OGH 12Os121/15h

OGH12Os121/15h22.10.2015

Der Oberste Gerichtshof hat am 22. Oktober 2015 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Schroll als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. T. Solé, Dr. Oshidari, Dr. Michel‑Kwapinski und Dr. Brenner in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Ortner als Schriftführer in der Strafsache gegen Fatih C***** und andere Angeklagte wegen des Verbrechens des Raubes nach § 142 Abs 1 StGB und weiterer strafbarer Handlungen, AZ 144 Hv 80/15p des Landesgerichts für Strafsachen Wien, über die von der Generalprokuratur gegen den in der Hauptverhandlung am 21. August 2015 in Urteilsform ergangenen Ausspruch, wonach das Landesgericht als Jugendschöffengericht in der Zusammensetzung nach § 32 Abs 1 StPO sachlich unzuständig ist, erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Mag. Knibbe, der Angeklagten Fatih C*****, und Ali J***** sowie der Verteidigerinnen Dr. Vinkovits und Mag. Baar zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2015:0120OS00121.15H.1022.000

 

Spruch:

 

Der in der Hauptverhandlung am 21. August 2015 in Urteilsform ergangene Ausspruch, wonach das Landesgericht für Strafsachen Wien als Jugendschöffengericht in der Zusammensetzung nach § 32 Abs 1 StPO sachlich unzuständig ist, verletzt das Gesetz in § 261 Abs 1 StPO.

Das „Unzuständigkeitsurteil“ des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Jugendschöffengericht vom 21. August 2015, wird aufgehoben.

 

Gründe:

Die Staatsanwaltschaft Wien brachte am 31. März 2015 beim Landesgericht für Strafsachen Wien zu AZ 144 Hv 80/15p gegen die Angeklagten Fatih C*****, Abed R***** und Ali J***** eine Anklageschrift unter anderem wegen (richtig:) mehrerer Verbrechen des Raubes nach §§ 142 Abs 1, 15 Abs 1 StGB (I./A./1./ und 2./ sowie B./) ein (ON 26).

In der am 21. August 2015 (in der in § 32 Abs 1 dritter Satz StPO genannten Gerichtsbesetzung) durchgeführten Hauptverhandlung modifizierte die Staatsanwältin aufrund der nunmehrigen Verantwortung des Angeklagten Fatih C*****, wonach bei einer der zu I./A./2./ in der Anklageschrift beschriebenen Raubtaten ein vom Angeklagten Ali J***** geführtes Messer als Drohmittel verwendet worden sei (ON 52 S 8 f), die Anklage in diesem Punkt in Richtung des (richtigerweise die gesonderte Unterstellung der übrigen vom Anklagepunkt I./A./2./ umfassten Raubtaten weiterhin jeweils nach § 142 Abs 1 StGB unberührt lassenden) Verbrechens des schweren Raubes nach §§ 142 Abs 1, 143 zweiter Fall StGB (ON 52 S 9 f).

Daraufhin sprach das Landesgericht für Strafsachen Wien mit (unbekämpft gebliebenem) „Unzuständigkeitsurteil“ vom 21. August 2015, GZ 144 Hv 80/15p‑53, aus, dass ‑ mit Blick auf die nunmehr aktuelle Besetzungsvorschrift des § 32 Abs 1a Z 2 StPO ‑ „das Landesgericht als Schöffengericht in der Zusammensetzung nach § 32 Abs 1 StPO sachlich unzuständig ist“.

Rechtliche Beurteilung

Wie die Generalprokuratur in ihrer zur Wahrung des Gesetzes erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zutreffend aufzeigt, steht dieses „Unzuständigkeitsurteil“ mit dem Gesetz nicht im Einklang:

Mit den ‑ in Strafverfahren, in denen ab dem 1. Jänner 2015 Anklage eingebracht wird, anzuwendenden (§ 516 Abs 10 erster Satz StPO) ‑ Bestimmungen des § 32 Abs 1 und Abs 1a StPO idF des Strafprozessrechts-änderungsgesetzes 2014, BGBl I 2014/71, wurde die Besetzung des Landesgerichts als Schöffengericht neu geregelt. Nach § 32 Abs 1 dritter Satz StPO besteht das Landesgericht als Schöffengericht ‑ ausgenommen „den Fall“ des Abs 1a ‑ aus einem Richter und zwei Schöffen; nach Abs 1a leg cit besteht es im Hauptverfahren wegen nachfolgend bezeichneter Straftaten (Z 1 bis Z 7; unter anderem wegen schweren Raubes [Z 2]) aus zwei Richtern und zwei Schöffen.

Mit diesen neuen Bestimmungen sollte keine neue Form der Zuständigkeit im Sinn des § 31 StPO geschaffen werden, sodass die Abgrenzung zwischen „Schöffengericht“ und „großem Schöffengericht“ ausschließlich als eine Frage der Besetzung des Gerichts zu qualifizieren ist (Einführungserlass des Bundesministeriums für Justiz vom 12. Dezember 2014, GZ BMJ‑S578.028/0021‑IV 3/2014, eJABl 2014/13, Punkt 3.2 [S 17]).

Die Fällung eines Unzuständigkeitsurteils des Schöffengerichts kommt nach dem ausdrücklichen Wortlaut des § 261 Abs 1 StPO nur dann in Betracht, wenn das Schöffengericht erachtet, dass die der Anklage zugrunde liegenden Tatsachen an sich oder in Verbindung mit den in der Hauptverhandlung hervorgetretenen Umständen „eine zur Zuständigkeit des Geschworenengerichts gehörige strafbare Handlung begründen“ (vgl RIS‑Justiz RS0098800; Fabrizy, StPO12 § 261 Rz 3; Lewisch, WK‑StPO § 261 Rz 2 f).

Ergeben sich dagegen in der Hauptverhandlung nicht Bedenken in Richtung einer Zuständigkeit des Geschworenengerichts, sondern an der gehörigen Besetzung des Schöffengerichts (hier in Richtung einer Besetzung gemäß § 32 Abs 1a StPO), so ist kein Unzuständigkeitsurteil zu fällen, sondern vielmehr die Hauptverhandlung abzubrechen und die Entscheidung einer neuen Hauptverhandlung vor einem ordnungsgemäß besetzten Gericht vorzubehalten (vgl instruktiv Danek/Mann, WK‑StPO § 221 RZ 27/2 zu § 32 Abs 1a StPO; Schroll in WK2 § 1 JGG Rz 9; 11 Os 112/12y, 11 Os 130/12w, jeweils mit Beziehung auf § 28 JGG).

Das „Unzuständigkeitsurteil“ des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 21. August 2015, mit dem das Gericht eine ihm nach dem Gesetz nicht zukommende Entscheidungskompetenz in Anspruch genommen hat, verletzt daher das Gesetz in § 261 Abs 1 StPO. Ein derartiges „Unzuständigkeitsurteil“ ist ‑ als der Strafprozessordnung fremd (vgl 14 Os 16/04) ‑ solcherart wirkungslos. Zur Klarstellung war es daher zu beseitigen (RIS‑Justiz RS0116267; 11 Os 112/12y, 11 Os 130/12w; vgl Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 496; Lewisch, WK‑StPO § 261 Rz 30).

Abschließend wird darauf hingewiesen, dass alle Angeklagten inzwischen nach Durchführung einer Hauptverhandlung in der Senatsbesetzung nach § 32 Abs 1a StPO mit gekürzt ausgefertigtem Urteil vom 23. September 2015 rechtskräftig schuldig erkannt wurden.

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