OGH 9ObA76/15i

OGH9ObA76/15i21.12.2015

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Hopf als Vorsitzenden, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Mag. Ziegelbauer und die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Korn sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Reinhard Drössler und Mag. Manuela Majeranowski als weitere Richter und Richterinnen in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei R*****, vertreten durch Klein, Wuntschek & Partner Rechtsanwälte GmbH in Graz, gegen die beklagte Partei O***** GmbH, *****, vertreten durch Dr. Reinhard Tögl RechtsanwaltsgesmbH in Graz, wegen 637,28 EUR brutto sA, über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen vom 7. Mai 2015, GZ 6 Ra 29/15d‑13, womit über Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz als Arbeits‑ und Sozialgericht vom 30. Jänner 2015, GZ 31 Cga 53/14a‑9, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2015:009OBA00076.15I.1221.000

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 225,07 EUR (darin 37,51 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Entscheidungsgründe:

Der Kläger ist seit 11. 11. 1985 bei der Beklagten beschäftigt. Auf das Dienstverhältnis kommt unstrittig der Kollektivvertrag des Theatererhalterverbandes der österreichischen Bundesländer und Städte für die Beschäftigten der Technik und der Verwaltung (KV) zur Anwendung.

Der Kläger war zunächst als Bühnenarbeiter mit einer Einstufung in der Lohngruppe H, Stufe 1, ab April 1988 als Beleuchter (Funktionsänderung) eingestuft in die Lohngruppe H, Stufe 2 tätig und wurde mit 1. 1. 1989 in die Lohngruppe G, Stufe 1, umgestuft. Mit 1. 1. 1990 wurde er außerordentlich in die Lohngruppe G1, Stufe 1, umgereiht. Am 1. 4. 1993 erhielt er ‑ ebenfalls außerordentlich ‑ eine Vorrückung in die Lohngruppe G1, Stufe 4.

Mit 1. 2. 2004 erfolgte nach Absolvierung der Beleuchtungsmeisterprüfung und entsprechend seiner Funktion als Stellwerker eine Umstufung von der Lohngruppe G1, Stufe 10, in die Lohngruppe B1, Stufe 10, ohne Funktionsänderung zur Abgeltung des erhöhten Verantwortungsbereichs sowie anfallender Vertretungen des Beleuchtungsmeisters und des Beleuchtungsmeisterstell-vertreters. Mit 1. 2. 2007 erfolgte eine Umstufung von der Lohngruppe B1, Stufe 11, in die Lohngruppe B2, Stufe 8, weil der Kläger ab diesem Zeitpunkt als Beleuchtungsmeister tätig war.

Der Kläger begehrt die Bezahlung von der Höhe nach unstrittigen Gehaltsdifferenzen für die Monate Mai bis Oktober 2012. Er sei mit 1. 2. 2007 von der Gehaltsgruppe B1/Gehaltsstufe 11 (nach 20 Jahren) in die Gehaltsgruppe B2, jedoch lediglich in die Gehaltsstufe 8 (nach 14 Jahren) eingestuft und damit unterkollektivvertraglich entlohnt worden.

Nach dem Wortlaut des § 32 Abs 4 des anzuwendenden KV habe die Einreihung in eine höhere Lohn‑/Gehaltsgruppe entsprechend den anzurechnenden Beschäftigungsjahren zu erfolgen. Es könne nicht davon ausgegangen werden, dass die Anrechnung der Dienstjahre unabhängig von der tatsächlichen Beschäftigungsdauer jedesmal neu zu laufen beginne. Bei richtiger Einstufung hätte der Kläger im relevanten Zeitraum in B2, Stufe 13, eingereiht werden müssen.

