OGH 2Ob214/14f

OGH2Ob214/14f9.4.2015

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Danzl als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte Dr. Veith, Dr. Musger, die Hofrätin Dr. E. Solé und den Hofrat Dr. Nowotny als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei mj A***** M*****, geboren am ***** 2002, *****, vertreten durch die Mutter K***** M*****‑B*****, diese vertreten durch Mag. Christian Steurer, Rechtsanwalt in Bregenz, gegen die beklagten Parteien 1. P***** B***** und 2. U***** Versicherungen AG, *****, beide vertreten durch Dr. Bertram Grass, Mag. Christoph Dorner, Rechtsanwälte in Bregenz, wegen 34.000 EUR sA, über die außerordentliche Revision der beklagten Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht vom 2. Oktober 2014, GZ 1 R 144/14g‑32, womit über Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichts Feldkirch vom 22. August 2014, GZ 9 Cg 107/13i‑27, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2015:0020OB00214.14F.0409.000

 

Spruch:

Der Revision der beklagten Parteien wird Folge gegeben.

Die angefochtene Entscheidung wird dahin abgeändert, dass das Urteil des Erstgerichts wiederhergestellt wird.

Die klagende Partei ist schuldig, den beklagten Parteien die mit 4.736,03 EUR (darin enthalten 353,34 EUR USt und 1.362 EUR Barauslagen) bestimmten Kosten des Rechtsmittelverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Entscheidungsgründe:

Der damals knapp acht Jahre alte Kläger wurde am 17. 12. 2009 beim Überqueren einer Straße von einem Omnibus angefahren und dabei sein linker Fuß überrollt. Er erlitt ein offenes Quetschungstrauma des Vorfußes mit Weichteilschaden, einen Bruch des zweiten Mittelfußknochens, des Grundgelenks der Großzehe und eine Fraktur der dritten und vierten Zehe.

Nach dem ersten operativen Eingriff wurde die zweite Zehe schwarz (nekrotisch) und musste in einem weiteren Eingriff teilweise amputiert werden. Am 29. 10. 2010 musste eine dritte Operation in Folge einer Pseudoarthrose durchgeführt werden. Der postoperative Verlauf war komplikationslos. Der Kläger hatte acht Tage starke, drei Wochen mittelstarke und sieben Wochen leichte Schmerzen zu erleiden und muss in Zukunft komprimiert betrachtet pro Jahr mit fünf Tagen leichten Schmerzen rechnen.

Der Kläger trug bis 26. 11. 2010 einen Gips, in der Folge bis 13. 12. 2010 einen Zinkleimverband.

Als Dauerzustand ist die zweite Zehe des Klägers am linken Fuß fast vollständig amputiert und nur noch das Grundglied vorhanden. Die dritte Zehe ist in Folge der Fraktur etwas verkürzt, die Großzehe sowie die vierte und fünfte Zehe sind unauffällig. Im Bereich der Fußsohle bestehen eine 4 cm lange, querverlaufende Narbe und insgesamt eine verminderte Belastbarkeit des Fußes mit leichter Störung des Abrollvorgangs. Ausdauersportarten wie Langstreckenläufe werden dem Kläger nicht möglich sein. Auch wenn eine gewisse Gewöhnung an die Umstände und Beschwerden eintreten kann, wird der Kläger nie vollkommen beschwerdefrei sein.

In einem Vorverfahren wurde dem Kläger ein Teilschmerzengeld von 11.500 EUR zugesprochen, nunmehr begehrt er unter Einbeziehung der Dauerfolgen global weitere 34.000 EUR.

Das Erstgericht sprach weiteres Schmerzengeld im Ausmaß von 10.000 EUR zu.

Das Berufungsgericht erhöhte diesen Zuspruch auf 20.000 EUR und nahm dabei vor allem auf die Entscheidung 1 Ob 2227/96y (ZVR 1997/82) Bezug, in der für die Amputation des rechten Mittelfingers bei einem Kleinkind „25.000 EUR“ zugesprochen worden seien, dies bei geringerem Ungemach von einem Tag schweren, zwei Tagen mittelstarken und zehn Tagen leichten Schmerzen sowie keinen ins Gewicht fallenden psychischen Schmerzen und keinen zu erwartenden weiteren Schmerzen.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die außerordentliche Revision der beklagten Parteien aus dem Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Abänderungsantrag, das Ersturteil wiederherzustellen; in eventu wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die klagende Partei beantragt in der ihr freigestellten Revisionsbeantwortung, die Revision zurückzuweisen; in eventu, ihr keine Folge zu geben.

Die Revision ist zulässig , weil das Berufungsgericht bei der Ausmessung des Schmerzengeldes von den Vorgaben der Judikatur abgewichen ist (RIS‑Justiz RS0031075; Danzl in Danzl/Gutiérrez‑Lobos/Müller , Schmerzengeld 10 § 325 f); sie ist auch berechtigt .

Rechtliche Beurteilung

1. Die Revisionswerber machen vor allem geltend, dass die Entscheidung 1 Ob 2227/96y Schilling und nicht Euro zugesprochen habe. Dies ist, wie dem Datum und dem Inhalt der Entscheidung zu entnehmen ist, richtig (ZVR 1997/82).

