OGH 9ObA23/15w

OGH9ObA23/15w20.3.2015

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsrekursgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Hopf als Vorsitzenden, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Mag. Ziegelbauer und die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Dehn (Dreiersenat nach § 11a Abs 3 ASGG) als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden und gefährdeten Partei Zentralbetriebsrat der Ö***** GmbH, *****, vertreten durch die Rechtsanwaltspartnerschaft Blümke & Schöppl in Linz, gegen die beklagte und gefährdende Partei Ö***** GmbH, *****, vertreten durch die Kunz Schima Wallentin Rechtsanwälte OG in Wien, wegen Unterlassung, hier: Erlassung einer einstweiligen Verfügung (Streitwert: 21.800 EUR), über den Revisionsrekurs der klagenden und gefährdeten Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien vom 22. Dezember 2014, GZ 7 Ra 95/14p-9, mit dem dem Rekurs der klagenden und gefährdeten Partei gegen den Beschluss des Arbeits- und Sozialgerichts Wien vom 12. August 2014, GZ 42 Cga 43/14x‑5, nicht Folge gegeben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Die Beschlüsse der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass der Beschluss des Erstgerichts zu lauten hat:

„Der beklagten und gefährdenden Partei wird bis zum Eintritt der Rechtskraft der Entscheidung in der Hauptsache verboten, flächendeckende oder willkürliche (dh ohne Vorliegen konkreter Verdachtsmomente angeordnete) Alkoholkontrollen unter den von der klagenden Partei vertretenen Arbeitnehmern durchzuführen oder die von der klagenden Partei vertretenen Arbeitnehmer anzuweisen, sich flächendeckenden oder willkürlichen Alkoholkontrollen zu unterziehen.“

Die klagende und gefährdete Partei hat die Kosten ihres Revisionsrekurses vorläufig, die beklagte und gefährdende Partei hat die Kosten ihrer Rekurs‑ und Revisionsrekursbeantwortung endgültig selbst zu tragen.

Begründung

Die beklagte und gefährdende Partei (idF Beklagte) betreibt ein Eisenbahnverkehrsunternehmen und erbringt Serviceleistungen im Bereich der Schienenfahrzeuglogistik. Zur Erfüllung ihrer Aufgaben werden Mitarbeiter im Betriebsdienst als Zugführer, aber auch in der Verwaltung und anderen Tätigkeitsfeldern eingesetzt. Neben dem gesetzlich verankerten Alkoholverbot für Betriebsbedienstete und diesem Rechnung tragenden Vorschriften in den AVB und Dienstvorschriften wurde mit einem an alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Beklagten gerichteten Schreiben vom 8. 7. 2013 ein generelles Alkoholverbot ausgesprochen. In diesem Schreiben wurde ausdrücklich festgehalten, dass ab sofort für das gesamte Unternehmen der Standard von 0,0 Promille im Dienst gelte. Der Betriebsrat erkannte die Wichtigkeit der Einhaltung des Alkoholverbots für das Unternehmen und die Sicherheit der Belegschaftsmitglieder an.

Trotz der gesetzlichen und innerbetrieblichen Vorschriften kommt es vor, dass Arbeitnehmer gegen das Alkoholverbot verstoßen. Im September 2013 wurde ein Triebfahrzeugführer im Dienst erheblich alkoholisiert angetroffen und dienstrechtlich zur Verantwortung gezogen.

Am 29. 4. 2014 wurden an den Betriebsstätten der Beklagten in L***** und A***** Alkoholkontrollen mittels eines Atemluft-Vortestgerätes unter den Mitarbeitern aus allen Bereichen und Tätigkeitsfeldern durchgeführt. Die Arbeitnehmer wurden angewiesen, diese Atemluftkontrolle durchzuführen. Die Überprüfung erfolgte ohne äußeren Anschein des Verdachts einer Alkoholisierung. In L***** wurden 34 und in A***** acht Dienstnehmer mittels Atemluft-Vortestgerätes kontrolliert. Bei keinem der überprüften Arbeitnehmer wurden Spuren von Alkohol in der Atemluft festgestellt.

Der am Vortag von der geplanten Maßnahme in Kenntnis gesetzte geschäftsführende Vorsitzende des klagenden Zentralbetriebsrats sprach sich umgehend gegen die geplante Alkoholkontrolle aus. Eine Betriebsvereinbarung gemäß § 96 Abs 1 Z 3 ArbVG hinsichtlich der Durchführung von Alkoholkontrollen im Betrieb der Beklagten liegt nicht vor.