Die Beklagte bestritt und wandte ein, dass die Kollektivvertragsparteien in § 32 Abs 4 KV vom Aufsaugungsprinzip ausgegangen seien. Ein Arbeitnehmer habe bei einem Lohngruppenwechsel daher nur das nächsthöhere Gehalt zu erhalten. Der Begriff der „anzurechnenden Beschäftigungsjahre“ gemäß § 32 Abs 4 Satz 1 KV sei teleologisch dahin zu reduzieren, dass er nur die in derselben Lohngruppe zurückgelegten Beschäftigungszeiten umfasse. Bei dem vom Kläger angestrebten gruppenübergreifenden Begriffsverständnis würde das Zeitvorrückungssystem im Ergebnis weitgehend zu einer bloßen Lebensaltervorrückung mutieren. Jüngere Arbeitnehmer, die relativ früh leistungsabhängige Aufstiege schaffen würden, wären gegenüber älteren Arbeitnehmern mit späteren Aufstiegen benachteiligt, sodass es zu einer verpönten rechtswidrigen Altersdiskriminierung Jüngerer käme.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Bei einer objektiven Auslegung des § 32 Abs 4 KV ergebe sich, dass mit „anzurechnenden Beschäftigungsjahren“ jene Zeiten gemeint seien, die gemäß § 4 Abs 4 und 5 KV als Vordienstzeiten anzurechnen seien und die tatsächlich im Betrieb verbracht wurden, ohne dass es darauf ankomme, in welcher Lohngruppe diese Zeiten zurückgelegt worden seien. Diese Auslegung finde ihre Stütze auch in § 7 Abs 4 KV, wonach selbst für eine bloß vertretungsweise Verwendung von mehr als drei Tagen in einer höheren Lohngruppe Anspruch auf Entlohnung nach der linear entsprechenden Lohnstufe der Lohngruppe des Vertretenen bestehe. Dies müsse um so mehr für dauernd umgereihte Arbeitnehmer gelten.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten nicht Folge. Die Frage der Dienstzeitenanrechnung werde in § 4 Abs 4 KV bereits nach dem Wortlaut eindeutig geregelt. Diese Bestimmung schränke ‑ wie auch § 4 Abs 5 KV ‑ die Anrechnung von Vordienstzeiten nicht auf jene Zeiten ein, die der Arbeitnehmer in der jeweiligen Lohngruppe zurückgelegt habe. § 32 Abs 4 KV verweise ausdrücklich auf die „gemäß KV … anzurechnenden Beschäftigungsjahre“. Eine Ausnahme sei nur für freiwillige oder einzelvertraglich gewährte Vorrückungen vorgesehen. Dass es in diesen Fällen zu einer Schlechterstellung des Arbeitnehmers durch Einreihung in eine höhere Lohngruppe kommen könne, sei durch die in § 32 Abs 4 KV angeordnete Aufrechterhaltung der bisherigen Entgeltansprüche berücksichtigt worden. Folgte man der Ansicht der Beklagten, so käme es regelmäßig zu einer Schlechterstellung aus Anlass einer Höherreihung in eine neue Lohngruppe.

Mit den §§ 27 und 28 KV beabsichtigten die Kollektivvertragsparteien offensichtlich, ungelernte Arbeiter der Lohngruppen I und F letztendlich den gelernten Arbeitern der Lohngruppen H und E gleichzustellen, sobald sie eine zweijährige Dienstzeit in der niedrigeren Lohngruppe hinter sich gebracht haben. Auch die Lohngruppen F und I enthielten jedoch 22 Stufen, was nach der Rechtsansicht der Beklagten nicht erforderlich wäre. Seien jedoch Vordienstzeiten iSd § 4 KV unabhängig von der jeweiligen Lohngruppe anzurechnen, so ergäben auch diese Regelungen Sinn.

Eine verpönte mittelbare Diskriminierung wegen des Alters liege nicht vor. Grundsätzlich dürfe man davon ausgehen, dass das Dienstalter mit der Berufserfahrung und damit mit einer höheren Qualifikation für die Tätigkeit einhergehe. Eine derartige Berufserfahrung könne aber nicht nur im Kernbereich der jeweiligen Lohngruppentätigkeit erworben werden. Anhaltspunkte, die geeignet wären, ernstliche Zweifel an der Eignung dieses Kriteriums zu wecken, seien nicht ersichtlich.

