OGH 4Ob198/14t

OGH4Ob198/14t16.12.2014

Der Oberste Gerichtshof hat durch die Vizepräsidentin Dr. Schenk als Vorsitzende und durch die Hofräte Dr. Vogel, Dr. Jensik, Dr. Musger und Dr. Schwarzenbacher als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei M***** H*****, vertreten durch Dr. Gerhard Schatzlmayr, Rechtsanwalt in Schwanenstadt, wider die beklagte Partei G***** H*****, vertreten durch Saxinger Chalupsky & Partner Rechtsanwälte GmbH in Wels, wegen Wohnungserhaltung gemäß § 97 ABGB, infolge Revisionsrekurses der beklagten Partei gegen den Beschluss des Landesgerichts Wels als Rekursgericht vom 19. März 2014, GZ 21 R 56/14f‑11, womit infolge Rekurses der klagenden Partei der Beschluss des Bezirksgerichts Vöcklabruck vom 13. Jänner 2014, GZ 11 C 20/13x‑7, aufgehoben wurde, folgenden

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2014:0040OB00198.14T.1216.000

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Der angefochtene Beschluss wird dahin abgeändert, dass der Beschluss des Erstgerichts mit der Maßgabe wiederhergestellt wird, dass der Antrag der klagenden Partei auf Erlassung eines Versäumungsurteils zurückgewiesen wird.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 744,43 EUR (darin 124,07 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsrekursbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Begründung:

Die Klägerin begehrt, den Beklagten zu verpflichten, a) ihr 1.306 EUR Darlehensrückstände und ab 1. 10. 2013 bis zur gänzlichen Rückzahlung der Darlehen bei der Darlehensgeberin einen monatlichen Betrag von 300 EUR an laufenden Kreditraten zu zahlen, sowie b) die Veräußerung oder Belastung der von der Klägerin mit ihren Kindern bewohnten Liegenschaft sowie diesbezüglich alle sonstigen Maßnahmen zu unterlassen, die die Durchsetzung des Wohnungserhaltungsanspruchs der Klägerin vereiteln würden, und c) in die grundbücherliche Einverleibung eines Belastungs‑ und Veräußerungsverbots ob der Liegenschaft zugunsten der Klägerin einzuwilligen.

Die Klage und die Ladung zur vorbereitenden Tagsatzung am 13. 1. 2014 wurden dem Beklagten am 15. 10. 2013 zugestellt. Der Beklagte ist zur vorbereitenden Tagsatzung nicht erschienen. Nach Erörterung der Sach‑ und Rechtslage beantragte die Klägerin die Erlassung eines Versäumungsurteils.

Das Erstgericht wies den Antrag der Klägerin auf Erlassung eines Versäumungsurteils ab. Gemäß § 460 Z 9 ZPO sei in Ehesachen und in Verfahren in anderen nicht rein vermögensrechtlichen, aus dem gegenseitigen Verhältnis zwischen Ehegatten entspringenden Streitigkeiten § 442 ZPO nicht anzuwenden. Hier liege eine nicht rein vermögensrechtliche Streitigkeit aus dem Eheverhältnis vor, was der Erlassung eines Versäumungsurteils entgegenstehe.

Das Rekursgericht hob diesen Beschluss auf und trug dem Erstgericht die neuerliche Entscheidung über den Antrag der Klägerin unter Abstandnahme vom gebrauchten Zurückweisungsgrund auf; es sprach aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs zulässig sei, weil Rechtsprechung zur Frage der vermögensrechtlichen Natur eines Begehrens auf Unterlassung gemäß § 97 ABGB fehle.