Mit Schreiben vom 8. 5. 2014 wurde die Beklagte zur Abgabe einer entsprechenden Unterlassungserklärung aufgefordert. Sie unterfertigte die Unterlassungserklärung nicht und richtete an den Rechtsvertreter des Klägers ein Antwortschreiben des Inhalts, die Rechtslage aufgrund der einschlägigen Bestimmungen anders zu sehen. Auch in persönlichen Gesprächen vertrat der Geschäftsführer der Beklagten die Ansicht, dass sich alle Mitarbeitergruppen der Alkoholkontrolle zu unterziehen hätten.

Der Kläger beantragte als gefährdete Partei die Erlassung der aus dem Spruch ersichtlichen einstweiligen Verfügung. Die Beklagte habe ihn am 28. 4. 2014 davon verständigt, dass sie eine Schwerpunktaktion („Planquadrat“) betreffend die Einhaltung des Alkoholverbots plane. Der Kläger habe umgehend widersprochen. Bei den von der Beklagten veranlassten flächendeckenden Alkoholkontrollen ohne Vorliegen konkreter Verdachtsmomente handle es sich aufgrund des immanenten Eingriffs in die Persönlichkeitsrechte der kontrollierten Arbeitnehmer um Maßnahmen, die die Menschenwürde verletzten. Dies sei durch nichts zu rechtfertigen. Selbst bei Annahme, dass durch die inkriminierten Maßnahmen die Menschenwürde lediglich berührt worden sei, seien die Maßnahmen in Ermangelung der hierfür nach § 96 Abs 1 Z 3 ArbVG zwingend vorgesehenen Zustimmung des Betriebsrats rechtswidrig. Zwar sei offensichtlich, wie wichtig die Einhaltung des Alkoholverbots im Unternehmen der Beklagten sei. Seitens des Klägers bestehe auch die grundsätzliche Bereitschaft zu einer sachgerechten Betriebsvereinbarung zum Thema „Alkohol am Arbeitsplatz“ einschließlich der Kontrolle im Verdachtsfall. Allfällige Kontrollmaßnahmen müssten jedoch unter Wahrung der Persönlichkeitsrechte der Arbeitnehmer in angemessener Zweck-Mittel-Relation durchgeführt werden, wobei auch die Art und Weise der Hilfestellung für Arbeitnehmer mit Alkoholproblemen zu regeln sei.

Die Beklagte beantragte die Abweisung des Antrags. Sie unterliege als Betreiberin eines Eisenbahnverkehrsunternehmens einer Vielzahl von Regelungen, die ihr besondere, auch die Dienstverhältnisse ihrer als Betriebsbedienstete eingesetzten Mitarbeiter mehr oder weniger intensiv berührende Verpflichtungen auferlegen und es Betriebsbediensteten verbieten würden, den Dienst unter Einfluss von Alkohol oder anderen Suchtgiften auszuüben. Sie sei verpflichtet, bei der Beaufsichtigung der Betriebsbediensteten jene Sorgfalt anzuwenden, die eine sichere und ordnungsgemäße Betriebsführung gewährleistet. Für Betriebsbedienstete bestehe daher ein gesetzlich verankertes Alkoholverbot. Die Beklagte habe das Alkoholverbot mit Schreiben vom 8. 7. 2013 für das gesamte Unternehmen ausgesprochen, weil Alkohol im Dienst auch in anderen Bereichen einen großen Risikofaktor darstelle. Viele Mitarbeiter müssten zum Erreichen ihres Arbeitsplatzes Gleisanlagen überqueren, wobei es in der Vergangenheit immer wieder auch zu Unfällen gekommen sei. Aus Überlegungen der Gleichbehandlung aller Mitarbeiter habe man sich für ein generelles Alkoholverbot entschieden. Abgesehen von einer positiven Vorbildwirkung könne es nicht angehen, dass in der Verwaltung oder in den Büros der Führungsebene Alkohol konsumiert werde, während bei den Mitarbeitern des Betriebsdienstes diesbezüglich eine notwendige Null-Toleranz-Politik betrieben werde. Vorfälle in der Praxis hätten gezeigt, dass das Alkoholverbot missachtet werde. Dies zeige, wie unerlässlich unangekündigte Alkoholkontrollen seien und wie wichtig es für die Sicherheit des Eisenbahnbetriebs sei, wenn die im Betriebsdienst eingesetzten Mitarbeiter jederzeit mit Alkoholkontrollen rechnen müssten, bei denen auch geringgradige Alkoholisierungen bzw Restalkohol, die olfaktorisch nicht mehr wahrnehmbar seien, entdeckt werden können. Ein Alkoholisierungsgrad von beispielsweise 0,3 Promille sei ohne Zuhilfenahme von Testgeräten in vielen Fällen schlicht nicht erkennbar. Die Überwachung der Einhaltung der Regelungen betreffend Dienstausübung in einem nicht durch Alkohol beeinträchtigten Zustand sei im öffentlichen Interesse geboten. Sie ergebe sich auch aus der Fürsorgepflicht der Beklagten gegenüber den Arbeitnehmern. Die Kontrolle am 29. 4. 2014 sei über Auftrag des verantwortlichen Betriebsleiters in Erfüllung seiner gesetzlich vorgeschriebenen Aufgaben durchgeführt worden. Durch die vom Antragsgegner vorgenommene Kontrolle der Atemluft auf Alkoholgehalt werde die Menschenwürde iSd § 96 Abs 1 Z 3 ArbVG nicht berührt. Zu berücksichtigen sei, dass die Kontrollen nicht aus wirtschaftlichen Überlegungen, sondern zum Schutz von Gefahren für Leib und Leben in einer nicht überschießenden Kontrolldichte vorgenommen würden. Die Vorgehensweise stelle im Hinblick auf die sonst nicht mögliche Erkennbarkeit einer Alkoholisierung das gelindeste Mittel dar. Zu berücksichtigen sei weiter, dass der Begriff der Menschenwürde ein dynamischer sei, als nur durch die Berücksichtigung der konkreten Tätigkeit und der damit verbundenen Notwendigkeit für Kontrollen beurteilt werden könne, ob die Menschenwürde durch eine Kontrollmaßnahme berührt oder gar verletzt werde. Die Beurteilung müsse bei Triebfahrzeugführern naturgemäß anders als bei Büroangestellten ausfallen. In eventu werde daher beantragt, den Antrag des Antragstellers auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung jedenfalls in Bezug auf die als Betriebsbedienstete iSd § 36 EisbBBV eingesetzten Mitarbeiter abzuweisen.

