OGH 12Ns85/14t

OGH12Ns85/14t5.3.2015

Der Oberste Gerichtshof hat am 5. März 2015 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Schroll als Vorsitzenden, sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. T. Solé und Dr. Oshidari sowie die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Michel‑Kwapinski und Mag. Fürnkranz als weitere Richter in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Kaltenbrunner als Schriftführerin in der Strafsache gegen Peter B***** wegen des Vergehens der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs 1 StGB im Zuständigkeitsstreit des Landesgerichts Wels und des Landesgerichts für Strafsachen Wien betreffend das Verfahren AZ 7 Hv 122/14x des Landesgerichts Wels gemäß § 38 StPO nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2015:0120NS00085.14T.0305.000

 

Spruch:

Für die Durchführung des Strafverfahrens ist das Landesgericht für Strafsachen Wien zuständig.

Text

Gründe:

Soweit vorliegend von Bedeutung, brachte die Staatsanwaltschaft St. Pölten am 13. August 2014 beim Landesgerichts Wels einen Strafantrag gegen Peter B***** vom 12. August 2014 ein, in dem sie diesem am 19. Juli 2014 auf der Fahrt von S***** nach W***** im Stadtgebiet von A***** begangene, als Vergehen der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs 1 StGB beurteilte Verhaltensweisen zur Last legte (ON 1 S 1, ON 3).

Am 22. August 2014 überwies der Einzelrichter des Landesgerichts Wels diesen Akt gemäß § 37 StPO dem Landesgericht für Strafsachen Wien zur Einbeziehung in das dort zu AZ 163 Hv 51/14m anhängige Hauptverfahren (ON 1 S 2 f). In diesem vor dem Schöffengericht gegen zahlreiche Angeklagte geführten Verfahren war ‑ lt VJ‑Register ‑ am 7. Mai 2014 gegen Peter B***** Anklage wegen des Vergehens des Landfriedensbruchs und weiterer strafbarer Handlungen (Tatzeitpunkt: 7. September 2013) erhoben worden. Am 22. September 2014 wurde er zu einer für eine Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe verurteilt. Bereits am 15. September 2014 beschloss die Vorsitzende die Einbeziehung des vom Landesgericht Wels abgetretenen Verfahrens und dessen sofortige Wiederausscheidung zur Vermeidung von Verfahrensverzögerungen. Am 22. September 2014 verfügte sie die Rückabtretung des kurzfristig einbezogenen und wieder ausgeschiedenen Verfahrens wegen örtlicher Unzuständigkeit und mit dem Hinweis auf den inzwischen ergangenen rechtskräftigen Schuldspruch (ON 4).

Der Einzelrichter des Landesgerichts Wels legte den Akt am 31. Oktober 2014 dem Obersten Gerichtshof zur Entscheidung über den negativen Kompetenzkonflikt mit dem Hinweis vor, vor Abtretung des Verfahrens eine Vorprüfung des Strafantrags gemäß § 485 StPO vorgenommen zu haben (ON 1 S 5 f).

Rechtliche Beurteilung

Der Oberste Gerichtshof hat erwogen:

Eine Verbindung von Verfahren setzt im Fall sukzessiver Anklageerhebung nach der unmissverständlichen Anordnung des § 37 Abs 3 StPO ein bereits anhängiges Hauptverfahren und Rechtswirksamkeit der späteren Anklage voraus (vgl RIS‑Justiz RS0123445).

Zwar sieht das Gesetz im Verfahren vor dem Einzelrichter des Landesgerichts ‑ anders als in jenem vor Kollegialgerichten (vgl § 213 Abs 4 StPO) ‑ keine förmliche Beschlussfassung über die Rechtswirksamkeit der Anklage (des Strafantrags) vor. Der Strafantrag ist jedoch vom Einzelrichter amtswegig nach den Kriterien des § 485 Abs 1 Z 1 bis 3 StPO zu überprüfen.

