OGH 17Os33/15d

OGH17Os33/15d7.3.2016

Der Oberste Gerichtshof hat am 7. März 2016 durch den Präsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Ratz als Vorsitzenden, die Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Prof. Dr. Danek und Hon.‑Prof. Dr. Kirchbacher sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Nordmeyer und Dr. Oberressl in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Schönmann als Schriftführer in der Strafsache gegen Bernhard F***** und andere Beschuldigte wegen des Verbrechens des Missbrauchs der Amtsgewalt nach § 302 Abs 1 StGB und einer weiteren strafbaren Handlung, AZ 502 St 11/14w der Staatsanwaltschaft Wien, über die von der Generalprokuratur gegen eine Entscheidung der Staatsanwaltschaft ergriffene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Mag. Leitner, sowie der Verteidiger Mag. Kolda und Dr. Löw zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2016:0170OS00033.15D.0307.000

 

Spruch:

 

In der Strafsache gegen Bernhard F***** und andere Beschuldigte wegen des Verbrechens des Missbrauchs der Amtsgewalt nach § 302 Abs 1 StGB und einer weiteren strafbaren Handlung, AZ 502 St 11/14w der Staatsanwaltschaft Wien, verletzt die Entscheidung der Staatsanwaltschaft über die Beendigung des Ermittlungsverfahrens § 302 Abs 1 StGB und § 190 Z 1 StPO.

 

Gründe:

Auf Grund einer Anzeige der A***** vom 1. und 2. Juli 2013 (ON 2b und 3) wurde zum AZ 502 St 11/14w (ursprünglich 26 St 231/13x) der Staatsanwaltschaft Wien ein Ermittlungsverfahren gegen Bernhard F*****, Angela L***** und Christoph B***** wegen des Verdachts geführt, diese hätten als Mitglieder einer Unterkommission der Wahlkommission (vgl § 39 Abs 6 des im maßgeblichen Zeitraum noch in Geltung stehenden Hochschülerinnen- und Hochschülerschaftsgesetz [kurz: HSG] 1998), nämlich Bernhard F***** als deren Vorsitzender sowie Angela L***** und Christoph B***** jeweils als Beisitzer, das Ergebnis der vom 14. bis 16. Mai 2013 durchgeführten Hochschülerinnen- und Hochschülerschaftswahlen (kurz: ÖH‑Wahlen) zum Nachteil der Anzeigerin gefälscht.

Am 4. Juli 2014 stellte die Staatsanwaltschaft das Ermittlungsverfahren gemäß § 190 Z 1 StPO ein. ÖH‑Wahlen seien nämlich keine vom 18. Abschnitt des StGB geschützten Wahlen. Da dem Gesetzgeber nicht unterstellt werden dürfe, dass er „ÖH‑Wahlen strenger bestrafen möchte, als Wahlen zu allgemeinen Vertretungskörpern“, sei aber „selbst unter Bejahung aller Tatbestandselemente des § 302 Abs 1 StGB die entsprechende Bestimmung teleologisch zugunsten der Beschuldigten zu reduzieren“, weshalb die dem Ermittlungsverfahren zugrunde liegende Tat insgesamt nicht mit gerichtlicher Strafe bedroht sei.

Die Generalprokuratur führt in ihrer vom Rechtsschutzbeauftragten angeregten, zur Wahrung des Gesetzes erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde (§ 23 Abs 1a StPO) Nachstehendes aus:

Nach Ansicht der Generalprokuratur steht die der Beendigung des Ermittlungsverfahrens zugrunde liegende Begründung bzw die daraus ersichtliche Rechtsansicht der Staatsanwaltschaft Wien, wonach bei vorsätzlicher Fälschung von Wahlen zur ÖH durch Mitglieder einer Wahlkommission wegen Unanwendbarkeit der Bestimmungen der §§ 261 ff StGB (= 18. Abschnitt des Besonderen Teiles des Strafgesetzbuches, „Strafbare Handlungen bei Wahlen und Volksabstimmungen“) selbst bei Bejahung aller Tatbestandselemente des § 302 Abs 1 StGB auch eine Bestrafung wegen Amtsmissbrauches nicht in Betracht käme, mit dem Gesetz nicht in Einklang:

Unter den (funktional auszulegenden [RIS‑Justiz RS0092043]) Beamtenbegriff des Strafgesetzbuches fällt jeder, der bestellt ist, im Namen des Bundes, eines Landes, eines Gemeindeverbandes, einer Gemeinde oder einer anderen Person des öffentlichen Rechts ‑ ausgenommen einer Kirche oder Religionsgemeinschaft ‑ als deren Organ allein oder gemeinsam mit einem anderen Rechtshandlungen vorzunehmen, oder sonst mit Aufgaben der Bundes, Landes, oder Gemeindeverwaltung betraut ist (§ 74 Abs 1 Z 4 StGB).

