OGH 2Ob178/14m

OGH2Ob178/14m7.11.2014

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Hofrat Dr. Veith als Vorsitzenden und durch die Hofräte Dr. E. Solé, Dr. Schwarzenbacher, Dr. Nowotny und Dr. Rassi als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei R***** R*****, vertreten durch Eisenberger & Herzog Rechtsanwalts GmbH in Graz, gegen die beklagte Partei R***** T*****, vertreten durch Mag. Helmut Hawranek, Rechtsanwalt in Graz, wegen zuletzt 8.300 EUR und Feststellung (Streitinteresse 1.500 EUR), über die ordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz als Berufungsgericht vom 14. Mai 2014, GZ 5 R 51/14b‑57, womit das Urteil des Bezirksgerichts Graz-Ost vom 10. Dezember 2013, GZ 207 C 1579/11a‑49, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2014:0020OB00178.14M.1107.000

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die beklagte Partei hat die Kosten ihrer Revisionsbeantwortung selbst zu tragen.

Text

Begründung

Der Beklagte fertigte dem Kläger am 3. 2. 2011 gegen ein Entgelt von 300 EUR eine aus medizinischer Sicht lege artis durchgeführte Tätowierung im Brustbereich an.

Der Kläger begehrte zuletzt 8.500 EUR mit dem wesentlichen Vorbringen, dass das angefertigte Tattoo von der in Auftrag gegebenen Tätowierung massiv abweiche, wobei es sich um einen nicht verbesserbaren Mangel handle. Neben dem Rückersatzanspruch für den Werklohn von 300 EUR machte der Kläger Kosten von 6.700 EUR für die (noch vorzunehmende) fachgerechte Entfernung des Tattoos und 1.500 EUR als Schmerzengeld für die damit verbundenen Schmerzen geltend. Daneben begehrte er die Feststellung, dass ihm der Beklagte für die zukünftigen Schäden aus der Anfertigung des Tattoos hafte.

Der Beklagte wandte ein, dass das tätowierte Motiv der Vereinbarung entsprochen habe und daher kein mangelhaftes Werk vorliege.

Das Erstgericht gab im ersten Rechtsgang dem Klagebegehren im Umfang von 200 EUR sA statt und wies das Mehrbegehren ab.

Es traf unter anderem folgende Feststellungen: Der Kläger zeigte dem Beklagten ein Foto (Beilage ./A) und gab an, dass er ein derartiges Motiv als Tattoo wünsche. Der Beklagte erklärte ihm, dass dieses Motiv nicht übernommen werden könne und er ein eigenständiges Motiv anfertigen werde. Der Beklagte zeichnete mit einem Hautstift die Außenlinien der von ihm geplanten Tätowierung im Brustbereich auf, womit der Kläger einverstanden war. Danach wurden die Schattierungen der Tätowierung vorgenommen, die dunkler sind als in dem ursprünglich gewollten Motiv laut Beilage ./A.

In rechtlicher Hinsicht ging das Erstgericht davon aus, dass das vom Beklagten tatsächlich hergestellte Motiv Vertragsinhalt gewesen sei. Die Schattierungen seien aber dunkler als im ursprünglich gewollten Motiv laut Beilage ./A, weshalb ein geringfügiger Mangel im Sinne des § 932 Abs 4 ABGB vorliege, wobei nur die Preisminderung in Betracht komme.

Der Zuspruch von 200 EUR blieb unbekämpft und erwuchs in Rechtskraft.

