OGH 10Ob101/15y

OGH10Ob101/15y22.2.2016

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Fellinger als Vorsitzendendie Hofräte Univ.‑Prof. Dr. Neumayr und Dr. Schramm, die Hofrätin Dr. Fichtenau sowie den Hofrat Mag. Ziegelbauer als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei M*****, vertreten durch MMag. Dr. Susanne Freyer, Rechtsanwältin in Wien, gegen die beklagten Parteien 1. J*****, vertreten durch Rosecker & Killer Rechtsanwaltspartnerschaft in Wiener Neustadt, 2. R*****, 3. M*****, 4. A*****, 5. S*****, 6. S*****, 7. K*****, 8. G*****, 9. A*****, 10. R*****, die dritt- bis zehntbeklagten Parteien vertreten durch Dr. Johannes Hübner und Dr. Gerhard Steiner, Rechtsanwälte in Wien, 11. I*****, 12. Z*****, beide vertreten durch Dr. Karl Mayer, Rechtsanwalt in Baden, wegen Feststellung, Beseitigung und Einverleibung (Gesamtstreitwert 8.400 EUR), über die Revision der dritt-, der viert‑ und der acht‑ bis zehntbeklagten Parteien gegen das Urteil des Landesgerichts Wiener Neustadt als Berufungsgericht vom 6. Mai 2015, GZ 18 R 217/14m‑49, womit infolge Berufungen der dritt‑ bis zwölftbeklagten Parteien das Urteil des Bezirksgerichts Baden vom 30. September 2014, GZ 15 C 1307/13d‑44, teilweise abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2016:0100OB00101.15Y.0222.000

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die dritt‑, die viert‑ und die acht- bis zehntbeklagten Parteien sind zur ungeteilten Hand schuldig, der klagenden Partei die mit 930 EUR (davon 155 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Begründung:

Entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Ausspruch des Berufungsgerichts (§ 508a Abs 1 ZPO) ist die nachträglich (§ 508 ZPO) zugelassene ordentliche Revision mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO nicht zulässig. Die Zurückweisung einer ordentlichen Revision wegen Fehlens einer erheblichen Rechtsfrage (§ 502 Abs 1 ZPO) kann sich auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken (§ 510 Abs 3 ZPO).

Die Klägerin ist Alleineigentümerin einer Liegenschaft in T*****Die Beklagten sind/waren jeweils grundbücherliche Mit‑ und Wohnungseigentümer der unmittelbar angrenzenden Nachbarliegenschaft. Die Gebäude auf den Grundstücken der Parteien sind derart angeordnet, dass sich im Bereich der gemeinsamen Grundstücksgrenze die beiden Einfahrtsbereiche mit Park‑ und Haltemöglichkeiten zu den jeweiligen Grundstücken befinden.

Mit Bescheid vom 5. 5. 1976 erteilte der Bürgermeister der Marktgemeinde T***** den Rechtsvorgängern der Klägerin, Dr. H***** und M***** F*****, unter anderem die Baubewilligung zum Zubau einer Garage und von drei überdachten Einstellplätzen. Die Genehmigung enthält keine Hinweise zur Benützung des erwähnten Grundstücks der Beklagten. Dr. H***** F***** ließ die drei Garagenboxen längs zur *****Straße verlaufend an das Wohnhaus mit Ausfahrt in Richtung des Grundstücks der Beklagten errichten. Die beiden Liegenschaften der Parteien waren damals und auch in weiterer Folge bis zum 13. 6. 2010 im Bereich der gemeinsamen Grundstücksgrenze baulich nicht voneinander abgegrenzt. Es gab damals auch noch keine Tore, welche die Liegenschaften von der *****Straße trennten. Die Zufahrt zu den beiden Grundstücken erfolgte über die Liegenschaft der Beklagten. Nach Errichtung der Garagenboxen wurden diese auch von der Familie F***** bis 1983 benutzt. Auf welcher rechtlichen Grundlage diese Nutzung erfolgte, konnte nicht festgestellt werden. Es konnte insbesondere nicht festgestellt werden, dass Dr. F***** diese im Rahmen einer Servitut und nicht etwa im Rahmen einer bloß prekaristischen Gestattung nutzte. Die Benützung erfolgte durch PKWs. Eine Benützung der Beklagtenliegenschaft durch andere Fahrzeuge, insbesondere LKW und Baumaschinen, im Auftrag der damaligen Eigentümer der Liegenschaft der Klägerin konnte für den Zeitraum vor dem Kauf der Liegenschaft durch die Mutter der Klägerin nicht festgestellt werden.

