OGH 10ObS131/15k

OGH10ObS131/15k19.1.2016

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Dr. Fellinger als Vorsitzenden, den Hofrat Univ.‑Prof. Dr. Neumayr und die Hofrätin Dr. Fichtenau sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Christoph Wiesinger (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und KR Karl Frint (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in den verbundenen Sozialrechtssachen der klagenden Partei E*****, vertreten durch Dr. Mag. Georg Prchlik, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei Allgemeine Unfallversicherungsanstalt, 1200 Wien, Adalbert-Stifter-Straße 65, wegen Versehrten-rente, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen vom 28. September 2015, GZ 10 Rs 51/15s‑13, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2016:010OBS00131.15K.0119.000

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

 

Begründung:

Am 27. 9. 2004 zog sich der Kläger bei Ausübung seiner unselbständigen Berufstätigkeit beim Hantieren mit einem Schraubenzieher eine Stichverletzung an der linken Hand zu, die komplikationslos verheilte. In den folgenden Jahren entwickelte sich aber an der Einstichstelle ein kleines Knötchen im Sinne einer Gewebeverdichtung, welches am 27. 11. 2012 operativ entfernt wurde. Eine Gesundheitsstörung blieb nicht zurück. Funktion, Kraftentfaltung und Beweglichkeit der linken Hand sind in keiner Weise beeinträchtigt. Es ist auszuschließen, dass aus dem entfernten Knötchen bzw aus dem operativen Eingriff noch Beeinträchtigungen erwachsen könnten.

Während seines an den operativen Eingriff anschließenden Krankenstands fuhr der Kläger am 10. 12. 2012 mit seinem PKW von seinem Wohnhaus zur Ordination seines Hausarztes zur Kontrolle und zum Verbandwechsel. Auf dem Heimweg nach dem Ende der Behandlung ereignete sich ein Verkehrsunfall, bei dem der Kläger schwere Verletzungen erlitt.

Das Erstgericht wies die Klagebegehren auf Leistung einer Versehrtenrente im Ausmaß der Vollrente aufgrund der Folgen des Arbeitsunfalls vom 10. 12. 2012, in eventu auf Feststellung, dass der Kläger infolge des Unfallereignisses vom 10. 12. 2012 unter ‑ im Einzelnen bezeichneten ‑ Gesundheitsbeeinträchtigungen leide, ab. Weiters wies das Erstgericht das auf Gewährung einer 20%igen Versehrtenrente aufgrund des Arbeitsunfalls vom 27. 9. 2004 gerichtete Klagebegehren sowie die weiteren ‑ auf den Arbeitsunfall vom 27. 9. 2004 ‑ bezogenen Eventualbegehren ab.

Das Berufungsgericht gab der gegen diese Entscheidung gerichteten Berufung des Klägers nicht Folge. Es sprach aus, dass die ordentliche Revision nicht zulässig sei.

Rechtliche Beurteilung

Die vom Kläger dagegen erhobene außerordentliche Revision ist mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO zurückzuweisen.

Den Revisionsausführungen ist Folgendes entgegenzuhalten:

1. Maßnahmen zur Erhaltung oder Wiederherstellung der Gesundheit sind grundsätzlich dem unversicherten persönlichen Lebensbereich zuzurechnen (RIS‑Justiz RS0084963).

2.1 Nach § 175 Abs 2 Z 2 ASVG sind Arbeitsunfälle aber auch Unfälle, die sich auf einem Weg von der Arbeitsstätte (Ausbildungsstätte) oder der Wohnung zu einer Untersuchungs‑ oder Behandlungsstelle (wie einem freiberuflich tätigen Arzt) zur Inanspruchnahme ärztlicher Hilfe und anschließend auf dem Weg zurück zur Arbeits‑(Ausbildungsstätte) oder zur Wohnung ereignen, sofern dem Dienstgeber oder einer sonst zur Entgegennahme von solchen Mitteilungen befugten Person der Arztbesuch vor Antritt des Wegs bekanntgegeben wurde.

2.2 Nach der Absicht des Gesetzgebers sollen mit der Arbeitstätigkeit zeitlich zusammenhängende Arztwege in den Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung einzubeziehen sein, sofern der Arztbesuch zuvor dem Dienstgeber bekannt gegeben wurde (10 ObS 76/88, SSV‑NF 2/39). Voraussetzung für den Unfallversicherungsschutz nach § 175 Abs 2 Z 2 ASVG ist daher, dass der Arztweg in unmittelbarem Zusammenhang mit einem Weg von oder zur Arbeitsstätte steht (RIS‑Justiz RS0084978 [T5]). Das Aufsuchen einer Behandlungsstätte bzw eines Arztes während eines Krankenstands erfolgt nicht im Zusammenhang mit einem Weg zum Arbeitsplatz und steht daher nicht unter Unfallversicherungsschutz (10 ObS 85/01z, SSV‑NF 15/51; Müller in SV‑Komm § 175 ASVG Rz 222).

2.3 Dass der Arztweg nicht im unmittelbaren Zusammenhang mit einem Weg von oder zur Arbeitsstätte steht, gilt selbst dann, wenn der Krankenstand durch einen Arbeitsunfall veranlasst wurde. Ein Unfall, den ein Versicherter auf einem Weg zur Behandlung wegen einer bei einem Arbeitsunfall erlittenen Verletzung während eines Krankenstands erleidet, ist somit vom Versicherungsschutz der gesetzlichen Unfallversicherung nicht umfasst (RIS‑Justiz RS0084967, Tarmann‑Prentner in Sonntag , ASVG 6 § 175 Rz 36).