Das Berufungsgericht sprach aus, dass die Revision im Hinblick auf das eindeutige Auslegungsergebnis der hier anzuwendenden Bestimmungen des Kollektivvertrags nicht zulässig sei.

Gegen dieses Urteil richtet sich die außerordentliche Revision der Beklagten, mit der sie die Abweisung des Klagebegehrens anstrebt.

Der Kläger beantragt in der ihm vom Obersten Gerichtshof freigestellten Revisionsbeantwortung die Revision zurückzuweisen in eventu ihr nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Ausspruch des Berufungsgerichts zulässig, weil der Auslegung von Kollektivverträgen regelmäßig ‑ von hier nicht vorliegenden Ausnahmen abgesehen (RIS‑Justiz RS0109942 [T6]) ‑ eine über den Einzelfall hinausreichende Bedeutung zukommt (RIS‑Justiz RS0042819, RS0109942). Die Revision ist jedoch nicht berechtigt.

1. Die Umreihung des Klägers in die Lohngruppe B2 erfolgte am 1. 2. 2007 und damit nach Inkrafttreten der hier wesentlichen und auslegungsbedürftigen Bestimmung des § 32 Abs 4 KV mit 1. 1. 2007.

2. Anders als in der zum auch hier anwendbaren Kollektivvertrag ergangenen Entscheidung 9 ObA 75/15t entspricht die Lohngruppe B2 unstrittig der vom Kläger im Beurteilungszeitraum ausgeübten Tätigkeit. Die Beklagte verweist zwar in der Revision darauf, dass dem Kläger ‑ was ebenfalls unstrittig ist ‑ vor In-Kraft-Treten des KV auch eine außerordentliche Umreihung und eine freiwillige Vorrückung gewährt wurden und diese bei einer Einstufung in eine höhere Lohngruppe nicht zu berücksichtigen seien. Allerdings legt sie nicht dar, welche Konsequenzen dies für die Einstufung im hier zu beurteilenden Zeitraum hat. Der Kläger geht bei der Berechnung des ihm zustehenden Entgelts von der Lohngruppe seiner nunmehr ausgeübten Tätigkeit und der Lohnstufe seiner tatsächlichen Beschäftigungsdauer bei der Beklagten aus. Dass diese Berechnung unrichtig ist, behauptet auch die Beklagte nicht.

3. Der Auslegung des § 32 Abs 4 KV durch die Vorinstanzen hält die Revisionswerberin auch in der Revision zusammengefasst entgegen, dass bei einem Wechsel der Beschäftigungsgruppe (gemeint: Lohn‑/Gehaltsgruppe) das ‑ im Verhältnis zum bisher verdienten ‑ nächsthöhere Gehalt der neuen Lohngruppe zustehe. Der Arbeitnehmer rücke jedoch erst in eine höhere Stufe auf, wenn er die Berufsaltersstufe in der neuen Lohngruppe erreicht habe. Als „anzurechnende Beschäftigungsjahre“ gemäß § 32 Abs 4 Satz 1 KV seien daher nur die in derselben Lohngruppe zurückgelegten Beschäftigungszeiten zu betrachten.

Dem kommt keine Berechtigung zu.

4. Nach ständiger Rechtsprechung hat die Auslegung normativer Bestimmungen eines Kollektivvertrags objektiv nach den Regeln der §§ 6 und 7 ABGB zu erfolgen (RIS‑Justiz RS0010088). Dabei ist in erster Linie der Wortsinn ‑ auch im Zusammenhang mit den übrigen Regelungen ‑ zu erforschen und die sich aus dem Text des Kollektivvertrags ergebende Absicht der Kollektivvertragsparteien zu berücksichtigen (RIS‑Justiz RS0010089). Im Zweifel ist zu unterstellen, dass die Kollektivvertragsparteien eine vernünftige, zweck-entsprechende und praktisch durchführbare Regelung treffen sowie einen gerechten Ausgleich der sozialen und wirtschaftlichen Interessen herbeiführen und eine Ungleichbehandlung der Normadressaten vermeiden wollten (RIS‑Justiz RS0008828; RS0008897).