Das wegen der Abweisung des restlichen Leistungs‑ und des Feststellungsbegehrens vom Kläger angerufene Berufungsgericht gab der Berufung Folge, hob den klagsabweisenden Teil des Urteils auf und trug dem Erstgericht darüber eine neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung auf. Es vertrat die Auffassung, im erstinstanzlichen Verfahren sei unklar geblieben, ob die vom Beklagten ausgeführten Schattierungen auch Vertragsgegenstand waren. Im fortgesetzten Verfahren habe das Erstgericht klare Feststellungen dahin zu treffen, was zwischen den Streitteilen hinsichtlich der Schattierungen des Tattoos vereinbart worden sei. Sollte sich ergeben, dass diesbezüglich eine Tätowierung wie laut Beilage ./A vereinbart worden sei, wäre der Mangel nicht mehr als geringfügig zu qualifizieren. In einem solchen Fall würde ein Anspruch des Klägers auf Schadenersatz im Sinne des Ersatzes der angemessenen Kosten für die Entfernung des Tattoos, eines angemessenen Schmerzengeldbetrags und (bei zu erwartenden Spät- oder Dauerfolgen) auf Feststellung zu Recht bestehen. Sollte aber zur Tätowierung auch im Hinblick auf die Schattierungen keine Vereinbarung im Sinne der Beilage ./A vorliegen, habe es bei der bereits erfolgten Klagsabweisung zu bleiben, wobei der Zuspruch von 200 EUR als in Rechtskraft erwachsen anzusehen sei.

Mit dem im zweiten Rechtsgang ergangenen Urteil wies das Erstgericht das restliche Klagebegehren neuerlich ab. Dabei stellte es zum Vertragsinhalt sinngemäß fest, dass die Ausführung der Schattierungen durch den Beklagten dem Vertragsinhalt entspreche. In rechtlicher Hinsicht ging es davon aus, dass der Beklagte vertragsgemäß erfüllt habe, weshalb Schadenersatzansprüche und das Feststellungsbegehren zu verneinen seien.

Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers nicht Folge und sprach zunächst aus, dass die ordentliche Revision nicht zulässig sei. Zur Verfahrensrüge führte es aus, dass das Erstgericht mit seinen nach Ergänzung des Beweisverfahrens getroffenen Feststellungen über den Vertragsinhalt nicht gegen die Bindungswirkung der rechtskräftigen Teilklagsstattgebung verstoßen habe, weil im fortgesetzten Verfahren gerade der vom Berufungsgericht zum Vertragsinhalt aufgezeigte Widerspruch aufzuklären gewesen sei.

Über Antrag des Klägers änderte das Berufungsgericht seinen Zulässigkeitsausspruch nachträglich im Sinne einer Zulässigkeit der ordentlichen Revision ab. Nach Ansicht des Berufungsgerichts sei eine andere rechtliche Beurteilung dahin, dass das Erstgericht bei rechtskräftig gewordenem Zuspruch eines Teils des Klagebegehrens im zweiten Rechtsgang an die dem Teilzuspruch zugrunde gelegten Feststellungen gebunden sei, nicht auszuschließen. Höchstgerichtliche Rechtsprechung liege dazu nicht vor.

In seiner Revision releviert der Kläger unter den Revisionsgründen der Nichtigkeit, Mangelhaftigkeit des Verfahrens und der unrichtigen rechtlichen Beurteilung ausschließlich den von ihm behaupteten Verstoß gegen die Bindungswirkung.

Rechtliche Beurteilung

1. Entgegen dem ‑ den Obersten Gerichtshof nicht bindenden (§ 508 Abs 1 ZPO) ‑ Ausspruch des Berufungsgerichts hängt die Entscheidung nicht von der Lösung einer erheblichen Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO ab.

2. Die Nichtbeachtung der Rechtskraft hat nach ständiger Rechtsprechung die Nichtigkeit zur Folge (RIS‑Justiz RS0041896). Bei der Bindungswirkung handelt es sich ebenso wie bei der Einmaligkeitswirkung um einen Aspekt der materiellen Rechtskraft (RIS‑Justiz RS0102102). Ein Verstoß gegen die Bindungswirkung einer Vorentscheidung bildet daher einen Nichtigkeitsgrund (2 Ob 97/10v mwN; 7 Ob 93/14y; RIS‑Justiz RS0074226).

