OGH 10ObS128/15v

OGH10ObS128/15v15.12.2015

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Dr. Fellinger als Vorsitzenden, die Hofräte Univ.‑Prof. Dr. Neumayr und Dr. Schramm sowie die fachkundigen Laienrichter ADir. Brigitte Augustin (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Harald Kohlruss (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei K*****, vertreten durch Ganzert & Partner Rechtsanwälte OG in Wels, gegen die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt, Friedrich‑Hillegeist‑Straße 1, 1021 Wien, vertreten durch Dr. Josef Milchram, Dr. Anton Ehm und Mag. Thomas Mödlagl, Rechtsanwälte in Wien, wegen Berufsunfähigkeitspension, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen vom 19. August 2015, GZ 12 Rs 76/15f‑54, womit infolge Berufung beider Parteien das Urteil des Landesgerichts Wels als Arbeits‑ und Sozialgericht vom 11. Juni 2015, GZ 14 Cgs 113/13v‑48, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2015:010OBS00128.15V.1215.000

 

Spruch:

 

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 373,68 EUR (davon 62,28 EUR Umsatzsteuer) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Entscheidungsgründe:

Die am 26. November 1967 geborene Klägerin, die einige Jahre als Angestellte gearbeitet, im Beobachtungszeitraum der letzten 15 Jahre vor dem Stichtag (1. September 2012) aber keine 90 Beitragsmonate der Pflichtversicherung durch Ausübung einer qualifizierten Tätigkeit erworben hat, ist aufgrund der ihr verbliebenen Leistungsfähigkeit seit dem Stichtag nur mehr in der Lage, auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt eine Wochenarbeitszeit von höchstens 15 Stunden zu erbringen. Eine Verbesserung dieses Leistungskalküls ist nicht ausgeschlossen. Im Fall einer operativen Sanierung des bestehenden Bandscheibenvorfalls ließe sich die bestehende Schmerzsituation mit großer Wahrscheinlichkeit deutlich verbessern, weshalb die Klägerin dann zumindest wieder 20 Stunden pro Woche arbeiten könnte. Aufgrund der als Folge eines Bandscheibenvorfalls mit Druck auf einen Nerv bestehenden Lähmung ist eine absolute Operationsindikation gegeben. Ob es zu einer völligen Rückbildung der Lähmungserscheinungen kommt, lässt sich allerdings nicht mit Sicherheit sagen. Es ist nicht mit hoher Wahrscheinlichkeit anzunehmen, dass sich das Leistungskalkül vor Ablauf von zwei Jahren ab Schluss der Verhandlung erster Instanz bessern wird.

Mit Bescheid vom 25. Jänner 2013 lehnte die beklagte Pensionsversicherungsanstalt den Antrag der Klägerin vom 31. August 2012 auf Gewährung der Berufsunfähigkeitspension ab.

Mit Urteil vom 11. Juni 2015 sprach das Erstgericht aus, dass das Klagebegehren, die beklagte Partei sei schuldig, der Klägerin ab 1. September 2012 die Berufsunfähigkeitspension zu gewähren, für den Zeitraum von 1. September 2012 bis 31. August 2016 zu Recht bestehe. Aufgrund der auf 15 Wochenstunden eingeschränkten Arbeitszeit sei die Klägerin nicht in der Lage, auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt die Lohnhälfte zu erzielen. Im Hinblick auf die Chance auf eine kalkülsrelevante Besserung des Leistungskalküls gebühre die Berufsunfähigkeitspension nur befristet für die Dauer von längstens zwei Jahren ab dem Stichtag. Da der zweijährige Befristungszeitraum zum Zeitpunkt des Schlusses der Verhandlung (19. März 2015) bereits abgelaufen sei, bei der Klägerin aber weiterhin Berufsunfähigkeit vorliege, gebühre ihr die Pension für eine weitere Frist von zwei Jahren, zumal die beklagte Partei nicht nachgewiesen habe, dass die Berufsunfähigkeit schon früher mit hoher Wahrscheinlichkeit wegfallen werde.

Das Berufungsgericht gab den Berufungen beider Parteien nicht Folge.

