OGH 10Ob56/15f

OGH10Ob56/15f1.10.2015

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Fellinger als Vorsitzenden, die Hofräte Univ.‑Prof. Dr. Neumayr und Dr. Schramm sowie die Hofrätinnen Dr. Fichtenau und Mag. Korn als weitere Richter in der Pflegschaftssache der Minderjährigen M*****, geboren am *****, und J*****, geboren am *****, beide vertreten durch den Kinder- und Jugendhilfeträger Land Kärnten (Magistrat der Landeshauptstadt Klagenfurt am Wörthersee, Abteilung Jugend und Familie, 9010 Klagenfurt am Wörthersee, Bahnhofstraße 35), wegen Gewährung von Unterhaltsvorschüssen, über den Revisionsrekurs der Minderjährigen gegen den Beschluss des Landesgerichts Klagenfurt als Rekursgericht vom 26. Februar 2015, GZ 4 R 26/15p, 4 R 27/15k‑137, womit infolge Rekurses des Bundes, vertreten durch den Präsidenten des Oberlandesgerichts Graz, und des Vaters Dr. A*****, vertreten durch Lanker Obergantschnig Rechtsanwälte GmbH in Klagenfurt, die Beschlüsse des Bezirksgerichts Klagenfurt vom 18. November 2014, GZ 2 Pu 144/09g‑115 und ‑116, abgeändert wurden, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2015:0100OB00056.15F.1001.000

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird, soweit er sich gegen die Abweisung der Vorschussanträge richtet, Folge gegeben.

Der angefochtene Beschluss wird in diesem Umfang dahin abgeändert, dass die Bewilligungsbeschlüsse des Erstgerichts wiederhergestellt werden.

Im Übrigen wird dem Revisionsrekurs nicht Folge gegeben.

 

Begründung:

Der Vater ist aufgrund des rechtskräftigen Beschlusses des Erstgerichts vom 23. 8. 2012 verpflichtet, den Minderjährigen ab 1. 9. 2012 Unterhaltsbeiträge von je 120 EUR monatlich zu zahlen.

Mit dem in Rechtskraft erwachsenen Beschluss vom 11. 4. 2014 sprach das Erstgericht aus, dass bei Aufrechterhaltung der gemeinsamen Obsorge der (geschiedenen) Eltern die Kinder vom Vater in jeder geraden Kalenderwoche von Freitag nach Schulschluss bis Schulbeginn am Freitag der darauffolgenden (ungeraden) Kalenderwoche und von der Mutter in jeder ungeraden Kalenderwoche von Freitag, Schulbeginn, bis Schulschluss am Freitag der darauffolgenden (geraden) Kalenderwoche zu betreuen sind. Der Antrag des Vaters, den überwiegenden Aufenthalt beider Kinder bei ihm festzulegen, und jener seines Sohnes, jeden Montag bei seinem Vater zu verbringen, wurden abgewiesen. In der vorherigen gerichtlichen Regelung vom 3. 3. 2011 war festgelegt worden, dass der Vater in jeder geraden Kalenderwoche von Freitag nach Schulschluss bis Schulbeginn am Freitag der darauffolgenden (ungeraden) Kalenderwoche und die Mutter in den übrigen Zeiträumen die Kinder betreut.

Mit dem am 31. 10. 2014 eingebrachten Schriftsatz beantragten die von der Mutter vertretenen Minderjährigen die Gewährung von Unterhaltsvorschüssen. Mit Beschluss des Bezirksgerichts Klagenfurt vom 30. 1. 2014 sei zur Hereinbringung der Unterhaltsrückstände die Fahrnis- und Forderungsexekution bewilligt worden. Der Unterhaltsschuldner komme seiner laufenden Unterhaltsverpflichtung nicht nach. Der Unterhaltsrückstand betrage je Kind 2.255 EUR. Im Rahmen der Forderungsexekution habe bisher eine Zahlung nicht bewirkt werden können. Die Versteigerung von Fahrnissen am 23. 10. 2014 habe einen Erlös von 150 EUR gebracht. Eine Anschlusspfändung sei erfolgt. Selbst im Fall der Versteigerung werde nicht damit zu rechnen sein, dass der Unterhaltsrückstand zur Gänze abgedeckt werden könne. Der Vater weigere sich Unterhalt zu zahlen.