3. Mit dieser Rechtsprechung steht die Ansicht des Berufungsgerichts im Einklang, die Voraussetzungen für die Annahme des Versicherungsschutzes nach § 175 Abs 2 Z 2 ASVG seien nicht erfüllt, weil sich der Kläger im Zeitpunkt des Unfalls im Krankenstand befunden habe und das Aufsuchen des Arztes nicht im Zusammenhang mit einem Weg zum Arbeitsplatz erfolgt sei.

Mit seinen Revisionsausführungen, zum Zwecke der Vermeidung eines Wertungswiderspruchs sei § 175 Abs 2 Z 2 ASVG im Wege der Analogie dahin auszulegen, dass auch Unfälle, die im Zuge eines Krankenstands auftreten, der seinerseits auf einem Arbeitsunfall beruhe, dem Unfallversicherungsschutz unterliegen, zeigt der Revisionswerber keine Rechtsfrage von der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO auf.

4.1 Wie bereits dargelegt, entspricht es (weiterhin) der ständigen Rechtsprechung, dass § 175 Abs 2 Z 2 erster Fall ASVG einen notwendigen Zusammenhang des Arztwegs mit der betrieblichen Tätigkeit zur Voraussetzung hat (RIS‑Justiz RS0084947 [T4]). Dies kommt darin zum Ausdruck, dass nach § 175 Abs 2 Z 2 ASVG Voraussetzung für das Bestehen des Versicherungsschutzes auf derartigen Wegen die vorherige Meldung des Arztbesuchs am Arbeitsplatz ist (RIS‑Justiz RS0084947 [T2]). Die Verständigung des Dienstgebers (oder einer sonst zur Entgegennahme befugten Person) vom beabsichtigten Arztbesuch hat den vom Gesetzgeber anerkannten Zweck, den Versicherungsträger auf diese Weise durch ‑ zumindest zeitlich ‑ im Vorhinein festgelegte Grenzen vor missbräuchlicher Inanspruchnahme zu schützen (vgl 10 ObS 108/01g, SSV‑NF 15/61).

4.2 Der Oberste Gerichtshof hat bereits in der zu § 90 Abs 2 Z 2 B‑KUVG idF BGBl 1991/679 (einer mit § 175 Abs 2 Z 2 ASVG inhaltsgleichen Bestimmung) ergangenen Entscheidung 10 ObS 85/01z, SSV‑NF 15/51, eine ausdehnende Interpretation abgelehnt und dies mit dem notwendigen Zusammenhang des Arztwegs mit der betrieblichen Tätigkeit begründet. Es wurde neuerlich darauf hingewiesen, dieser Zusammenhang ergebe sich klar daraus, dass Voraussetzung für das Bestehen des Versicherungsschutzes auf derartigen Wegen die vorherige Meldung des Arztbesuchs am Arbeitsplatz sei.

4.3 Dass entgegen dieser Rechtsprechung dennoch eine Lücke im Rechtssinn gegeben wäre, weil das Gesetz, gemessen an seiner eigenen Absicht und immanenten Teleologie, unvollständig, also ergänzungsbedürftig wäre, kann im Hinblick auf die bewusste Entscheidung des Gesetzgebers, zur Grenzziehung beim Unfallversicherungsschutz auf den Zusammenhang des Arztwegs mit der betrieblichen Tätigkeit abzustellen, nicht erkannt werden. Während nämlich der Gesetzgeber den Arbeitsweg ganz allgemein geschützt hat, entschloss er sich beim Arztweg, nur den nach entsprechender vorheriger Bekanntgabe im Betrieb absolvierten Arztbesuch dem Schutz der Unfallversicherung zu unterstellen. Von einer planwidrigen Gesetzeslücke kann demnach nicht die Rede sein. Die bloße Meinung des Revisionswerbers, der Unfallversicherungsschutz wäre auch in Fällen wie dem vorliegenden wünschenswert, rechtfertigt die Annahme einer Gesetzeslücke noch nicht ( Koziol‑Welser/Kletečka Bürgerliches Recht I 14 30 mwN).

5. Die in der Revision zitierte Entscheidung 10 ObS 76/88, SSV‑NF 2/39 nahm der Gesetzgeber der 50. ASVG‑Novelle, BGBl 1991/676, zum Anlass, nunmehr auch nach dem ausdrücklichen Gesetzeswortlaut den Weg von zu Hause direkt zur ärztlichen Untersuchungsstelle zwecks Inanspruchnahme ärztlicher Hilfe unter den Schutz der Unfallversicherung zu stellen. Voraussetzung für den Unfallversicherungsschutz ist aber weiterhin die vorherige Bekanntgabe im Betrieb. Auch wenn also ‑ etwa am Morgen ‑ die ärztliche Untersuchungsstelle direkt von zu Hause aus aufgesucht wird, ist für den Unfallversicherungsschutz (weiterhin) erforderlich, dass der Arztweg im unmittelbaren Zusammenhang mit einem Weg von oder zur Arbeitsstätte steht (RIS‑Justiz RS0084978 [T4, T5]). Dieses Erfordernis ist aber im vorliegenden Fall gerade nicht erfüllt, weil sich der Kläger zum Zeitpunkt des Unfalls im Krankenstand befand.

6. Auch der Umstand, dass die Maßnahme zur Erhaltung oder Wiederherstellung der Gesundheit zugleich der Erhaltung oder Wiederherstellung der Arbeitskraft und damit den Interessen (auch) des Unternehmens dient, führt nicht zur Anerkennung des Versicherungsschutzes bei ihrer Durchführung (10 ObS 262/88, SSV‑NF 2/113 ua; RIS‑Justiz RS0084963).

Die außerordentliche Revision des Klägers war daher mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückzuweisen.

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