OGH 7Ob149/15k

OGH7Ob149/15k19.11.2015

Der Oberste Gerichtshof hat durch die Senatspräsidentin Dr. Kalivoda als Vorsitzende und durch die Hofräte Dr. Höllwerth, Mag. Dr. Wurdinger, Mag. Malesich und Dr. Singer als weitere Richter in der Pflegschaftssache der minderjährigen S***** B*****, in vorläufiger Obsorge des Landes Wien als Kinder‑ und Jugendhilfeträger (Magistrat der Stadt Wien MA 11, Amt für Jugend und Familie, Soziale Arbeit mit Familien, Bezirke 13 und 14, 1130 Wien, Eduard-Klein-Gasse 2), Mutter D***** B*****, Vater V***** R*****, vertreten durch Mag. Brigitte Sammer, Rechtsanwältin in Wien, diese vertreten durch Natlacen Walderdorff Cancola Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen Obsorge, über den Revisionsrekurs des Vaters gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 17. Juni 2015, GZ 45 R 293/15v-58, womit der Rekurs des Vaters gegen den Beschluss des Bezirksgerichts Fünfhaus vom 19. Dezember 2014, GZ 3 Ps 181/14f‑18, zurückgewiesen wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2015:0070OB00149.15K.1119.000

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.

Die Revisionsrekursbeantwortung des Kinder- und Jugendhilfeträgers wird zurückgewiesen.

 

Begründung:

V***** R***** anerkannte am 5. 5. 2015 die Vaterschaft zu dem im September 2014 unehelich geborenen Kind vor dem Magistrat der Stadt Wien MA 11, Amt für Jugend und Familie, Rechtsvertretung, Bezirke 14, 15 und 16. Am 11. 5. 2015 langte eine beglaubigte Abschrift des Vaterschaftsanerkenntnisses beim zuständigen Standesbeamten ein, am 18. 6. 2015 legte sie der Vater, dem Erstgericht vor.

Der Kinder- und Jugendhilfeträger entzog nach der Geburt des Kindes der allein obsorgeberechtigten Mutter die gesamte Pflege und Erziehung und beantragte in diesem Umfang die Übertragung der Obsorge an sich selbst.

V***** R***** wurde diesem Verfahren als „Vater“ beigezogen. Er äußerte sich primär dahin, dass seine Lebensgefährtin eine Chance bekommen solle. Die Übertragung der Obsorge an ihn selbst wurde von ihm nicht angestrebt, sondern nur ein Besuchsrecht beantragt, worüber bislang noch nicht entschieden wurde.

Das Erstgericht entzog der Mutter die Obsorge zur Gänze und übertrug diese dem Kinder‑ und Jugendhilfeträger.

Den dagegen allein von V***** R***** erhobenen, beim Erstgericht am 22. 1. 2015 eingelangten und vom Verfahrenshelfer am 25. 3. 2015 verbesserten Rekurs wies das Rekursgericht zurück. Solange die Vaterschaft des mutmaßlichen unehelichen Vaters noch nicht rechtskräftig festgestellt sei, komme ihm im Pflegschaftsverfahren betreffend das Kind, soweit durch den ergangenen Beschluss nicht unmittelbar in seine Rechtssphäre eingegriffen werde, weder Beteiligtenstellung noch Rechtsmittelbefugnis zu. Durch die Rekursbeantwortung des Kinder- und Jugendhilfeträgers sei dem Erstgericht bekannt geworden, dass V***** R***** die Vaterschaft zum Kind bislang nicht anerkannt habe. Einen daraufhin vom Erstgericht erteilten Auftrag zur Vorlage des Vaterschaftsanerkenntnisses habe er bisher nicht befolgt. Aus einer von Amts wegen eingeholten Geburtsurkunde vom 27. 5. 2015 gehe hervor, dass keine Person als Vater des Kindes eingetragen sei. V***** R***** komme daher in diesem Verfahren weder Beteiligtenstellung noch Rechtsmittelbefugnis zu.

Das Rekursgericht sprach aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs zulässig sei, weil höchstgerichtliche Rechtsprechung zur Parteistellung und Rechtsmittelbefugnis mutmaßlicher unehelicher Väter, deren Vaterschaft noch nicht rechtskräftig festgestellt ist, in Obsorgeentziehungsverfahren aus jüngerer Zeit nicht vorliege.

Der vom nunmehr rechtlich feststehenden Vater dagegen erhobene und vom Kinder- und Jugendhilfeträger beantwortete Revisionsrekurs ist zulässig, er ist aber nicht berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

1. Das Revisionsrekursverfahren gegen die Zurückweisung eines Rekurses ist einseitig (RIS‑Justiz RS0120614). Die vom Kinder- und Jugendhilfeträger erstattete Revisionsrekursbeantwortung ist demnach zurückzuweisen.

