OGH 8ObS4/15v

OGH8ObS4/15v27.5.2015

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Prof. Dr. Spenling als Vorsitzenden und durch die Hofrätin Dr. Tarmann‑Prentner und den Hofrat Dr. Brenn sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Johannes Pflug und KR Karl Frint als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei M***** S*****, vertreten durch Dr. Anton Cuber und Mag. Claudia Kopp‑Helweh, Rechtsanwälte in Graz, gegen die beklagte Partei IEF‑Service GmbH, *****, wegen Insolvenzentgelt (16.860,48 EUR), über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen vom 12. März 2015, GZ 6 Rs 77/14m‑41, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2015:008OBS00004.15V.0527.000

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen (§ 510 Abs 3 ZPO iVm § 2 Abs 1 ASGG).

Begründung

Rechtliche Beurteilung

1.1 Nach § 1 Abs 5 IESG ist ein Anspruch des Arbeitnehmers grundsätzlich nur gesichert, wenn er im Insolvenzverfahren (rechtzeitig) angemeldet wurde. Die Anmeldung von Insolvenzforderungen ist grundsätzlich während der im Edikt bestimmten Frist vorzunehmen (§ 74 Abs 2 Z 5 IO). Verspätet angemeldete Forderungen sind gemäß §§ 106 Abs 3 und 107 IO nach Möglichkeit in der allgemeinen, sonst in einer besonderen Prüfungstagsatzung zu behandeln (8 ObS 44/00d).

Eine Ausnahme von der Pflicht zur rechtzeitigen Anmeldung besteht nur dann, wenn für den Anspruchsberechtigten die Anmeldung nicht möglich war. Die Rechtsprechung hat diese Ausnahme dahin gelockert, dass eine Versäumung der Frist (auch) zur Anmeldung der Forderung bei Vorliegen von berücksichtigungswürdigen Gründen im Sinn des § 6 Abs 1 IESG nachzusehen ist (8 ObS 44/00d; 8 ObS 39/02x). Von der Rechtsprechung wird etwa bei Zumutbarkeit der Einholung erforderlicher Informationen oder bei auffallender Sorglosigkeit das Vorliegen berücksichtigungswürdiger Gründe verneint (8 ObS 44/00d). Dies gilt auch im Fall einer Fristversäumung durch einen Bevollmächtigten des Arbeitnehmers (8 ObS 23/04x).

Die Frage, ob ein berücksichtigungswürdiger Grund konkret vorliegt, betrifft den Einzelfall und begründet im Allgemeinen keine erhebliche Rechtsfrage (8 ObS 125/02v).

1.2 Die Beurteilung des Berufungsgerichts, dass der Klägerin ein grobes Verschulden an der Nichtanmeldung ihrer beendigungsabhängigen Ansprüche im Insolvenzverfahren anzulasten sei, erweist sich als nicht korrekturbedürftig. Die Klägerin hätte (nach Maßgabe des § 107 IO) ihre restliche Forderung unstrittig bis 24. 4. 2012 anmelden können. Nach den Feststellungen waren der Klägerin zu diesem Zeitpunkt die Berechnungsgrundlagen ausreichend bekannt. Zur Berechnung ihrer beendigungsabhängigen Ansprüche war die Endabrechnung, auf deren Übermittlung der Rechtsvertreter der Klägerin beharrte, nicht erforderlich.

2.1 Die dargestellte Beurteilung wird von der Klägerin auch nicht mehr ernsthaft bestritten. Sie beruft sich aber auf eine missbräuchliche Rechtsausübung der Beklagten.

Das Argument der Klägerin, die angeblich missbräuchliche Rechtsausübung führe zu einer Überschreitung des Ermessensspielraums durch die Beklagte im Rahmen der Nachsichtgewährung, ist nicht tragfähig, weil die Beklagte im Sinn des § 6 Abs 1 IESG nur das Vorliegen eines berücksichtigungswürdigen Grundes für die Versäumung der Anmeldefrist beurteilen muss.

2.2 Ob der Vorwurf des Rechtsmissbrauchs den Einwand der Beklagten in Bezug auf eine nicht (rechtzeitig) erfolgte Forderungsanmeldung eigenständig ausschließen könnte, muss hier nicht beurteilt werden. Die Beurteilung des Berufungsgerichts, dass die Beklagte ein berechtigtes Interesse an der Ablehnung der nicht angemeldeten Forderung habe und sich die Klägerin daher nicht auf eine schikanöse bzw rechtsmissbräuchliche Rechtsausübung durch die Beklagte berufen könne, ist nämlich ebenfalls nicht korrekturbedürftig.

Die Anmeldepflicht stellt keine bloße Formvorschrift dar. Vielmehr wird dadurch der Regressanspruch des Insolvenz-Entgelt-Fonds sowie die Gleichbehandlung der Arbeitnehmerforderungen aus arbeits- und sozialrechtlicher Sicht durch das Insolvenzgericht und die Beklagte sichergestellt (8 ObS 44/00d). Die Beklagte hat daher in der konkreten Situation zu beurteilen, ob der geltend gemachte Anspruch gesichert ist und die Voraussetzungen für eine Auszahlung an den Arbeitnehmer gegeben sind. Überlegungen über die Höhe eines allenfalls gesicherten Anspruchs im hypothetischen Fall der rechtzeitigen Anmeldung der Forderung und des Unterbleibens tatsächlich erfolgter weiterer Betreibungsschritte durch den Arbeitnehmer können nicht zum Ergebnis führen, die Beklagte habe an der Abwehr des geltend gemachten Anspruchs kein ‑ für eine Verneinung eines Rechtsmissbrauchs ausreichendes - begründetes Interesse (vgl dazu 1 Ob 168/12f), hat die Beklagte doch im Interesse der Gemeinschaft der Arbeitnehmer und der Allgemeinheit den Grundsatz der Sparsamkeit und Wirtschaftlichkeit zu beachten.

3. Zu dem vom Berufungsgericht abgewiesenen Betrag aus dem Titel der Verfahrenskosten finden sich in der außerordentlichen Revision keine inhaltlichen Ausführungen.

4. Insgesamt vermag die Klägerin mit ihren Ausführungen keine erhebliche Rechtsfrage aufzuzeigen. Auch die geltend gemachten sekundären Feststellungsmängel liegen nicht vor. Die außerordentliche Revision war daher zurückzuweisen.

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