2.1. Nach dem Wertsicherungsrechner der Statistik Austria (http://www.statistik.at/indexrechner/controller ) ist der Verbraucherpreisindex zwischen Jänner 1994 (Unfallzeitpunkt im Verfahren 1 Ob 2227/96y) und Dezember 2009 (Unfallzeitpunkt im vorliegenden Verfahren) um rund 33 % gestiegen. Der Betrag von 25.000 ATS entspricht im Hinblick auf diese Steigerung 33.275 ATS bzw 2.418,19 EUR, also keineswegs dem hier vom Berufungsgericht zugesprochenen rund 13‑fachen.

2.2. Allerdings ist auch zu berücksichtigen, dass die Unfallfolgen des 15 Monate alten Klägers im Verfahren 1 Ob 2227/96y geringer waren als jene des Klägers hier.

3. Schmerzengeldzusprüche im Zusammenhang mit Zehenamputationen finden sich in der Judikatur ‑ soweit ersichtlich ‑ selten:

3.1. Das Oberlandesgericht Wien sprach 2007 einer 43‑jährigen Beamtin 2002 bei einem Bruch des linken Großzehengrund- und ‑endglieds, Amputation im Bereich des Endglieds der zweiten Zehe und offenem Bruch im Bereich des Mittelglieds sowie Quetschung der dritten Zehe und Bruch dessen Endglieds 10.000 EUR zu (2 R 220/06x; Danzl , Gutiérrez‑Lobos/Müller , Schmerzengeld 10 EW 519).

3.2. 2008 wurden ebenfalls vom Oberlandesgericht Wien (13 R 137/08z) einer Schülerin nach einem Unfall im Dezember 2003 mit schwerer Quetschung der linken Großzehe und Teilamputation des Endglieds bei etwa vergleichbaren Schmerzperioden, allerdings keinen für die Zukunft festgestellten, 14.000 EUR zuerkannt ( Danzl aaO E W545).

3.3. Bei einer Quetschung und schweren offenen 20 cm großen Weichteilwunde im Bereich der linken Fußsohle wurden einem 41‑jährigen Facharbeiter 2010 für einen Unfall 2006 vom Oberlandesgericht Innsbruck zu 1 R 1/10x 24.000 EUR Schmerzengeld zugesprochen. Für diesen ist das Tragen normaler Arbeitsschuhe sehr beschwerlich, bisher ausgeübte Sportarten sind nur mehr unter großer Anstrengung möglich. Der dortige Verletzte hatte vier Tage starke, drei Wochen mittelstarke, elf Wochen leichte und in Zukunft jährlich zwei Wochen leichte Schmerzen zu erleiden ( Danzl aaO E I1131).

3.4. Im Vergleich dazu wurden für eine Quetschung des rechten Fußes mit Läsion des Sprunggelenks, Bruch des rechten Kleinzehengrundgelenks und des vierten Mittelfußknochens vom Oberlandesgericht Innsbruck im Jahr 2008 (3 R 154/08h) für einen Unfall im Jahr 2006 bei zwei bis drei Tagen starken Schmerzen, zehn Tagen mittelstarken und vier Wochen leichten Schmerzen 10.000 EUR zugesprochen ( Danzl aaO E I1041).

3.5 Einen dem berufungsgerichtlichen Zuspruch im vorliegenden Fall entsprechenden Betrag erhielt ‑ soweit überschaubar ‑ lediglich eine Frau mit einer Vorfußquetschung links, bei der es zu einer Amputation sämtlicher Zehen mit auch gegenüber hier wesentlich gravierend‑er‑en Schmerzperioden (zwei Wochen starke, zwei Monate mittelstarke und sieben Monate leichte) gekommen war (Oberlandesgericht Linz 6 R 137/01m = Danzl/ Gutiérrez‑Lobos/Müller, Schmerzengeld 8 [2003] E L111 = Danzl , Schmerzengeld‑Entscheidungen, CD‑ROM, Ausgabe 1/2015, E 225 OLG Linz; 32.703 EUR).

4. Schon aus diesen veröffentlichten Vergleichsentscheidungen zeigt sich, dass der ‑ im Wesentlichen und offensichtlich auf einer Verwechslung der Währungseinheiten in der von ihm als maßgeblich zitierten Vergleichsentscheidung beruhende ‑ Zuspruch des Berufungsgerichts weit überhöht ist, dies auch unter Berücksichtigung des jungen Alters des Klägers und seiner auch zukünftig zu erduldenden Schmerzen bzw sonstigen verletzungsbedingten Unbillen.

Vielmehr ist der zusätzliche Zuspruch des Erstgerichts ausreichend und liegt im Bereich der zitierten Vorentscheidungen, sodass das Urteil des Erstgerichts wiederherzustellen war.

5. Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 41 Abs 1, § 50 Abs 1 ZPO, wobei das Kostenverzeichnis insofern zu berichtigen war, als die Pauschalgebühr für die dritte Instanz lediglich 1.362 EUR beträgt und der ERV‑Zuschlag nur 1,80 EUR (§ 23a RATG).

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