OGH 9Ob65/14w

OGH9Ob65/14w29.10.2014

Der Oberste Gerichtshof hat als Rekursgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Hopf als Vorsitzenden, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Kuras und die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Dehn als weitere Richter in der Pflegschaftssache der mj F***** F*****, geboren ***** 1997, mj N***** F*****, geboren ***** 1999, mj L***** F*****, geboren ***** 2001 und mj C***** F*****, geboren ***** 2001, über den Rekurs der Mutter R***** D*****, vertreten durch Dr. Karl‑Heinz Plankel, Dr. Herwig Mayrhofer ua, Rechtsanwälte in Dornbirn, gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien vom 22. Juli 2014, GZ 16 Nc 12/14g‑32, mit dem die mit Beschluss des Bezirksgerichts Klosterneuburg vom 12. Februar 2014, GZ 1 Pg 95/13d‑22, ausgesprochene Übertragung der Zuständigkeit an das Bezirksgericht Hietzing gemäß § 111 Abs 2 JN genehmigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2014:0090OB00065.14W.1029.000

 

Spruch:

Dem Rekurs wird Folge gegeben.

Der angefochtene Beschluss sowie der ihm zugrunde liegende Übertragungsbeschluss des Bezirksgerichts Klosterneuburg vom 12. Februar 2014 werden ersatzlos behoben.

 

Begründung:

In dem im Jahr 2011 geschlossenen Scheidungsvergleich ihrer Eltern wurde der Aufenthaltsort für die mj Söhne F***** und N***** bei ihrem Vater in 1130 Wien und für die mj Töchter L***** und C***** bei ihrer Mutter in 3400 Klosterneuburg festgelegt. Die Söhne haben den Hauptwohnsitz beim Vater und einen Nebenwohnsitz bei der Mutter gemeldet, die Töchter nur den Hauptwohnsitz bei der Mutter. Die Eltern üben die Obsorge gemeinsam aus. Das Scheidungs‑ und die Pflegschaftsverfahren waren in der strittigen Phase vor dem Bezirksgericht Hietzing anhängig. Das Pflegschaftsverfahren wurde dort zuletzt unter dem AZ 1 P 95/13d geführt.

Mit Beschluss vom 11. 7. 2013 übertrug das Bezirksgericht Hietzing die Zuständigkeit zur Besorgung der Pflegschaftssache hinsichtlich der Personensorge gemäß § 111 JN an das Bezirksgericht Klosterneuburg, weil „Mutter und Kinder“ seit März 2013 in Klosterneuburg wohnten (Teilakt 10 Ps 169/09g, idF Ps‑Teilakt, ON 157).

Mit Beschluss vom 24. 7. 2013 übernahm das Bezirksgericht Klosterneuburg die Zuständigkeit zur Besorgung „dieser Pflegschaftssache“ (Ps‑Teilakt ON 158).

Mit Beschluss vom 5. 9. 2013 übertrug das Bezirksgericht Hietzing auch die Zuständigkeit hinsichtlich der Vermögensverwaltung gemäß § 111 JN an das Bezirksgericht Klosterneuburg (Teilakt 10 Pg 169/09g, idF Pg‑Teilakt, ON 6).

Mit Beschluss vom 10. 9. 2013 übernahm das Bezirksgericht Klosterneuburg auch diese Zuständigkeit (Pg‑Teilakt ON 7).

Eine gesonderte beschlussmäßige Übertragung der Zuständigkeit für den Unterhalt (10 Pu 158/13w, idF Pu‑Teilakt) erfolgte nicht. In diesem war seit 1. 2. 2012 kein Antrag gestellt worden.

Rekurse des Vaters gegen die Übertragungs‑ und Übernahmebeschlüsse blieben erfolglos.

Mit Beschluss vom 27. 9. 2013 übertrug das Bezirksgericht Klosterneuburg die Zuständigkeit hinsichtlich der Personensorge an das Bezirksgericht Hietzing, weil sich „die Kinder“ nun ständig in 1130 Wien aufhielten (Ps‑Teilakt ON 165).

