OGH 10ObS115/14f

OGH10ObS115/14f30.9.2014

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Dr. Hradil als Vorsitzenden, den Hofrat Dr. Fellinger und die Hofrätin Dr. Fichtenau sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Dr. Wolfgang Höfle (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Ing. Thomas Bauer (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei M*****, vertreten durch Dr. Friedrich Gatscha, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt, 1021 Wien, Friedrich‑Hillegeist‑Straße 1, wegen Invaliditätspension, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen vom 23. Juli 2014, GZ 8 Rs 86/14x‑50, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2014:010OBS00115.14F.0930.000

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Begründung

Der am 20. 2. 1953 geborene Kläger war bis 2002 als Bauarbeiter in Österreich beschäftigt. Er erwarb in Österreich 57 Beitragsmonate der Pflichtversicherung aus einer Erwerbstätigkeit. Vom 1. 7. 2002 bis 3. 11. 2003 war er in seinem Heimatland (der Slowakei) selbstständig erwerbstätiger Leiter eines Steinbruchs und verrichtete Verwaltungsarbeiten. Durch diese Berufstätigkeit erwarb er in der Slowakei 17 Versicherungsmonate, sodass insgesamt 74 Beitragsmonate einer Pflichtversicherung vorliegen. Unter Berücksichtigung seines medizinischen Leistungskalküls sind dem Kläger auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt noch Verpackungsarbeiten in der Leichtwarenbranche sowie die Halbautomatenbedienung in der Metallbranche möglich. Derartige Arbeitsplätze sind auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt in ausreichender Zahl vorhanden.

Ab 1. 1. 2004 bezog der Kläger eine Invaliditätspension aus der slowakischen Pensionsversicherung. Neben dem Bezug dieser Invaliditätspension war er in der Slowakei bis 2007 weiterhin als Leiter eines Steinbruchs selbstständig erwerbstätig. Durch diese selbstständige Tätigkeit erwarb er keine zusätzlichen Beitragszeiten in der Pensionsversicherung.

Mit Bescheid vom 1. 7. 2011 lehnte die beklagte Partei den Antrag des Klägers vom 13. 12. 2010 auf Zuerkennung der Invaliditätspension ab.

Das Erstgericht wies das dagegen gerichtete Klagebegehren ab. Rechtlich ging es davon aus, der Kläger weise nur 57 Pflichtversicherungsmonate nach dem ASVG auf, weshalb die Voraussetzungen für den Berufsschutz nach § 255 Abs 2 ASVG (90 Pflichtversicherungsmonate einer Erwerbstätigkeit nach Abs 1 oder als Angestellter innerhalb der letzten 15 Jahren vor dem Stichtag) nicht erfüllt seien. Selbst unter Zusammenrechnung der österreichischen Versicherungszeiten mit den in der Slowakei erworbenen Versicherungszeiten als selbstständig erwerbstätiger Leiter eines Steinbruchs lägen insgesamt nur 74 Versicherungsmonate vor. Auch § 255 Abs 4 ASVG komme nicht zur Anwendung, weil es am Erfordernis der Ausübung „einer“ Tätigkeit durch mindestens 120 Kalendermonate in den letzten 180 Kalendermonaten vor dem Stichtag fehle. Die Invalidität des Klägers sei somit nach § 255 Abs 3 ASVG zu beurteilen. Da er trotz seiner gesundheitlichen Einschränkungen noch imstande sei, auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt eine ihm zumutbare Tätigkeit auszuüben, sei er nicht invalid iSd § 255 ASVG.

Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers nicht Folge und sprach aus, dass die ordentliche Revision nicht zulässig sei.

Rechtliche Beurteilung

Mit seiner außerordentlichen Revision zeigt der Kläger keine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung iSd § 502 Abs 1 ZPO auf.

1. Aus dem Umstand, dass er in seinem Heimatland (der Slowakei) eine Leistung aus dem Versicherungsfall der Invalidität bezieht und ‑ wie er geltend macht ‑ „im Status der Invalidität“ zusätzliche Zeiten erworben habe, kann er für das vorliegende Verfahren nichts ableiten:

1.1 In Ermangelung einer europäischen Definition liegt die Definitionshoheit, wann Invalidität besteht, grundsätzlich bei den Mitgliedstaaten. Es hat daher jeder Mitgliedstaat die Invalidität nach seinen eigenen Rechtsvorschriften zu prüfen, auch wenn der Versicherte einen Wohnsitz im Ausland gewählt hat (RIS‑Justiz RS0120870 [T2]). Dies erklärt auch, warum es keine generelle Anerkennung von Invalidität unter den Mitgliedstaaten gibt. Eine verbindliche Feststellung von Invalidität unter den Mitgliedstaaten ist nur im Rahmen von Art 40 Abs 4 VO (EWG) 1408/71 vorgesehen und setzt voraus, dass die Tatbestandsmerkmale im Anhang V anerkannt sind. Diese Möglichkeit haben aber nur Frankreich, Italien, Luxemburg und Belgien genützt. Österreich hat von dieser durch Art 40 Abs 4 VO (EWG) 1408/71 eröffneten Möglichkeit, zu bestimmen, dass die Entscheidung des Trägers eines Mitgliedstaats über das Bestehen der Invalidität auch die beteiligten anderen Mitgliedstaaten bindet, nicht Gebrauch gemacht.

