OGH 8Ob100/15m

OGH8Ob100/15m29.10.2015

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Prof. Dr. Spenling als Vorsitzenden sowie die Hofrätin Dr. Tarmann‑Prentner, die Hofräte Mag. Ziegelbauer und Dr. Brenn und die Hofrätin Dr. Weixelbraun‑Mohr als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei E*****, vertreten durch Mag. Max Verdino, Mag. Gernot Funder und Mag. Eduard Sommeregger, Rechtsanwälte in St. Veit/Glan, gegen die beklagte Partei W***** Kapitalanlagegesellschaft *****mbH, *****, vertreten durch Dr. Hans Herwig Toriser, Rechtsanwalt in Klagenfurt, und der auf Seiten der beklagten Partei beigetretenen Nebenintervenientin H***** GmbH, *****, vertreten durch Cerha, Hempel, Spiegelfeld, Hlawati Rechtsanwälte in Wien, wegen 5.541,37 EUR sA und Feststellung (2.000 EUR), über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Klagenfurt vom 3. Juni 2015, GZ 3 R 67/15k‑28, mit dem das Urteil des Bezirksgerichts Spittal an der Drau vom 27. Februar 2015, GZ 3 C 336/14b‑23, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2015:0080OB00100.15M.1029.000

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 742,27 EUR (darin 123,71 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Begründung:

Die Beklagte ist Eigentümerin einer Liegenschaft, auf der sie ein dreistöckiges Einkaufszentrum betreibt. Am 8. Oktober 2013 gegen 15:30 Uhr ging die Klägerin im Erdgeschoß dieses Einkaufszentrums ‑ mit drei vollen Einkaufssäcken bepackt ‑ zu einem kleinen Blumengeschäft und anschließend zur etwa zehn Meter davon entfernten, in die Tiefgarage führenden Rolltreppe. Sie trug flache Schuhe und ging mit raschen Schritten. Unmittelbar vor der Rolltreppe rutschte die Klägerin auf einer am Boden befindlichen, etwa handtellergroßen Vanilleeislache aus, stürzte und verletzte sich; auch ihre Kleidung wurde verschmutzt. Die Speiseeislache muss unmittelbar vor dem Unfallgeschehen auf den Boden gelangt sein. Wenn die Klägerin auf den Boden gesehen hätte, dann hätte sie den Fleck erkennen können.

Die Beklagte hat die Gebäudereinigung einer GmbH übertragen. Fünf Mitarbeiter dieser GmbH reinigen täglich (Montag bis Samstag) ab 6:00 Uhr bis 7:30 Uhr im Untergeschoß die Parkgarage, das Foyer, Schleusen, Gang zur Treppe, im Erdgeschoß den Vorplatz, Eingangsbereiche, Lifte, „Mall“, Sanitärräume und im ersten Obergeschoß bis 9:00 Uhr die „Mall“, Sanitärräume, Gänge für Kunden und Personalbereiche sowie die Fluchtwege, und zwar so, dass bis zum Geschäftsbeginn alle Kundenfrequenzbereiche gereinigt sind. Täglich (außer Sonntag) ‑ auch am Unfallstag ‑ werden (wurden) sämtliche Bodenflächen gekehrt und gewischt (wenn möglich mit einer Scheuersaugmaschine). Diese Tätigkeiten werden durch eine Objektleiterin ein bis dreimal in der Woche stichprobenartig überprüft, insbesondere auch durch Leistungskontrollgänge mit Checkliste. Neben diesen fünf Mitarbeitern wird von Montag bis Freitag, jeweils von 11:30 Uhr bis 18:00 Uhr sowie an Samstagen von 11:30 Uhr bis 17.00 Uhr, auch am Unfallstag, eine sogenannte Tagesputzfrau für die Gebäudereinigung eingesetzt, die unter anderem für die laufende Betreuung von Akutverschmutzungen zuständig ist. Die Tagesputzfrau hält auch die Eingangsbereiche und sonstige Hochfrequenzbereiche in Intervallen sauber. Sie ist mit einem Mobiltelefon ausgestattet und daher jederzeit erreichbar. Die Reinigungsarbeiten der GmbH werden durch den Haustechniker, den Hausmanager und den Geschäftsführer eines anderen Unternehmens täglich und laufend, auch am Unfallstag, überprüft; dieses Unternehmen hat die Beklagte mit dem technischen und infrastrukturellen Gebäudemanagement betraut. Wenn im Zeitraum zwischen 11:30 Uhr und 18:00 Uhr im Einkaufszentrum etwas akut zu reinigen ist (etwa am Boden liegende Speisereste oder Getränkelachen), dann wird die Tagesputzfrau vom Haustechniker, vom Hausmanager oder vom Geschäftsführer dieses Unternehmens verständigt und sie reinigt die Stelle umgehend. Das Unternehmen beschäftigt zwei Haustechniker, von denen sich einer immer tagsüber im Einkaufszentrum aufhält. Der Geschäftsführer macht täglich, auch am Unfallstag, mindestens zweimal (in der Früh und am Nachmittag) oder öfter Kontrollgänge und lässt Schmutz, den er vorfindet, durch die Tagesputzfrau beseitigen. Ein Kontrollgang dauert dabei durchschnittlich rund 15 Minuten.

