OGH 10Ob91/15b

OGH10Ob91/15b22.10.2015

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr.

 Fellinger als Vorsitzenden, die Hofräte Univ.‑Prof. Dr. Neumayr und Dr. Schramm sowie die Hofrätinnen Dr. Fichtenau und Mag. Korn als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei DI A*****, vertreten durch Holzer Kofler Mikosch Kasper Rechtsanwälte OG in Klagenfurt, gegen die beklagte Partei G*****, vertreten durch Dr. Wolfgang Hauptmann, Rechtsanwalt in Salzburg, wegen Ehescheidung, über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Klagenfurt als Berufungsgericht vom 13. August 2015, GZ 4 R 157/15b‑66, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2015:0100OB00091.15B.1022.000

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

 

Begründung:

Der Kläger begehrte die Scheidung der mit der Beklagten im Jahr 1983 geschlossenen Ehe aus deren Alleinverschulden.

Die Beklagte beantragte die Abweisung des Klagebegehrens und wendete im Wesentlichen ein, dass die Ehe nicht unheilbar zerrüttet sei. Sie bestritt die behaupteten Scheidungsgründe, welche überdies verfristet wären, und beantragte für den Fall der Scheidung den Ausspruch des überwiegenden Verschuldens des Klägers an der Zerrüttung der Ehe.

Das Erstgericht schied die zwischen den Streitteilen geschlossene Ehe aus dem gleichteiligen Verschulden beider Parteien.

Das Berufungsgericht gab den gegen diese Entscheidung erhobenen Berufungen beider Parteien nicht Folge und bestätigte das Ersturteil. Es sprach aus, dass die ordentliche Revision nicht zulässig sei.

Gegen dieses Urteil erhob nur die Beklagte außerordentliche Revision (gegenüber dem Kläger erwuchs die Entscheidung des Berufungsgerichts in Rechtskraft). Die Beklagte beantragt die Abänderung dieser Entscheidung dahingehend, dass das Klagebegehren auf Ehescheidung abgewiesen werde; in eventu wird beantragt, das angefochtene Urteil dahingehend abzuändern, dass das alleinige oder jedenfalls das überwiegende Verschulden des Klägers an der Zerrüttung der Ehe ausgesprochen werde.

Rechtliche Beurteilung

Das Rechtsmittel ist mangels einer Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung iSd § 502 Abs 1 ZPO zurückzuweisen.

1. Zum Zeitpunkt des Eintritts der Zerrüttung der Ehe:

1.1 Nach ständiger Rechtsprechung ist unheilbare Zerrüttung dann anzunehmen, wenn die geistige, seelische und körperliche Gemeinschaft zwischen den Ehegatten und damit die Grundlage der Ehe objektiv und wenigstens bei einem Ehegatten auch subjektiv zu bestehen aufgehört haben, und die Wiederherstellung einer Lebensgemeinschaft nicht mehr zu erwarten ist (RIS‑Justiz RS0056832 [T3]). Die Einbringung der Scheidungsklage kann zwar die Zerrüttung indizieren, es ist aber nicht ungewöhnlich, dass die objektive Zerrüttung erst danach eintritt (RIS‑Justiz RS0043423 [T5]). Die Frage, wann eine unheilbare Zerrüttung der Ehe eingetreten ist, hängt jeweils von den Umständen des Einzelfalls ab (RIS‑Justiz RS0056832 [T5]).

1.2 Ausgehend von diesen Grundsätzen der Rechtsprechung erscheint die Rechtsansicht der Vorinstanzen nicht unvertretbar, die unheilbare Zerrüttung der Ehe sei im vorliegenden Fall erst nach Einbringung der Scheidungsklage eingetreten und zwar als Folge der am 15. 6. 2012 von der Beklagten gegen den Kläger erstatteten ungerechtfertigten polizeilichen Anzeige wegen gefährlicher Drohung, des anschließenden dreiwöchigen unbekannten Aufenthalts der Beklagten und des durch diese Ereignisse veranlassten Auszugs des Klägers aus der ehelichen Wohnung am 1. 7. 2012.

2. Zu den der Beklagten vorgeworfenen Eheverfehlungen:

2.1 Die eheliche Beistandspflicht und die Pflicht zur anständigen Begegnung bestehen (ebenso wie die Pflicht zur ehelichen Treue) grundsätzlich während der gesamten Dauer der Ehe und müssen daher von den Ehegatten auch noch während eines anhängigen Scheidungsverfahrens beachtet werden (RIS‑Justiz RS0056332 [T1]). Auch während des Scheidungsverfahrens begangene Eheverfehlungen sind demnach grundsätzlich zu berücksichtigen (RIS‑Justiz RS0056840). Die Frage, ob der beklagten Ehefrau das Scheidungsbegehren des Mannes rechtfertigende, die Zerrüttung der Ehe mitbewirkende schwere Eheverfehlungen anzulasten sind, ist nach dem Zeitpunkt der Entscheidung des Erstgerichts (Schluss der Verhandlung) zu beurteilen (6 Ob 684/88). Von diesen Grundsätzen weicht die Entscheidung des Berufungsgerichts in der Frage einer allfälligen Verfristung der Geltendmachung eines Scheidungsgrundes durch den Kläger nicht ab.

