OGH 3Ob27/06a

OGH3Ob27/06a29.3.2006

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schiemer als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Zechner, Dr. Prückner, Dr. Sailer und Dr. Jensik als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei L*****, ***** vertreten durch Dr. Thomas Rüdiger Rechtsanwalts KEG in Wien, wider die beklagte Partei S***** GmbH, ***** vertreten durch Dr. Helmut Binder, Rechtsanwalt in Villach, wegen 8.521,27 EUR s.A., infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht vom 24. Oktober 2005, GZ 2 R 148/05k-71, in der Fassung des Berichtigungsbeschlusses vom 21. Dezember 2005, AZ 2 R 148/05k, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichts Klagenfurt vom 8. Juni 2005, GZ 28 Cg 218/00w-63, bestätigt wurde, den Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die klagende Partei hat der beklagten Partei die mit 665,66 EUR (darin 110,94 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung

Die klagende Partei verkaufte der beklagten Partei eine Laserschneideanlage um 200.000 DEM. Der Kaufpreis wurde zum größten Teil bezahlt. Die klagende Partei führte Reparaturarbeiten an der Anlage durch. Sie begehrte mit ihrer Klage vom 30. November 2000 den Werklohn für die Reparaturarbeiten, weil diese auf Bedienungsfehler der beklagten Partei zurückzuführen seien und weiters den restlichen Kaufpreis von 1.090,09 EUR, den die beklagte Partei zu Unrecht wegen behaupteter Schadenszufügung eines Frächters der klagenden Partei zurückbehalten habe.

Die beklagte Partei beantragte die Abweisung der Klagebegehren mit der wesentlichen Begründung, dass die Reparaturarbeiten im Rahmen einer Behebung von Mängeln der gelieferten Anlage (also auf Kosten der klagenden Partei) durchgeführt worden seien. Die beklagte Partei wandte wegen der Lieferung einer nicht funktionstüchtigen Anlage Aufwendungen von 31.159,06 EUR als Gegenforderung ein. Im erstinstanzlichen Verfahren nahm der bestellte Sachverständige an Ort und Stelle in den Räumlichkeiten der beklagten Partei mehrfach Befund auf; anlässlich der Befundaufnahme am 9. Juni 2004 war dem Geschäftsführer der klagenden Partei und deren Rechtsvertreter der Zutritt und die Teilnahme an der Befundaufnahme des Sachverständigen verwehrt worden. Die beklagte Partei hatte dies mit der Wahrung von Geschäftsgeheimnissen begründet.

Das Erstgericht stellte die Klageforderung lediglich in Höhe des geltend gemachten restlichen Kaufpreises als zu Recht bestehend, die Gegenforderung als nicht zu Recht bestehend fest, verurteilte die beklagte Partei (unangefochten) zur Zahlung von 1.090,09 EUR s.A. und wies das Mehrbegehren von 8.521,27 EUR s.A. ab.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der klagenden Partei nicht Folge. Es verneinte die gerügte Mangelhaftigkeit des Verfahrens erster Instanz, welche die klagende Partei im Umstand „der Fernhaltung des Geschäftsführers der klagenden Partei und deren Rechtsvertretung von den Ortsaugenscheinsterminen" erblickte. Es sei zwar richtig, dass die beklagte Partei den Zutritt zu ihrer Werkshalle verwehrt habe (anlässlich der Befundaufnahmen am 9. Juni und 21. Juli 2004). Der Sachverständige habe aber die Anlage unbeschränkt besichtigen können. Die klagende Partei habe alle ihr relevant erscheinenden Erklärungen abgeben und Fragen stellen können. Dass sie die nachfolgende mündliche Gutachtenserörterung allenfalls nicht ausreichend genützt habe, könne dem Erstgericht nicht vorgeworfen werden. Anhaltspunkte, dass die Befundaufnahme des Sachverständigen erheblich anders ausgefallen wäre, wenn der Klagevertreter und der Geschäftsführer der klagenden Partei beigezogen worden wären, habe die Berufungswerberin nicht aufgezeigt. Ein solcher Umstand sei auch nicht erkennbar. Die weiteren Entscheidungsgründe der angefochtenen Berufungsentscheidung sind für die Behandlung der Revision der klagenden Partei nicht entscheidungswesentlich.

Mit ihrer vom Berufungsgericht über Abänderungsantrag gemäß § 508 Abs 1 ZPO für zulässig erklärten Revision beantragt die klagende Partei die Aufhebung der Berufungsentscheidung als nichtig und die Nichtigerklärung des Berufungsverfahrens, „gegebenenfalls" derartige Aussprüche auch für das erstinstanzliche Verfahren. Die Revision ist entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Ausspruch des Berufungsgerichts nicht zulässig, weil sich erhebliche Rechtsfragen nicht stellen.