1.2 An dieser Rechtslage hat sich auch im Anwendungsbereich der neuen VO (EG) 883/2004, welche die VO (EWG) 1408/71 mit 1. 5. 2010 abgelöst hat, nichts geändert (10 ObS 31/13a).

1.3 Die österreichischen Pensionsversicherungs-träger sind daher bei der Prüfung der Frage, ob Invalidität vorliegt, nicht an Entscheidungen anderer mitgliedstaatlicher Träger gebunden (10 ObS 90/12a, SSV‑NF 26/61 mwN).

1.4 Für die Slowakei gilt aufgrund der EU‑Mitgliedschaft unmittelbar die VO 883/2004 und 987/2009 (Spiegel in Spiegel, Zwischenstaatliches Sozialversicherungsrecht2, Überblick Rz 12) und damit auch Art 6 der VO 883/2004 über die Zusammenrechnung der Zeiten. Das Abkommen zwischen der Republik Österreich und der Slowakischen Republik über Soziale Sicherheit (BGBl III 2003/60) steht formell noch in Kraft, ist aber durch die VO 883/2004 überlagert. Nur im Vergleich zur VO 883/2004 günstigere Regelungen bleiben weiterhin anwendbar (Spiegel in Spiegel, Zwischenstaatliches Sozialversicherungsrecht2, Überblick Rz 34). Eine Bestimmung, wonach österreichische Versicherungsträger das Vorliegen von Invalidität nach slowakischen Rechtsvorschriften zu prüfen hätten oder an entsprechende Entscheidungen des slowakischen Versicherungsträgers gebunden wären, ist aber auch im genannten Abkommen nicht vorgesehen, insbesondere auch nicht in dessen Art 17, den der Revisionswerber anspricht (Siedl/Spiegel, Zwischenstaatliches Sozialversicherungsrecht, Bd 4, 41. ErgLfg Slowakei Allgem. Bem. d; vgl auch RIS‑Justiz RS0107576, RS0107575). Dort ist vielmehr nur von der Anrechnung von Versicherungszeiten die Rede.

2. Es entspricht der ständigen Rechtsprechung, dass auch für einen im Ausland wohnhaften Versicherten bei Inanspruchnahme einer Leistung aus der österreichischen Pensionsversicherung die Verweisungsmöglichkeiten auf dem allgemeinen österreichischen Arbeitsmarkt entscheidend sind. Das Gesetz bietet keinen Anhaltspunkt für die Annahme, dass bei der Beurteilung des behaupteten Anspruchs auf eine Leistung aus der österreichischen Pensionsversicherung unter Anwendung der österreichischen Gesetze Verhältnisse eines ausländischen Arbeitsmarkts maßgebend sein sollten. Selbst bei einem im Inland wohnhaften Versicherten ist die besondere Lage seines Wohnsitzes rechtlich unerheblich. Es kann daher auch eine Wohnsitzverlegung oder Wochenpendeln verlangt werden, wenn der Versicherte dadurch in die Lage versetzt werde, einen entsprechenden Arbeitsplatz zu erreichen. Dass im Umkreis des aktuellen Wohnortes des Versicherten Arbeitsplätze, die für ihn im Hinblick auf die bestehenden Einschränkungen noch in Betracht kommen, nicht im ausreichenden Maß zur Verfügung stehen, wäre nur dann entscheidend, wenn dem Versicherten aus medizinischen Gründen eine Wohnsitzverlegung nicht zumutbar wäre. Das Abstellen auf dieses Kriterium läuft aber bei Versicherten mit Wohnsitz im Ausland ins Leere, weil sie einerseits keinen örtlichen Bezugspunkt im Bundesgebiet mehr haben, andererseits aber auch für sie bei der Beurteilung der Invalidität die Verhältnisse auf dem Arbeitsmarkt in Österreich allein rechtserheblich sein müssen (10 ObS 125/03k, SSV‑NF 17/57; RIS‑Justiz RS0084833 [T10]).

Aus diesen Gründen ist die außerordentliche Revision als unzulässig zurückzuweisen.

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