Das Erstgericht wies den Antrag auf Erlassung der einstweiligen Verfügung ab.

Das Rekursgericht gab dem Rekurs des Klägers nicht Folge und sprach aus, dass der Revisionsrekurs mangels oberstgerichtlicher Rechtsprechung zur Anwendbarkeit des § 96 Abs 1 Z 3 ArbVG bei betrieblichen Alkoholkontrollen zulässig sei.

Beide Vorinstanzen gelangten zur rechtlichen Beurteilung, dass die gegenständliche Maßnahme infolge einer umfassenden Interessenabwägung zulässig sei. Das Rekursgericht meinte im Besonderen, die Pflicht zur Wahl des schonendsten Mittels richte sich an den Arbeitgeber. Der Abschluss einer Betriebsvereinbarung komme dafür nicht in Betracht, weil sie von ihm nicht erzwungen werden könne. Den Betriebsbediensteten der Beklagten sei Alkoholkonsum während des Dienstes schon gesetzlich untersagt. Ein vom Gesetzgeber tolerierter unterer Promillebereich, der keine Auswirkung auf die Wahrnehmung und die Arbeitsleistung eines Belegschaftsmitglieds habe, sei den gesetzlichen Bestimmungen nicht zu entnehmen. Die Beklagte habe ein legitimes Interesse an der Einhaltung von 0,0 Promille sämtlicher Belegschaftsmitglieder.

In seinem dagegen erhobenen Revisionsrekurs beantragt der Kläger die Abänderung der Entscheidungen im Sinne einer Antragsstattgebung; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die Beklagte beantragt, dem Revisionsrekurs nicht Folge zu geben; hilfsweise stellt auch sie einen Aufhebungsantrag.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs des Klägers ist zulässig und berechtigt .

1. Gemäß § 96 Abs 1 Z 3 ArbVG bedarf die Einführung von Kontrollmaßnahmen und technischen Systemen zur Kontrolle der Arbeitnehmer, sofern diese Maßnahmen (Systeme) die Menschenwürde berühren, der Zustimmung des Betriebsrats.

Es handelt sich um einen Fall der notwendigen Mitbestimmung. Die Zustimmung kann nur in Form einer Betriebsvereinbarung erfolgen. Eine Regelung des entsprechenden Inhalts durch eine untergeordnete Rechtsquelle ist unzulässig ( Reissner in ZellKomm II 2 ArbVG § 96 Rz 6).