Das Erstgericht bewilligte gemäß §§ 3, 4 Z 1 UVG den Minderjährigen monatliche Unterhaltsvorschüsse von je 120 EUR ab 1. 10. 2014 und ordnete gleichzeitig die Innehaltung der Auszahlung der bewilligten Vorschüsse im Hinblick auf einen vom Vater gestellten Unterhaltsenthebungsantrag an.

Das Rekursgericht gab den Rekursen des Bundes und des Vaters im antragsabweisenden Sinn Folge und wies die Rekursbeantwortungen der vom Kinder- und Jugendhilfeträger vertretenen Minderjährigen als verspätet zurück. Die Kinder würden nach der Aktenlage, insbesondere nach dem Beschluss des Erstgerichts vom 11. 4. 2014, wochenweise abwechselnd (auch noch im Zeitpunkt der Beschlussfassung erster Instanz) jeweils zur Hälfte von einem Elternteil in dessen Haushalt betreut. Daher hätte das Erstgericht vom Bestehen auch eines gemeinsamen ‑ nämlich insbesondere weit über bloße Besuchskontakte hinausreichenden ‑ Haushalts des Unterhaltsschuldners mit seinen beiden Kindern im Sinn der Ausschlussbestimmung des § 2 Abs 2 Z 1 UVG ausgehen müssen. Ob im Vorschussantrag eine von vornherein gegebene Aussichtslosigkeit der unterlassenen Exekutionsführung nach § 372 EO hinlänglich behauptet und damit der Antrag ferner auf das Vorliegen der Tatbestandsmerkmale des § 4 Z 1 UVG gestützt worden sei, könne daher dahingestellt bleiben.

Das Rekursgericht sprach aus, der ordentliche Revisionsrekurs sei zulässig, weil Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zur Frage fehle, ob § 2 Abs 2 Z 1 UVG auch dann greife, wenn ein unterhaltsberechtigtes Kind regelmäßig und zu annähernd gleichen Teilen den getrennt geführten elterlichen Haushalten angehöre.

Gegen diesen Beschluss richtet sich der Revisionsrekurs der Minderjährigen mit dem Antrag, die Beschlüsse des Erstgerichts wiederherzustellen und die Zurückweisung der Rekursbeantwortungen ersatzlos aufzuheben.

Der Vater erstattete eine Revisionsrekursbeantwortung und beantragt, dem Revisionsrekurs nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist zulässig; er ist auch teilweise berechtigt.

Die Rechtsmittelwerber machen geltend, die vom Rekursgericht vertretene Auffassung hätte zur Folge, dass ein aus der unterschiedlichen Leistungsfähigkeit der Eltern, die abwechselnd das Kind in ihren Haushalten betreuen, resultierender Restgeldunterhaltsanspruch nicht bevorschusst werden könnte. Im Vorschussantrag sei hinreichend dargetan worden, dass schon die bisherige Exekutionsführung im Grunde erfolglos gewesen sei.

Dazu wurde erwogen:

1.1. Nach § 2 Abs 2 Z 1 UVG besteht ein Anspruch auf Vorschüsse nicht, wenn das Kind mit dem Unterhaltsschuldner im gemeinsamen Haushalt lebt. Ein gemeinsamer Haushalt des Kindes mit dem Unterhaltsschuldner liegt jedenfalls dann vor, wenn dieser in derselben Wohnung wie das Kind wohnt, in die Wohngemeinschaft eingebunden ist und am Familienleben in einem Ausmaß teilnimmt, wie dies im Allgemeinen bei intakten Familien üblich ist (RIS‑Justiz RS0111118).

1.2. Der Ausschlussgrund des gemeinsamen Haushalts wurde aufgrund des Berichts des Justizausschusses (JA 199 BlgNR 14. GP  5) aufgenommen, um einer missbräuchlichen Inanspruchnahme der Unterhaltsvorschüsse vorzubeugen. Diese Gefahr besteht etwa dann, wenn das Kind sowohl vom Unterhaltsschuldner als auch vom Staat, also doppelt, Unterhaltsleistungen bezieht (7 Ob 159/98b).

