OGH 8ObA46/15w

OGH8ObA46/15w30.7.2015

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Prof. Dr. Spenling als Vorsitzenden und durch die Hofrätin Dr. Tarmann‑Prentner und den Hofrat Dr. Brenn sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Manfred Engelmann und Mag. Thomas Kallab als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei H***** S*****, vertreten durch die Celar Senoner Weber‑Wilfert Rechtsanwälte GmbH in Wien, gegen die T***** GmbH und Co KG (vormals T***** GmbH), *****, vertreten durch Dr. Bernhard Steinbüchler und andere, Rechtsanwälte in St. Florian, wegen Anfechtung einer Kündigung, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen vom 24. März 2015, GZ 11 Ra 10/15t‑78, mit dem das Endurteil des Landesgerichts Steyr als Arbeits‑ und Sozialgericht vom 27. Oktober 2014, GZ 30 Cga 22/14a‑74, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2015:008OBA00046.15W.0730.000

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 1.971,54 EUR (darin enthalten 328,59 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Begründung

Die Beklagte betreibt ein Arbeitskräfteüberlassungsunternehmen. Am 13. Juni 2008 schloss sie mit dem Kläger einen unbefristeten Dienstvertrag, demzufolge das Dienstverhältnis am 16. Juni 2008 beginnen sollte und sich der Kläger zu Arbeitsleistungen bei dritten Beschäftigern verpflichtete. Der Kläger wurde an die S***** GmbH überlassen, wo er im technischen Betriebsdienst tätig war. Für Angestellte des Beschäftigerbetriebs gelangt der Kollektivvertrag für Angestellte des Metallgewerbes zur Anwendung. Für Angestellte bei der Beklagten ist der Kollektivvertrag für Angestellte im Handwerk und Gewerbe, in der Dienstleistung, in Information und Consulting anzuwenden.

Am 2. April 2012 teilte der Standortleiter des Beschäftigerbetriebs dem Kläger mit, dass seine Überlassung wegen der wirtschaftlichen Situation bei der Beschäftigerin sofort ende und er bis Ende April 2012 dienstfrei gestellt sei. Am selben Tag sprach die Beklagte die Kündigung des Dienstverhältnisses des Klägers zum 15. Juni 2012 aus. Der Grund für die Beendigung des Überlassungsverhältnisses lag in der wirtschaftlichen Situation bei der Beschäftigerin. Die Stelle des Klägers wurde dort nicht nachbesetzt. Der Grund für die Kündigung des Dienstverhältnisses des Klägers lag in der Auflösung der Überlassung. Die Beklagte ging davon aus, für den Kläger in näherer Zukunft keine geeignete Stelle im Angestelltenbereich zu finden.

Bereits am 30. Oktober 2012 begründete der Kläger ein neues Dienstverhältnis als Betriebselektriker mit einem monatlichen Bruttogehalt von 2.051,80 EUR zuzüglich Sonderzahlungen. Ab 1. Dezember 2012 wechselte er in ein neues Dienstverhältnis als Objektleiter. Dort verdiente er 3.000 EUR brutto zuzüglich Sonderzahlungen. Der Kläger hat keine Sorgepflichten. Seine Lebensgefährtin verdient monatlich 3.000 EUR brutto. Die monatlichen Ausgaben des Klägers belaufen sich auf rund 2.000 EUR, wobei er für Nahrungsmittel 600 EUR und für sonstige Anschaffungen wie Kleidung ca 300 EUR pro Monat ausgibt.

Der Kläger erhob (unter anderem) eine (im jetzigen Verfahrensstadium noch maßgebende) Klage auf Anfechtung der Kündigung nach § 105 Abs 3 Z 2 ArbVG. Da er mit einer längeren Arbeitslosigkeit rechnen müsse, beeinträchtigte die Kündigung seine wesentlichen Interessen. Zur Sicherung seines Lebensunterhalts sei er auf das bisher verdiente Einkommen dringend angewiesen. Aufgrund seines Alters sei er am allgemeinen Arbeitsmarkt nicht mehr vermittelbar. Die Beklagte habe ihm keine Alternativtätigkeiten angeboten und damit ihre soziale Gestaltungspflicht verletzt.

Die Beklagte entgegnete, dass die Kündigung nicht sozialwidrig sei. Der Kläger sei leicht in der Lage, zu den bisherigen Entgeltbedingungen eine neue Arbeitsstelle zu finden. Tatsächlich sei er seit Ende Oktober 2012 auch wieder beschäftigt. Sein nunmehr bezogenes Entgelt bedeute im Vergleich zum überlassungsunabhängigen Entgelt eine erhebliche Steigerung. Bei der Beklagten selbst hätten für den Kläger keine Einsatzmöglichkeiten mehr bestanden.