Nach der zum Stichtag 1. September 2012 noch anzuwendenden „alten“ Rechtslage (§ 256 Abs 1 ASVG) gebühre der Klägerin die Leistung ‑ im Hinblick auf die bestehenden Chancen auf Besserung des Leidenszustands ‑ nur befristet für einen Zeitraum von längstens 24 Monaten. Da diese Frist zum Zeitpunkt des Schlusses der Verhandlung erster Instanz bereits abgelaufen gewesen sei und die gesundheitlichen Einschränkungen der Klägerin und die damit verbundene Berufsunfähigkeit aufgrund der Beschränkung der zumutbaren wöchentlichen Arbeitszeit auf 15 Stunden auch zu diesem Zeitpunkt ‑ so wie zum Stichtag ‑ unverändert weiter bestanden hätten, seien die Voraussetzungen für die (erstmalige) Zuerkennung der begehrten Leistung nicht nur für die (schon abgelaufene) Frist von zwei Jahren, sondern für eine weitere Frist von längstens zwei Jahren gegeben gewesen (10 ObS 206/06a). Da die beklagte Partei eine kalkülsrelevante Besserung des Gesundheitszustands vor Ablauf dieser Frist nicht mit hoher Wahrscheinlichkeit nachgewiesen habe, sei der Klägerin die befristete Berufsunfähigkeitspension zutreffend bis 31. August 2016 zuzuerkennen gewesen. Auch wenn ein Pensionsantrag vorrangig als Antrag auf Leistungen der Rehabilitation gelte und demnach als negative Anspruchsvoraussetzung in jedem Fall zu prüfen sei, ob Maßnahmen der beruflichen Rehabilitation nicht zweckmäßig oder nicht zumutbar seien, sei im vorliegenden Fall unstrittig, dass der Klägerin Maßnahmen der beruflichen Rehabilitation nicht zumutbar seien, und zwar sowohl zum ursprünglichen Stichtag (1. September 2012) als auch im Anschluss an den ersten zweijährigen Befristungszeitraum ab 1. September 2014. Dies ergebe sich zwingend daraus, dass die beklagte Partei den Zuspruch der Pension für den ersten Befristungszeitraum von 1. September 2012 bis 31. August 2014 ausdrücklich unbekämpft gelassen und in ihrem Abänderungsantrag betreffend den weiteren klagsgegenständlichen Zeitraum ab 1. September 2014 ausdrücklich die Feststellung begehrt habe, dass Maßnahmen der beruflichen Rehabilitation (noch) nicht zumutbar seien. Im Hinblick darauf bedürfe es keiner amtswegigen Erörterung von beruflichen Rehabilitationsmaßnahmen und auch nicht der allfälligen Einleitung eines Berufsfindungsverfahrens; vielmehr habe die Klägerin dem Grunde nach Anspruch auf die beantragte Pension. Für den Zuerkennungszeitraum gebühre ihr daher auch die vorläufige Zahlung aus Mitteln der Pensionsversicherung.

Das Berufungsgericht sprach aus, dass die Revision zulässig sei, weil es an aktueller höchstgerichtlicher Rechtsprechung zur Fortschreibung der bisherigen Judikatur zu § 256 ASVG in Fällen fehle, in denen der erste zweijährige Befristungszeitraum noch vor Ende des Schlusses der Verhandlung erster Instanz, aber erst nach Inkrafttreten des SRÄG 2012 mit 1. Jänner 2014 ablaufe.

Rechtliche Beurteilung

Die von der Klägerin beantwortete Revision der beklagten Partei ist aus dem vom Berufungsgericht genannten Grund zulässig; sie ist aber nicht berechtigt.