Die ÖH und die Hochschülerschaften an den Universitäten sind Körperschaften öffentlichen Rechts und verwalten ihre Angelegenheiten im Rahmen des HSG selbst (§ 2 Abs 1 HSG 1998, nunmehr § 3 Abs 1 HSG 2014). Zu ihren Organen gehören auch die Wahlkommissionen (§ 6 Abs 1 Z 2 und § 12 Abs 1 Z 3 HSG 1998; vgl §§ 8 Abs 1 Z 2 und 15 Abs 1 Z 6 HSG 2014). Diesen Kommissionen (nicht nur deren Vorsitzenden oder deren Stellvertretern) obliegt die Durchführung der Wahl, die Kontrolle des Wahlvorganges und die Feststellung des Wahlergebnisses (§ 39 Abs 1 und Abs 6 HSG 1998; nunmehr § 51 Abs 1 HSG 2014), sodass allen ihren Mitgliedern bzw den Mitgliedern einer Unterkommission derselben (§ 39 Abs 6 HSG 1998; § 51 Abs 1 HSG 2014) funktional Beamtenstellung zukommt (vgl 13 Os 174/81; Bachner‑Foregger in WK² StGB § 266 Rz 7; Jerabek in WK² StGB § 74 Rz 4 und 7).

Da die Verfälschung des Ergebnisses einer nach dem HSG durchgeführten Wahl geeignet ist, andere an ihren Rechten (die ÖH bzw die betroffenen wahlwerbenden Gruppen in ihrem Recht auf ordnungsgemäße Durchführung der Wahl und die betroffenen Wahlberechtigten in ihrem Wahlrecht) zu schädigen (11 Os 145/85), und zur Umsetzung der in § 39 Abs 1 und Abs 6 HSG 1998 bzw § 51 Abs 1 HSG 2014 angeführten Aufgaben gesetzte Handlungen Amtsgeschäfte darstellen (RIS-Justiz RS0095963), verantwortet ein Mitglied einer Wahlkommission bzw einer Unterkommission nach dem HSG, das die ihm eingeräumten Befugnisse dazu missbraucht, das Ergebnis einer Wahl nach dem HSG zu manipulieren ‑ entsprechenden Vorsatz vorausgesetzt ‑ das Verbrechen des Missbrauchs der Amtsgewalt nach § 302 Abs 1 StGB.

Dabei geht § 302 Abs 1 StGB als speziell für Beamte erlassene Vorschrift dem mit einer milderen Strafe bedrohten (allenfalls konkurrierenden) und keinen zusätzlichen Unwert aufweisenden Tatbestand der Fälschung bei einer Wahl oder Volksabstimmung nach § 266 StGB vor (RIS‑Justiz RS0095686; Marek/Jerabek, Korruption und Amtsmisssbrauch7 § 302 Rz 64; Bachner‑Foregger in WK² § 266 StGB Rz 7). Derartige Handlungsweisen eines Beamten erfüllen bei den im 18. Abschnitt genannten besonders geschützten Wahlen zwar in der Regel in Tateinheit sowohl das Verbrechen des Amtsmissbrauches nach § 302 Abs 1 StGB als auch das Vergehen nach § 266 Abs 2 StGB, allerdings verdrängt das speziell für Beamte erlassene Sonderdelikt (§ 302 StGB) das allgemeine Delikt (§ 266 Abs 2 StGB), weil alle Merkmale des allgemeinen Delikts bei Begehung des Sonderdelikts (mit)verwirklicht werden und das allgemeine Delikt in seiner Gesamtauswirkung nicht mit strengerer Strafe bedroht ist (vgl Ratz in WK² StGB Vor §§ 28, 31 Rz 30 und 54).

