OGH 1Ob121/15y

OGH1Ob121/15y8.7.2015

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Sailer als Vorsitzenden sowie die Hofräte Univ.‑Prof. Dr. Bydlinski, Mag. Wurzer, Mag. Dr. Wurdinger und die Hofrätin Dr. Hofer‑Zeni‑Rennhofer als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei G***** B*****, vertreten durch Dr. Stefan Schermaier, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei Republik Österreich, vertreten durch die Finanzprokuratur, Wien 1, Singerstraße 17‑19, wegen 107.390,04 EUR sA und Feststellung, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 18. März 2015, GZ 14 R 105/14k‑14, mit dem das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien vom 18. Juni 2014, GZ 31 Cg 7/14y‑7, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2015:0010OB00121.15Y.0708.000

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Begründung

Der zu lebenslanger Haft verurteilte Kläger stützt seinen Ersatzanspruch nach dem AHG auf angeblich aus fadenscheinigen Gründen abgewiesene Anträge auf unbegleiteten Ausgang und auf die Unterlassung der rechtzeitigen Überstellung in den Entlassungsvollzug, womit seine bereits fällige bedingte Entlassung verhindert worden sei. Diese hätte ihm aufgrund seines Antrags vom 20. 4. 2011 gewährt werden müssen, dann hätte er die ihm mit Einstellungszusage vom 18. 2. 2010 versprochene (dann aber an einen anderen vergebene) Arbeit aufnehmen können.

Das Berufungsgericht bestätigte das den Amtshaftungsanspruch zur Gänze abweisende Ersturteil und erklärte die ordentliche Revision für nicht zulässig.

Dabei ging es auf der Tatsachenebene ‑ stark zusammengefasst ‑ von Folgendem aus:

Beim Kläger lagen zwar seit 6. 2. 2007 die zeitlichen Voraussetzungen des § 46 Abs 6 StGB für eine bedingte Entlassung aus der lebenslangen Freiheitsstrafe vor, das zuständige Vollzugsgericht lehnte aber (nach erstmaliger Antragstellung am 19. 1. 2010) am 18. 11. 2010 und danach am 28. 2. 2012 sowie am 6. 3. 2013 die bedingte Entlassung ab, wobei diese Ablehnungen auf den jeweils eingeholten Gutachten basierten, welche beim Kläger eine kombinierte Persönlichkeitsstörung und ein geringes bis moderates Rückfallrisiko feststellten, welches der zu treffenden Annahme künftiger Deliktsfreiheit aus spezialpräventiven Gründen entgegenstand. Zuletzt lehnte das Vollzugsgericht die bedingte Entlassung am 30. 1. 2014 aufgrund eines Gutachtens ab, wonach ein geringes bis moderates Risiko bestand, dass der Kläger weitere strafbare Handlungen begehen werde.

Beginnend mit 29. 11. 2010 absolvierte der Kläger bis zum 20. 9. 2012 insgesamt 16 Ausgänge aus der lebenslangen Strafhaft, und zwar bis November 2011 neun Ausgänge in Begleitung eines Bewährungshelfers und eines bewaffneten Justizwachebeamten in Zivil, danach nur noch in Begleitung des Bewährungshelfers. Vom Anstaltsleiter für spätere Zeitpunkte bewilligte Ausgänge lehnte der Kläger wegen der ihm dabei erteilten Auflagen ‑ insbesondere einer GPS‑Überwachung ‑ ab.

In dem Gutachten vom 9. 3. 2011, das aufgrund einer vom Kläger gegen die (im Bescheid vom 26. 1. 2011 erteilte) Auflage der Begleitung erhobenen Beschwerde im Rechtsmittelverfahren eingeholt wurde, kam der Sachverständige zum Ergebnis, es lägen derzeit bloß die Voraussetzungen zur Gewährung begleiteter Ausgänge vor, weil die Gefahr des Rückfalls in alte Verhaltensmuster bestehe. Daraufhin wies die Vollzugskammer die Beschwerde ab.

Anträge des Klägers auf unbegleitete Ausgänge in der Zeit vom 19. 12. 2011 bis 24. 4. 2012 lehnte der Anstaltsleiter ab. Aufgrund der dagegen erhobenen Beschwerden des Klägers hob die Vollzugskammer diese ablehnenden Bescheide auf und verwies sämtliche Angelegenheiten zur Verfahrensergänzung und neuerlichen Entscheidung zurück und führte aus, die Bescheide des Anstaltsleiters seien gänzlich begründungslos geblieben; es bedürfe einer Sachverhaltsgrundlage als Entscheidungsgrundlage, wobei für eine Lockerungsprognose eine externe Expertise einzuholen sei, ob die Auflage einer Begleitung durch den Bewährungshelfer erforderlich sei. Nach Beiziehung eines (deutschen) Sachverständigen lehnte der Anstaltsleiter die Ausgangsersuchen des Klägers jeweils mit der Begründung ab, dessen voraussichtlich noch zu verbüßende Strafzeit übersteige drei Jahre; mit Bescheid vom 14. 11. 2013 lehnte er die Überstellung des Klägers in den Entlassungsvollzug nach § 145 StVG ab, weil keine bedingte Entlassung des Klägers innerhalb eines Jahres zu prognostizieren sei.