Erst nachdem der Einzelrichter nach dieser Prüfung entweder gemäß § 485 Abs 1 Z 1 StPO iVm § 450 StPO mit (anfechtbarem) Beschluss seine örtliche Unzuständigkeit ausgesprochen oder gemäß § 485 Abs 1 Z 4 StPO die Anordnung der Hauptverhandlung unmissverständlich dokumentiert hat, kann es (mittelbar) laut 14 Ns 56/14t (unter Heranziehung von RIS‑Justiz RS0125311; Philipp , WK‑StPO § 485 Rz 3a; Oshidari , WK‑StPO § 38 Rz 2) zu einem Kompetenzkonflikt im Sinne des § 38 StPO kommen. Wie diese Dokumentation in concreto vorzunehmen ist, lässt die genannte Entscheidung jedoch offen.

Im Unterschied zu negativen Beurteilungen, die sich in Beschlüssen über Einstellung des Strafverfahrens, Zurückweisung des Strafantrags oder Ausspruch der Unzuständigkeit niederschlagen, findet ein positiver Ausgang der erforderlichen Prüfung keinen beschlussförmigen Ausdruck (§ 485 Abs 1 Z 1 bis 3 StPO e contrario; Wiederin , WK‑StPO § 4 Rz 73). Die Rechtswirksamkeit der Anklage wird somit nicht eigens festgestellt, sie zeigt sich erst im darauf folgenden Akt der Einleitung des Hauptverfahrens, für welchen sie gemäß § 4 Abs 2 StPO Voraussetzung ist.

Im Hinblick darauf, dass eine Überweisung des Verfahrens gemäß § 38 StPO erst im Verfahrensstadium nach Rechtswirksamkeit der Anklage zulässig ist und der Einzelrichter des Landesgerichts Wels überdies die bereits davor erfolgte, für den Eintritt der Rechtswirksamkeit der Anklage essentielle Prüfung nach den Kriterien des § 485 Abs 1 Z 1 bis 3 StPO im Akt dokumentiert hat, ist im vorliegenden Fall meritorisch über den Kompetenzkonflikt zu entscheiden.

Die vom Landesgericht für Strafsachen Wien zur Vermeidung von Verfahrensverzögerungen erfolgte Trennung des Verfahrens betreffend den Vorwurf des Strafantrags der Staatsanwaltschaft St. Pölten vom 12. August 2014 kann die aufgrund Zusammenhangs (§ 37 StPO) einmal begründete Zuständigkeit ‑ von hier nicht aktuellen Ausnahmen der Ausscheidung einer allgemeinen strafbaren Handlung durch ein Gericht mit Sonderzuständigkeit oder der Ausscheidung einer vor das Bezirksgericht gehörenden Straftat durch ein Landesgericht abgesehen ‑ nicht nachträglich verändern (Oshidari, WK‑StPO § 36 Rz 9 und § 37 Rz 12 und 14 f). § 36 Abs 4 StPO ordnet nämlich an, dass ein Gericht auch dann für das Hauptverfahren örtlich zuständig bleibt, wenn es ein Verfahren gegen einen Angeklagten oder wegen einer Straftat ausscheidet. Eine dem § 58 StPO idF BGBl 1975/631 oder (von 1. März 2005 bis 31. Dezember 2007) idF BGBl I 2004/164 vergleichbare Bestimmung, die eine Verschiebung der Zuständigkeit zu einem anderen Landesgericht ermöglichen würde, ist der geltenden Strafprozessordnung fremd (zuletzt 11 Ns 21/14y).

Solcherart entbehrte die vom Landesgericht für Strafsachen Wien nach Verfahrensausscheidung verfügte Abtretung des Strafverfahrens gegen Peter B***** wegen des Vergehens der gefährlichen Drohung gemäß § 107 Abs 1 StGB an das Landesgericht Wels von vornherein einer gesetzlichen Basis.

Die Führung des Verfahren fällt daher in die Zuständigkeit des Landesgerichts für Strafsachen Wien.

Bleibt anzumerken, dass im Anwendungsbereich des § 38 StPO eine mittelbare Aktenvorlage an den Obersten Gerichtshof (hier: über das Oberlandesgericht) nicht (mehr) vorgesehen ist ( Oshidari , WK‑StPO § 38 Rz 13).

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