Vermögensrechtliche Streitigkeiten aus dem Eheverhältnis seien Streitigkeiten, in denen das Begehren auf Geldleistung oder Leistung geldwerter Sachen (also nicht auf die Erfüllung höchstpersönlicher Verpflichtungen, die ausschließlich aus dem Eheverhältnis abgeleitet werden) oder auf Feststellung, Gestaltung, Aufhebung oder Abänderung eines Vermögensrechts gerichtet sei. Ein rein vermögensrechtlicher Entscheidungsgegenstand liege jedenfalls immer dann vor, wenn der Anspruch auf eine Geldleistung gerichtet sei. Nach § 97 ABGB habe ein Ehegatte, der über die zur Befriedigung des dringenden Wohnbedürfnisses des anderen Gatten dienende Wohnung verfügungsberechtigt ist, alles zu unterlassen und vorzukehren, damit der auf diese Wohnung angewiesene Gatte diese nicht verliere. Auf dieser Grundlage könnten ihm auch die Zahlung von Wohnungserhaltungskosten (insbesondere Kreditrückzahlungsraten) aufgetragen werden. Bei einer Streitigkeit über diesen ‑ getrennt vom eigentlichen Unterhaltsanspruch zu sehenden ‑ Zahlungsanspruch handle es sich somit unzweifelhaft um eine rein vermögensrechtliche, aus dem gegenseitigen Verhältnis zwischen Ehegatten entspringende Streitigkeit, sodass mangels Anwendbarkeit des § 460 Z 9 zweiter Halbsatz ZPO die Fällung eines Versäumungsurteils nach § 442 ZPO zulässig sei.

Gleiches gelte auch für die Begehren auf Unterlassung und Einwilligung. Ob ein Anspruch vermögensrechtlicher Natur ist, ergebe sich aus seinem materiell-rechtlichen Inhalt, wobei Personenrechte und Familienrechte nicht unter die Vermögensrechte fielen. Durch die Benützung einer Wohnung, in der das dringende Wohnbedürfnis eines Ehegatten befriedigt werde, erwerbe dieser einen familienrechtlichen, durch § 97 ABGB gesicherten Anspruch auf Erhaltung der Wohnmöglichkeit gegen den anderen Ehegatten. Dieser Anspruch sei Ausfluss der spezifischen Beistandspflicht während aufrechter Ehe. Wegen seiner Verwurzelung in der ehelichen Beistandspflicht handle es sich um einen höchstpersönlichen Anspruch, der weder abgetreten noch gepfändet oder verpfändet und auch nicht von Todes wegen übertragen werden könne. Ungeachtet dessen handle es sich beim Anspruch auf Wohnungserhaltung um eine persönliche Rechtswirkung der Ehe vermögensrechtlicher Natur; dass dieser Anspruch seinem Wesen nach einer Bewertung in Geld nicht zugänglich sei, könne nicht gesagt werden, zumal der betroffene Ehegatte bei Verlust der Wohnung die Kosten für eine anderweitige Unterkunft aufwenden müsse. Dazu komme, dass das Recht auf Wohnungsbenützung nach Ehescheidung bei rechtzeitiger Antragstellung im Aufteilungsanspruch (§§ 81 ff EheG) fortbestehe und auch der Aufteilungsanspruch geschiedener Ehegatten ein in Geld bewertbarer Anspruch rein vermögensrechtlicher Natur sei.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist zulässig; das Rechtsmittel ist auch berechtigt.

1. Ob ein Anspruch vermögensrechtlicher Natur ist, ergibt sich aus seinem materiell-rechtlichen Inhalt. Als vermögensrechtliche Ansprüche können jene Ansprüche angesehen werden, die vererblich oder veräußerbar sind (RIS‑Justiz RS0007110 [T12]). Unter Entscheidungsgegenständen nicht (rein) vermögensrechtlicher Art hat der Gesetzgeber solche Fälle verstanden, die unmittelbar die Person eines Verfahrensbeteiligten betreffen, etwa im Pflegschaftsverfahren eine Sorgerechtsregelung oder Besuchsrechtsregelung (RIS‑Justiz RS0007110 [T9]). Personenrechte und Familienrechte fallen nicht unter die Vermögensrechte ( Fucik/Kloiber , AußStrG § 62 Rz 7; Kodek in Gitschthaler/Höllwerth , AußStrG § 59 Rz 16).