Die Klägerin begehrte von der Beklagten 5.541,73 EUR an Schmerzengeld, Reinigungskosten und weiteren Unkosten sowie die Feststellung der Haftung für alle aufgrund des Unfalls auftretenden Folgeschäden und Dauerfolgen. Die Beklagte habe ihre Verkehrssicherungspflichten verletzt; das Reinigungspersonal habe nicht entsprechend kontrolliert, das Speiseeis sei schon längere Zeit am Boden gewesen. Die Klägerin habe die Speiseeislache wegen der Sonneneinstrahlung und dem gelb‑beigen Bodenbelag nicht erkennen können.

Die Beklagte wendete zusammengefasst ein, sie sei nicht passiv legitimiert, der Sturz sei auf das Alleinverschulden der Klägerin zurückzuführen, die Gebäudereinigung sei durch die damit betrauten Unternehmen ordnungsgemäß durchgeführt worden und weiter gehende Maßnahmen seien unzumutbar. Das Speiseeis sei noch nicht zerronnen gewesen und daher offenbar erst kurz vor dem Sturz der Klägerin auf dem Boden gelandet.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Die Beklagte habe die Reinigungstätigkeiten im Einkaufszentrum einer GmbH übertragen, für deren Fehlverhalten sie hafte. Nach dem Sachverhalt werde jedoch von den Mitarbeitern dieser GmbH ein streng festgelegtes Reinigungskonzept eingehalten, das auch mehrfach täglich kontrolliert werde. Wenn bei Kontrollen etwas auffalle, werde von einer sofort erreichbaren Reinigungskraft entsprechend reagiert. Wann genau das Speiseeis auf den Boden gelangt sei, auf dem die Klägerin ausgerutscht sei, habe zwar nicht festgestellt werden können, dies müsse jedoch wegen der Konsistenz des Eises erst unmittelbar vor dem Sturz passiert sein. Die Klägerin hätte die Verschmutzung außerdem erkennen können, wenn sie auf den Boden hingesehen hätte. Von einer Verletzung von Verkehrssicherungspflichten durch die Beklagte könne daher nicht die Rede sein, weil alle zumutbaren Vorkehrungen getroffen worden seien. Für eine deliktische Haftung gebe es ebenfalls keine Anhaltspunkte.

Der dagegen erhobenen Berufung der Klägerin gab das Berufungsgericht nicht Folge. Einem Geschäftshausbetreiber sei es nicht zumutbar, jede Substanz, die einem Kunden auf den Boden falle, bereits im darauf folgenden Moment zu beseitigen. Die festgestellten Sicherungs‑ und Überprüfungsmaßnahmen seien ausreichend, eine Verletzung von Verkehrssicherungspflichten oder ein Organisationsverschulden der Beklagten sei nicht erwiesen.