1.3. Sinn und Zweck der Vorschussgewährung ist, Minderjährige gegen Unterhaltsverletzungen abzusichern (7 Ob 159/98b mwN). Wird der laufende Unterhalt des Minderjährigen ohnehin vom Unterhaltsschuldner gedeckt, besteht kein Anlass, den Unterhalt zu bevorschussen.

1.4. Voraussetzung eines Unterhaltsvorschusses ist, dass ein gesetzlicher Unterhaltsanspruch (§ 1 UVG) in Geld (2 Ob 549/93) besteht. Gemäß § 231 Abs 2 ABGB leistet der Elternteil, der den Haushalt führt, in dem er das Kind betreut, dadurch seinen Beitrag zum Kindesunterhalt (§ 231 Abs 1 ABGB). Darüber hinaus hat er zum Unterhalt des Kindes beizutragen, soweit der andere Elternteil zur vollen Deckung der Bedürfnisse des Kindes nicht imstande ist oder mehr leisten müsste, als es seinen eigenen Lebensverhältnissen angemessen wäre (§ 231 Abs 2 Satz 2 ABGB). Unter diesen Umständen kann somit der den Haushalt führende und das Kind betreuende Elternteil zu einer weiteren Unterhaltsleistung in Form eines Geldunterhalts in Anspruch genommen werden.

1.5. Im vorliegenden Fall ist davon auszugehen, dass ein gemeinsamer Haushalt des Vaters (Geldunterhaltsschuldners) mit seinen Kindern während der Hälfte eines Monats in der Schulzeit eines Jahres besteht. In diesem Zusammenhang ist zu berücksichtigen, dass im Vorschussverfahren alle für die Gewährung und Einstellung maßgeblichen Ereignisse monatsbezogen erfasst werden: Ein Gewährungsgrund, der am Beginn eines Monats noch nicht und zum Monatsende nicht mehr bestanden hat, erfüllt die Voraussetzungen für die Vorschussgewährung; umgekehrt hindert ein Versagungsgrund, der nur an einigen Tagen eines Monats gegeben war, die Bevorschussung für den gesamten Monat nicht (4 Ob 335/99i; Neumayr in Schwimann/Kodek 4 I § 8 UVG Rz 3). Daraus und aus Sinn und Zweck der Vorschussgewährung folgt im zu entscheidenden Fall, dass der gemeinsame Haushalt des Unterhaltsschuldners mit den Unterhaltsberechtigten während der Hälfte eines Monats nicht die negative Anspruchsvoraussetzung des § 2 Abs 2 Z 1 UVG verwirklicht. Eine andere Beurteilung erfordert der Zweck dieser Bestimmung nicht, denn zu einer doppelten Unterhaltsleistung kommt es nicht, wenn der vom Unterhaltsschuldner trotz seiner Betreuungsleistung zu erbringende monatliche Geldunterhalt bevorschusst wird, sodass den Kindern der gesamte laufende gesetzliche Unterhalt zukommt.

2. Das Rekursgericht hat daher zu Unrecht den Versagungsgrund nach § 2 Abs 2 Z 1 UVG angenommen.

3.1. Maßgeblicher Stichtag für das Vorliegen der Voraussetzungen für die Vorschussgewährung ist im Unterhaltsvorschussverfahren stets das Datum der Entscheidung erster Instanz (RIS‑Justiz RS0076052 [T5]). Auch für die Beurteilung, ob der Anschein der Aussichtslosigkeit der Exekutionsführung gegeben ist, ist die objektive Lage zur Zeit der Fassung des Beschlusses erster Instanz entscheidend (RIS‑Justiz RS0076052 [T1]).

3.2. Nach § 11 Abs 2 2. Alternative UVG können die Vorschussvoraussetzungen (auch) durch eine der Wahrheit entsprechende, den entscheidungswesentlichen Sachverhalt vollständig anführende Erklärung des Vertreters des Kindes glaubhaft gemacht werden. Die Bestimmung soll dazu beitragen, das Verfahren rasch und ohne weitwendige Ermittlungen abzuwickeln (10 Ob 59/09p; RIS‑Justiz RS0088823[T3]).