Die Revisionswerberin releviert neuerlich und ausschließlich die „Fernhaltung" ihres Geschäftsführers und ihres Rechtsvertreters von den Befundaufnahmen des Sachverständigen. Beim Ortsaugenschein hätten auch Zeugen des Verfahrens, nämlich Mitarbeiter der beklagten Partei, gegenüber dem Sachverständigen Angaben gemacht, die in das Gutachten Eingang gefunden hätten. Der klagende Partei sei die Möglichkeit, sich rechtzeitig und unmittelbar zu äußern, genommen worden (§ 477 Abs 1 Z 4 ZPO). Den Sachverhalt hätte das Berufungsgericht als Nichtigkeit des Verfahrens erster Instanz von Amts wegen werten müssen, weil der Grundsatz der Unmittelbarkeit verletzt worden sei. Die Ausführungen des Gutachtens hätten „durch entsprechende Befragung unseres Geschäftsführers widerlegt werden können". Zu diesem Revisionsvorbringen ist Folgendes auszuführen:

Rechtliche Beurteilung

1. Die bekämpfte Rechtsansicht des Berufungsgerichts weicht nicht von den in stRsp vertretenen Grundsätzen ab, dass zwar das rechtliche Gehör iSd Art 6 Abs 1 MRK nicht nur dann verletzt werde, wenn einer Partei die Möglichkeit, sich im Verfahren zu äußern, überhaupt genommen werde, sondern auch dann, wenn einer gerichtlichen Entscheidung Tatsachen- und Beweisergebnisse zugrunde gelegt werden, zu denen sich die Beteiligten nicht äußern konnten. Das Gericht habe daher den Parteien Verfahrensvorgänge, die erkennbar für sie wesentliche Tatsachen betreffen, bekannt zu geben und ihnen die Möglichkeit zu eröffnen, dazu Stellung zu nehmen. Eine Beweisaufnahme ohne Zuziehung der Parteien führe aber noch nicht zur Verletzung des rechtlichen Gehörs. Es genüge, dass sich eine Partei zu den Tatsachen und Beweisergebnissen vor der Entscheidung äußern könne (so schon SZ 58/142 = JBl 1986, 444 [kritisch Schantl] und die folgende Rsp; RS-Justiz RS0074920). Wenn eine Partei untätig bleibe, habe sie die Folgen ihrer Untätigkeit als Säumnisfolgen zu tragen und in diesem Punkt das Gehör verwirkt (3 Ob 240/99m = EvBl 2000/45). Das rechtliche Gehör ist auch dann gewahrt, wenn die Partei zwar keine Gelegenheit hatte, an die in ihrer Abwesenheit vernommenen Zeugen Fragen zu stellen, wenn ihr aber (nachfolgend) Gelegenheit gegeben wurde, ihren Standpunkt darzulegen und sich zu allen Tatsachen und Beweisergebnissen zu äußern (7 Ob 141/03s). Nichts anderes wurde auch in der von der Revisionswerberin zitierten Entscheidung 3 Ob 111/01x = RdW 2002, 285 ausgesprochen. Auch dort wurde ein von Amts wegen wahrzunehmender Nichtigkeitsgrund der Verletzung des rechtlichen Gehörs iSd Art 6 Abs 1 MRK nur für den Fall bejaht, dass sich die Partei zu entscheidungswesentlichen Tatsachen und Beweisergebnissen nicht äußern konnte und dass dies nur dann der Fall ist, wenn das Gericht die Verfahrensvorgänge und wesentlichen Tatsachen den Parteien nicht bekannt gibt (dies war in der Vorentscheidung deshalb der Fall, weil der Prozessrichter vor Einholung eines ergänzenden Gutachtens die Verhandlung gemäß § 193 Abs 3 ZPO unter Zusage einer Wiedereröffnung des Verfahrens für den Fall einer entsprechenden Antragstellung zugesagt hatte, in der Folge aber das Gutachten gemeinsam mit der Urteilsausfertigung den Parteien zugestellt hatte). In der vom Rekursgericht zitierten Lehrmeinung (Fasching Zivilprozessgesetze³, § 359 ZPO Rz 1 und 2) vertritt Rechberger die Auffassung, dass auch bei einer Befundaufnahme oder Beweisaufnahme durch einen Sachverständigen, an welcher der Prozessrichter nicht teilnimmt, die Regeln der ZPO grundsätzlich anzuwenden seien, dass also „soweit dies möglich und tunlich ist", zur Wahrung der Unmittelbarkeit und des Parteigehörs die Anwesenheit der Parteien bei den Ermittlungen des Sachverständigen gewährleistet sein müsse. Wenn der Sachverständige bei seinen Ermittlungen nur eine Partei heranziehe und der anderen keine Gelegenheit biete, anwesend zu sein, könne dies einen Ablehnungsgrund darstellen. Diese Ausführungen lassen offen, welche Rechtsfolgen die Nichtbeiziehung nur einer Partei für den Fortgang des Verfahrens und die Anfechtbarkeit der Entscheidung hat. Dazu ist Folgendes auszuführen:

Schon die erwähnte Einschränkung der Beiziehung der Parteien „nach Möglichkeit und Tunlichkeit" ist durchaus geboten, weil es rechtfertigende Gründe für die Befundaufnahme des Sachverständigen ohne Anwesenheit beider Parteien oder für die Anwesenheit nur einer Partei geben kann (etwa die medizinische Untersuchung einer Partei durch einen sachverständigen Arzt). Auch der im vorliegenden Fall von der beklagten Partei ins Treffen geführte Grund der Wahrung von Geschäftsgeheimnissen könnte für die Abwesenheit der anderen Partei eine Rolle spielen. Für die Frage des Gehörs kommt es daher auf rechtfertigende Umstände bei der Einschränkung des Grundsatzes der Unmittelbarkeit genauso an wie in Ansehung der Rechtsfolgen auf prozessökonomische Überlegungen. Bei Letzteren ist zwischen dem Fall zu unterscheiden, bei dem einer Partei im gesamten Verfahren einer Instanz das Gehör entzogen wurde und demjenigen, wo dies nur in einem bestimmten Verfahrensabschnitt geschieht, dem ein weiterer folgt, in dem der allfällige Verstoß gegen den Grundsatz der Einräumung des Gehörs über Rüge saniert werden kann. In letzterem Fall eine (absolute) Nichtigkeit zu bejahen, bedeutete die Vernichtung eines Verfahrensaufwands auch ohne jede Beeinträchtigung der Rechtsstellung der dem Verfahrensabschnitt nicht beigezogenen Partei, die sich beispielsweise gar nicht für beschwert erachten kann (etwa, wenn die Feststellungen des Sachverständigen ohnehin für sie günstig sind) und die auch keine Rüge erhebt. Die Rechtsfolge einer derartigen absoluten Nichtigkeit ist den Prozessgesetzen nicht zu entnehmen und wurde von der zitierten Rsp auch noch nicht angenommen (RIS-Justiz RS0074920). Es ist daher daran festzuhalten, dass bei nachträglicher Eröffnung einer Äußerungsmöglichkeit, wie sie in einer der Befundaufnahme des Sachverständigen nachfolgenden Tagsatzung regelmäßig eingeräumt wird, keinen Nichtigkeitstatbestand, sondern höchstens eine rügepflichtige Mangelhaftigkeit des Verfahrens verwirklicht wird.

Die vorstehenden Erwägungen sind im Ergebnis hier aber nur obiter, weil selbst bei Vorliegen der von der Revisionswerberin behaupteten Nichtigkeit diese vor dem Obersten Gerichtshof nicht mehr (neuerlich) geltend gemacht werden kann:

2. Eine vom Berufungsgericht im Spruch oder den Entscheidungsgründen verneinte Nichtigkeit des Verfahrens erster Instanz ist nach stRsp eine den Obersten Gerichtshof bindenden, nicht weiter anfechtbare Entscheidung (RIS-Justiz RS00422981 uva; Zechner in Fasching, Zivilprozessgesetze², § 519 ZPO Rz 49 mwN; Kodek in Rechberger² § 503 ZPO Rz 2 mwN). Dies gilt kraft Größenschlusses auch für gerügte, vom Berufungsgericht aber verneinte Mängel des Verfahrens erster Instanz (RIS-Justiz RS0042963; Zechner aaO § 503 ZPO Rz 34). Eine solche bindende und gemäß § 519 ZPO unanfechtbare Entscheidung des Berufungsgerichts liegt hier auch vor, auch wenn die zweite Instanz ausdrücklich nur den gerügten Verfahrensmangel erster Instanz behandelt und verneint hat und die Revisionswerberin nunmehr eine von Amts wegen wahrzunehmende Nichtigkeit als Revisionsgrund releviert. Entscheidend ist, dass derselbe Sachverhalt als Entscheidungsgrundlage dienen soll. Ob eine Nichtigkeit verneint wurde, richtet sich allein nach den beurteilten Tatsachen (3 Ob 76/03b), hier also nach dem behaupteten Ausschluss der klagenden Partei (ihres Geschäftsführers und ihres Rechtsvertreters) von den Befundaufnahmen des Sachverständigen. Darüber hat das Berufungsgericht im für die klagende Partei negativen Sinn entschieden. Mit seiner Verneinung einer Mangelhaftigkeit hat es auch eine Nichtigkeit des erstinstanzlichen Verfahrens verneint, ist doch die Mangelhaftigkeit gegenüber der Nichtigkeit ein geringerer Verfahrensverstoß, der nur über Rüge aufzugreifen ist. Wenn schon der geringere Verfahrensverstoß verneint wird, so ist damit denknotwendig auch ausgesprochen, dass unter der hier vorliegenden Voraussetzung der Identität des zugrunde liegenden Sachverhalts, der gravierendere und mit Nichtigkeit bedrohte Verstoß von Prozessgesetzen nicht vorliegt.

Dies muss zur Zurückweisung der unzulässigen Revision führen. Da die Revisionsgegnerin auf die Unzulässigkeit des Rechtsmittels hingewiesen hat, sind ihr Kosten für die Revisionsbeantwortung zuzusprechen (§§ 41 und 50 Abs 1 ZPO).

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