Von 1983 bis Frühsommer 1984 stand das Haus der Ehegatten F***** leer. In der Folge kaufte die Mutter der Klägerin die Liegenschaft und zog im Sommer 1984 in das Haus ein. Bis dahin war Dr. F***** zumindest einmal pro Woche vorbeigekommen, um auf seiner Liegenschaft nach dem Rechten zu sehen. Dabei hatte er, wie schon zuvor, die Zufahrt über die Liegenschaft der Beklagten benutzt, um sein Fahrzeug im Bereich der Stellplätze abzustellen. Im Zuge des Kaufs der Liegenschaft wurden der Mutter der Klägerin von Dr. F***** das Haus und die Garagen gezeigt und er erklärte dabei, die Garagen sollten auch benutzt werden, weil im Einfahrtsbereich keine Fahrzeuge stehen dürfen, damit eine Zufahrtsmöglichkeit für Feuerwehr und Rettung bestehe. Es wurde damals nicht besprochen, dass die Zufahrt zum Grundstück über die Nachbarliegenschaft erfolge bzw es eine entsprechende Dienstbarkeit gebe. Auch im Kaufvertrag zwischen Dr. F***** und der Mutter der Klägerin findet sich darüber keine Bemerkung. Die Einfahrt zum Grundstück der Beklagten war damals bereits befestigt und asphaltiert. Auf der Liegenschaft der Klägerin gab es weiterhin keine direkte Einfahrtsmöglichkeit; in diesem Bereich befand sich eine Hecke. Im Jahr 1986 wurde auf der Liegenschaft der Beklagten auch ein Tor errichtet. Bald darauf wurden Kanalanlagen gebaut. Aus diesem Anlass ließ die Mutter der Klägerin die bestehenden Bepflanzungen im Bereich zwischen den Stellplätzen und der Straße entfernen und die Zufahrt zu ihrem Grundstück befestigen und asphaltieren.

Mit Schenkungsvertrag vom 21. 12. 2000 erwarb die Klägerin die Liegenschaft von ihrer Mutter. Auch sie nutzt die Liegenschaft der Beklagten zum Befahren der Stellplätze und (selten) der Garage. Weiterhin wurde der auf beiden Grundstücken bestehende Zufahrtsbereich hiefür und zum Wenden von auf der Liegenschaft eingefahrenen Fahrzeugen der Bewohner des Hauses, Besuchern und Handwerkern verwendet.

Auch die Beklagten verwendeten gelegentlich das Grundstück der Klägerin zum Parken von Fahrzeugen bzw zum Befahren der eigenen Liegenschaft.

Im Jahr 1998 oder 1999 kam es zu einer Auseinandersetzung zwischen der Mutter der Klägerin und dem Sechstbeklagten, nachdem er durch das Tor der Liegenschaft der Klägerin und über diese Liegenschaft auf die Liegenschaft der Beklagten gefahren war und sein Fahrzeug dort abgestellt hatte. Die Mutter der Klägerin regte sich über das Abstellen auf, weil sie ‑ wegen der Möglichkeit der Rettungs- und Feuerwehrzufahrt ‑ der Meinung war, dass dort niemand stehen dürfe. Dabei sagte sie, „überhaupt dürfen Sie gar nicht hineinfahren, Sie benutzen ja sogar unsere Einfahrt“. Der Sechstbeklagte antwortete: „Wenn wir Ihren Grund nicht benutzen dürfen, dann dürfen Sie unseren Grund auch nicht benutzen.“ Er verwies darauf, dass sie das nicht dürfe, weil das Grundstück den Beklagten gehöre. Der Vorfall wurde in der Hausgemeinschaft der Beklagten besprochen und es wurde beschlossen, ruhig zu bleiben und nichts zu unternehmen.

Im Sommer 2000 hatte der Neuntbeklagte sein Wohnmobil im Einfahrtsbereich der Liegenschaft der Beklagten abgestellt. Die Mutter der Klägerin war der Auffassung, dass sie nicht aus dem Stellplatz kommen könne. Sie wurde laut, woraufhin der Neuntbeklagte zu ihr sagte: „Wenn das so ist, muss man dazu sagen, dass ich unseren Grund benütze und wenn ich das nicht darf, dürfen Sie unseren Grund auch nicht benützen.“

Am 13. 6. 2010 wurde im Auftrag der Wohnungseigentümergemeinschaft entlang der gemeinsamen Grundstücksgrenze ein Maschendrahtzaun errichtet. Seither ist es der Klägerin und ihr zuzurechnenden Personen nur mehr durch mehrmaliges Reversieren möglich, mit Kraftfahrzeugen in ihre Garagenboxen zu gelangen.

