OGH 9ObA86/15k

OGH9ObA86/15k27.8.2015

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Hopf als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Mag. Ziegelbauer und Dr. Hargassner sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Johannes Pflug und Mag. Manuela Majeranowski als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Dr. L***** B*****, vertreten durch Orgler + Pfurtscheller, Rechtsanwälte in Innsbruck, gegen die beklagte Partei Marktgemeinde *****, vertreten durch Dr. Thomas Praxmarer, Rechtsanwalt in Innsbruck, wegen Feststellung des aufrechten Dienstverhältnisses, über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen vom 29. April 2015, GZ 15 Ra 10/15f‑76, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2015:009OBA00086.15K.0827.000

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision der beklagten Partei wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Begründung

Rechtliche Beurteilung

Es ist herrschende Rechtsprechung, dass die in den Gemeindeordnungen enthaltenen Vorschriften über die Vertretung der Gemeinden nicht bloße Organisationsvorschriften über die interne Willensbildung öffentlich‑rechtlicher Körperschaften darstellen, sondern vielmehr Einschränkungen der Vertretungsmacht des Bürgermeisters nach außen enthalten (RIS‑Justiz RS0014664). Eine durch einen erforderlichen Gemeinderatsbeschluss nicht gedeckte Willenserklärung des Bürgermeisters bindet daher mangels der hiefür erforderlichen Vertretungsbefugnisse die Gemeinde einerseits grundsätzlich nicht (RIS‑Justiz RS0014664 [T6]) und ist andererseits gegenüber dem Erklärungsempfänger wirkungslos (9 ObA 88/14b). Zudem kommt die nachträgliche Sanierung (durch Genehmigung seitens des zuständigen Gemeindeorgans) einer ursprünglich fehlerhaften Entlassung nicht in Betracht, weil die Entlassung die Rechtslage mit Wirkung ex nunc gestaltet (RIS‑Justiz RS0019484). Nach diesen Grundsätzen ist eine vom Bürgermeister allein ausgesprochene Entlassung nicht nur schwebend, sondern grundsätzlich unwirksam, wenn der Bürgermeister zum Ausspruch der Entlassung nach den Organisationsvorschriften nicht (alleine) zuständig war (9 ObA 84/10h; 9 ObA 148/13z; 9 ObA 88/14b).

Die beklagte Gemeinde, deren Bürgermeister den bei ihr als Amtsleiter beschäftigten Kläger ohne den erforderlichen Beschluss des zuständigen Gemeindeorgans entlassen hat, beruft sich auf die dem Bürgermeister nach § 51 der Tiroler Gemeindeordnung 2001 (TGO 2001) zuständige Eilkompetenz. Danach kann der Bürgermeister in jenen Fällen, in denen wegen Gefahr im Verzug das zuständige Gemeindeorgan nicht rechtzeitig einberufen werden kann, die Angelegenheit allein entscheiden. Die Entscheidung ist ohne unnötigen Aufschub dem zuständigen Gemeindeorgan zur nachträglichen Kenntnisnahme und Genehmigung vorzulegen. Ob der Ausspruch einer Entlassung konkret ein derart rasches Handeln erfordert, dass zur Abwehr eines drohenden Schadens die Einberufung der zuständigen Organe nicht abgewartet werden kann, kann nur nach den Umständen des Einzelfalls beurteilt werden (9 ObA 148/13z). Diese Frage haben die Vorinstanzen übereinstimmend verneint. Eine korrekturbedürftige Fehlbeurteilung zeigt die außerordentliche Revision der Beklagten nicht auf:

Nach Ansicht der Beklagten sei Gefahr im Verzug vorgelegen, weil sie den begründeten und auch strafrechtlich relevanten Verdacht gehabt habe, der Kläger habe das Amtsgeheimnis im Zusammenhang mit einer öffentlichen Ausschreibung verletzt und zu befürchten gewesen sei, der Kläger könnte Umstände, die dieses Ausschreibungsverfahren betreffen, hintertreiben und damit die Aufklärung des Sachverhalts erschweren. Zudem habe die konkrete Befürchtung bestanden, dass der Kläger auch andere Amtsgeheimnisse verletzt haben könnte oder verletzen werde. Diesen Argumenten hielten die Vorinstanzen entgegen, dass die Beklagte das mit der (sofortigen) Entlassung verfolgte Ziel, den Kläger von den Amtsräumen sowie sämtlichen Amts‑ und Aktenvorgängen fernzuhalten, auch dadurch erreichen hätte können, dass der Bürgermeister dem Kläger Hausverbot erteilt, ihm die Schlüssel und das Diensthandy abgenommen und ihn dienstfrei gestellt hätte. Wenn die Beklagte meint, mit diesen Maßnahmen hätten nicht mit Sicherheit mögliche Nachteile für die Gemeinde abgewendet werden können, so muss ihr entgegen gehalten werden, dass an den von ihr genannten Gefahren auch die Entlassung ‑ überdies als bloße das Arbeitsverhältnis betreffende rechtsgestaltende Erklärung ‑ nichts geändert hätte.

Die von der Beklagten darüber hinaus vertretene Rechtsansicht, § 58 Abs 3 letzter Satz TGO 2001, wonach der Amtsleiter unter der unmittelbaren Aufsicht des Bürgermeisters die Aufgaben wahrzunehmen habe, begründe als lex specialis die Alleinentscheidungskompetenz des Bürgermeisters bei Gefahr in Verzug, wenn es um das Arbeitsverhältnis eines Amtsleiters gehe, findet im Gesetz keine Deckung. § 58 Abs 3 TGO 2001 letzter Satz regelt ausschließlich das Aufsichtsrecht des Bürgermeisters über den Amtsleiter, bietet aber keine Grundlage für eine Vertretungsmacht des Bürgermeisters in Bezug auf die Beendigung des Dienstverhältnisses des Amtsleiters, Entscheidungen über die Beendigung von Dienst‑ bzw Arbeitsverhältnissen sind nach § 30 Abs 1 lit h) TGO 2001 ausdrücklich dem Gemeinderat als oberstes Organ der Gemeinde (§ 30 Abs 1 Satz 1 TGO 2001) vorbehalten. Für die Beendigung des Dienstverhältnisses eines Amtsleiters sieht das Gesetz keine Ausnahme vor.

Auch dem Einwand der Beklagten, die Inanspruchnahme der Eilkompetenz des Bürgermeisters nach § 51 TGO 2001 unterliege wegen der verfassungsgesetzlich geschützten Gemeindeautonomie nach Art 116 B‑VG keiner nachprüfenden Kontrolle des Gerichts, kommt keine Berechtigung zu. Die Gemeindeautonomie steht nicht in Frage. Das Gericht nimmt diese Überprüfung im Zusammenhang damit vor, dass regelmäßig der Bürgermeister zur Vertretung der Gemeinde als Privatrechtssubjekt berufen ist, diese Vertretungsbefugnis ‑ auch nach außen ‑ aber vielfach durch das gesetzliche Erfordernis eines Gemeinderatsbeschlusses beschränkt ist (vgl RIS‑Justiz RS0014717; RS0014664). Wenn den Zivilgerichten aber ‑ dies wird auch von der Beklagten nicht in Zweifel gezogen ‑ die Kontrolle der Berechtigung der Entlassung eines Gemeindebediensteten zukommt, dann gilt dies notwendigerweise auch für die Frage, ob eine (privatrechtliche) Willenserklärung eines Bürgermeisters nach den Organisationsvorschriften einer Gemeinde dieser zugerechnet werden kann. Damit greift das Gericht aber nicht in das Selbstverwaltungsrecht der Gemeinde nach Art 116 B‑VG ein.

Mangels einer Rechtsfrage von der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO ist die außerordentliche Revision der Beklagten zurückzuweisen.

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