2. Mit „Kontrolle“ ist die Erhebung gewisser Fakten und deren Vergleich mit einem Sollzustand gemeint (Reissner in ZellKomm aaO § 96 ArbVG Rz 21 ua). Unter einer Kontrollmaßnahme iSd § 96 Abs 1 Z 3 ArbVG ist die systematische Überwachung von Eigenschaften, Handlungen oder des allgemeinen Verhaltens von Arbeitnehmern durch den Betriebsinhaber zu verstehen (Preiss in Cerny/Gahleitner/Preiss/Schneller,Arbeitsverfassungsrecht Bd III4 § 96 Erl 7, S 140 ua). Es geht um von Seiten des Betriebsinhabers veranlasste Regelungen, die insbesondere vorschreiben, wann, unter welchen Umständen und auf welche Weise Arbeitnehmer beim Betreten oder Verlassen des Betriebs oder bestimmter Betriebsteile, ferner während ihrer Arbeitsleistung oder überhaupt während ihres Aufenthalts im Betrieb zu irgendeinem Zweck überprüft werden (9 ObA 109/06d).

Dass es sich im vorliegenden Fall um die Einführung einer Kontrollmaßnahme handelt, ist zwischen den Parteien nicht strittig. Unstrittig ist weiter, dass für das vorliegende Kontrollsystem keine Zustimmung des Betriebsrats bzw Betriebsausschusses vorliegt. Strittig ist jedoch, ob Alkoholkontrollen mittels eines Atemluft-Vortestgerätes, die in Betrieben der Beklagten stichprobenartig bei Mitarbeitern aus allen Bereichen und Tätigkeitsfeldern durchgeführt wurden, deshalb der Mitbestimmungspflicht unterliegen, weil sie die Menschenwürde der Arbeitnehmer iSd § 96 Abs 1 Z 3 ArbVG berühren.

3. Zum unbestimmten Wert- und Rechtsbegriff „Menschenwürde“ wurde bereits in der Entscheidung 9 ObA 109/06d (Fingerprint-Scanner) ausgeführt, dass er aus der Konkretisierung von Generalklauseln des Zivilrechts (insbesondere § 879 ABGB) bzw Arbeitsrechts (insbesondere Fürsorgepflicht iSd § 18 AngG, § 1157 ABGB) gewonnen werden muss. Besondere Bedeutung kommt in diesem Zusammenhang § 16 ABGB zu, wonach jeder Mensch über angeborene natürliche Rechte verfügt. Es handelt sich dabei um eine Zentralnorm unserer Rechtsordnung, die in ihrem Kernbereich die Menschenwürde schützt (Aicher in Rummel ABGB³ § 16 Rz 3; RIS-Justiz RS0008993 ua). Die Rechtskonkretisierung erweist sich als Anwendungsfall der Drittwirkung verfassungsrechtlich verankerter Grundrechte, wie zB der Gleichbehandlung (Art 7 B-VG; Art 2 StGG; Art 14 EMRK), des Schutzes des Privat- und Familienlebens (Art 8 EMRK) oder etwa des Datenschutzes (§ 1 DSG). In solchen Fällen ist von einer grundrechtlich verankerten Pflicht zur umfassenden Interessenabwägung auszugehen (s die zahlreichen Nw in 9 ObA 109/06d; krit S. Mayer, Videoüberwachung auch ohne Zustimmung des Betriebsrates? ‑ Überlegungen zum „Berühren der Menschenwürde iSd § 96 Abs 1 Z 3 ArbVG“, wbl 2009, 217). Der Gesetzgeber will mit der Anknüpfung an die „Menschenwürde“ in § 96 Abs 1 Z 3 ArbVG erreichen, dass die freie Entfaltung der Persönlichkeit des Arbeitnehmers keinen übermäßigen Eingriffen ausgesetzt ist (Binder in Tomandl, ArbVG § 96 Rz 58). Im Arbeitsverhältnis sind vor allem auch die Wertungen der Fürsorgepflicht des Arbeitgebers, die sich nicht nur auf die Rechtsgüter Leben, Gesundheit, Sittlichkeit und Eigentum bezieht, sondern die die gesamte Persönlichkeit des Arbeitnehmers umfasst, zu beachten. Schutz der Persönlichkeit impliziert auch Schutz der Individualität, dh der persönlichen Entwicklung, Selbstdarstellung und Bewahrung der Eigenständigkeit. Es kann danach kein Zweifel bestehen, dass auch die körperliche Integrität und die Privatsphäre eines Arbeitnehmers zu den von § 96 Abs 1 Z 3 ArbVG geschützten Rechtsgütern zu zählen sind.

4. § 96 Abs 1 Z 3 ArbVG bezieht sich auf Kontrollen, die die Menschenwürde „berühren“.