Bei der von einer Verfahrenspartei geforderten Bindung an bestimmte (tragende) Tatsachenfeststellungen einer Vorentscheidung handelt es sich um eine reine Verfahrensfrage und nicht um eine solche des materiellen Rechts. Der Versuch, den behaupteten Verstoß gegen die Bindungswirkung auch unter dem Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung geltend zu machen, ist deshalb verfehlt (1 Ob 102/12z; 7 Ob 93/14y). Aus diesen Gründen liegt im Umstand, dass das Berufungsgericht die Bindungsproblematik bei der Behandlung der Rechtsrüge nicht (neuerlich) behandelt hat, auch keine Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens.

3. Selbst wenn der vom Revisionswerber behauptete Verstoß gegen die Bindungswirkung der Teilstattgebung vorliegen sollte, könnte er vor dem Obersten Gerichtshof nicht mehr (neuerlich) geltend gemacht werden:

3.1 Ist das Berufungsgericht in die Prüfung der Frage einer allfälligen im erstinstanzlichen Verfahren unterlaufenen Nichtigkeit eingegangen und hat eine solche verneint, ist die Wahrnehmung dieser Nichtigkeit im Verfahren dritter Instanz nicht mehr möglich. Eine vom Berufungsgericht im Spruch oder den Entscheidungsgründen verneinte Nichtigkeit des Verfahrens erster Instanz ist nach ständiger Rechtsprechung eine den Obersten Gerichtshof bindende, nicht weiter anfechtbare Entscheidung (RIS‑Justiz RS0042917, RS0042981 uva; Zechner in Fasching/Konecny² IV/1 § 519 Rz 49 mwN; E. Kodek in Rechberger, ZPO4 § 503 Rz 2 mwN).

3.2 Eine solche bindende und unanfechtbare Entscheidung des Berufungsgerichts liegt hier vor, auch wenn es den behaupteten Verstoß gegen die Bindungswirkung entsprechend der Verfahrensrüge des Klägers nur unter dem Berufungsgrund der Mangelhaftigkeit des Verfahrens behandelt und verneint hat und der Revisionswerber nunmehr eine von Amts wegen wahrzunehmende Nichtigkeit als Revisionsgrund releviert (vgl 3 Ob 27/06a). Entscheidend ist, dass derselbe verfahrensrechtliche Sachverhalt als Entscheidungsgrundlage dienen soll. Ob eine Nichtigkeit verneint wurde, richtet sich allein nach den beurteilten (prozessualen) Tatsachen (3 Ob 76/03b; 3 Ob 27/06a; RIS‑Justiz RS0042981 [T7, T11]), hier also nach dem Abweichen des Erstgerichts von nach Ansicht des Klägers bindenden Tatsachenfeststellungen aus seiner Entscheidung im ersten Rechtsgang. Darüber hat das Berufungsgericht im für den Kläger negativen Sinn entschieden. Mit der Verneinung einer Mangelhaftigkeit hat das Berufungsgericht auch eine Nichtigkeit des erstinstanzlichen Verfahrens verneint, ist doch die Mangelhaftigkeit gegenüber der Nichtigkeit ein geringerer Verfahrensverstoß, der nur über Rüge aufzugreifen ist. Wenn schon der geringere Verfahrensverstoß verneint wird, so ist damit auch ausgesprochen, dass unter der hier vorliegenden Voraussetzung der Identität des zugrunde liegenden Sachverhalts der gravierendere und mit Nichtigkeit bedrohte Verstoß von Prozessgesetzen nicht vorliegt (3 Ob 27/06a). Hat das Berufungsgericht einen Verstoß gegen die Bindungswirkung (und damit eine Nichtigkeit) verneint, kann dies in der Revision somit nicht (neuerlich) geltend gemacht werden (7 Ob 93/14y).

4. Aus diesen Gründen ist die Revision zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 40, 50 ZPO.

Der Revisionsgegner hat zwar auf die Unzulässigkeit des Rechtsmittels hingewiesen, aber nicht erkannt, dass eine vom Berufungsgericht verneinte Nichtigkeit des erstinstanzlichen Urteils in der Revision nicht mehr geltend gemacht werden kann. Da die Revisionsbeantwortung daher nicht zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung diente, gebührt dafür kein Kostenersatz.

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