Das Erstgericht wies das Anfechtungsbegehren ab. Die Kündigung sei nicht sozialwidrig. Der Beurteilung sei jenes Entgelt zugrunde zu legen, das der Kläger bei einer Weiterbeschäftigung bei der Beklagten erhalten hätte. In Bezug auf das Einkommen seien seine Interessen nicht beeinträchtigt worden. Das Alter des Klägers von 51 Jahren sei bei dieser Prüfung bereits berücksichtigt.

Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung. Bei der Beurteilung sei auf den Zeitpunkt der Beendigung des Arbeitsverhältnisses als Konkretisierungs-zeitpunkt abzustellen. Auf das Einkommen des Klägers im Jänner 2012 komme es daher nicht an. Darüber hinaus sei dem Erstgericht zuzustimmen, dass das nach § 10 AÜG mit dem Überlasser vereinbarte Entgelt maßgebend sei. Trotz des Zeitraums der Überlassung von vier Jahren könne nicht von einer atypischen Arbeitskräfteüberlassung ausgegangen werden. Unter Berücksichtigung der gesamten wirtschaftlichen und sozialen Lage des Klägers sei das Vorliegen einer wesentlichen Interessenbeeinträchtigung zu verneinen. Die ordentliche Revision sei zulässig, weil zur Frage, ob bei der Prüfung der Interessenbeeinträchtigung eines bereits längere Zeit bei nur einem Beschäftigerbetrieb überlassenen Arbeitnehmers auf den Grundlohn nach § 10 Abs 1 AÜG oder auf das Beschäftigerentgelt abzustellen sei, höchstgerichtliche Rechtsprechung fehle.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die Revision des Klägers, die auf eine Stattgebung der Anfechtungsklage abzielt.

Mit ihrer Revisionsbeantwortung beantragt die Beklagte, die Revision zurückzuweisen, in eventu, dieser den Erfolg zu versagen.

Rechtliche Beurteilung

Entgegen dem ‑ den Obersten Gerichtshof nicht bindenden ‑ Ausspruch des Berufungsgerichts ist die Revision des Klägers mangels Aufzeigens einer entscheidungsrelevanten Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO nicht zulässig.

1. Trotz Zulässigerklärung der Revision durch das Berufungsgericht muss der Rechtsmittelwerber eine Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO aufzeigen. Macht er hingegen nur solche Gründe geltend, deren Erledigung nicht von der Lösung einer erheblichen Rechtsfrage abhängt, so ist das Rechtsmittel ungeachtet des Zulässigkeitsausspruchs zurückzuweisen. Dass zu einer konkreten Fallgestaltung keine ausdrückliche Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs besteht, begründet keine erhebliche Rechtsfrage, wenn die relevanten rechtlichen Grundsätze in der Rechtsprechung des Höchstgerichts geklärt sind oder sich der Anlassfall anhand gesicherter Grundsätze lösen lässt. Dies ist hier der Fall.

2. Bei einer Kündigungsanfechtung nach § 105 Abs 3 Z 2 ArbVG ist im ersten Schritt zu prüfen, ob dem Arbeitnehmer durch die Kündigung erheblich soziale Nachteile entstehen, die über die normale Interessenbeeinträchtigung bei einer Kündigung hinausgehen. In die Untersuchung, ob durch die Kündigung wesentliche Interessen des Arbeitnehmers beeinträchtigt werden, ist nicht nur die Möglichkeit der Erlangung eines neuen, einigermaßen gleichwertigen Arbeitsplatzes, sondern vielmehr die gesamte wirtschaftliche und soziale Lage des Arbeitnehmers und seiner Familienangehörigen einzubeziehen (8 ObA 59/10z mwN). In der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs ist ebenso geklärt, dass auch dann, wenn der Arbeitnehmer tatsächlich eine möglicherweise nachteilige Stelle angenommen hat, zunächst seine Arbeitsmarktchancen zu beurteilen sind, weil er ansonsten die Beurteilung der Sozialwidrigkeit willkürlich beeinflussen könnte. Ergibt sich dabei, dass ein zumutbarer Verweisungsposten nicht besteht, so ist der Umstand, dass der Arbeitnehmer tatsächlich einen gleichwertigen neuen Arbeitsplatz erlangt hat, in die Beurteilung miteinzubeziehen (8 ObA 28/13w). Das Gleiche gilt für den Fall, dass der tatsächliche neue Arbeitsplatz günstigere Bedingungen als der Verweisungsposten laut Sachverständigengutachten bietet.

Es entspricht weiters der Rechtsprechung, dass eine finanzielle Schlechterstellung allein für die Tatbestandsmäßigkeit der Beeinträchtigung wesentlicher Interessen nicht genügt. Diese muss vielmehr ein solches Ausmaß erreichen, dass sie eine fühlbare, ins Gewicht fallende Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage des Arbeitnehmers zur Folge hat (RIS‑Justiz RS0051753; RS0051741). Dabei kann nicht auf starre Prozentsätze der Einkommensminderung abgestellt werden (vgl 9 ObA 54/12z; 8 ObA 28/13w; 9 ObA 125/13t).

3.1 Im Anlassfall bewegt sich die relevante Verdienstmöglichkeit des Klägers nach den auf dem Sachverständigengutachten basierenden Feststellungen zwischen monatlich 2.550 EUR und 3.330 EUR brutto zuzüglich Sonderzahlungen; sein ab Dezember 2012 tatsächlich in einem neuen Dienstverhältnis bezogenes Entgelt belief sich auf 3.000 EUR zuzüglich Sonderzahlungen.

Demgegenüber betrug das vor der Beendigung des Arbeitsverhältnisses zur Beklagten vom Kläger zuletzt bezogene Entgelt, das während der Überlassung durch mehrere Zulagen beeinflusst war, durchschnittlich 3.440 EUR (Einkommen von Jänner bis Juni 2012) bzw ‑ selbst wenn man von Jänner bis April 2012 ausgehen wollte ‑ 3.780 EUR brutto.

Entgegen der Ansicht des Klägers ist eine prozentuelle Einkommenseinbuße auch mit Bezug auf das Gesamteinkommen zu sehen. Er kann sich daher nicht auf Zeitspannen berufen, in denen das Einkommen höher war; vielmehr ist zumindest eine Durchschnittsbetrachtung anzustellen. Bei Würdigung der Gesamtumstände ist die Einkommenseinbuße für den Kläger, den keine Sorgepflichten treffen, nicht so groß, dass von einer ins Gewicht fallenden Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage und damit von einer wesentlichen Interessenbeeinträchtigung auszugehen wäre.

3.2 Schon diese Beurteilung führt im Anlassfall dazu, dass es durch die Kündigung des Klägers zu keiner Beeinträchtigung seiner wesentlichen Interessen gekommen ist. Auf die vom Berufungsgericht als erheblich beurteilte Rechtsfrage, ob bei der Kündigungsanfechtung durch einen überlassenen Arbeitnehmer von der Maßgeblichkeit des während der Überlassung bezogenen Entgelts auszugehen ist, kommt es daher nicht an. Diese Frage braucht daher nicht geklärt zu werden. Auch eine andere erhebliche Rechtsfrage wird vom Kläger nicht aufgezeigt.

4. Die vom Kläger in der Revision ins Treffen geführte Entscheidung 9 ObA 113/03p (vgl dazu auch 9 ObA 158/07m) hält unter anderem fest, dass das AÜG nicht nur im Zusammenhang mit dem laufenden Entgelt in § 10 Abs 1, sondern auch an anderer Stelle, also für andere Fragen (zB §§ 6, 7, 10 Abs 3), die Verhältnisse im Beschäftigerbetrieb für maßgeblich erkläre, sowie dass die ausschließliche Verwendung eines Arbeitnehmers bei einem einzigen Beschäftiger für einen sehr langen Zeitraum (von neun Jahren) für eine Arbeitskräfteüberlassung derart atypisch sei, dass eine abweichende Behandlung eines solchen Beschäftigungsverhältnisses (also außerhalb des AÜG) durchaus in Betracht komme und in einem solchen Fall der überlassene Dienstnehmer nicht nur im Hinblick auf das regelmäßige Arbeitsentgelt, sondern auch im Hinblick auf die Abfertigung mit vergleichbaren Arbeitnehmern des Beschäftigerbetriebs weitgehend gleichzustellen sei.

Diese Entscheidung bezieht sich vor allem in Anknüpfung an den Regelungsgehalt des § 10 Abs 1 AÜG in erster Linie auf Leistungen mit Entgeltcharakter für die Zeit während der Dauer der Überlassung. Für die Anfechtung einer Kündigung des Dienstverhältnisses zum Überlasser kann daraus nichts Grundsätzliches abgeleitet werden.

5. Da im Anlassfall schon die Beeinträchtigung wesentlicher Interessen des Klägers durch die Kündigung zu verneinen ist, kommt es auf eine Auseinandersetzung mit der ‑ erst im zweiten Schritt zu prüfenden ‑ Rechtfertigung durch (hier) betriebsbedingte Umstände nicht mehr an.

6. Insgesamt war eine erhebliche Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO nicht zu klären, was zur Zurückweisung der Revision führt.

Die Entscheidung über die Kosten der Revisionsbeantwortung gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO. Die Beklagte hat in der Revisionsbeantwortung auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen.

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