5.1 Die Höhe der Entlohnung der Arbeitnehmer der Beklagten ergibt sich gemäß § 21 Abs 1 KV aus dem „Lohnrechtlichen Teil“ des Kollektivvertrags. Die in diesem Teil des Kollektivvertrags enthaltene Regelung des § 32 KV lautet auszugsweise:

LOHNRECHTLICHER TEIL

§ 32 Grundsätzliches, Wechsel in neue Lohn‑/Gehaltsgruppe

1. Die Lohn‑ und Gehaltsansätze sowie die Zulagenordnung enthalten lediglich die kollektivvertragliche Mindestentlohnung. Günstigere Vereinbarungen sind möglich.

4. Die Einreihung in eine höhere neue Lohn‑/Gehaltsgruppe hat entsprechend den gemäß KV oder BV anzurechnenden Beschäftigungsjahren zu erfolgen. Darüber hinaus freiwillig oder einzelvertraglich gewährte Vorrückungen sind nicht zu berücksichtigen. Kommt es daher nach dieser Bestimmung zu einem zusätzlichen Entgelt, ist es bei künftigen Vorrückungen in der gleichen Lohn‑/Gehaltsgruppe aufrecht zu erhalten, und zwar zu den bisherigen Bedingungen (zB gegebenenfalls auch Einbeziehung in Sonderzahlungen bzw Valorisierung, wenn dies bisher so behandelt wurde).

5. Der ausgelernte Veranstaltungstechniker, mit Lehrabschlussprüfung, ist in die Lohngruppe H einzustufen und nach 2jähriger Berufserfahrung ist er in die Lohngruppe G umzustufen.“

5.2 Zu § 32 Abs 4 Satz 3 und 4 KV haben die Kollektivvertragsparteien folgende Kommentierung verfasst:

Kommentierung

Erläuterung zu Abs 4 zweiter und dritter Satz :

Bei der Neueinstufung werden freiwillige einzelvertraglich gewährte Biennien oder vergleichbare Maßnahmen nicht berücksichtigt. Die bisherige Entgelthöhe bleibt jedenfalls gewahrt bis mit zukünftigen Vorrückungen die entsprechende kollektivvertragliche Einstufung erreicht wird (Aufsaugungsprinzip).“

6.1 Nach dem vor allem maßgeblichen Wortlaut des § 32 Abs 4 Satz 1 KV kommt es für die Einreihung in eine höhere Lohngruppe daher lediglich auf die nach dem Kollektivvertrag ‑ auf eine Betriebsvereinbarung haben sich die Parteien im Verfahren nicht berufen ‑ anzurechnenden Beschäftigungsjahre an.

6.2 Eine Regelung über eine solche Anrechnung enthält der KV nur in seinem § 4, in dem allerdings nicht von „Beschäftigungsjahren“, sondern von Dienstzeiten die Rede ist. Diese Bestimmung lautet auszugsweise:

§ 4 Dienstzeitanrechnung

4. Spielt für einen Anspruch eines Dienstnehmers die Dienstzeit eine Rolle, so sind ihm, wenn er vor dem Eintritt in das Theaterunternehmen nachweislich in einem Theaterunternehmen oder Veranstaltungsbetrieb als Dienstnehmer tätig war, diese Zeiten als Vordienstzeiten auf das Lohnschema für die Lohn‑/Gehaltsgruppe voll anzurechnen.

5. Militärische Dienstleistungen und Zivildienst, die im gleichen Theaterunternehmen zur Unterbrechung der beruflichen Tätigkeit geführt haben, sind zur tatsächlichen Dienstzeit im Theaterunternehmen hinzuzurechnen.

…“

Der Begriff der Dienstzeiten wird in dieser Bestimmung daher als Vordienstzeiten verstanden.