Mit Beschluss vom 30. 9. 2013 übertrug es auch die Zuständigkeit hinsichtlich des Unterhalts gemäß § 111 JN an das Bezirksgericht Hietzing (Pu‑Teilakt ON 22).

Das Bezirksgericht Hietzing sandte die Teilakten dem Bezirksgericht Klosterneuburg jeweils mit dem Hinweis zurück, dass die Zuständigkeit für die beiden mj F***** und N***** „möglicherweise gegeben sei“, es hinsichtlich der mj L***** und C***** jedoch nicht zuständig sei (Pu‑Teilakt ON 28; Ps‑Teilakt ON 166).

Mit Verfügung vom 12. 2. 2014 übermittelte das Bezirksgericht Klosterneuburg die Pu‑ und Ps‑Teilakten dem Bezirksgericht Hietzing mit dem Ersuchen zurück, entweder die Zuständigkeit zu übernehmen oder sie gemäß § 111 JN zu verweigern und die Akten dem übergeordneten Gericht zur Entscheidung vorzulegen (Pu‑Teilakt ON 29).

Mit Beschluss vom 12.2.2014 übertrug das Bezirksgericht Klosterneuburg die Zuständigkeit hinsichtlich der Vermögensverwaltung gemäß § 111 JN an das Bezirksgericht Hietzing (Pg‑Teilakt ON 22). Entgegen dem Inhalt des Übertragungsbeschlusses des Bezirksgerichts Hietzing würden sich nicht alle Kinder ständig im Sprengel des Bezirksgerichts Klosterneuburg aufhalten. Die Übernahme der Zuständigkeit sei nur aufgrund der falschen Informationen in den Übertragungsbeschlüssen erfolgt. Nach dem Vorbringen des Vaters im Rekurs gegen die Zuständigkeitsübertragung, den Meldeauskünften und dem Scheidungsvergleich hätten zumindest zwei (oder drei) Kinder wie bisher ihren ständigen Aufenthalt im Sprengel des Bezirksgerichts Hietzing.

Mit Note vom 19. 3. 2014 verweigerte dieses die „(derzeitige)“ Übernahme des Verfahrens und sandte den Akt dem Bezirksgericht Klosterneuburg unter Hinweis auf die Rechtskraft des Übertragungsbeschlusses ON 6 zurück (Pg‑Teilakt ON 24). Der tatsächliche gewöhnliche Aufenthalt der Kinder sei aktuell nicht geklärt.

In seinen Rekursen vom 24. 9. 2013 (Pg‑Teilakt ON 8 und 9) hatte der Vater vorgebracht, dass die beiden Söhne hauptsächlich in seinem Haushalt betreut würden und sich mittlerweile auch die mj C***** faktisch überwiegend bei ihm aufhalte. Dagegen brachte die Mutter in ihrem Schriftsatz vom 29. 10. 2013 (Ps‑Teilakt ON 68) vor, dass „die minderjährigen Kinder“ bei ihr wohnhaft seien. Der tatsächliche ständige Aufenthaltsort der mj Kinder wurde von keinem der beiden Bezirksgerichte eruiert, er geht aus der Aktenlage auch nicht hervor.

Die Parteien erhoben keinen Rekurs gegen die Übertragungsbeschlüsse des Bezirksgerichts Klosterneuburg. Dieses legte den Pflegschaftsakt dem Oberlandesgericht Wien zur Entscheidung vor.