Mit ihrer am 14. 7. 2010 eingebrachten Klage begehrt die Klägerin gegenüber den Beklagten die Feststellung, dass ihr als Alleineigentümerin der Liegenschaft, ihren Rechtsnachfolgern und Mitbewohnern, Besuchern und beauftragten Personen ein näher umschriebenes Durchfahrtsrecht mit Fahrzeugen aller Art über das Grundstück der Beklagten zustehe und die Beklagten in die grundbücherliche Einverleibung dieser Dienstbarkeit einzuwilligen und den errichteten Maschendrahtzaun auf ihre Kosten zu entfernen hätten. Sie stützte ihr Begehren im zweiten Rechtsgang nur noch auf den Rechtsgrund der Ersitzung.

Während der Erstbeklagte das Klagebegehren anerkannte und sich der Zweitbeklagte nicht am Verfahren beteiligte, beantragten die Dritt‑ bis Zwölftbeklagten die Abweisung des Klagebegehrens. Sie wendeten im Wesentlichen ein, der Klägerin und ihren Mitbewohnern sei es problemlos möglich, beim Zufahren in die drei Garagenboxen ausschließlich ihr eigenes Grundstück zu benützen. Die behauptete Ersitzung einer Grunddienstbarkeit sei nicht eingetreten.

Das Erstgericht gab im zweiten Rechtsgang dem Klagebegehren teilweise statt. Unbekämpft wies es ein auf das Durchfahrtsrecht über die Liegenschaft der Beklagten zugunsten anderer Rechtsnachfolger als jener der Klägerin als Eigentümerin der Liegenschaft gerichtetes Begehren ab.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der dritt- bis zwölft beklagten Parteien insoweit Folge, als es ein Fahrrecht für andere Fahrzeuge als PKW und Kleintransporter verneinte.

Das Berufungsgericht sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 5.000 EUR, nicht aber 30.000 EUR übersteige. Die nachträgliche Zulassung der ordentlichen Revision begründete es damit, dass die Revisionswerber geltend machten, das Berufungsgericht habe die vom Erstgericht festgestellten Äußerungen des Sechstbeklagten im Jahr 1998/1999 und des Neuntbeklagten im Jahr 2000 gegenüber der Mutter der Klägerin grob unrichtig interpretiert und sei damit von der ständigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs abgewichen.

Rechtliche Beurteilung

Eine Revision ist nur dann zulässig (§ 502 Abs 1 ZPO), wenn sie zumindest eine erhebliche Rechtsfrage, von deren Lösung die Entscheidung abhängt, nachvollziehbar aufzeigt (RIS‑Justiz RS0088931 [T 7]). Das gelingt den Revisionswerbern nicht.

Die Revisionswerber meinen, die festgestellten Äußerungen des Sechst- und des Neuntbeklagten bedeuteten zweifellos eine Bestreitung eines Rechts auf Ausübung des „Besitzes/Fahr- und Rangierrechts“ auf dem Grundstück der Beklagten. Es werde ein Umstand zur Kenntnis gebracht, der zu Zweifeln an der Rechtmäßigkeit der „Besitzausübung/des Fahr‑ und Rangierrechts“ auf dem Grundstück der Beklagten Anlass gebe. Umso mehr hätte ein Weiterbestehen eines guten Glaubens der Mutter der Klägerin aufgrund der Äußerungen des Neuntbeklagten im Sommer 2000 verneint werden müssen.

Der Erwerb eines Rechts durch Ersitzung erfordert unter anderem redlichen Besitz. Redlich ist nach § 326 ABGB, wer die Sache aus wahrscheinlichen Gründen für die seinige hält. Erforderlich ist der gute Glaube an die rechtmäßige Zugehörigkeit der Sache bzw des ausgeübten Rechts. Der gute Glaube muss während der gesamten Ersitzungszeit vorliegen (vgl § 1477 Satz 2 ABGB; 1 Ob 41/08y; RIS‑Justiz RS0010175; Meissel in KBB4 § 1463 ABGB Rz 1). Er entfällt nicht nur bei nachträglicher Kenntnis der Unrechtmäßigkeit, sondern auch bei Kenntnis von Umständen, die Zweifel an der Rechtmäßigkeit hervorrufen müssen (RIS‑Justiz RS0010184). Die Redlichkeit des Besitzes wird gemäß § 328 ABGB vermutet, sodass dem Ersitzungsgegner der Beweis der Unredlichkeit obliegt (RIS‑Justiz RS0010185). Die Kenntnis des Besitzers von der fehlenden Eintragung des in Anspruch genommenen Rechts im Grundbuch ist kein Indiz für dessen Schlechtgläubigkeit (5 Ob 270/03x). Leichte Fahrlässigkeit in der Beurteilung der Frage, ob der Besitzerwerb in fremde Rechte eingreife, schließt den guten Glauben aus; aber auch Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Besitzerwerbs zerstören ihn, doch entschuldbarer Irrtum vermag ihn zu sichern (3 Ob 103/05a).