Diese Bestimmung kann daher zwar nicht unmittelbar zur Interpretation von § 32 Abs 4 KV herangezogen werden. In ihr wird aber gerade nicht nach der Art der Tätigkeit, sondern nur nach der Art des Betriebs, in dem diese Tätigkeit verrichtet wurde, differenziert. Vordienstzeiten, die in einem Theaterunternehmen oder Veranstaltungsbetrieb absolviert wurden, sind daher bei der Einstufung unabhängig davon zu berücksichtigen, ob sie aus einer Tätigkeit der Lohngruppe, in die nunmehr die Einstufung erfolgen soll, resultieren. Dies würde aber, folgte man der Auslegung der Beklagten, zu einer Ungleichbehandlung von Arbeitnehmern führen, die bei verschiedenen Theaterunternehmen Dienstzeiten in unterschiedlichen Lohngruppen erworben haben und solchen, die durchgehend bei einem Dienstgeber beschäftigt waren.

6.3 Der Begriff der „Beschäftigungsjahre“ wird tatsächlich nur in § 32 Abs 4 KV verwendet und nicht näher definiert. Da Beschäftigung allgemein als Synonym für Berufstätigkeit verwendet wird und in der Regelung selbst nicht nach der Art der Tätigkeit differenziert wird, ist zunächst nach dem Wortlaut von einer umfassenden Bedeutung ‑ im Sinn aller bei einem Unternehmen zurückgelegten Dienstzeiten ‑ auszugehen.

Bei einer Betrachtung der Bestimmungen des Kollektivvertrags im Zusammenhang (RIS‑Justiz RS0010089) ergibt sich, dass Zeiten der Beschäftigung ganz allgemein mit mehreren Begriffen, nämlich Dienstzeiten (§ 5 Abs 3, § 24 Abs 3, § 26 Abs 1, § 27, § 28 KV), Dienstjahre (§ 5 Abs 7, § 24 Abs 1, 2, § 34 KV) und Jahre der „Berufserfahrung“ (§ 32 Abs 5 KV) ausgedrückt werden. Dabei umfasst der Begriff Dienstzeit sowohl Vordienstzeiten als auch bei der Beklagten zurückgelegte Zeiten. Der Begriff „Beschäftigungsjahre“ lässt daher auch in Zusammenschau mit ähnlichen im KV verwendeten Begriffen für sich allein keine Deutung als Zeiten der Ausübung einer bestimmten Tätigkeit zu.

7. Betrachtet man ‑ wie von der Revisionswerberin gefordert ‑ die Bestimmung des § 32 Abs 4 KV in ihrer Gesamtheit, lässt sich daraus für die von ihr gewünschte Auslegung ebenfalls nichts gewinnen:

7.1 § 32 Abs 4 KV regelt in Satz 1 den Fall der Einreihung in eine höhere Lohngruppe, der in der Regel dann erfolgt, wenn sich die Tätigkeit des Arbeitnehmers ändert oder sonstige Einreihungsvoraussetzungen nach dem Kollektivvertrag erfüllt sind.

§ 32 Abs 4 Satz 2 KV bezieht sich hingegen nicht auf die Einreihung in eine höhere Lohngruppe, sondern auf - freiwillig oder einzelvertraglich gewährte ‑ Vorrückungen. Das ergibt sich aus § 32 Abs 4 Satz 3 KV, der von „Vorrückungen in der gleichen Lohn‑/Gehaltsgruppe“ spricht.

7.2 Zu § 32 Abs 4 KV liegt eine Kommentierung der Kollektivvertragsparteien vor. Eine solche Kommentierung ist nach der Rechtsprechung als authentische Interpretation dieser Regelungen anzusehen (RIS‑Justiz RS0008905). Authentische Interpretationen durch die Kollektivvertragsparteien treten nicht neben die üblichen Interpretationsmethoden, sondern stellen ‑ unter der hier gegebenen Voraussetzung der ordnungsgemäßen Kundmachung ‑ einen Akt der Rechtssetzung dar und entfalten somit Normwirkung (RIS‑Justiz RS0050921 ua).

