OGH 8Nc46/15d

OGH8Nc46/15d19.2.2016

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Prof. Dr. Spenling als Vorsitzenden, die Hofrätin Dr. Tarmann‑Prentner, den Hofrat Dr. Brenn und die Hofrätinnen Dr. Korn und Dr. Weixelbraun‑Mohr als weitere Richter in der Schuldenregulierungssache der N*****, wegen Eröffnung des Insolvenzverfahrens, aufgrund der Vorlage des Aktes AZ 4 SE 11/15w des Bezirksgerichts Liezen zur Entscheidung eines Zuständigkeitsstreits gemäß § 47 JN den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2016:0080NC00046.15D.0219.000

 

Spruch:

Als das zur Entscheidung über die im Spruch genannte Schuldenregulierungssache zuständige Gericht wird das Bezirksgericht Bad Ischl bestimmt, dessen Beschluss vom 8. Juni 2015, GZ 10 SE 4/14w‑35, aufgehoben wird.

Begründung

Rechtliche Beurteilung

Mit ihrem am 3. Dezember 2013 beim Bezirksgericht Bad Ischl eingebrachten Antrag begehrte die Republik Österreich (im Folgenden: Antragstellerin), das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Schuldnerin zu eröffnen, und gab deren gewöhnlichen Aufenthalt mit „F*****“ bekannt. Eine vom Bezirksgericht Bad Ischl am 27. Dezember 2013 eingeholte ZMR‑Auskunft ergab dieselbe Adresse als Hauptwohnsitz der Schuldnerin.

Im Juni 2015 beantragte die Schuldnerin unter Hinweis darauf, dass sie ihren Wohnsitz nach Bad Aussee verlegt habe, die Delegation („Überweisung“) an das Bezirksgericht Liezen; die Antragstellerin stimmte diesem Antrag ausdrücklich zu. Mit Beschluss vom 8. Juni 2015 überwies das Bezirksgericht Bad Ischl die Insolvenzsache aufgrund des einvernehmlichen Delegierungsantrags der Antragstellerin und der Schuldnerin an das Bezirksgericht Liezen. Der Beschluss wurde rechtskräftig.

Das Bezirksgericht Liezen erklärte sich mit Beschluss vom 1. September 2015 für örtlich unzuständig (ON 38). Im Zeitpunkt der Antragstellung habe die Schuldnerin im Sprengel des Bezirksgerichts Bad Ischl gewohnt. Für die örtliche Zuständigkeit sei ausschließlich der gewöhnliche Aufenthalt des Schuldners im Zeitpunkt der Antragstellung entscheidend; nachträgliche Änderungen könnten die örtliche Zuständigkeit nicht beeinflussen. Der Überweisungsbeschluss hindere die selbstständige Prüfung der örtlichen Zuständigkeit nach § 41 Abs 3 JN nicht.

Das Landesgericht Leoben gab dem dagegen erhobenen Rekurs der Antragstellerin nicht Folge. Ein rechtskräftiger Überweisungsbeschluss entfalte im Rahmen der Entscheidung über einen negativen Kompetenzkonflikt nur hinsichtlich der sachlichen, nicht jedoch hinsichtlich der örtlichen Zuständigkeit Bindungswirkung. Daher sei der Beschluss des Bezirksgerichts Liezen über seine Unzuständigkeit nicht zu beanstanden.

Das Bezirksgericht Liezen legte daraufhin den Akt mit dem Ersuchen um Entscheidung über den Zuständigkeitsstreit vor.

1. Die in den Sprengeln verschiedener Oberlandesgerichte gelegenen Gerichte haben jeweils rechtskräftig ihre örtliche Zuständigkeit verneint, und zwar das Bezirksgericht Bad Ischl durch die Überweisung aufgrund eines einvernehmlichen Delegierungsantrags und das Bezirksgericht Liezen nach Prüfung seiner örtlichen Zuständigkeit, sodass die Voraussetzungen des § 47 JN für die Entscheidung des (negativen) Kompetenzkonflikts durch den Obersten Gerichtshof gegeben sind (vgl Schneider in Fasching/Konecny 3 § 47 JN Rz 34). Die Entscheidung nach § 47 JN durch den Obersten Gerichtshof hat im Fünfersenat zu erfolgen (RIS‑Justiz RS0126085).

2. Im Allgemeinen ist bei der Entscheidung eines Zuständigkeitsstreits auf die Bindungswirkung des Überweisungsbeschlusses bzw der rechtskräftigen Unzuständigkeitsentscheidung Bedacht zu nehmen (8 Nc 47/14z mwN; Schneider in Fasching / Konecny ³ § 47 JN Rz 27). Für das Insolvenzverfahren gilt dies allerdings nicht. Für diese besondere Verfahrensart ist anerkannt, dass gemäß § 46 Abs 1 JN nur die die sachliche Zuständigkeit betreffende rechtskräftige Unzuständigkeitsentscheidung bindend ist, während ein rechtskräftiger Beschluss des überweisenden Gerichts über die örtliche Unzuständigkeit deren Überprüfung im Rahmen der Entscheidung eines negativen Kompetenzkonflikts nicht verhindert (8 Nc 47/14z; 8 Nc 5/10t; Schneider in Fasching/Konecny³ § 47 JN Rz 30; Schneider in Konecny, IO § 63 Rz 177). Dieser Grundsatz wird aus § 63 Abs 1 IO abgeleitet, aus dem sich ergibt, dass der Gesetzgeber der Nähe des Insolvenzgerichts zum Betriebsort bzw zum gewöhnlichen Aufenthalt des Schuldners im Sinn einer effizienten Abwicklung des Insolvenzverfahrens besondere Bedeutung beimisst (8 Nc 47/14z; 8 Nc 42/14i). Diese Überlegung gilt auch für das Schuldenregulierungsverfahren, zumal die Zuständigkeitsnorm des § 182 IO auf den gewöhnlichen Aufenthalt des Schuldners nach § 63 Abs 1 IO verweist (Mohr in Konecny/Schubert, KO § 182 Rz 9).