Jedenfalls mitbestimmungsfrei ist daher eine Kontrolle, die die Menschenwürde „überhaupt nicht“ bzw „nicht einmal peripher tangiert“ (RV 840 BlgNR 13. GP 84; Tomandl, ZAS 1982, 163, 166, 174), dh mit ihr „nichts zu tun hat“. Andererseits verlangt das „Berühren“ der Menschenwürde keine solche Eingriffsdichte, die bereits als „Verletzung“ anzusehen wäre. Durch § 96 Abs 1 Z 3 ArbVG soll nach den Vorstellungen des Gesetzgebers vielmehr „der schmale Grenzbereich zwischen den die Menschenwürde verletzenden (und damit ohnehin sittenwidrigen) Maßnahmen und den die Menschenwürde überhaupt nicht tangierenden Maßnahmen des Betriebsinhabers geregelt werden“. Dabei war vor allem an Art und Umfang von Torkontrollen, Leibesvisitationen, Kontrolleinrichtungen am Arbeitsplatz udgl gedacht (RV 840 BlgNR 13. GP 84 [zu § 97 Z 6]).

5. Die Menschenwürde wird von einer Kontrollmaßnahme oder einem Kontrollsystem dann „berührt“, wenn dadurch die vom Arbeitnehmer in den Betrieb miteingebrachte Privatsphäre kontrolliert wird. Von der Privatsphäre abgesehen kann aber auch durch die Kontrollintensität der Arbeitsleistung und des arbeitsbezogenen Verhaltens des Arbeitnehmers eine Berührung der Menschenwürde bewirkt werden, und zwar vor allem dann, wenn diese Kontrolle in übersteigerter Intensität organisiert wird und jenes Maß überschreitet, das für Arbeitsverhältnisse dieser Art typisch und geboten ist (9 ObA 109/06d mwN).

6. Im Hinblick auf Alkoholkontrollen wird zur Frage, ob dadurch die Menschenwürde berührt wird, in der Literatur Folgendes vertreten:

Reissner, Alkohol am Arbeitsplatz aus arbeitsrechtlicher Sicht, in Wachter/Burger, Aktuelle Entwicklungen im Arbeits- und Sozialrecht 2008, 209 ff, erachtet eine Betriebsvereinbarung, in der der Arbeitgeber den Arbeitnehmer verpflichten kann, einen Alkoholtest an einem Alkomaten zu machen, im Allgemeinen wegen Verletzung der Menschenwürde als rechtsunwirksam; in Extremfällen könne dies für den Fall des Bestehens eines konkreten Verdachts zulässig sein. Der Arbeitgeber könne den Arbeitnehmer jedoch auffordern, freiwillig einen Alkomattest zu machen. Bei Verweigerung könne der Arbeitnehmer von der Arbeit abgezogen werden.

Nach Knallnig, Suchtmittel im Arbeitsalltag ‑ Alkohol, Suchtgifte, Medikamentenmissbrauch, ASoK 2010, 82, ist die Anwendung von Alkomaten als die Menschenwürde berührende Konrollmaßnahme prinzipiell betriebsratszu-stimmungspflichtig, wobei Alkomateneinsatz nur als freiwillige Möglichkeit des Freibeweisens für den Arbeitnehmer statuiert werden könne und im Kontrollfall der unmittelbaren Zustimmung des Arbeitnehmers bedürfe. Eine zwingende Unterwerfung unter einen derartigen Kontrollmechanismus sei als die Menschenwürde „verletzende“ Kontrollmaßnahme nichtig.

Firlei, Alkohol am Arbeitsplatz ‑ Fragerechte, Verbote, Kontrollen, ZAS 2009, 211, geht von einem absoluten Eingriffsverbot für alle Arten von Kontrollen aus, die den körperlichen Zustand einer Person feststellen, auch wenn sie mit keinem direkten „operativen“ (physischen) Eingriff in den Körper verbunden sind. Erfasst seien auch Alkomaten. Der Arbeitgeber gerate wegen der Unzulässigkeit von Alkotests ohne konkrete Zustimmung im Einzelfall in einen Kontrollnotstand. Firlei spricht sich daher für ein „Entlastungsmodell“ dahin aus, dass bei suchtmittelbedingten Auffälligkeiten im Verhalten eines Mitarbeiters der Vorgesetzte über die Einstellung der Tätigkeit durch den Betreffenden entscheiden solle. Dem Mitarbeiter sei zur Entlastung die Möglichkeit einzuräumen, sich einer unmittelbaren Überprüfung durch ein betriebseigenes Messverfahren zu unterziehen. Bei Verweigerung habe er den Anweisungen des Vorgesetzten trotzdem Folge zu leisten und gegebenenfalls das Betriebsgelände zu verlassen. Der Ausweg eines freiwilligen Entlastungsbeweises sei wegen der Mitwirkungsobliegenheit des Arbeitnehmers zulässig und bewirke im Falle der Weigerung zumindest bei Verdacht auf Alkoholisierung den Entfall des Entgelts. Die Menschenwürde werde dadurch nicht berührt, weil die Entscheidungsbefugnis beim Arbeitnehmer bleibe und der Zweck der Kontrolle zum Kernbereich der Kontrollrechte des Arbeitgebers gehöre.