Die Kommentierung erfolgt ausdrücklich nur zu § 32 Abs 4 Satz 2 und 3 KV, nicht zu § 32 Abs 4 Satz 1 KV, bezieht sich daher nicht auf den Regelfall der Einreihung in eine höhere Lohngruppe. Sie hält fest, dass bei „Neueinstufungen“ freiwillige einzelvertraglich gewährte Biennien oder vergleichbare Maßnahmen ‑ daher Vorrückungen iSd § 32 Abs 4 Satz 2 KV ‑ nicht zu berücksichtigen sind. Jedoch bleibt die bisherige Entgelthöhe gewahrt, bis mit zukünftigen ‑ daher in der nunmehr höheren Lohngruppe erfolgenden ‑ Vorrückungen die entsprechende kollektivvertragliche Einstufung erreicht wird.

Damit erfolgt eine Klarstellung dahingehend, dass freiwillige Mehrleistungen zwar bei Vorrückungen innerhalb derselben Lohngruppe erhalten bleiben, bei einer Einreihung in eine höhere Lohngruppe dagegen dem Aufsaugungsprinzip unterliegen.

7.3 Für die Höherreihung nach der ausgeübten Tätigkeit fehlt dagegen eine solche Regelung. Bei Zugrundelegung der Auslegung der Beklagten würde eine analoge Anwendung dieses Prinzips aber zu unsachlichen Ergebnissen führen.

Freiwillig gewährte oder einzelvertraglich vereinbarte Vorrückungen führen nämlich regelmäßig zum Bezug eines überkollektivvertraglichen Entgelts. Dieses ist zwar bei einer Einreihung in eine höhere Lohngruppe gemäß § 32 Abs 4 Satz 3 KV aufrecht zu erhalten. Soweit aber der Arbeitnehmer im Umfang der überkollektivvertraglichen Bezahlung ein ‑ im Vergleich zum neuen Mindestentgelt nach der Einreihung in eine höhere Lohngruppe ‑ zusätzliches Entgelt bezieht, soll dieses gemäß § 32 Abs 4 Satz 3 KV der Aufsaugungsregel unterliegen, bis der Arbeitnehmer durch zukünftige Vorrückungen ein ‑ im Vergleich zum bisher gewährten ‑ höheres kollektivvertragliches Mindestentgelt erreicht.

Dagegen führt eine nach den Bestimmungen des Kollektivvertrags zwingende Einreihung in eine höhere Lohngruppe gemäß § 32 Abs 4 Satz 1 KV nicht zu einem zusätzlichen Entgelt (iSd § 32 Abs 4 Satz 3 KV), sondern lediglich zu einem kollektivvertraglichen Mindestentgelt in einer höheren Lohngruppe. Wäre die von der Beklagten begehrte Auslegung des § 32 Abs 4 Satz 1 KV zutreffend, wonach die Aufsaugungsregel des § 32 Abs 4 Satz 3 KV auch in diesem Fall greifen würde, so würde ‑ etwa im Fall des Klägers ‑ der in der Lohngruppe B1 erreichte Bezug „stehen bleiben“, bis er auch in der Lohngruppe B2 zwanzig Dienstjahre erreicht hätte. Wäre er in der niedrigeren Lohngruppe verblieben, wäre sein dortiger Bezug indes alle zwei Jahre weiter gestiegen.

7.4 Aus § 32 KV lässt sich daher gerade nicht ableiten, dass mit den „anrechenbaren Beschäftigungsjahren“ nur Tätigkeiten in der konkreten Lohngruppe gemeint sind.

8. Auch eine systematischen Betrachtungsweise führt zu keinem anderen Auslegungsergebnis.

8.1 Während die Kollektivvertragsparteien differenzieren, wenn sie etwa in § 4 Abs 4 KV von „Vordienstzeiten“ und in den §§ 27, 28 in den Lohngruppen E, G und H von „Dienstzeiten“ in einer bestimmten Lohngruppe sprechen, findet sich eine solche Differenzierung in § 32 Abs 4 Satz 1 KV nicht. Dagegen wird in § 32 Abs 5 KV die Einstufung in eine höhere Lohngruppe von der Zurücklegung bestimmter Zeiten in einer bestimmten Lohngruppe abhängig gemacht. Demgegenüber geht § 32 Abs 4 Satz 1 KV wie ausgeführt von einem umfassenden Begriff der Beschäftigungszeiten aus, der auch die in § 4 Abs 4 KV genannten Vordienstzeiten umfasst.