2.2 Sachlich begründete Anzeigen oder Privatanklagen sind keine Eheverfehlungen. Strafanzeigen gegen den anderen Ehegatten, die ohne einem echten Sicherheitsbedürfnis zu entspringen, nur aus feindlicher Einstellung oder aus Rachegefühl gemacht werden, sind jedoch als schwere Eheverfehlungen zu werten (RIS‑Justiz RS0056898; RS0056902; RS0056912).

2.3 Im vorliegenden Fall steht fest, dass die Beklagte im Rahmen ihrer während des anhängigen Scheidungsverfahrens erstatteten polizeilichen Anzeige am 15. 6. 2012 wahrheitswidrig behauptete, der Kläger habe sie am Vortag gefährlich bedroht, was zu einer polizeilichen Intervention im ‑ damals noch ‑ gemeinsam bewohnten Haus sowie zur Einleitung eines staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahrens führte. (Anhaltspunkte dafür, dass diese Anzeigeerstattung im Zusammenhang mit einer zu diesem Zeitpunkt bei der Beklagten gegebenen geistigen Störung steht, ergeben sich nicht.) Es stellt somit keine vom Obersten Gerichtshof aufzugreifende Fehlbeurteilung dar, wenn die Vorinstanzen davon ausgegangen sind, die Anzeigenerstattung sei der Beklagten als schwere Eheverfehlung anzulasten, die kausal zur Zerrüttung beigetragen hat und die Scheidung nach § 49 EheG rechtfertigt. Es muss daher nicht mehr darauf eingegangen werden, ob die der Beklagten vorgeworfenen weiteren Verhaltensweisen ua ihr Wunsch ins Ausland zu ziehen, die vorgenommene Namensänderung, die mangelnden Bemühungen um eine Verbesserung ihres Gesundheitszustands, die mangelnde Distanzierung von den Heilungsideen des Dr. S***** etc) von der bei ihr im Juli 2011 aufgetretenen geistigen Erkrankung umfasst waren oder ihr diese Verhaltensweisen doch als weitere die Scheidung rechtfertigende, schuldhafte Eheverfehlungen zur Last zu legen sind.

3. Zur Verschuldensteilung:

3.1 Bei beiderseitigem Verschulden muss ein sehr erheblicher Unterschied im Grad des Verschuldens gegeben sein, um ein überwiegendes Verschulden eines Teils annehmen zu können. Es ist dabei nicht nur zu berücksichtigen, wer mit der schuldhaften Zerrüttung der Ehe begonnen hat, sondern auch wer entscheidend dazu beigetragen hat, dass die Ehe unheilbar zerrüttet wurde (RIS‑Justiz RS0057057). Ein überwiegendes Verschulden ist nur dort anzunehmen und auszusprechen, wo der graduelle Unterschied der beiderseitigen Verschuldensanteile augenscheinlich und evident hervortritt und das mindere Verschulden fast völlig in den Hintergrund tritt (RIS‑Justiz RS0057821; RS0057325 [T4]). Weil das überwiegende Verschulden, insbesondere bei den Scheidungsfolgen, dem alleinigen Verschulden gleichgesetzt ist, ist ein strenger Maßstab anzulegen (RIS‑Justiz RS0057821 [T8]).

3.2 Von dieser Rechtsprechung ist das Berufungsgericht nicht abgewichen. Die von den Vorinstanzen für die Begründung des gleichteiligen Verschuldens herangezogenen Eheverfehlungen des Klägers sind mangelnde psychische und emotionale Unterstützung der Beklagten bei der Inanspruchnahme professioneller psychologischer bzw psychiatrischer Hilfe und die Nichtwiederherstellung der Kontozugangsberechtigung bzw der Zugriffsmöglichkeit auf die Sparbücher nach der Entlassung der Beklagten aus deren stationärer psychiatrischen Behandlung. Dass bei der gebotenen Gesamtbetrachtung im Verhältnis dazu der von der Beklagten erstatteten Falschanzeige nur völlig untergeordnete Bedeutung zukäme und das Verschulden der Beklagten fast völlig hinter jenes des Klägers zurückträte, kann keineswegs gesagt werden, stellt die Falschanzeige doch den letztlich entscheidenden Beitrag zur endgültigen Zerrüttung der Ehe dar. Die Vorinstanzen sind daher in vertretbarer Weise zum Ausspruch des gleichteiligen Verschuldens gelangt, ohne dabei das ihnen in dieser Frage eingeräumte Ermessen zu überschreiten (vgl RIS‑Justiz RS0044088). Auch die Verschuldensbemessung bei der Scheidung erfolgt regelmäßig nach den Umständen des Einzelfalls und begründet keine erhebliche Rechtsfrage (vgl RIS‑Justiz RS0119414; RS0118125; RS0119414; RS0110837 [T1]).

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