3.3. § 3 Z 2 UVG sieht als Grundfall eine Vorschussgewährung nach beantragter Exekution des Kindes vor. Davon unterscheidet sich der Tatbestand des § 4 Z 1 UVG nur dadurch, dass bei letzterer Bestimmung der Versuch einer Exekutionsführung wegen deren Aussichtslosigkeit entbehrlich ist (10 Ob 59/09p mwN). Aussichtslosigkeit einer Exekution iSd § 4 Z 1 UVG bedeutet Aussichtslosigkeit einer Exekutionsführung nach § 3 Z 2 UVG (RIS‑Justiz RS0076048).

3.4. § 3 Z 2 UVG setzt bei Geldunterhaltspflichtigen mit laufenden Entgeltansprüchen (Lohn, Gehalt, sonstige fortlaufende Bezüge) einen Exekutionsantrag nach § 294a EO (oder auch nach § 294 EO [vgl Neumayr in Schwimann/Kodek 4 I § 3 UVG Rz 23 unter Hinweis auf 10 Ob 47/10z und 10 Ob 35/10k]) und bei Geldunterhaltspflichtigen ohne laufende Bezüge iSd § 290a EO einen Antrag auf Fahrnisexekution, kombiniert mit einer Exekution nach § 372 EO, voraus.

3.5. Da der geldunterhaltspflichtige Vater (selbständig Erwerbstätiger) im konkreten Fall der Gruppe die Unterhaltsschuldner ohne laufende Bezüge iSd § 290a EO zuzurechnen war, war nach dem Grundfall des § 3 Z 2 UVG auch ein Exekutionsantrag zur Sicherstellung gemäß § 372 EO erforderlich. Ein solcher wurde nach dem Vorbringen im Vorschussantrag offensichtlich nicht eingebracht, sondern nur eine Befriedigungsexekution (Fahrnisexekution) beantragt.

3.6. Entgegen der Ansicht des Bundes stützt sich der Vorschussantrag noch ausreichend auf den Vorschusstatbestand des § 4 Z 1 UVG. Ist gegen einen selbständigen Unterhaltsschuldner ohne Erfolg eine Fahrnisexekution zur Hereinbringung der Unterhaltsforderungen versucht worden, kann eine Aussichtslosigkeit einer Exekutionsführung nach § 3 Z 2 2. Fall UVG angenommen werden (10 Ob 59/09p).

3.7. In Stattgebung des Revisionsrekurses waren daher die Bewilligungsbeschlüsse des Erstgerichts wiederherzustellen.

4.1. Mit ihrem Revisionsrekurs gegen die Zurückweisung der Rekursbeantwortungen machen die Rechtsmittelwerber geltend, dass im Zeitpunkt der Zustellung der Bewilligungsbeschlüsse und der Rekurse des Bundes und des Vaters der Magistrat der Landeshauptstadt Klagenfurt am Wörthersee nicht die örtlich zuständige Bezirksverwaltungsbehörde gewesen sei, weil die Minderjährigen seit Juli 2014 in K***** hauptwohnsitzlich gemeldet gewesen seien (§ 7 Abs 2 Kärntner Kinder- und Jugendhilfegesetz).

4.2. Dem ist zu erwidern:

Der Magistrat der Landeshauptstadt wurde in den Bewilligungsbeschlüssen (§ 13 Abs 1 UVG) als zuständige Organisationseinheit des Kinder- und Jugendhilfeträgers bezeichnet. Ihm wurden die Bewilligungsbeschlüsse auch zugestellt. War der Magistrat nicht die zuständige Organisationseinheit, an die die Zustellung erfolgte, hätte der Kinder- und Jugendhilfeträger den Bewilligungsbeschluss bekämpfen können (Neumayr in Schwimann/Kodek 4 I § 9 UVG Rz 16). Da dies nicht geschehen ist, durfte das Erstgericht die Rekurse zu Recht an den Magistrat als zuständige Organisationseinheit zustellen, zumal zuvor vom Kinder- und Jugendhilfeträger dem Gericht auch nicht mitgeteilt wurde, dass eine andere Organisationseinheit örtlich zuständig ist.

Dass ausgehend von der wirksamen Zustellung der Rekurse des Vaters und des Bundes an den Magistrat, an der die Rücksendung der Schriftstücke an das Erstgericht nichts änderte, die Rekursbeantwortungen verspätet eingebracht wurden, bestreiten die Rechtsmittelwerber nicht.

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