Mit dem angefochtenen Beschluss genehmigte das Oberlandesgericht Wien die Übertragung der Zuständigkeit zur Besorgung der „Vermögensverwaltungs-sache“ bezüglich aller vier Minderjährigen an das Bezirksgericht Hietzing. Zunächst hätten alle Beteiligten im Sprengel des Bezirksgerichts Hietzing gelebt, das auch das Pflegschaftsverfahren für alle vier Minderjährigen geführt habe. Nach der Aktenlage lebe die Mutter mit den beiden Töchtern im Sprengel des Bezirksgerichts Klosterneuburg, während die Söhne weiterhin beim Vater im Sprengel des Bezirksgerichts Hietzing wohnten. Eine Aufteilung und getrennte Führung der Pflegschaftssache für jeweils zwei Kinder erscheine nicht zweckmäßig. Die vom Bezirksgericht Klosterneuburg gewählte Bezeichnung „Vermögens-verwaltungssache“ bedeute offenkundig keine Einschränkung auf bestimmte Angelegenheiten, der Beschluss beziehe sich auf die Führung des gesamten Pflegschaftsverfahrens. Die Rückübertragung an das Bezirksgericht Hietzing, das für die beiden mj F***** und N***** jedenfalls (nach wie vor) örtlich zuständig sei, sei daher zu genehmigen.

Der dagegen gerichtete Rekurs der Mutter zielt auf eine Änderung des Beschlusses dahin ab, dass dem Übertragungsbeschluss die Genehmigung versagt werde. Das Bezirksgericht Klosterneuburg könne die Pflegschaftssache zweckmäßiger führen.

Rechtliche Beurteilung

Der Rekurs ist im Ergebnis berechtigt.

Folgendes war zu erwägen:

1. Voranzustellen ist, dass der erkennende Senat nach dem Verfahrensverlauf die Ansicht des Genehmigungsgerichts teilt, dass das Bezirksgericht Klosterneuburg die von ihm beschlossene Übertragung der Zuständigkeit zur Besorgung der „Vermögensverwaltungs-sache“ ungeachtet dieser Bezeichnung offensichtlich auf den gesamten Pflegschaftsakt bezog. Dieses Verständnis liegt auch den folgenden Erwägungen zugrunde.

2. Die Rekurswerberin sieht eine Aktenwidrigkeit in der Ausführung des genehmigenden Gerichts, dass das Bezirksgericht Hietzing nach wie vor für die mj F***** und N***** zuständig sei. Vielmehr sei die Zuständigkeit auch hinsichtlich dieser beiden Minderjährigen mit rechtskräftigem Übertragungsbeschluss auf das Bezirksgericht Klosterneuburg übertragen worden.

Nach dem Spruch des Genehmigungsbeschlusses billigte das genehmigende Gericht die (Rück‑)Übertragung der Zuständigkeit bezüglich aller vier Minderjährigen. Entgegen der Ansicht der Rekurswerberin ging es daher sehr wohl davon aus, dass die Zuständigkeit für alle vier Kinder zunächst auf das Bezirksgericht Klosterneuburg übertragen worden war. Aus dem Gesamtzusammenhang ist die Ausführung des genehmigenden Gerichts vielmehr nur dahin zu verstehen, dass das Bezirksgericht Hietzing ‑ hätte es seine Zuständigkeit nicht auf das Bezirksgericht Klosterneuburg übertragen ‑ das für die mj F***** und N***** an sich zuständige Pflegschaftsgericht war und ist. Ein Widerspruch von tatsächlichen Annahmen des Gerichts zum Akteninhalt, mit dem erst eine Aktenwidrigkeit begründet werden könnte (vgl RIS‑Justiz RS0043347), liegt nicht vor.

3. Gemäß § 111 Abs 2 zweiter Satz JN bedarf die von einem Gericht beschlossene Übertragung der Zuständigkeit zur Besorgung der pflegschaftsgerichtlichen Geschäfte dann, wenn das andere Gericht die Übernahme verweigert, zu ihrer Wirksamkeit der Genehmigung des den beiden Gerichten zunächst übergeordneten gemeinsamen höheren Gerichts.