In ihrer auf Abänderung im Sinne einer Abweisung des Klagebegehrens ab 1. September 2014, hilfsweise auf Aufhebung der vorinstanzlichen Entscheidungen gerichteten Revision macht die beklagte Partei geltend, dass der von den Vorinstanzen herangezogene § 256 ASVG gemäß § 669 Abs 2 ASVG mit Ablauf des 31. Dezember 2013 außer Kraft getreten sei; nur auf Personen, die ‑ anders als die Klägerin ‑ das 50. Lebensjahr bereits vor dem 1. Jänner 2014 beendet hätten, sei § 256 ASVG in der am 31. Dezember 2013 geltenden Fassung weiterhin anzuwenden (§ 669 Abs 5 ASVG). Nach der auf die Klägerin anzuwendenden Übergangsbestimmung des § 669 Abs 6 ASVG sei auf Personen, die am 31. Dezember 2013 eine zeitlich befristet zuerkannte Pension aus dem Versicherungsfall der geminderten Arbeitsfähigkeit bezögen, § 256 ASVG in der am 31. Dezember 2013 geltenden Fassung bis zum Ablauf der jeweiligen Befristung weiterhin anzuwenden. Da eine Befristung aber nur für die Dauer von höchstens 24 Monaten ausgesprochen werden könne, fehle für den Zuspruch einer Pension über den Zweijahreszeitraum hinaus die Rechtsgrundlage. Im Hinblick auch auf § 669 Abs 6a ASVG wäre im gegenständlichen Fall ab 1. September 2014 (seitens der beklagten Partei) der Anspruch auf Rehabilitationsgeld zu prüfen gewesen.

Dazu wurde erwogen:

1. § 256 ASVG in der vor dem StrukturanpassungsG 1996 geltenden Fassung sah vor, dass die Invaliditätspension bei vorübergehender Invalidität für eine bestimmte Frist zuerkannt werden kann (Satz 1). Bestand nach Ablauf dieser Frist Invalidität weiter, so war die Pension ‑ bei fristgerechtem Antrag ‑ für die weitere Dauer der Invalidität zuzuerkennen (Satz 2).

Mit dem StrukturanpassungsG 1996, BGBl 1996/201, gab der Gesetzgeber die Unterscheidung zwischen dauernder und vorübergehender Invalidität (Berufsunfähigkeit, Dienstunfähigkeit) bei den Anspruchsvoraussetzungen auf (vgl 10 ObS 242/03s). In § 256 Abs 1 ASVG idF StrukturanpassungsG 1996, BGBl 1996/201, ist vorgesehen, dass eine Pension wegen geminderter Arbeitsfähigkeit längstens für die Dauer von 24 Monaten gebührt und für längstens 24 Monate weiter zu gewähren ist, wenn die geminderte Arbeitsfähigkeit nach Ablauf der Befristung weiterbesteht. Ohne zeitliche Befristung ist die Pension dann zuzuerkennen, wenn „auf Grund des körperlichen oder geistigen Zustands dauernde Invalidität (Berufsunfähigkeit, Dienstunfähigkeit) anzunehmen ist“ (§ 256 Abs 2 ASVG).

2. Nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zu § 256 Abs 1 ASVG ist die Leistung für einen weiteren, längstens 24‑monatigen Zeitraum zuzusprechen, wenn im Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Verhandlung erster Instanz eine „erste“ Zweijahresfrist bereits ganz oder fast abgelaufen war und die gesundheitlichen Einschränkungen der versicherten Person zu diesem Zeitpunkt weiterhin unverändert bestanden (10 ObS 160/01d, SSV‑NF 15/84; 10 ObS 53/02w, SSV‑NF 16/24; 10 ObS 206/06a, SSV‑NF 21/13; RIS‑Justiz RS0115354 [T1]).