Schneeberger, Arbeitsrechtliche Verbote und Kontrollmöglichkeiten in Bezug auf Drogen- bzw Alkoholkonsum, in Reissner/Strohmayer, Drogen und Alkohol am Arbeitsplatz (2008) 25, 39 ff, sieht im Einsatz von Alkomaten ein stark ausgeprägtes Missverhältnis zwischen Kontrollintensität und berechtigtem Kontrollinteresse. Er sieht selbst bei Verdacht auf Alkoholisierung die Benutzung eines Alkomaten jedenfalls als unverhältnismäßig und daher grundsätzlich nicht zulässig an. Dadurch würde die Menschenwürde nicht bloß berührt, sondern verletzt. Ein berechtigtes Kontrollinteresse des Arbeitgebers an der Feststellung minimaler Blutalkoholwerte sei nicht ersichtlich. Alkomaten seien bei Abwägung der wechselseitigen Interessen unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsprinzips eindeutig als nicht zulässig einzustufen. Dies treffe umso mehr bei Alkoholverboten zu, die objektiv (zB aus Sicherheitsaspekten) nicht notwendig seien.

7. Im vorliegenden Fall meint die Beklagte, dass die Alkoholkontrollen mit der Menschenwürde nichts zu tun hätten und sie deshalb mitbestimmungsfrei durchgeführt werden könnten.

Der Beklagten ist zuzugestehen, dass die Kontrolle des Alkoholverbots, dessen Bedeutung auch vom Kläger für den Betrieb der Beklagten nicht in Frage gestellt wird, grundsätzlich ein legitimes Kontrollziel ist. Dies ist jedoch von der Zulässigkeit der von ihr gewählten Kontrollmethode zu unterscheiden. Ihrem Argument, dass Alkomaten die Menschenwürde der Arbeitnehmer nicht einmal berühren würden, kann nicht gefolgt werden, weil Alkoholkontrollen, die über die Beobachtungen (Wahrnehmungen von Geruch, Gang, Sprache, Konzentration etc) hinausgehen und die den Grad der Alkoholisierung verlässlich messen, zwangsläufig in die Integrität der biophysischen Beschaffenheit der Person und damit in ihre körperliche Integrität eingreifen (s Firlei aaO 211, 220). Die Position, dass der generelle Einsatz von Alkomaten auf Mitarbeiter, bei denen sich nicht einmal ein Verdacht auf eine Alkoholisierung zeigt, die Menschenwürde nicht einmal tangieren würde, ist sohin unrichtig.

8. Die Abgrenzung, ob die Menschenwürde durch eine Kontrollmaßnahme iSd § 96 Abs 1 Z 3 ArbVG lediglich „berührt“ oder bereits „verletzt“ wird, ist in ihrer Bedeutung strittig (s zum Meinungsstand bezüglich des Dual- oder Triplekonzepts die Übersicht bei Binder in Tomandl, ArbVG § 96 Rz 2). Die Frage, ob die Verwendung von Alkomattests die Menschenwürde nur berührt oder bereits verletzt, kann hier jedoch dahin gestellt bleiben, weil die Beklagte in keinem Fall ohne Zustimmung des Betriebsrats zur Durchführung von Alkoholkontrollen berechtigt wäre. Denn wie dargelegt, bedarf die Frage, ob die Menschenwürde durch eine Kontrollmaßnahme auch nur berührt wird, einer umfassenden Abwägung der wechselseitigen Interessen. So sind einerseits die Interessen des Arbeitgebers, der im Arbeitsverhältnis ein grundsätzliches Recht zur Kontrolle der Arbeitnehmer hat, aber darüber hinaus zB auch sein Eigentum sichern und schützen will, und andererseits die Interessen des Arbeitnehmers an der Wahrung seiner Persönlichkeitsrechte gegeneinander abzuwägen (8 ObA 288/01p; 9 ObA 109/06d mwN). Dem Prinzip der Verhältnismäßigkeit kommt hier regulierende Funktion zu. Persönlichkeitsrechte dürfen nur so weit beschränkt werden, als dies durch ein legitimes Kontrollinteresse des Arbeitgebers geboten ist. Es ist das schonendste ‑ noch zum Ziel führende ‑ Mittel zu wählen (Preiss aaO § 96 Erl 7; 9 ObA 109/06d mwN).

9. Die Beklagte kann sich nun nicht darauf berufen, dass eine Interessenabwägung ihren Standpunkt stützt:

9.1. Im Interesse des öffentlichen Arbeitnehmer- und Gesundheitsschutzes hält § 15 Abs 4 ASchG die Arbeitnehmer dazu an, sich durch Alkohol, Arzneimittel oder Suchtgift nicht in einen Zustand zu versetzen, in dem sie sich oder andere Personen gefährden können (bloß relatives Alkoholverbot).

9.2. Demgegenüber unterliegt die Beklagte im Zusammenhang mit dem Alkoholkonsum ihrer Mitarbeiter einer Reihe von gesetzlichen Sonderbestimmungen.

So ist gemäß § 21b EisenbahnG 1957 das selbständige Führen und Bedienen eines Triebfahrzeugs auf Eisenbahnen in einem durch zB Alkohol beeinträchtigten Zustand ebenso verboten wie der Konsum von Alkohol während des selbständigen Bedienens und Führens eines Triebfahrzeugs auf Eisenbahnen.

Gemäß § 132 Abs 7 Eisenbahnbau- und -betriebsverordnung idF BGBl II 156/2014 (davor: § 39 Abs 3 EisbBBV idF BGBl II 398/2008) ist es Betriebsbediensteten untersagt, während des Dienstes und der Dienstbereitschaft alkoholische Getränke oder andere die dienstliche Tätigkeit beeinträchtigende Mittel zu sich zu nehmen oder den Dienst anzutreten, wenn sie unter der Wirkung solcher Getränke oder Mittel stehen.

Ein Eisenbahnunternehmen ist gemäß § 6 Abs 1 Eisenbahnverordnung 2003 auch verpflichtet, bei der Auswahl, Verwendung und Beaufsichtigung der Betriebsbediensteten jene Sorgfalt anzuwenden, die eine sichere und ordnungsgemäße Betriebsführung gewährleistet.

Die Beklagte hat darüber hinaus ein absolutes Alkoholverbot ausgesprochen, das hier nicht weiter in Frage steht. Der Beklagten ist daher ein grundsätzliches Interesse an der Einhaltung und Kontrolle des Alkoholverbots zuzugestehen.

9.3. Dem steht das Interesse der Arbeitnehmer an den besonders hoch geschützten Rechtsgütern ihrer körperlichen Integrität und ihrer Privatsphäre gegenüber. In dieses möchte die Beklagte mit unangekündigten sporadischen Atemluftkontrollen eingreifen, die in keinem weiteren Zusammenhang mit konkreten Verdachtsmomenten stehen und einen Arbeitnehmer daher unvorhergesehen und jederzeit treffen können. Der Eingriff soll ohne Einwilligung des betroffenen Arbeitnehmers erfolgen, womit ihm jegliche Entscheidungsbefugnis darüber genommen ist. Der Eingriff soll weiter unabhängig von der Tätigkeit eines Arbeitnehmers und damit unabhängig davon erfolgen, ob ein Verstoß gegen das Alkoholverbot mit der Schaffung einer Gefährdungslage für den Arbeitnehmer selbst oder für Dritte einhergeht. Da der Alkomattest auch den untersten Promillebereich erfasst (wie er beispielsweise auch beim Verzehr von mit Alkohol zubereiteten Lebensmitteln gegeben sein kann), nimmt die Kontrollmethode auch nicht Bedacht darauf, ob eine geringe Alkoholmenge überhaupt mit einer ‑ zB von § 21b EisenbahnG 1957 oder § 132 Abs 7 EisbBBV geforderten ‑ Beeinträchtigung der Arbeitsfähigkeit eines Mitarbeiters einhergeht. Das Interesse der Beklagten orientiert sich in diesem Bereich damit nicht an Sicherheitsaspekten, sondern reduziert sich auf eine Kontrolle um der Kontrolle (oder Disziplin) willen.