Die Parteien können zwar die Versagung der Genehmigung der Übertragung unbeschränkt bekämpfen und damit der Umsetzung der rechtskräftigen Übertragungsentscheidung des übertragenden Gerichts zum Durchbruch verhelfen. Anders verhält es sich hingegen bei der Genehmigung der Übertragung durch das übergeordnete Gericht. In diesem Fall hatten die Parteien bereits die Möglichkeit, die Zweckmäßigkeit der Übertragung gegebenenfalls im Instanzenzug überprüfen zu lassen. In diesem Fall könnten die Parteien ihr Rechtsmittel nur auf andere Gründe als die fehlende Zweckmäßigkeit der Übertragung stützen (6 Ob 154/13k mit ausführlicher Begründung = RIS‑Justiz RS0047005 [T2]).

Die Rekurswerberin bringt vor, dass das Bezirksgericht Hietzing nicht eindeutig besser in der Lage ist, die pflegschaftsbehördliche Angelegenheit zu besorgen, weil zwei der vier Kinder mit ihr im Sprengel des Bezirksgerichts Klosterneuburg lebten, die für das Pflegschaftsverfahren in Hietzing zuständige Gerichtsabteilung von einem neuen Richter übernommen worden sei und die beiden im Sprengel des Bezirksgerichts Hietzing wohnhaften Kinder früher volljährig würden, sodass ein neuer Zuständigkeitsstreit drohe. Mit diesem Vorbringen macht sie ausschließlich Argumente gegen die Zweckmäßigkeit der Übertragung geltend. Aus den dargelegten Gründen steht ihr dies im vorliegenden Verfahrensstadium aber nicht mehr frei.

4. Der Rekurs gibt jedoch Anlass, von Amts wegen das durch den (Rück‑)Übertragungsbeschluss des Bezirksgerichts Klosterneuburg erfolgte Übergehen seiner ‑ infolge des Übertragungsbeschlusses des Bezirksgerichts Hietzing angenommenen ‑ Zuständigkeit aufzugreifen.

In der Entscheidung 3 Ob 107/14b wurde klargestellt, dass eine (Rück‑)Übertragung der Zuständigkeit unter Berufung auf § 111 JN bei einer vorhergehenden Zuständigkeitsentscheidung nur dann in Betracht kommt, wenn sich die Sachverhaltsgrundlage geändert hat. Ansonsten besteht für eine neuerliche Prüfung kein Raum.

Im vorliegenden Fall wurde die Übertragung der Zuständigkeit vom Bezirksgericht Hietzing an das Bezirksgericht Klosterneuburg von diesem rechtswirksam angenommen, wodurch ihm die Zuständigkeit für das Pflegschaftsverfahren zukam. Zu diesem Zeitpunkt waren sowohl der Inhalt des Scheidungsvergleichs über die Wohnorte der Kinder als auch ihre jeweiligen Meldeadressen bereits aktenkundig, mögen sie vom Bezirksgericht Hietzing auch nicht ausreichend differenziert mitgeteilt worden sein. Obwohl die folgenden Vorbringen der Eltern zu den ständigen Wohnorten der Kinder widersprüchlich waren, wurden sie nicht weiter überprüft, sodass auch unter diesem Aspekt keine neuen Fakten vorlagen. Aus der Aktenlage gehen damit aber für die Beurteilung der Frage, ob eine Rückübertragung der Zuständigkeit an das Bezirksgericht Hietzing der Zweckmäßigkeit entspricht, keine neuen Tatsachen hervor, die eine neuerliche Übertragung der Zuständigkeit begründen könnten. Da das Bezirksgericht Klosterneuburg bei unverändertem Sachverhalt aber an seine rechtswirksame Übernahme der Zuständigkeit gebunden ist, kommt derzeit eine Rückübertragung der Zuständigkeit an das Bezirksgericht Hietzing unter Berufung auf § 111 JN nicht in Frage. Dies schließt auch eine Genehmigung des Übertragungsbeschlusses iSd § 111 Abs 2 JN aus.

5. Dem Rekurs ist daher im Ergebnis Folge zu geben. Der angefochtene Genehmigungsbeschluss sowie der ihm zugrunde liegende Übertragungsbeschluss des Bezirksgerichts Klosterneuburg vom 12. 2. 2014 waren ersatzlos zu beheben.

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