen Treu und Glauben. Eine Pflicht der Beklagten zum Hinweis auf diese Frist habe nicht bestanden, sei dem Kläger doch der gleichlautende Art 7.1. AUVB 2006 bekannt gewesen, zumal er von dieser Bestimmung erfasste Ansprüche fristgerecht erhoben habe.
Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers dahin Folge, dass es das Urteil des Erstgerichts aufhob und diesem die neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung auftrug. Es vertrat die Rechtsansicht, dass nach Art 9 AUVB 2006 ein auf eine mindestens 50%ige Invalidität gestütztes Rentenbegehren grundsätzlich und bei sonstigem Ausschluss innerhalb von 15 Monaten ab dem Unfalltag geltend zu machen sei. Diese Ausschlussfrist sei bei erstmaliger Geltendmachung am 24. 6. 2014 bereits abgelaufen gewesen.
Art 9.2. AUVB 2006 sehe allerdings vor, dass binnen vier Jahren eine Neubemessung beantragt werden könne, wenn der Grad der dauernden Invalidität nicht eindeutig feststehe. Diese Klausel knüpfe die Neubemessung an dieselben Voraussetzungen wie Art 7.4. AUVB 2006, ohne auf die Grenze von 50 % abzustellen. Anders als Art 7.4. AUVB 2006 lege Art 9.2. AUVB 2006 weiters fest, dass im Fall einer Neubemessung ein Anspruch auf Rentenleistung (neu) entstehe, wenn die endgültige Bemessung einen Invaliditätsgrad von mindestens 50 % ergebe. Diese Formulierungen seien insofern unklar, als für den durchschnittlichen Versicherungsnehmer nicht ersichtlich sei, dass er bereits „auf gut Glück“ das Vorliegen einer dauernden Invalidität von mindestens 50 % innerhalb der 15‑Monat‑Frist behaupten müsse, wenn er dafür noch keine Anhaltspunkte habe. Art 9.2. AUVB 2006 könne so verstanden werden, dass es im Fall der Neubemessung für die Wahrung des Rentenanspruchs genügt, wenn innerhalb der 15‑Monat‑Frist zumindest die dauernde Invalidität nach Art 7.1. AUVB 2006 allgemein und ohne Abstellen auf einen bestimmten Grad geltend gemacht worden sei und im Fall, dass sich dann eine mindestens 50%ige Invalidität ergebe, der Rentenanspruch neu entstehe. Dies stehe zwar im Widerspruch zu Art 9.1. AUVB 2006, doch gehe diese Unklarheit zu Lasten der Beklagten, sodass sich diese nicht erfolgreich auf das Versäumen der 15‑Monat‑Frist berufen könne.
Die Ansprüche des Klägers seien auch nicht verjährt, weil die Erhebungen zur Neubemessung für den Kläger erkennbar frühestens am 24. 11. 2011 abgeschlossen gewesen seien und die Klage am 11. 7. 2014 eingebracht worden sei. Entgegen der Rechtsansicht der Beklagten ändere daran das Vorbringen des Klägers vom 20. 4. 2012 im Verfahren zu AZ 69 Cg 23/12z des Landesgerichts Innsbruck nichts, weil es dort um den möglichst früh anzusetzenden Beginn des Zinsenlaufes im Vorverfahren gegangen sei.
Allerdings erweise sich die Rechtssache als noch nicht entscheidungsreif. Es stehe nämlich in diesem Verfahren noch nicht fest, ob beim Kläger tatsächlich eine Invalidität von mindestens 50 % gegeben sei. Die vom Erstgericht wiedergegebenen Feststellungen des Vorprozesses bewirkten keine Bindung für das vorliegende Verfahren. Als weitere Voraussetzung müsse nach Art 9.1. AUVB 2006 geprüft werden, ob sich die im Vorverfahren zu Tage getretene Invalidität von 55 % bereits im ersten Jahr nach dem Unfall „ergeben“ habe, dh ob sie innerhalb eines Jahres nach dem Unfall objektiv vorhanden gewesen sei, möge sie auch noch nicht bekannt geworden sein. Der von der Beklagten eingewandten Unschlüssigkeit des Rentenbegehrens der Höhe nach sei, weil vorerst Rechtsfragen zum Gegenstand des Verfahrens gemacht worden seien, ebenfalls nicht nachgegangen worden.
