OGH 4Ob184/15k

OGH4Ob184/15k17.11.2015

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Vogel als Vorsitzenden und die Hofräte Dr. Jensik, Dr. Musger, Dr. Schwarzenbacher und Dr. Rassi als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Boehringer I* GmbH & Co KG, *, vertreten durch Dr. Andreas Frauenberger, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei N* GmbH, *, vertreten durch Herbst Kinsky Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen Unterlassung und Urteilsveröffentlichung (Streitwert im Sicherungsverfahren 60.000 EUR), über die außerordentlichen Revisionsrekurse beider Parteien (Revisionsrekursinteresse jeweils 30.000 EUR) gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien vom 31. August 2015, GZ 1 R 73/15k‑8, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2015:E112855

 

Spruch:

Die außerordentlichen Revisionsrekurse werden gemäß §§ 78, 402 Abs 4 EO iVm § 526 Abs 2 Satz 1 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 528Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

 

Begründung:

Die Beklagte warb in einer an Ärzte gerichteten Publikation für ein bestimmtes Arzneimittel, das „bis zu 50 % stärker“ wirke als die vergleichbaren Arzneimittel der drei Mitbewerber. Eine Quelle nannte sie dafür nicht. Nach dem als bescheinigt angenommenen Sachverhalt wirkt das Arzneimittel stärker als die Konkurrenzprodukte; in Bezug auf eines davon ist die Wirkung tatsächlich 50 % stärker.

Das Rekursgericht bestätigte das vom Erstgericht erlassene Verbot einer Arzneimittelwerbung ohne Quellenangabe (§ 50 Abs 4 AMG), das nicht auf die Werbung für das konkrete Arzneimittel beschränkt war, wies aber das weitergehende Begehren ab, der Beklagten die Werbung mit einer „bis zu 50 % stärkeren Wirkung“ zu untersagen, wenn das nicht in jeder Hinsicht zutreffe und durch die Fachinformation „gedeckt“ sei.

Rechtliche Beurteilung

Die gegen diese Entscheidung gerichteten außerordentlichen Revisionsrekurse beider Parteien sind mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage zurückzuweisen.

1. Zum Revisionsrekurs der Klägerin

1.1. Wie die angesprochenen Kreise eine Werbeaussage verstehen und ob sie danach zur Irreführung geeignet ist, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab und begründet daher in der Regel keine Rechtsfrage erheblicher Bedeutung (RIS‑Justiz RS0107771). Dabei ist zwar in der Arzneimittelwerbung ein strenger Maßstab anzulegen (RIS‑Justiz RS0121785). Auch auf dieser Grundlage kann aber die Aussage, das Arzneimittel der Beklagten wirke um „bis zu 50 % stärker“ als die Erzeugnisse ihrer Mitbewerber, in vertretbarer Weise dahin verstanden werden, dass das Arzneimittel jedenfalls stärker wirke als alle den Adressaten der Werbung bekannten Konkurrenzprodukte und dass es um 50 % stärker wirke als zumindest eines davon. Das von der Klägerin unterstellte Verständnis ‑ das Arzneimittel der Klägerin wirke um 50 % stärker als jedes Konkurrenzprodukt, nur in Einzelfällen könnte es einen geringeren Vorsprung geben ‑ lässt sich der Aussage auch bei strenger Betrachtung nicht entnehmen.

1.2. Die so verstandene Aussage trifft nach dem als bescheinigt angenommenen Sachverhalt zu. Damit war Punkt (a) des Sicherungsantrags jedenfalls insofern abzuweisen, als er auf das Verbot der Aussage gerichtet war, wenn sie „nicht in jeder Hinsicht zutreffend“ sei. Die in der Klage und nun auch im Rechtsmittel erörterte Frage, ob die unterschiedlichen Wirkungen mehrerer Arzneimittel auch durch eine Metastudie „hinreichend belegt“ werden können (iSd § 6 Abs 3 Z 1 AMG), stellt sich im Sicherungsverfahren nicht. Denn hier sind auch die Einwendungen des Gegners nur zu bescheinigen (RIS‑Justiz RS0005784). Insofern reicht die von der Beklagten vorgelegte Studie jedenfalls aus. Allfällige Einwände gegen deren Qualität und Aussagekraft werden gegebenenfalls im Hauptverfahren zu prüfen sein.

1.3. Punkt (a) des Sicherungsantrags war weiters auf das Verbot der Aussage gerichtet, sofern sie „nicht durch die Fachinformation gedeckt“ sei. Darauf käme es aber nach § 50a Abs 4 AMG idF BGBl I 110/2012 nur bei einer ‑ hier nicht vorliegenden ‑ Laienwerbung an. Für eine an Ärzte gerichtete Werbung ist § 50a Abs 3 Z 3 AMG idF BGBl I 110/2012 wieder zur Rechtslage vor der Änderung dieser Bestimmung mit BGBl I 63/2009 zurückgekehrt. Ein Verstoß läge daher nur vor, wenn eine Werbung Angaben enthielte, die mit dem Inhalt der Fachinformation im engeren Sinn unvereinbar sind, dh in einem sachlichen Widerspruch dazu stehen (4 Ob 58/07v, Micardis, RIS‑Justiz RS0122128). Das hat die Klägerin nicht behauptet.

2. Zum Revisionsrekurs der Beklagten

2.1. Das Unterlassungsgebot hat sich zwar in seinem Umfang am konkreten Verstoß zu orientieren (RIS‑Justiz RS0037645). Eine allgemeinere Fassung ist aber zulässig und erforderlich, um Umgehungen zu verhindern (RIS‑Justiz RS0037733, RS0037607). Dies kann auf zweifache Weise umgesetzt werden (4 Ob 88/10k mwN): Dem Beklagten kann die Unterlassung des konkreten Verhaltens und „ähnlicher“ Störungen aufgetragen werden, oder die Verletzungshandlung wird allgemein umschrieben, ohne dabei über ihren Kern hinauszugehen. Jedenfalls darf der Beklagte aber nicht zu einer Unterlassung verhalten werden, zu der er nach materiellem Recht gar nicht verpflichtet ist (RIS‑Justiz RS0037461).

2.2. Die mit Punkt (b) des Sicherungsantrags verfolgte Verletzungshandlung war das Fehlen einer Quellenangabe für die Behauptung einer „bis zu 50 % stärkeren Wirkung“ eines bestimmten Arzneimittels. Darin lag ein Verstoß gegen § 55 Abs 4 AMG. Die Auffassung der Vorinstanzen, dass der Beklagten auf dieser Grundlage die Werbung ohne Quellenangabe auch ohne Beschränkung auf das konkrete Arzneimittel untersagt werden könne, ist auf der Grundlage der oben dargestellten Rechtsprechung nicht zu beanstanden. Denn Kern der Verletzungshandlung war eine solche Werbung; weshalb die Wiederholungsgefahr ‑ und damit der Unterlassungsanspruch ‑ auf die Werbung für das konkrete Arzneimittel beschränkt sein sollte, ist nicht erkennbar.

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