Eine Beschränkung der Kontrolle auf beim Fahrbetrieb oder in den Betriebsanlagen tätige Mitarbeiter hat das Provisorialverfahren nicht ergeben. Insbesondere brachte der Kläger schon in seinem Antrag vor, dass die Kontrolle „alle Mitarbeiter“ erfassen soll. Dem pflichtete die Beklagte insofern bei, als sie selbst vorbrachte, dass die Geltung des absoluten Alkoholverbots für alle Mitarbeiter gelten solle und dafür keine persönlichen Einschränkungen bestünden. Eine Bedachtnahme auf die konkrete Tätigkeit und einer damit verbundenen Notwendigkeit für Kontrollen geht daraus gerade nicht hervor. Nach den Ergebnissen des Provisorialverfahrens ist auch der Begriff der Betriebsbediensteten iSd § 2 Z 5 EisbBBV kein ausreichender Anknüpfungspunkt für ein erhöhtes Gefährdungspotenzial von Mitarbeitern, weil er neben Fahrbediensteten auch bei der Steuerung und Überwachung des Betriebsablaufs Bedienstete sowie Leitende oder Aufsichtsführende über Bedienstete erfasst.

Zu bedenken ist vor allem auch, dass die Kontrollen selbst dann, wenn sie nicht regelmäßig und/oder häufig durchgeführt werden sollen, eine gravierende Eingriffsintensität aufweisen, weil es sich bei der körperlichen Integrität und der Privatsphäre von Arbeitnehmern um besonders hoch geschützte Rechtsgüter handelt und der Eingriff eine nicht bloß unerhebliche Mitwirkung des Verdächtigen verlangt. Da die Alkoholkontrollen bei Arbeitsbeginn stattfinden, wird damit zugleich ein Freizeitverhalten der Arbeitnehmer überprüft. Schließlich wird ein Arbeitnehmer durch eine Alkomatkontrolle naturgemäß in eine gewisse Verdachtsituation gedrängt, bei der ‑ anders als bei Anwesenheits- oder Arbeitszeitkontrollen ‑ selbst dann der Vorwurf einer Ordnungswidrigkeit im Raum steht, wenn er sich völlig vorschriftskonform verhalten hat. Dem Umstand, dass die Kontrollen nur sporadisch stattfinden sollen, steht gegenüber, dass Arbeitnehmer permanent der Möglichkeit einer unangekündigten Kontrolle ausgesetzt wären.

9.4. In Summe ergibt sich damit, dass bei einer Abwägung der wechselseitigen Interessen die Interessen der Arbeitnehmer an der Wahrung ihrer körperlichen Integrität und ihrer Privatsphäre die Interessen der Beklagten an einer undifferenzierten Kontrolle der Mitarbeiter durch einen Alkomattest überwiegen, wenn er unangekündigt, ohne Einwilligung der Mitarbeiter, ohne besondere Verdachtslage und unabhängig davon durchgeführt wird, ob eine Alkoholisierung die konkrete Tätigkeit eines Mitarbeiters zu beeinflussen geeignet ist und ob durch die Tätigkeit eine Gefährdungslage für den Mitarbeiter oder andere Personen geschaffen wird. Eine solche Kontrollmaßnahme berührt die Menschenwürde. Die einseitige konsenslose Kontrollmaßnahme der Beklagten ist in dieser Allgemeinheit daher rechtswidrig und unzulässig.

10. Werden die Mitwirkungsrechte des Betriebsrats verletzt, steht diesem ein Anspruch auf Unterlassung der mitbestimmungswidrigen Maßnahmen zu, der auch durch eine einstweilige Verfügung gesichert werden kann (6 ObA 1/06z, 9 ObA 109/06d ua).

Die Beklagte hat durch die einseitige, nicht auf eine Betriebsvereinbarung mit dem Kläger gestützte Aufnahme von Alkoholkontrollen den bis zu dieser Einführung bestehenden Zustand verändert und in der Folge bekräftigt, daran festhalten zu wollen. Soweit die Beklagte einen unwiederbringlichen Schaden in Frage stellt, so liegt dieser schon in der möglichen Durchführung weiterer Kontrollmaßnahmen und des dadurch eintretenden nachteiligen Zustands für den Kläger, könnte doch ohne Erlassung der beantragten einstweiligen Verfügung die Verwirklichung des Mitbestimmungsrechts des Klägers während der Dauer des Prozesses weiterhin vereitelt werden (vgl RIS-Justiz RS0005270). Der Kläger hat somit nicht nur seinen Anspruch auf Mitwirkung, sondern auch dessen Gefährdung hinreichend bescheinigt.

11. Dem Revisionsrekurs des Klägers war danach Folge zu geben und die einstweilige Verfügung wie aus dem Spruch ersichtlich zu erlassen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 393 Abs 1 EO bzw § 78 EO, §§ 40, 50 ZPO, wobei ein Kostenersatz in Verfahren nach § 50 Abs 2 ASGG nur im Verfahren vor dem Obersten Gerichtshof stattfindet (§ 58 Abs 1 ASGG).

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