Das Berufungsgericht sprach aus, dass der Rekurs an den Obersten Gerichtshof zulässig sei. Zu Art 9 AUVB 2006 (Unfall‑Invaliditäts‑Rente) oder vergleichbaren Klauseln existiere ‑ soweit überblickbar ‑ keine höchst-gerichtliche Judikatur, insbesondere auch nicht zur Bedeutung der dortigen Ausschlussfristen in Zusammenhang mit einer späteren Neubemessung nach Art 7 AUVB 2006.
Gegen diese Entscheidung des Berufungsgerichts richten sich die Rekurse beider Parteien. Der Kläger stellte einen Aufhebungsantrag zum Zweck der neuerlichen Entscheidung des Berufungsgerichts und begehrt hilfsweise die Entscheidung in der Sache (gemeint offenbar: im Sinn der Klagsstattgebung). Die Beklagte stellte einen Abänderungsantrag im Sinn der Wiederherstellung der erstinstanzlichen Klagsabweisung und hilfsweise einen Aufhebungsantrag.
Beide Parteien erstatteten Rekurs-beantwortungen. Der Kläger beantragte in dieser, den Rekurs der Beklagten zurückzuweisen, hilfsweise ihm keine Folge zu geben. Die Beklagte beantragte, dem Rekurs des Klägers keine Folge zu geben.
Der Kläger macht in seinem Rekurs ‑ zusammengefasst ‑ geltend, dass die Vorinstanzen an den bereits im Vorprozess (AZ 69 Cg 23/12z des Landesgerichts Innsbruck) rechtskräftig mit 55 % ermittelten Invaliditätsgrad gebunden seien, weshalb eine neuerliche selbstständige Beurteilung nicht in Frage komme. Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts komme es auch nicht darauf an, dass die Invalidität von mindestens 50 % bereits innerhalb eines Jahres ab dem Unfalltag eingetreten sei. Vielmehr genüge bei Unsicherheit über diesen Invaliditätsgrad dessen Ermittlung im Rahmen einer Neubemessung binnen vier Jahren. Das Rentenbegehren des Klägers sei daher berechtigt.
Die Beklagte macht in ihrem Rekurs ‑ zusammengefasst ‑ geltend, der Kläger habe gar nicht behauptet, dass bei ihm innerhalb eines Jahres ab dem Unfall eine Invalidität von mindestens 50 % vorgelegen habe. Der Kläger habe innerhalb von 15 Monaten nach dem Unfall kein Begehren auf Leistung einer Unfallrente gestellt und die Berufung der Beklagten auf diese Ausschlussfrist sei auch nicht treuwidrig. Schließlich habe der Kläger innerhalb von vier Jahren nach dem Unfall keinen Antrag auf Neubemessung gestellt und es habe sich innerhalb dieses Zeitraums auch keine unfallkausale Invalidität des Klägers von mindestens 50 % ergeben. Das Rentenbegehren des Klägers sei daher unberechtigt.
Rechtliche Beurteilung
Beide Rekurse sind zur Klarstellung der Rechtslage zulässig, im Ergebnis aber nicht berechtigt.
Der Senat hat Folgendes erwogen:
1. Allgemeine Versicherungsbedingungen sind nach Vertragsauslegungsgrundsätzen auszulegen. Die Auslegung hat sich daher am Maßstab des durchschnittlich verständigen Versicherungsnehmers zu orientieren. Ihre Klauseln sind, wenn sie nicht auch Gegenstand und Ergebnis von Vertragsverhandlungen waren, objektiv unter Beschränkung auf den Wortlaut auszulegen (RIS‑Justiz RS0008901; RS0050063). Zu berücksichtigen wäre allerdings in allen Fällen der einem objektiven Betrachter erkennbare Zweck einer Bestimmung der allgemeinen Geschäftsbedingungen (RIS‑Justiz RS0017960; RS0112256).