Kommt eine Strafbarkeit nach § 266 Abs 2 StGB bei einer Fälschung eines Ergebnisses von nicht besonders geschützten Wahlen ‑ wie etwa im vorliegenden Fall von Wahlen für Organe der ÖH (Bachner‑Foregger in WK² StGB § 261 Rz 9) ‑ von vorneherein nicht in Betracht, so bleibt die Tatbegehung durch einen Beamten in diesem Rahmen aber deshalb keineswegs generell straflos; vielmehr ist hier auch immer noch in Richtung eines Amtsdeliktes zu prüfen (Bachner‑Foregger in WK² StGB § 266 Rz 8), weil die Anführung oder Nichtanführung des Wahlvorganges in § 261 StGB nicht Tatbestandsvoraussetzung (etwa) des Verbrechens des Amtsmissbrauches ist.

 

Rechtliche Beurteilung

Der Oberste Gerichtshof hat erwogen:

Gegenstand zulässiger Anfechtung mit Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes sind grundsätzlich gesetzwidrige Urteile, Beschlüsse oder (sonstige strafgerichtliche) Vorgänge (§ 23 Abs 1 StPO); unter Letzteren ist auch die in einer Entscheidungsbegründung geäußerte Rechtsmeinung zu verstehen. Darüber hinaus hat die Generalprokuratur nach § 23 Abs 1a StPO die Befugnis, auf Anregung des Rechtsschutzbeauftragten einzelne Tätigkeiten von Kriminalpolizei und Staatsanwaltschaft zu bekämpfen. Soweit hier von Bedeutung, bildet (nach dem Gesetzeswortlaut bloß) die Entscheidung der Staatsanwaltschaft über die Beendigung des Ermittlungsverfahrens selbst den Anfechtungsgegenstand. Dass die Generalprokuratur ihrerseits den Bezugspunkt ihrer Nichtigkeitsbeschwerde als gesetzwidrig einstuft, ist keine Voraussetzung deren Zulässigkeit (zum Ganzen Ratz , WK‑StPO § 292 Rz 1 bis 3 und 18/1 f).

Zutreffend zeigt die Generalprokuratur auf, dass die Fälschung des Ergebnisses einer Wahl durch Mitglieder der Wahlkommission bei ÖH‑Wahlen den Tatbestand des § 302 Abs 1 StGB erfüllen kann, ohne dass es ‑ wie die Staatsanwaltschaft vermeint ‑ auf (zusätzliche) Strafbarkeit nach § 266 Abs 2 StGB ankommt. Warum das Zusammentreffen mehrerer strafbarer Handlungen zur Begründung einer einzigen nötig sein soll, bleibt unerfindlich. Den Materialien zum StGB ist vielmehr zu entnehmen, dass für bestimmte (nicht in § 261 Abs 1 StGB genannte) Wahlen, „kein Strafbedürfnis“ (nach dem 18. Abschnitt) bestehe, „dem nicht schon durch sonstige strafgesetzliche Bestimmungen Rechnung getragen wäre“ (30 BlgNR 13. GP , 403). Dem (besonderen) Unwertgehalt einer im Zusammenhang mit Wahlen begangenen Verletzung der Amtspflicht trägt daher Strafbarkeit nach dem 22. Abschnitt Rechnung (treffend Bachner-Foregger in WK 2 StGB § 266 Rz 8). Die Annahme einer Ausnahmelücke erschöpft sich daher in einer Rechtsbehauptung ohne methodengerechte Ableitung aus dem Gesetz.

Auf Basis dieser verfehlten Rechtsansicht hat die Staatsanwaltschaft eine weitere Klärung des Sachverhalts unterlassen. Die auf § 190 Z 1 StPO gestützte Entscheidung über die Beendigung des Ermittlungsverfahrens ist daher mit Gesetzwidrigkeit belastet (vgl Ratz , WK‑StPO § 292 Rz 6 f und Rz 18/10; Nordmeyer , WK-StPO § 195 Rz 15 f und § 196 Rz 23).

Die Feststellung der Gesetzwidrigkeit bleibt aufgrund des im letzten Satz des § 292 StPO zum Ausdruck kommenden Verschlechterungsverbots ohne Wirkung (näher dazu Ratz , WK‑StPO § 292 Rz 18/11).

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