8.2 Die Revisionswerberin stellt nicht in Frage, dass § 7 Abs 4 KV für den Vertretungsfall eine Einreihung des Vertreters in der linear entsprechenden Lohnstufe der Lohngruppe des Vertretenen anordnet, wenn die Vertretung länger als drei Tage dauert. Daraus hat schon das Erstgericht zutreffend die Schlussfolgerung gezogen, dass ein bloß vertretungsweise in einer höheren Lohngruppe tätiger Arbeitnehmer entlohnungsmäßig nicht schlechter gestellt werden soll, als ein dauernd in eine höhere Lohngruppe umgereihter Arbeitnehmer. Diese Bestimmung stellt sich entgegen der Rechtsansicht der Revisionswerberin daher nicht als Ausnahmefall der Einstufung in eine höhere Lohngruppe dar, sondern steht im Einklang mit der allgemeinen Einreihungsregel in § 32 Abs 4 Satz 1 KV.

8.3 Dem Berufungsgericht kann auch darin gefolgt werden, dass unter Zugrundelegung der Auslegung der Beklagten nicht nachvollziehbar wäre, wieso die Lohngruppen F und I, die nach zweijähriger Dienstzeit wieder verlassen werden, 22 Lohnstufen aufweisen. Auch Leitungsfunktionen, die in der Regel erst nach einer gewissen Berufserfahrung erreicht werden, weisen ebenfalls 22 Stufen auf. Die 22. Stufe setzt 42 Dienstjahre voraus.

9. Richtig hat das Berufungsgericht auch darauf verwiesen, dass mit der Berufserfahrung in der Regel eine höhere Qualifikation für eine Tätigkeit einhergeht und eine solche Berufserfahrung nicht nur im Kernbereich der jeweiligen Lohngruppentätigkeit erworben wird. Wenn nach der hier vertretenen Auslegung die Kollektivvertragsparteien für die Anrechnung der Vordienstzeiten ausdrücklich in § 4 Abs 4 KV und für die Beschäftigungsjahre in § 32 KV Erfahrung im Theaterbetrieb unabhängig von der konkreten Tätigkeit als ausreichend ansehen, stellt dies ‑ entgegen den Ausführungen in der Revision ‑ keine Berücksichtigung jedweder Berufserfahrung dar.

Auch der Gerichtshof der Europäischen Union geht davon aus, dass in der Regel das Dienstalter mit der Berufserfahrung einhergeht und anderes nur dann gilt, wenn im Einzelfall Anhaltspunkte dafür geliefert werden, die geeignet sind, ernstliche Zweifel daran aufkommen zu lassen, dass der Rückgriff auf das Kriterium des Dienstalters bei der Entgeltpolitik gerechtfertigt ist (C‑17/05, Cadman, Rn 34 ff ua). Dem darauf beruhenden Argument des Berufungsgerichts, dass die Beklagte im konkreten Fall keine solchen Anhaltspunkte aufgezeigt hat, setzt die Revisionswerberin wiederum lediglich die schon im Berufungsverfahren aufgestellten Argumente entgegen ohne allerdings aufzuzeigen, aus welchen Gründen die Rechtsansicht des Berufungsgerichts unzutreffend wäre. Insofern ist die Rechtsrüge nicht gesetzmäßig ausgeführt (vgl RIS‑Justiz RS0043603 [T9] ua).

10. Die Vorinstanzen haben die Bestimmung des § 32 Abs 4 Satz 1 KV daher in der Ableitung und im Ergebnis zutreffend ausgelegt.

Der Revision war daher nicht Folge zu geben.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41, 50 ZPO.

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