2.1. Ein Anspruch auf Leistung einer „Unfall-Invaliditäts‑Rente“ (fortan nur mehr: Invaliditätsrente) infolge dauernder Invalidität gebührt nach Art 9.1. AUVB 2006 dann, wenn „sich innerhalb eines Jahres vom Unfalltag an gerechnet (ergibt), dass als Folge des Unfalles eine dauernde Invalidität mit einem Invaliditätsgrad von mindestens 50 % zurückbleibt“.
2.2. Ein Leistungsanspruch ist gegebenenfalls „ innerhalb von 15 Monaten vom Unfalltag an geltend zu machen und unter Vorlage eines ärztlichen Befundes zu begründen “. Es handelt sich dabei um eine Ausschlussfrist; wird sie versäumt, so erlischt der Anspruch (RIS‑Justiz RS0082292). Zweck der Bestimmung ist es, zweifelhafte Spätschäden vom Versicherungsschutz auszunehmen (RIS‑Justiz RS0082216). Innerhalb der 15‑Monat‑Frist hat der Versicherungsnehmer den Anspruch auf Leistung für dauernde Invalidität nicht nur geltend zu machen, sondern auch „unter Vorlage eines ärztlichen Befundberichtes“ zu begründen. Unter einem solchen Bericht ist zu verstehen, dass dem Versicherer die ärztlich begründete Wahrscheinlichkeit einer dauernden Invalidität mitgeteilt wird (RIS‑Justiz RS0106013).
3. Die Beklagte will aus Art 9.1. AUVB 2006 ableiten, dass eine Invaliditätsrente ganz generell und offenbar auch dann, wenn der Invaliditätsgrad nicht eindeutig feststeht, nur zustehe, wenn sich ein solcher von mindestens 50 % innerhalb eines Jahres vom Unfalltag an ergibt und der Versicherungsnehmer den Leistungsanspruch innerhalb von 15 Monaten vom Unfalltag an geltend macht. Dieser Ansicht ist allerdings nicht zu folgen, weil der Regelungszusammenhang von Art 9.1. und 9.2. AUVB 2006 eine Differenzierung nach der eindeutigen Feststellbarkeit des Invaliditätsgrades erfordert. Art 9.1. AUVB 2006 bezieht sich erklärtermaßen auf jene Fälle, in denen bereits innerhalb eines Jahres vom Unfalltag an ‑ eindeutig feststellbar ‑ eine dauernde Invalidität von mindestens 50 % vorliegt und damit steht dann in zeitlichem Konnex die 15‑Monat‑Frist zur Geltendmachung des Leistungsanspruchs. Art 9.2. AUVB 2006 betrifft demgegenüber nach seinem insofern völlig klar überschriebenen Anwendungsbereich jene Fälle, in denen der Invaliditätsgrad von mindestens 50 % ‑ im Unterschied zu den von Art 9.1. angesprochenen Konstellationen ‑ gerade nicht eindeutig feststeht und sieht für diese die 15‑Monat‑Frist zur Geltendmachung des Leistungsanspruchs nicht vor. Liegt nämlich innerhalb eines Jahres vom Unfalltag an zwar eine unfallkausale Invalidität vor, steht deren Grad aber nicht eindeutig fest und erreichte diese zunächst nicht mindestens 50 %, so besteht (noch) kein Anspruch auf eine Invaliditätsrente. Es macht dann ‑ bei einem Regelungsverständnis am Maßstab des durchschnittlich verständigen Versicherungsnehmers ‑ auch keinen Sinn, diesen (vorsorglich) zur Geltendmachung eines künftig allenfalls möglichen Anspruchs auf eine Invaliditätsrente zu verpflichten. Es reicht in solchen Fällen zur Wahrung der Möglichkeit einer Neubemessung iSd Art 9.2. AUVB 2006 jedenfalls aus, wenn der Versicherungsnehmer ‑ wie hier der Kläger ‑ seine bereits bestehende unfallkausale Invalidität binnen Jahresfrist ‑ hier kurz nach dem Unfall ‑ geltend macht, die Beklagte dem durch Beauftragung von Gutachten Rechnung trägt, mit denen der (unter 50 % gelegene) Invaliditätsgrad bemessen wird, und dann darüber zwischen den Parteien Einigkeit besteht. In diesem Sinn hat der Senat bereits in 7 Ob 153/12v (VersE 2441) ausgesprochen, die Neubemessung der Invalidität innerhalb der vereinbarten Frist setze voraus, dass die dauernde Invalidität bereits grundsätzlich feststand (vgl dazu auch 7 Ob 63/07a; 7 Ob 185/07t mwN; RIS‑Justiz RS0122859), ärztlich bemessen wurde und der Versicherer dazu eine entsprechende Erklärung abgegeben hat. All diese Voraussetzungen sind hier erfüllt, womit dem Kläger die Möglichkeit offen stand, die Neubemessung nach Art 9.2. AUVB 2006 zu begehren. Kommt es dann zu einer solchen Neubemessung, ist der Invaliditätsgrad zur Zeit der Neufeststellung maßgebend, die bis maximal zum Ablauf der dafür vereinbarten Frist erfolgen kann (vgl 7 Ob 153/12v VersE 2441).
4. Die Beklagte wendet ein, der Kläger habe tatsächlich keinen Antrag auf Neubemessung iSd Art 9.2. AUVB 2006 gestellt. Dieser Einwand ist unberechtigt. Nach den Feststellungen des Erstgerichts hat die Beklagte wegen der im unfallchirurgischen Vorgutachten „in Aussicht gestellten Erforderlichkeit einer Neubemessung“ im September 2011 „auf Wunsch des Klägers neuerlich ein Privatgutachten (…) in Auftrag gegeben“. Daraus folgt mit ausreichender Klarheit, dass der Kläger eine Neubemessung verlangt hat, ist doch ein solches Begehren an keine bestimmte Form gebunden (vgl dazu auch Kloth, Private Unfallversicherung² [2014] Rz 222 f [zu Art 9.4. AUB 2010]). Dieses Begehren des Klägers erfolgte auch fristgerecht innerhalb von vier Jahren ab dem Unfalltag.
5. Das im Rahmen der Neubemessung eingeholte unfallchirurgische Gutachten vom 20. 9. 2011 ergab eine unfallkausale Invalidität des Klägers im Ausmaß von (insgesamt) 35 %. Will sich in einem solchen Fall der Versicherungsnehmer mit dem Ergebnis der Neubemessung nicht zufrieden geben, dann steht ihm die Möglichkeit offen, innerhalb der Verjährungsfrist des § 12 VersVG Klage zu erheben (7 Ob 221/12v VersE 2454). Dies ist mit den vom Kläger erhobenen Klagen geschehen. Dass bereits Verjährung eingetreten sei, hat bereits das Berufungsgericht zutreffend verneint und Gegenteiliges macht auch die Beklagte in ihrem Rechtsmittel nicht mehr geltend.