Die Beurteilung der Frage, ob in einem bestimmten Fall die konkret zu berücksichtigenden Umstände die Qualifikation des Verhaltens des Besitzers als redlich oder unredlich fordern, hängt von den Umständen des Einzelfall ab und stellt daher regelmäßig keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO dar (RIS‑Justiz RS0010184 [T13], RS0038722 [T11]). Dies trifft insbesondere auf die Frage zu, inwieweit Umstände geeignet sind, beim Erwerber Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Besitzes hervorzurufen (RIS‑Justiz RS0010184 [T14]).

Das Berufungsgericht verneinte, dass der gute Glaube der Klägerin und ihrer Mutter entfiel. Die Äußerungen des Sechst‑ und des Neuntbeklagten seien im Zug eines Streits mit der Mutter der Klägerin und in beiden Fällen ‑ nur ‑ als Reaktion auf deren Äußerung, die Beklagten dürften das Grundstück der Mutter der Klägerin nicht zum Abstellen ihrer Fahrzeuge verwenden, gefallen. Im Zusammenhalt damit, dass nach diesen Vorfällen sich keiner der Beklagten gegenüber der Klägerin oder ihrer Rechtsvorgängerin ausdrücklich gegen ein Befahren des Grundstücks der Beklagten aussprach und sie weiterhin das Befahren des schraffierten Teils ihres Grundstücks durch Fahrzeuge der Klägerin und ihrer Mitbewohner und Besucher duldeten und der Zehntbeklagte der Mutter der Klägerin sogar Platz machte, damit sie einfacher zu ihrem Stellplatz fahren konnte, hätten weder die Rechtsvorgängerin der Klägerin noch die Klägerin davon ausgehen müssen, die Beklagten würden grundsätzlich in Frage stellen, dass sie zum Befahren der Liegenschaft der Beklagten berechtigt wären.

Diese Beurteilung ist vertretbar. Weder in der Äußerung des Sechstbeklagten noch in jener des Neuntbeklagten wird der damaligen Eigentümerin des herrschenden Grundstücks (ausdrücklich) das Fahren und Rangieren auf dem dienenden Grundstück der Beklagten untersagt. Der Sechstbeklagte verknüpfte vielmehr die Benützung des dienenden Grundstücks durch die Eigentümerin des herrschenden Grundstücks mit jener dieses Grundstücks durch die Beklagten. Auch die Äußerung des Neuntbeklagten bringt eine Nichtberechtigung zur Nutzung des dienenden Grundstücks zum Zweck der Zufahrt zu den Stellplätzen bzw zur Garage nicht zum Ausdruck; sie lässt sich so verstehen, dass die Ausübung der Servitut nicht dazu führen könne, dass die Beklagten ihr Grundstück nicht mit Fahrzeugen benützen dürfen.

Mit den Ausführungen zum behaupteten Feststellungsmangel aufgrund unrichtiger rechtlicher Beurteilung der Sache bekämpfen die Revisionswerber die nicht revisible Beweiswürdigung der Vorinstanzen. Im Übrigen entspricht die in der Revision wiedergegebene Passage der Aussage des Zeugen K***** nicht der begehrten Feststellung.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 41, 46 Abs 2, 50 ZPO. Die Klägerin wies in der Revisionsbeantwortung auf die Unzulässigkeit der Revision hin. Ein Streitgenossenzuschlag gemäß § 15 RATG gebührt der Klägerin im Revisionsverfahren allerdings nur in der Höhe von 25 %, weil ihr in diesem Verfahrensabschnitt lediglich insgesamt fünf Beklagte (= vier Mehrparteien) gegenüberstehen. Die übrigen Beklagten haben sich am Revisionsverfahren nicht beteiligt (vgl RIS‑Justiz RS0036223).

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