2.1. Bei der Rechtsmittellegitimation geht es um die Frage, welcher Personenkreis abstrakt zur Erhebung eines Rechtsmittels befugt ist. Bei Rechtsmitteln gegen eine in der Hauptsache ergangene Entscheidung steht die Rechtsmittellegitimation grundsätzlich nur den Parteien des Verfahrens zu (6 Ob 13/06i mwN; vgl auch G. Kodek in Gitschthaler/Höllwerth , AußStrG § 45 Rz 23). Der Revisionsrekurswerber ist im vorliegenden Verfahren, in dem der Kinder‑ und Jugendhilfeträger die Entziehung der Obsorge der allein obsorgeberechtigten Mutter und deren Übertragung an sich selbst anstrebt, nicht formelle Partei (§ 2 Abs 1 Z 1 und 2 AußStrG) oder Legalpartei (§ 2 Abs 1 Z 4 AußStrG), sodass er seine Parteistellung nur darauf stützen könnte, dass seine rechtlich geschützte Stellung durch die begehrte oder vom Gericht in Aussicht genommene Entscheidung unmittelbar beeinflusst würde (§ 2 Abs 1 Z 3 AußStrG; materielle Parteistellung). Diese Bestimmung ist eng auszulegen (RIS‑Justiz RS0123029). Ob eine rechtlich geschützte Stellung beeinflusst wird, ergibt sich aus dem materiellen Recht (RIS‑Justiz RS0123027). Unmittelbar beeinflusst ist eine Person dann, wenn die in Aussicht genommene Entscheidung Rechte oder Pflichten dieser Person ändert, ohne dass noch eine andere Entscheidung gefällt werden muss. Reflexwirkungen allein reichen nicht aus, eine materielle Parteistellung zu begründen (RIS‑Justiz RS0123028). Die Berührung bloß wirtschaftlicher, ideeller oder sonstiger Interessen genügt nicht (RIS‑Justiz RS0006497 [T2, T7]). Die Zustellung eines Beschlusses begründet für den Empfänger allein noch keine Rechte (RIS‑Justiz RS0006882). Die Rechtsmittellegitimation muss allgemein ‑ wie die Beschwer (RIS‑Justiz RS0041770) ‑ bereits im Zeitpunkt der Erhebung des Rechtsmittels vorliegen ( Konecny in Fasching/Konecny ³, Band 1, Einl Rz 159/2).

2.2. Gemäß § 145 Abs 1 ABGB wird die Vaterschaft durch persönliche Erklärung in inländischer öffentlicher oder öffentlich-beglaubigter Urkunde anerkannt. Das Anerkenntnis wirkt (in formeller Hinsicht) ab dem Zeitpunkt der Erklärung, sofern die Urkunde oder ihre öffentlich-beglaubigte Abschrift dem Standesbeamten zukommt.

Das dem Standesbeamten zugekommene Vaterschaftsanerkenntnis wurde vom Revisionsrekurswerber erst nach der Erhebung des Rekurses abgegeben. Damit stand er im Zeitpunkt der Rekurserhebung noch nicht als Vater fest. Zu prüfen ist daher, ob ihm in diesem Zeitpunkt als bloß mutmaßlichen Vater materielle Parteistellung zukam.

2.3. Ist ein Elternteil allein ‑ wie hier aufgrund der unehelichen Geburt die Mutter (§ 177 Abs 2 ABGB) ‑ mit der Obsorge des Kindes betraut und wird diesem die Obsorge entzogen, so hat das Gericht gemäß § 178 Abs 1 zweiter Satz ABGB unter Beachtung des Wohles des Kindes zunächst zu prüfen, ob der andere Elternteil mit der Obsorge zu betrauen ist. Im vorliegenden Fall war mangels Feststellung seiner Vaterschaft eine Übertragung der Obsorge auf den Revisionsrekurswerber durch das Erstgericht nicht möglich und wäre dies auch bei Rekurserhebung noch nicht möglich gewesen; dies wurde von ihm in seinem Rekurs auch nicht angestrebt.

2.4. Mit dem Verweis auf sein Kontaktrecht wird vom Revisionsrekurswerber ein Eingriff in seine Rechtssphäre durch den erstgerichtlichen Beschluss nicht aufgezeigt. Sein Kontaktrecht zum Kind wird durch die Obsorgeentscheidung nämlich nur mittelbar berührt und begründet diese daher nicht seine Parteistellung, auch nicht unter dem Gesichtspunkt des Art 8 EMRK.

2.5. Auch sonst liegt nach dem Akteninhalt kein unmittelbarer Eingriff in die Rechtssphäre des Revisionsrekurswerbers als damals bloß mutmaßlicher Vater durch die erstinstanzliche Beschlussfassung vor, sodass er im Zeitpunkt der Rekurserhebung nicht unter den Parteibegriff des § 2 Abs 1 Z 3 AußStrG fiel, weshalb ihm in diesem Zeitpunkt die Rechtsmittellegitimation fehlte.

3. Die ständige Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs, wonach eine nach der Beschlussfassung der Vorinstanzen eingetretene Entwicklung im Hinblick auf das Kindeswohl auch noch im Rechtsmittelverfahren zu berücksichtigen ist (RIS‑Justiz RS0122192, RS0048056), betrifft jedenfalls hier nicht die Frage der Rechtsmittellegitimation. Im Revisionsrekurs wird nicht aufgezeigt, welche für die Obsorgeentscheidung relevante Änderung in der Sachverhaltsgrundlage durch die Anerkennung der Vaterschaft eingetreten sein sollte. Eine Übertragung der Obsorge auf den Revisionsrekurswerber wird nicht angestrebt. Im erstinstanzlichen Verfahren wurde er ohnedies als „Vater“ angehört.

4. Dem Revisionsrekurs des Vaters war daher ein Erfolg zu versagen.

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