OGH 3Ob259/15g

OGH3Ob259/15g20.1.2016

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Hoch als Vorsitzenden sowie die Vizepräsidentin Dr. Lovrek, die Hofräte Dr. Jensik und Dr. Roch und die Hofrätin Dr. Kodek als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei R*****, vertreten durch Mag. Caroline Gewolf‑Vukovich, Rechtsanwältin in Wien, der Nebenintervenienten auf Seiten der klagenden Partei 1. Dr. W*****, 2. Mag. K*****, gegen die beklagte Partei A***** reg.Gen.mbH, *****, vertreten durch die Eckert Fries Prokopp Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen Beseitigung und Unterlassung über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 17. November 2015, GZ 15 R 178/15d‑37, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2016:0030OB00259.15G.0120.000

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

 

Begründung:

Das Berufungsgericht bestätigte die erstgerichtliche Verurteilung der beklagten Liegenschaftseigentümerin, die auf der Nachbarliegenschaft des Klägers verlegten Kanal‑, Gas‑, Wasserversorgungs‑ und sonstigen Leitungen sowie Einrichtungen zu beseitigen, den ursprünglichen Zustand vor den rechtswidrigen Baumaßnahmen wiederherzustellen und derartige Anmaßungshandlungen hinkünftig zu unterlassen. Die Beklagte habe mangels rechtsgültigen Titels keine Leitungsdienstbarkeit erwerben können. Mangels Erwerbstitels erübrige sich die Beantwortung der Fragen, ob es aufgrund einer offenkundigen Dienstbarkeit zu einer Durchbrechung des Eintragungsgrundsatzes gekommen sei, bzw ob den Kläger in diesem Zusammenhang Nachforschungspflichten getroffen haben. Eine nicht verbücherte, nicht offenkundige Dienstbarkeit erlösche durch den gutgläubigen Erwerb des belasteten Grundstücks und entstehe nicht allein durch die Untätigkeit des Erwerbers wieder. Eine Neubegründung durch konkludentes Verhalten sei weder behauptet worden noch aus dem festgestellten Sachverhalt ableitbar.

Die Beklagte, die mit ihrer außerordentlichen Revision die Abweisung der Beseitigungs‑ und Unterlassungsansprüche anstrebt, vermag keine erheblichen Rechtsfragen iSd § 502 Abs 1 ZPO aufzuzeigen.

Rechtliche Beurteilung

1. Erwerbstitel einer Dienstbarkeit ist ‑ neben den anderen im § 480 ABGB genannten Fällen ‑ grundsätzlich ein Vertrag, der nicht nur ausdrücklich, sondern auch konkludent iSd § 863 ABGB geschlossen werden kann (RIS‑Justiz RS0114010). Bei der Beurteilung einer Handlung auf ihre konkludente Aussage ist allerdings größte Vorsicht geboten, weil die Gefahr besteht, dass dem Handelnden Äußerungen unterstellt werden, die nicht in seinem Sinn wären. Eine konkludente Handlung darf nur angenommen werden, wenn sie nach den üblichen Gewohnheiten und Gebräuchen eindeutig in einer bestimmten Richtung zu verstehen ist. Es darf kein vernünftiger Grund übrig sein, daran zu zweifeln, dass der Wille vorliegt, eine Rechtsfolge in einer bestimmten Richtung herbeizuführen (RIS‑Justiz RS0013947, RS0014150). An die Annahme der schlüssigen Einräumung einer Dienstbarkeit sind, weil dies einem Teilrechtsverzicht gleichkommt, strenge Anforderungen zu stellen. Für eine konkludente Dienstbarkeitseinräumung müssen über die bloße Duldung eines bestimmten Gebrauchs hinausgehende Sachverhaltselemente vorliegen, die auf den rechtsgeschäftlichen Willen des Belasteten im Hinblick auf die Begründung einer Dienstbarkeit als dingliches Recht schließen lassen (1 Ob 87/15y mwN).

Die Beurteilung der Schlüssigkeit einer Willenserklärung hat regelmäßig keine über die besonderen Umstände des Einzelfalls hinausgehende Bedeutung, außer es läge ‑ anders als hier ‑ eine im Interesse der Rechtssicherheit aufzugreifende Fehlbeurteilung vor (RIS‑Justiz RS0043253; zum Dienstbarkeitsbestellungsvertrag 1 Ob 87/15y mwN).

Abgesehen davon, dass das Berufungsgericht zutreffend darauf hinwies, dass sich die Beklagte im erstinstanzlichen Verfahren nicht auf eine schlüssige Einräumung der Dienstbarkeit durch Duldung der Verlegearbeiten berufen hat, ist das Berufungsgericht jedenfalls vertretbar unter Hinweis auf die Grundsätze der Rechtsprechung zu § 863 ABGB (RIS‑Justiz RS0114010, RS0013947, RS0014150, RS0111562 [T5]) zur Auffassung gelangt, die Voraussetzungen für die Annahme schlüssigen Verhaltens seien hier nicht verwirklicht. Die Beklagte gesteht selbst zu, dass der in der Bauverhandlung vorliegende Plan den exakten Leitungsverlauf nicht ausgewiesen habe. Überdies wurde eine den Abschluss von Dienstbarkeitsvereinbarungen umfassende Bevollmächtigung jener Person nicht festgestellt, die für die Rechtsvorgängerin des Klägers an der Bauverhandlung teilgenommen hat.

2. Die von der Beklagten neuerlich aufgeworfenen Fragen zur Offenkundigkeit der Dienstbarkeit stellen sich im Hinblick darauf nicht, dass die Beklagte über keinen Titel zum Erwerb der Dienstbarkeit verfügt (RIS‑Justiz RS0011631).

3. Soweit sich die Revisionswerberin zur von ihr ins Treffen geführten Verfristung des Beseitigungsanspruchs auf eine uneinheitliche Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs bezieht, ist darauf zu verweisen, dass der Oberste Gerichtshof zu 7 Ob 160/02h ausdrücklich von der älteren Rechtsprechung (RIS‑Justiz RS0034821) abgegangen ist und an dieser neuen Rechtsprechung zu 1 Ob 116/09d ausdrücklich festgehalten hat. Die Berufungsentscheidung folgt somit der Rechtsprechung.

4. Das Berufungsgericht hat auch die Frage, ob das konkrete Beseitigungs‑ und Unterlassungsbegehren ausreichend bestimmt formuliert ist, vertretbar beurteilt. Die Beschreibung der geschuldeten Leistung hat, soweit dies ihrer Natur nach möglich ist, so genau wie möglich zu erfolgen (RIS‑Justiz RS0000534). Im Zusammenhang mit den getroffenen Feststellungen betreffend die über das Grundstück des Klägers führenden Versorgungsleitungen zur Liegenschaft der Beklagten ist ausreichend eindeutig festgelegt, welche Leitungen die Beklagte zu entfernen und damit auch welchen Zustand sie herzustellen hat (Grundstück des Klägers ohne die von der Beklagten veranlassten Einbauten). Einer von der Revisionswerberin ins Treffen geführten ‑ aus ihrer Sicht offenbar unzulässigen ‑ Mitwirkungspflicht der Beklagten bedarf es nicht, sind die Einbauten auf dem Grundstück des Klägers nach der durchgehenden Argumentation der Beklagten doch offenkundig.

Die außerordentliche Revision ist daher zurückzuweisen.

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