Das Berufungsgericht kam in seiner rechtlichen Beurteilung unter Hinweisen auf den Gesetzeswortlaut, Rechtsprechung und Lehre zum Ergebnis, dass die Gewährung des Ausgangs nach § 99a Abs 1 StVG zwingend voraussetze, dass die ab dem Entscheidungszeitpunkt über den Ausgang voraussichtlich noch zu verbüßende Strafzeit drei Jahre nicht übersteigen werde. Dabei habe der Anstaltsleiter eine zu erwartende bedingte Entlassung nach § 46 StGB als Vorfrage zu berücksichtigen. Die Gewährung des Ausgangs nach § 99a Abs 1 StVG komme nur dann in Frage, wenn im Entscheidungszeitpunkt mit hoher Wahrscheinlichkeit angenommen werden könne, dass der Strafgefangene in längstens drei Jahren bedingt entlassen werden werde ( Zagler , Strafvollzugsrecht² 203 f; Drexler , StVG³ § 99a Rz 2, § 99 Rz 3; VwGH 2002/20/0392). Bereits ein einziger konkreter, gegen die bedingte Entlassung in längstens drei Jahren sprechender Grund verhindere eine positive Prognose iSd § 99a StVG. Bei der pflichtgemäßen Prognose einer längstens binnen drei Jahren stattfindenden bedingten Entlassung habe der Anstaltsleiter bei der anzustellenden Gesamtwürdigung aller dafür maßgeblichen Umstände keinesfalls davon ausgehen können, dass der Kläger mit hoher Wahrscheinlichkeit binnen drei Jahren bedingt entlassen werden würde; er habe daher seine Anträge auf Gewährung von Ausgängen auf Grundlage des § 99a StVG abweisen müssen.

Rechtliche Beurteilung

Die gegen diese Entscheidung gerichtete außerordentliche Revision des Klägers macht keine erheblichen Rechtsfragen geltend und ist demnach nicht zulässig.

1. Der Kläger legt dar, seine unterlassene Einvernahme hätte vom Berufungsgericht ‑ das die darauf gestützte Mangelhaftigkeit des Verfahrens in seiner Entscheidung verneinte ‑ wegen eines Verstoßes gegen den Grundsatz der Wahrung des rechtlichen Gehörs als Nichtigkeit von Amts wegen wahrgenommen werden müssen (vgl dazu nur RIS‑Justiz RS0042237, wonach in der Nichtvernehmung einer Prozesspartei als Partei zu Beweiszwecken schon begrifflich keine Verletzung des rechtlichen Gehörs gelegen sein kann).

Auf die Bezeichnung des behaupteten Verfahrensfehlers kommt es aber ohnehin nicht an. Nach ständiger Rechtsprechung können vermeintliche Mängel des erstinstanzlichen Verfahrens, die vom Berufungsgericht verneint wurden, im Revisionsverfahren nicht mehr geltend gemacht werden (RIS‑Justiz RS0042963; RS0106371; vgl auch RS0043086 [T3]). Das gilt auch für eine vom Berufungsgericht verworfene Nichtigkeit (RIS‑Justiz RS0042981; vgl auch RS0043405; RS0042925).

2. Die hier erforderlichen Prognoseentscheidungen (13 Os 59, 60/93 = RIS‑Justiz RS0074699; VwGH 2005/06/0027 ua) hängen von den Umständen des Einzelfalls ab und entziehen sich damit einer Beurteilung als Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung (vgl etwa zur Prognoseentscheidung bei der Verhängung der Untersuchungshaft 1 Ob 234/07d = RIS‑Justiz RS0110837 [T4]).

3. Die Zulässigkeit seines Rechtsmittels leitet der Kläger im vorliegenden Fall daraus ab, dass höchstgerichtliche Rechtsprechung zur Frage fehle, ob das StEG 2005 auch auf Fälle der rechtswidrig unterbliebenen bedingten Entlassung aus einer Freiheitsstrafe gemäß § 46 StGB anzuwenden sei und eine solche eine Haftung für dadurch entstandene ideelle Schäden sowie Verdienstentgang im Wege der Amtshaftung begründen könne.

Im Verfahren ließen sich aber seine Vorwürfe nicht verifizieren. Es ergab sich im Gegensatz zu seiner Unterstellung in der Revision nicht, dass das Unterbleiben der bedingten Entlassung rechtswidrig gewesen wäre, womit seiner für die Zulässigkeit der Revision herangezogenen Fragestellung der Boden entzogen ist. Die Beantwortung bloß theoretischer Rechtsfragen ist aber nicht Aufgabe des Obersten Gerichtshofs (RIS‑Justiz RS0111271).

Dieser erläuterte zudem schon zu 12 Os 108/91 (= RIS‑Justiz RS0087538), dass die Verbüßung einer rite, dass heißt aufgrund eines rechtskräftigen Urteils angeordneten Strafhaft grundsätzlich nicht unter dem Begriff der Anhaltung nach dem StEG fällt und aus der Verweigerung einer bedingten Entlassung darum ein Anspruch nach § 2 Abs 1 lit a StEG [BGBl 1969/270; vgl nun § 2 Abs 1 Z 1 StEG 2005, BGBl I 2004/125] nicht abgeleitet werden kann. Der Kläger legt auch nicht ansatzweise dar, welche Änderung hier durch das StEG 2005 eingetreten sein sollte.

Einer weiteren Begründung bedarf dieser Beschluss nicht (§ 510 Abs 3 ZPO).

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