2. Der in § 97 ABGB geregelte familienrechtliche Anspruch auf Wohnungsschutz regelt als Sonderanspruch im Sinne einer vorübergehenden Notmaßnahme einen Teilaspekt der ehelichen Beistandspflicht, nämlich die Verpflichtung des über die Wohnung verfügungsberechtigten Ehegatten, alles zu tun und zu unterlassen, damit der auf die Wohnung angewiesene Ehegatte diese nicht verliert (vgl RIS‑Justiz RS0009534; RS0049431; Hinteregger in Fenyves/Kerschner/Vonkilch , Klang ³ § 97 Rn 3; Schwimann/Ferrari in Schwimann/Kodek 4 § 97 Rz 5). Der Anspruch ist durch Klage im streitigen Verfahren zu verfolgen und kann sowohl als Unterlassungs- als auch als Leistungsanspruch geltend gemacht werden ( Hinteregger in Fenyves/Kerschner/Vonkilch , Klang ³ § 97 Rn 16).

3. Bei den Rechtswirkungen der Ehe wird zutreffend zwischen den rein persönlichen Rechtswirkungen und den persönlichen Rechtswirkungen vermögensrechtlicher Natur unterschieden. Zu letzteren zählt der Anspruch auf Wohnungserhaltung nach § 97 ABGB ( Hinteregger in Fenyves/Kerschner/Vonkilch , Klang ³ § 97 Rz 4). Da dieser Anspruch seine Grundlage in der ehelichen Beistandspflicht hat und an die Person des Ehegatten gebunden ist, handelt es sich um einen höchstpersönlichen Anspruch, der weder abgetreten noch gepfändet oder verpfändet werden kann ( Hinteregger in Fenyves/Kerschner/Vonkilch , Klang ³, § 97 Rz 4; Smutny in Kletečka/Schauer , ABGB‑ON 1.02 § 97 Rz 3).

4. Ist demnach der Anspruch nach § 97 ABGB ein höchstpersönlicher, der unmittelbar die Person eines Verfahrensbeteiligten betrifft und seine Wurzel in der ehelichen Beistandspflicht hat, ist es nach der zuvor referierten Rechtsprechung und Lehre zur vermögensrechtlichen Natur von Ansprüchen nur konsequent, die Klage nach § 97 ABGB unabhängig davon, ob sie auf Unterlassung oder Leistung lautet, als nicht rein vermögensrechtliche Streitigkeit aus dem Eheverhältnis anzusehen (so auch Simotta in Fasching/Konecny ³ § 460 ZPO Rz 7 und § 100 JN Rz 1; Mayr in Rechberger 4 § 100 JN Rz 1; Nademleinsky und Beck in Gitschthaler/Höllwerth , Ehe‑ und Partnerschaftsrecht, § 100 JN Rz 1 bzw § 460 ZPO Rz 1).

5. Dass ein auf Geld lautendes Leistungsbegehren naturgemäß einer Bewertung in Geld zugänglich ist, worauf das Rekursgericht hinweist, stellt das vom Senat gewonnene Ergebnis ebenso wenig in Frage wie die Rechtsnatur des (hier nicht gegenständlichen) Aufteilungsanspruchs nach §§ 81 ff EheG als ein in Geld bewertbarer rein vermögensrechtlicher Anspruch.

6. Die Streitigkeit über einen Anspruch nach § 97 ABGB fällt demnach unter die besondere Bestimmung des § 460 ZPO für das Verfahren in Ehesachen, weshalb § 442 ZPO nicht zur Anwendung gelangt.

7. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 41 Abs 1, 50 Abs 1 ZPO. Der Beklagte hat im Zwischenstreit über den Antrag auf Fällung eines Versäumungsurteils obsiegt.

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