6. Der Kläger vertritt die Ansicht, für die Beurteilung seines Anspruchs auf Leistung einer Invaliditätsrente sei der im Verfahren zu AZ 69 Cg 23/12z des Landesgerichts Innsbruck ermittelte Invaliditätsgrad von 55 % maßgeblich und auch hier bindend. Die Beklagte und das Berufungsgericht gingen demgegenüber vom Fehlen einer Bindungswirkung aus. Es trifft nun durchaus zu, dass sich die materielle Rechtskraft einer Entscheidung auf die Entscheidungsgründe und somit auf die Tatsachenfeststellungen nur soweit erstreckt, als diese zur Individualisierung des Spruchs der Entscheidung notwendig und damit entscheidungswesentlich sind (vgl RIS‑Justiz RS0112731; RS0041357), während die (sonstigen) Tatsachenfeststellungen, die das Gericht als zur Gewinnung des für die Subsumption erforderlichen Tatbestands benötigt, nicht in Rechtskraft erwachsen (RIS‑Justiz RS0041342 [T4]). Auf diese Bindungswirkung im streng prozessualen Sinn kommt es im vorliegenden Fall aber nicht an. Der Kläger hat mit seiner Klage im Verfahren zu AZ 69 Cg 23/12z des Landesgerichts Innsbruck das Ergebnis des Neubemessungsverfahrens bekämpft. Die in diesem Verfahren erfolgte Ermittlung des Invaliditätsgrades von 55 % ist daher nicht allein eine Tatsachenfeststellung als Grundlage für die Beurteilung des dort erhobenen Anspruchs, sondern zugleich auch (letzter) Teil des Neubemessungsverfahrens und unter diesem Gesichtspunkt die „endgültige Bemessung“ des Invaliditätsgrades iSd Art 9.2. AUVB 2006. Daher äußert der zu AZ 69 Cg 23/12z des Landesgerichts Innsbruck ermittelte Invaliditätsgrad von 55 % zwar nicht im strengen prozessualen Sinn Bindungswirkung, hat aber gleichsam Tatbestandswirkung als endgültige Bemessung des Invaliditätsgrades iSd Art 9.2. AUVB 2006 und ist deshalb bindende Grundlage auch im vorliegenden Verfahren, sodass aus dieser rechtlichen Erwägung der vom Berufungsgericht erkannte Bedarf nach einer Verfahrensergänzung nicht besteht.
7. Der vom Kläger geltend gemachte Anspruch auf Invaliditätsrente ist ausgehend vom Invaliditätsgrad von 55 % noch der Höhe nach klärungsbedürftig, insbesondere als das Erstgericht wegen abweichender Rechtsansicht für die Frage der Dynamisierung der Rentenbeträge und die Kapitalisierung der Zinsen keine Tatsachengrundlage geschaffen hat. Dies wird im fortgesetzten Verfahren nachzuholen sein.
8. Zusammengefasst folgt:
8.1. Liegt beim Versicherungsnehmer innerhalb eines Jahres vom Unfalltag an zwar eine unfallkausale Invalidität vor, steht deren Grad aber nicht eindeutig fest und erreicht dieser zunächst nicht mindestens 50 %, so hängt ein erst durch die Neubemessung gemäß Art 9.2. AUVB 2006 entstehender Rentenanspruch nicht von den Voraussetzungen des Art 9.1. AUVB 2006 ab.
8.2. Das Begehren nach Neubemessung iSd Art 9.2. AUVB 2006 ist an keine bestimmte Form gebunden.
8.3. Kommt es zu einer Neubemessung iSd Art 9.2. AUVB 2006, ist der Invaliditätsgrad zur Zeit der Neufeststellung maßgebend.
8.4. Will sich der Versicherungsnehmer im Fall der Neubemessung mit dem außergerichtlich erzielten Ergebnis nicht zufrieden geben, dann steht ihm die Möglichkeit offen, innerhalb der Verjährungsfrist des § 12 VersVG Klage zu erheben. Der in einem solchen Streitverfahren ermittelte Invaliditätsgrad ist dann nicht nur Tatsachenfeststellung, sondern auch letzter Teil des Neubemessungsverfahrens, unter diesem Gesichtspunkt die „endgültige Bemessung“ des Invaliditätsgrades iSd Art 9.2. AUVB 2006 und insoweit für weitere Leistungsbegehren bindend.
8.5. Im fortzusetzenden Verfahren wird das Erstgericht das Rentenbegehren noch der Höhe nach zu klären haben.
8.6. Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 ZPO.
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)