3. Nach den Übergangsbestimmungen der 78. ASVG‑Novelle (SRÄG 2012, BGBl I 2013/3) trat § 256 ASVG mit Ablauf des 31. Dezember 2013 außer Kraft. § 669 Abs 5 ASVG sieht vor, dass § 256 ASVG in der am 31. Dezember 2013 geltenden Fassung auf Personen, die das 50. Lebensjahr bereits vor dem 1. Jänner 2014 vollendet haben, weiterhin anzuwenden ist. § 256 ASVG in der am 31. Dezember 2013 geltenden Fassung ist „bis zum Ablauf der jeweiligen Befristung“ auch auf Personen weiter anzuwenden, die am 31. Dezember 2013 eine zeitlich befristet zuerkannte Pension aus dem Versicherungsfall der geminderten Arbeitsfähigkeit beziehen (§ 669 Abs 6 ASVG; die Gesetzesmaterialien ‑ ErläutRV 2000 BlgNR 24. GP  25 -sprechen von der Möglichkeit des Weiterbezugs der befristeten Pension „bis zum Auslaufen der aktuellen Befristung“). Der mit dem Bundesgesetz BGBl I 2014/30 eingefügte, gemäß § 681 Abs 2 ASVG rückwirkend mit 1. Jänner 2014 in Kraft getretene und mit Ablauf des 31. Dezember 2015 wieder außer Kraft tretende § 669 Abs 6a ASVG sieht „zur Verhinderung einkommensmäßiger Verwerfungen“ (AB 60 BlgNR 25. GP  3) eine die Höhe der Leistung betreffende Regelung für den Fall vor, dass „eine Person nach Abs. 6 unmittelbar nach dem Ende der befristet zuerkannten Pension aus dem Versicherungsfall der geminderten Arbeitsfähigkeit Anspruch auf Rehabilitationsgeld“ hat.

4. Die Klägerin hat den Antrag auf Gewährung einer Pension aus dem Versicherungsfall der geminderten Arbeitsfähigkeit am 31. August 2012 gestellt; Stichtag ist demnach der 1. September 2012. Die Klage gegen den ablehnenden Bescheid wurde am 26. April 2013 eingebracht. Das Erstgericht hat die Verhandlung am 19. März 2015 geschlossen und sodann mit seinem Urteil vom 11. Juni 2015 die Berufsunfähigkeitspension ‑ unter Zugrundelegung des an sich mit 31. Dezember 2013 außer Kraft getretenen ‑ § 256 Abs 1 ASVG für den Zeitraum von 1. September 2012 bis 31. August 2016 zugesprochen.

5. Zutreffend weist die Klägerin in ihrer Revisionsbeantwortung darauf hin, dass bereits eine wörtliche Auslegung des § 669 Abs 6 ASVG ergibt, dass die Klägerin unter die darin vorgesehene, den § 256 Abs 1 ASVG übergangsweise aufrecht belassende Ausnahmeregelung fällt:

Sie hat am 31. Dezember 2013 eine ‑ wenn auch erst im Nachhinein ‑ zeitlich befristet zuerkannte Pension aus dem Versicherungsfall der geminderten Arbeitsfähigkeit bezogen. Diese zuerkannte befristete Leistung gebührt ihr „bis zum Ablauf der jeweiligen Befristung“.

Das Erstgericht hat unter Hinweis auf die unter Punkt 2. dargestellte höchstgerichtliche Rechtsprechung eine Befristung der erstmals zuerkannten, also nicht weitergewährten Leistung bis 31. August 2016 festgelegt. Dieses Datum ist auch der Zeitpunkt des Ablaufs der „jeweiligen Befristung“, weil die Leistung nicht für zwei befristete Zeiträume zugesprochen wurde, sondern für einen einheitlichen befristeten Zeitraum, der aber aus den unter Punkt 4. genannten Gründen über 24 Monate hinausgeht.

Es ist nicht zu erkennen, dass der Gesetzgeber ‑ wie es offensichtlich der insoweit differenzierenden beklagten Partei vorschwebt ‑ zwar § 256 Abs 1 ASVG für bestimmte Situationen übergangsweise aufrecht erhalten wollte (§ 669 Abs 6 ASVG), nicht aber die dazu ergangene, unter Punkt 2. dargestellte Rechtsprechung.

6. Auf die Frage, ob der Klägerin Maßnahmen der beruflichen Rehabilitation (un‑)zumutbar sind, kommt die beklagte Partei in ihrer Revision nicht mehr zurück.

7. Die Vorinstanzen haben der Klägerin zu Recht eine befristete Berufsunfähigkeitspension bis 31. August 2016 zugesprochen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit a ASGG. Der Einheitssatz für Nebenleistungen gebührt nicht dreifach, sondern nur einfach (RIS‑Justiz RS0115069).

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