3.1 Hier hat allerdings das Bezirksgericht Bad Ischl die Sache unter Bezugnahme auf einen einvernehmlichen Delegierungsantrag, also mit einem Delegierungsbeschluss nach § 31a JN, an das Bezirksgericht Liezen überwiesen.

Im Allgemeinen ist das Gericht, an das überwiesen wurde, auch an einen rechtskräftigen Übertragungsbeschluss nach § 31a JN gebunden; es kann dessen Richtigkeit nicht überprüfen (RIS‑Justiz RS0046141). Dass die gesetzlichen Voraussetzungen für die Übertragung der Rechtssache gefehlt hätten, kann bei der Entscheidung über einen negativen Kompetenzkonflikt daher nicht berücksichtigt werden (RIS‑Justiz RS0046135).

Auch dies gilt allerdings für das Insolvenzverfahren nicht:

3.2 Nach der Auffassung von Schumacher (in Bartsch/Pollak/Buchegger, Österreichisches Insolvenzrecht4 § 63 Rz 54; diesem folgend Schneider in Konecny/Schubert, § 63 Rz 179) ist eine vereinfachte Delegation nach § 31a JN im Insolvenzverfahren schon deswegen ausgeschlossen, weil gemäß § 172 Abs 2 KO (gleichlautend nunmehr § 253 Abs 2 IO) Vereinbarungen der Beteiligten über die Zuständigkeit der Gerichte unwirksam sind. Dieser Auffassung, die dem bereits oben erörterten Umstand Rechnung trägt, dass der Gesetzgeber generell der Einhaltung der Bestimmungen über die örtliche Zuständigkeit besonderes Gewicht beimisst, schließt sich auch der Oberste Gerichtshof an.

All dies macht es aber notwendig, die oben für das Insolvenzverfahren angestellten Überlegungen zur mangelnden Bindung von rechtskräftigen Beschlüssen des überweisenden Gerichts über die örtliche Unzuständigkeit auch auf die Frage der Bindung rechtskräftiger Beschlüsse über eine Delegierung nach § 31a JN zu übertragen. Im Insolvenzverfahren hindert daher ein rechtskräftiger Beschluss des überweisenden Gerichts über eine Delegierung nach § 31a JN die Überprüfung der Zuständigkeit im Rahmen der Entscheidung eines negativen Kompetenzkonflikts nicht.

4.1 Maßgebender Zeitpunkt für die Entscheidung der Zuständigkeitsfrage ist der Zeitpunkt der Antragstellung (8 Nc 41/03a; Schneider in Konecny, IO § 63 Rz 139 mit zahlreichen Nachweisen aus der Rechtsprechung der Oberlandesgerichte; Mohr in Konecny/Schubert, § 183 KO Rz 3; Kodek, Privatkonkurs2 Rz 47). Dies wird einerseits aus dem Wortlaut des § 182 IO („zum Zeitpunkt der Antragstellung“) abgeleitet und andererseits damit begründet, dass ein Abstellen auf den Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens zur Folge hätte, dass eine Bestimmung der Zuständigkeit für das Eröffnungsverfahren nicht möglich wäre.

4.2 Nachträgliche Änderungen der Umstände sind gemäß § 29 JN, der auch im Insolvenzverfahren zur Anwendung kommt (Scheuer in Fasching/Konecny³ I § 29 JN Rz 11/2 mwN; Schneider in Konecny, IO § 63 Rz 142 mwN; Mayr in Rechberger, ZPO4 § 29 JN Rz 5; Schumacher in Bartsch/Pollak/Buchegger, Österreichisches Insolvenzrecht4 § 63 Rz 46), aufgrund des Prinzips der perpetuatio fori grundsätzlich unbeachtlich (Scheuer in Fasching/Konecny³ I § 29 JN Rz 11/2; Kodek, Privatkonkurs2 Rz 51).

5. Im Anlassfall bestimmt sich die örtliche Zuständigkeit des Insolvenzgerichts daher nach dem gewöhnlichen Aufenthalt der Schuldnerin zum Zeitpunkt der Antragstellung. Nach der Aktenlage hatte die Schuldnerin zum Zeitpunkt der Antragstellung ihren Wohnsitz im Sprengel des Bezirksgerichts Bad Ischl. Der für die Begründung der örtlichen Zuständigkeit nach § 182 iVm § 63 Abs 1 IO maßgebliche Anknüpfungspunkt lag daher im Sprengel dieses Bezirksgerichts. Die nachträgliche Änderung des Wohnsitzes der Schuldnerin ist gemäß § 29 JN für die örtliche Zuständigkeit unbeachtlich.

Für die Schuldenregulierungssache ist somit das Bezirksgericht Bad Ischl örtlich zuständig, weshalb dessen Beschluss vom 8. Juni 2015 aufzuheben war (8 Nc 47/14z).

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