Nachträglich ließ das Berufungsgericht die Revision mit der Begründung zu, dass keine höchstgerichtliche Judikatur zur Frage des zumutbaren Umfangs von Sicherungspflichten in Einkaufszentren vorliege und sich die Frage stelle, ob diese Umstände beachtlich seien, obwohl die Verschmutzung erst unmittelbar vor dem Sturz der Klägerin entstanden sei.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die Revision der Klägerin wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, das Urteil abzuändern und der Klage stattzugeben. Hilfsweise wird die Aufhebung und Zurückverweisung an das Erstgericht beantragt.

Die Beklagte beantragt, die Revision der Klägerin zurückzuweisen, hilfsweise, ihr keine Folge zu geben.

Die Nebenintervenientin hat sich am Revisionsverfahren nicht beteiligt.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Ausspruch des Berufungsgerichts (RIS‑Justiz RS0043685) mangels Vorliegens einer Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO unzulässig .

1. Der Verkehrssicherungspflichtige hat nach ständiger Rechtsprechung zu beweisen, dass er die erforderlichen Sicherheitsvorkehrungen getroffen hat (RIS‑Justiz RS0022476).

Welche Sicherungsmaßnahmen zumutbar und erforderlich sind, hängt immer von den Umständen des Einzelfalls ab; derartige Einzelfallentscheidungen sind vom Obersten Gerichtshof nur dann überprüfbar, wenn im Interesse der Rechtssicherheit ein grober Fehler bei der Auslegung der anzuwendenden Rechtsnorm, konkret bei der Auslegung des unbestimmten Begriffs der Unzumutbarkeit, korrigiert werden müsste (RIS‑Justiz RS0078150 [T1], RS0044088). Von einer erheblichen Fehlbeurteilung abgesehen liegt daher keine Frage iSd § 502 Abs 1 ZPO vor, wenn das Berufungsgericht die Rechtsprechung zu Inhalt und Umfang von Verkehrssicherungspflichten, insbesondere zu deren Beschränkung bei Erkennbarkeit der Gefahr, beachtet hat (RIS‑Justiz RS0111380 [T1], RS0110202 [T28] ua).

2. Der Revision gelingt es nicht, eine korrekturbedürftige Fehlbeurteilung aufzuzeigen, denn die bloße Behauptung, die Beklagte habe „in keinster Weise die ihr zumutbaren Vorkehrungen“ getroffen, um Unfälle wie den hier gegenständlichen zu vermeiden, steht im Widerspruch zu den detaillierten Feststellungen über die täglichen Reinigungsarbeiten, die auf den allgemeinen Flächen im Einkaufszentrum der Beklagten auch am Unfallstag durchgeführt und überwacht bzw kontrolliert wurden. Vor allem aber steht hier fest, dass die Speiseeislache, auf der die Klägerin ausrutschte, erst unmittelbar vor dem Sturz auf den Boden gelangt war. Die Klägerin vermag keine zusätzlichen, der Beklagten zumutbaren Maßnahmen aufzuzeigen, die unter diesen Umständen diese ‑ für den Schadenseintritt ursächliche ‑ Verschmutzung verhindern hätten können. Für Kontrollgänge, die „nicht gewissenhaft“ erfolgt wären, ergeben sich aus dem Sachverhalt keine Anhaltspunkte; einen rechtlichen Feststellungsmangel kann die Revisionswerberin in diesem Zusammenhang nicht erfolgreich geltend machen (RIS‑Justiz RS0043480 [T15, T19]).

3. Dass es keine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zum „zumutbaren Umfang von Sicherungspflichten in Einkaufszentren“ gibt, begründet für sich keine erhebliche Rechtsfrage, weil es nicht Aufgabe des Obersten Gerichtshofs ist, abstrakt die Sicherungs‑ und Überprüfungsmaßnahmen auf allgemeinen Flächen in Einkaufszentren zu beurteilen (vgl RIS‑Justiz RS0102181).

4. Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41, 50 ZPO. Die Beklagte hat auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen. Der Einheitssatz für die Revisionsbeantwortung beträgt gemäß § 23 Abs 3 RATG 60 %.

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