OGH 4Ob193/15h

OGH4Ob193/15h17.11.2015

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Vogel als Vorsitzenden und die Hofräte Dr. Jensik, Dr. Musger, Dr. Schwarzenbacher und Dr. Rassi als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei H***** GmbH, *****, vertreten durch Neger/Ulm Rechtsanwälte GmbH in Graz, gegen die beklagten Parteien 1. H*****, 2. I***** Handelsgesellschaft mbH, *****, beide vertreten durch Brauneis Klauser Prändl Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen Unterlassung, Rechnungslegung, Zahlung (Stufenklage) und Urteilsveröffentlichung (Streitwert im Sicherungsverfahren 43.200 EUR), über den außerordentlichen Revisionsrekurs der beklagten Parteien gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Rekursgericht vom 9. September 2015, GZ 34 R 90/15b‑18, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2015:0040OB00193.15H.1117.000

 

Spruch:

Der außerordentliche Revisionsrekurs wird gemäß §§ 78, 402 EO iVm § 526 Abs 2 Satz 1 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 528 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

 

Begründung:

Mit einer auf § 1 UWG (Fallgruppe Rechtsbruch) gestützten einstweiligen Verfügung untersagten die Vorinstanzen den beklagten Parteien, im Grazer Stadtgebiet andienungspflichtige Siedlungsabfälle, nämlich Alttextilien nach § 4 Abs 4 Z 1 Steiermärkisches Abfallwirtschaftsgesetz 2004, ohne entsprechende Bewilligung oder Beauftragung nach dem genannten Gesetz zu sammeln.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs der beklagten Parteien zeigt keine erhebliche Rechtsfrage auf.

1.1 Bei der Auslegung von nicht in die Kompetenz der ordentlichen Gerichte fallenden Rechtsmaterien kommt dem Obersten Gerichtshof keine Leitfunktion zu (RIS‑Justiz RS0116438). Der Oberste Gerichtshof ist zur Fällung grundlegender Entscheidungen auf dem Gebiet des Verwaltungsrechts nicht berufen, sodass die Auslegung verwaltungsrechtlicher Normen auch keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 528 Abs 1 ZPO begründen kann, solange den Vorinstanzen dabei keine krasse Fehlentscheidung unterlaufen ist (RIS‑Justiz RS0113455). Eine derartige Unvertretbarkeit ist in der Regel dann auszuschließen, wenn die Vorinstanzen eine verwaltungsrechtliche Vorfrage im Einklang mit der Rechtsprechung der Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts gelöst haben (vgl 1 Ob 86/10v).

1.2 Nach einem aktuellen Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofs vom 25. 9. 2014, GZ Ro 2014/07/0032, das an dessen bisherige Judikatur anschloss und sich auch umfassend mit dem unionsrechtlichen Abfallbegriff und der dazu ergangenen Judikatur des EuGH auseinandersetzte, gilt gesammelte Gebrauchtkleidung wegen des überwiegenden Entledigungswillens als Abfall iSd AWG 2002. Auch der Obersten Gerichtshof qualifizierte in einer Entscheidung Altkleider und ‑schuhe als Abfall iSd NÖ AWG 1992, das dem AWG 2002 und dem Stmk AWG 2004 entspricht (7 Ob 321/99b).

1.3 Die Rechtsansicht der Vorinstanzen, wonach es sich bei den in den Containern der zweitbeklagten Partei gesammelten Altkleidern um Abfall handelt, hält sich somit im Rahmen der referierten Rechtsprechung und kann keine erhebliche Rechtsfrage begründen.

2. Auch die von der angefochtenen Entscheidung angenommene Unvertretbarkeit des Rechtsbruchs bedarf keiner Korrektur.

2.1 Bei der Prüfung der Zulässigkeit der Anfechtung einer zweitinstanzlichen Entscheidung, die einen auf Rechtsbruch gestützten Verstoß gegen § 1 UWG wegen Unvertretbarkeit der Rechtsansicht der beklagten Partei bejaht hat, geht es nicht darum, ob das Zweitgericht diese lauterkeitsrechtliche Vertretbarkeitsfrage richtig gelöst hat, sondern nur darum, ob ihm dabei eine krasse Fehlbeurteilung vorzuwerfen ist (RIS-Justiz RS0124004). Eine solche ist hier zu verneinen, weil die Vorinstanzen sich insbesondere auf die Judikatur des Verwaltungsgerichtshofs stützen konnten (vgl 4 Ob 161/08t; 4 Ob 145/14y).

2.2 Die von den Vorinstanzen vorgenommene Auslegung des von der zweitbeklagten Partei erwirkten Feststellungsbescheids der Bezirkshauptmannschaft Melk dahin, dass sich diese Feststellung (nur) auf den Zeitpunkt nach der Sortierung des Inhalts der bereits entleerten Sammelbehälter beziehe, bedarf schon wegen der Einzelfallbezogenheit dieser Auslegung keiner höchstgerichtlichen Korrektur (vgl auch RIS‑Justiz RS0044298; RS0000205 [T13]).

2.3 Infolge dieser vertretbaren Auslegung, die das Sammeln von Abfällen weder rechtfertigt noch vertretbar erscheinen lässt, kommt der im Rechtsmittel aufgeworfenen Frage der Rechtskraft des Bescheids für das hier zu prüfende Verhalten der beklagten Parteien keine Präjudizialität zu.

3. Somit begründen auch die in diesem Zusammenhang im Rechtsmittel erhobenen Vorwürfe, das Zweitgericht sei hier von einer Tatfrage anstatt von einer Rechtsfrage ausgegangen und habe ein Tatsachengeständnis verkannt, ebensowenig die Erheblichkeit des Rechtsmittels wie die zur Prüfung der Rechtskraft des Bescheids gerügte Mangelhaftigkeit des Rekursverfahrens.

4.1 Ob sich das Rekursgericht mit den Bescheinigungsmitteln der beklagten Parteien zur Entledigungsabsicht ausreichend auseinandergesetzt hat, wirft ebenfalls keine erhebliche Rechtsfrage auf. Es ist nämlich eine Frage der ‑ in dritter Instanz nicht mehr überprüfbaren ‑ Beweiswürdigung der Tatsacheninstanzen (RIS‑Justiz RS0005656 [T3]), ob die von den Parteien angebotenen Bescheinigungsmittel ausreichen, einen bestimmten Sachverhalt als bescheinigt annehmen zu können.

4.2 Die beklagten Parteien versuchen, diesen Grundsatz mit dem Vorwurf, das Rekursgericht hätte sich bei richtiger rechtlicher Beurteilung mit einer von ihnen vorgelegten Urkunde (Ergebnis einer Meinungsumfrage) auseinandersetzen müssen, zu umgehen. Ihr Argument ist schon deshalb verfehlt, weil ein sekundärer Verfahrensmangel nur dann vorläge, wenn das Gericht wegen unrichtiger Beurteilung nicht sämtliche für die Entscheidung relevanten Umstände prüft (hier zB vor allem die Entledigungsabsicht). Das Rekursgericht hat aber den relevanten Tatbestand nicht verkannt, sondern ist vielmehr davon ausgegangen, dass die vorgelegte Urkunde das Vorbringen der beklagten Parteien (überwiegendes Spendenmotiv) nicht ausreichend bescheinigen konnte.

5. Die gerügte Aktenwidrigkeit wurde geprüft, sie liegt nicht vor (§ 510 Abs 3, § 528a ZPO iVm § 78 Abs 1 EO).

6. Der außerordentliche Revisionsrekurs der beklagten Parteien war daher zurückzuweisen.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte