OGH 15Ns8/16v

OGH15Ns8/16v18.2.2016

Der Oberste Gerichtshof hat am 18. Februar 2016 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Prof. Dr. Danek als Vorsitzenden, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Mag. Lendl sowie die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Michel‑Kwapinski, Mag. Fürnkranz und Dr. Mann als weitere Richter in der Strafsache gegen DI Heinz G***** wegen des Vergehens der fahrlässigen Tötung unter besonders gefährlichen Verhältnissen nach § 81 Abs 1 Z 1 StGB idF vor BGBl I 2015/112 und weiterer strafbarer Handlungen, AZ 26 Hv 76/15d des Landesgerichts Feldkirch, über den Kompetenzkonflikt zwischen diesem Gericht und dem Landesgericht für Strafsachen Wien nach Anhörung der Generalprokuratur gemäß § 60 Abs 1 OGH‑Geo. 2005 den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2016:0150NS00008.16V.0218.000

 

Spruch:

Das Hauptverfahren ist vom Landesgericht für Strafsachen Wien zu führen.

Gründe:

Rechtliche Beurteilung

Mit einem beim Landesgericht Feldkirch eingebrachten Strafantrag sowie dem unter einem gegen die ÖBB‑Infrastruktur AG erhobenen Antrag auf Verhängung einer Verbandsgeldbuße legt die Staatsanwaltschaft Feldkirch DI Heinz G***** ein nach § 81 Abs 1 Z 1 StGB und § 89 (§ 81 Abs 1 Z 1) StGB in der Fassung vor BGBl I 2015/112 beurteiltes strafbares Verhalten zur Last (ON 24).

DI Heinz G***** wird angelastet, er habe am 3. November 2014 „in H*****“ als Leiter der Organisationseinheit Streckenmanagement und Anlageentwicklung der ÖBB

1./ dadurch, dass er bei der Montage einer neuen Gleisfeldbeleuchtung in H*****, Bahnkilometer 30,905 maßgebliche Arbeitnehmerschutzmaßnahmen, und zwar die Bestellung eines Planungs- und eines Baustellenkoordinators, die Erstellung eines Sicherheits‑ und Gesundheitsschutzplanes sowie die Erstellung einer Unterlage für spätere Arbeiten nicht gesetzt hat, wodurch Martin F***** während der Arbeitstätigkeit auf Gleis 1 vom Schnellzug 247 von Bregenz in Richtung Wien fahrend, erfasst und getötet wurde, unter besonders gefährlichen Verhältnissen den Tod des Martin F***** herbeigeführt;

2./ durch die in Punkt 1./ genannten Unterlassungen, wenn auch nur fahrlässig, unter besonders gefährlichen Verhältnissen eine Gefahr für das Leben, die Gesundheit oder die körperliche Sicherheit des Alexander Fe***** und des Jan Gu*****, die sich im Unfallszeitpunkt in unmittelbarer Nähe zu Martin F***** befanden, herbeigeführt.

Der Einzelrichter des Landesgerichts Feldkirch sprach mit Beschluss vom 3. Dezember 2015 (ON 29) die örtliche Unzuständigkeit dieses Gerichts mit der Begründung aus, dass der Angeklagte von seinem Dienstort in Wien aus die notwendigen Vorkehrungen für das Bauvorhaben hätte treffen müssen bzw an diesem Ort unterlassen habe.

Nach Abtretung des Verfahrens an das Landesgericht für Strafsachen Wien (RIS‑Justiz RS0127580) sprach der Einzelrichter dieses Gerichts zu AZ 13 Hv 47/15b mit Beschluss vom 29. Dezember 2015 (ON 34) die „Rückabtretung“ mit der Begründung aus, der angerufene Gerichtshof hätte bei Verneinung der örtlichen Zuständigkeit den Strafantrag gemäß § 485 Abs 1 Z 1 StPO beschlussmäßig zurückweisen müssen, weil eine Abtretung des Verfahrens vor dem Einzelrichter generell nicht in Betracht komme. Die Prüfung des Strafantrags hätte auch aus anderen Gründen (§ 485 Abs 1 Z 2 StPO) mangels Klärung des Sachverhalts zur Zurückweisung führen müssen und stehe ‑ unter Hinweis auf eine Dependance der ÖBB in Innsbruck ‑ der Tatort nicht fest.

Das Landesgericht Feldkirch legte den Akt dem Obersten Gerichtshof zur Entscheidung über den Kompetenzkonflikt vor (ON 35).

Im Hinblick darauf, dass der Einzelrichter des Landesgerichts Feldkirch die für den Eintritt der Rechtswirksamkeit der Anklage essentielle Prüfung nach den Kriterien des § 485 Abs 1 Z 1 bis 3 StPO vorgenommen und im Akt dokumentiert hat (ON 24 S 1), ist meritorisch über den Kompetenzkonflikt zu entscheiden (15 Ns 3/15g = RIS‑Justiz RS0123445 [T6]).

Für das Hauptverfahren ist gemäß § 36 Abs 3 erster Satz StPO primär jenes Gericht zuständig, in dessen Sprengel die Straftat ausgeführt wurde oder ausgeführt werden sollte. Liegt dieser Ort im Ausland oder kann er nicht festgestellt werden, so ist gemäß § 36 Abs 3 zweiter Satz StPO jener Ort maßgebend, an dem der Erfolg eingetreten ist oder eintreten hätte sollen (Oshidari, WK‑StPO § 36 Rz 6).

Bei Unterlassungsdelikten ist Tatort jener Ort, an dem der Täter durch das pflichtwidrige Nichthandeln den strafbaren Tatbestand hergestellt (Nordmeyer, WK‑StPO § 25 Rz 1) oder das zur Erfolgsabwendung gebotene Tun pflichtwidrig unterlassen hat (Pilnacek/Pleischl, Das neue Vorverfahren [2005] Rz 93; s auch § 67 Abs 2 StGB). Da es nach der Aktenlage (zu Bezugspunkt und Maßstab der Prüfung vgl Bauer, WK‑StPO § 450 Rz 2) der in Wien gelegene Dienstort ist, an dem den Angeklagten als Verantwortlichen der Bauherrin ÖBB‑Infrastruktur AG die Handlungspflicht trifft (vgl die Anzeige des Verkehrs‑Arbeitsinspektorats und das Schreiben der ÖBB‑Infrastruktur AG an den Angeklagten; ON 7 S 329 ff und 355 f), ist dieser als Tatort im Sinn des § 36 Abs 3 erster Satz StPO anzusehen. Dadurch ergibt sich auch die Zuständigkeit für das Verfahren gegen den belangten Verband (§ 15 Abs 1 VbVG).

Das Landesgericht für Strafsachen Wien ist daher zur Führung des Hauptverfahrens zuständig.

Ergänzend sei darauf hingewiesen, dass eine inhaltliche Überprüfung des Strafantrags im Zuständigkeitskonflikt ‑ selbst im Hinblick auf die durch BGBl I 2015/112 geänderte Rechtslage ‑ durch den Obersten Gerichtshof nicht zu erfolgen hat.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte