OGH 4Ob126/14d

OGH4Ob126/14d17.9.2014

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Vizepräsidentin Dr. Schenk als Vorsitzende und durch die Hofräte Dr. Vogel, Dr. Jensik, Dr. Musger und Dr. Schwarzenbacher als weitere Richter in den verbundenen Rechtssachen der klagenden und widerbeklagten Partei E***** AG, *****, vertreten durch Brandl & Talos Rechtsanwälte GmbH in Wien, gegen die beklagte und widerklagende Partei Dr. M***** Z*****, vertreten durch Mag. Reinhard Prugger, Rechtsanwalt in Wien, wegen 155.897 EUR sA (Klage) und 488.600 EUR sA (Widerklage), über die außerordentliche Revision der beklagten und widerklagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 18. Dezember 2013, GZ 16 R 101/13k‑36, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Begründung

Rechtliche Beurteilung

1.1. Die Dokumentationspflichten nach § 22 WAG (früher § 17 WAG) dienen lediglich der Kontrolle der Einhaltung der Wohlverhaltensregeln. Sie wurden ausschließlich im Interesse dieser Kontrolle oder einer strafbehördlichen Verfolgung normiert. Ihre Verletzung bildet keine Grundlage für quasivertragliche oder deliktische Schadenersatzansprüche (RIS‑Justiz RS0123044).

1.2. Von dieser Rechtsprechung ist das Berufungsgericht nicht abgewichen. Es hat den Umstand, dass die Bank keine Aufzeichnungen über den detaillierten Inhalt einzelner mit dem Beklagten abgeschlossener Devisenspekulationsgeschäfte vorlegen kann, zutreffend nicht als Anspruchsgrundlage für Schadenersatzansprüche des Beklagten gewertet und auch nicht ‑ wie in der Revision gefordert ‑ zum Anlass einer Beweislastumkehr gemacht. Eine solche ist nämlich nicht schon dann angebracht, wenn eine Partei wegen besonderer Umstände des Einzelfalls in Beweisnotstand gerät (vgl RIS‑Justiz RS0039939 [T31]). Im Anlassfall steht der Beklagte dem ihm obliegenden Beweis für seine Behauptung, dass von der Klägerin für ihn getätigte Geschäfte der getroffenen Vereinbarung widersprachen, ebenso nahe wie die Bank als seine Vertragspartnerin, weshalb eine Beweislastumkehr auch unter dem Gesichtspunkt der Beweisnähe (vgl RIS‑Justiz RS0039939 [T32], RS0013491, RS0037797 [T47]) nicht angebracht war.

2.1. Die Vorinstanzen haben eine „Aufklärungsbedürftigkeit“ des Beklagten betreffend die Risken der von ihm beauftragten Devisenspekulationsgeschäfte vertretbar verneint.

2.2. Die konkrete Ausgestaltung und der Umfang der Beratung ergibt sich jeweils im Einzelfall in Abhängigkeit vom Kunden, insbesondere von dessen Professionalität sowie der von ihm ins Auge gefassten Anlageobjekte (RIS‑Justiz RS0119752). Der Umfang der Aufklärungspflicht hängt immer von den Umständen des Einzelfalls ab (RIS‑Justiz RS0119752 [T3]; vgl RS0029601).

Zu den für den Umfang der Beratungspflicht maßgebenden Faktoren zählen die Erfahrenheit oder Unerfahrenheit des Kunden, seine Sachkundigkeit, der konkrete Umfang der erteilten Information (die Beratung muss vollständig, richtig und verständlich sein, darf objektive Risken nicht herunterspielen und muss der Rechtslage entsprechen). Auch ein erfahrener und informierter Kunde ist zu beraten und aufzuklären; verfügt der Kunde aber über besonderes eigenes Fachwissen, so dürfen die Anforderungen an die Aufklärungs- und Warnpflicht der Bank nicht überspannt werden. Einem versierten und aufgeklärten Bankkunden kann es nämlich zugemutet werden, seine wirtschaftlichen Interessen als Anleger selbst ausreichend zu wahren (RIS‑Justiz RS0026135 [T23]).

Die Bank ist jedenfalls nicht verpflichtet, einen spekulierenden Kunden zu bevormunden. Insbesondere bei risikoträchtigen Anlagen kann einem in Bankangelegenheiten erfahrenen Kunden selbst zugemutet werden, seine wirtschaftlichen Interessen als Anleger ausreichend zu wahren (RIS‑Justiz RS0119752 [T4]).

2.3. Nach den Feststellungen begann der Beklagte bereits 2003 mit Devisenspekulationsgeschäften, die er regelmäßig bis 2008 (Verweigerung neuer Geschäftsabschlüsse durch die Klägerin) in der Absicht durchführte, höhere Renditen zu erzielen als mit einem Sparbuch, und die seinem Anlageziel sowie seiner Risikobereitschaft entsprachen. Dabei waren ihm von Anfang an die Funktionsweise von Devisentermingeschäften und die damit verbundenen Risiken bekannt. Soweit ihm anfangs noch Wissen und praktische Erfahrung fehlten, eignete er sich dieses jeweils selbst an, indem er aus den ersten Verlustgeschäften lernte und sich informierte. Wenn das Berufungsgericht unter diesen Umständen eine Verletzung von Aufklärungspflichten der Bank verneint hat, liegt darin keine vom Obersten Gerichtshof aufzugreifende grobe Fehlbeurteilung, die im Interesse der Rechtssicherheit korrigiert werden müsste (vgl RIS‑Justiz RS0106373).

3.1. Dass § 25 Abs 3 GlücksspielG, der Glückspielveranstalter zu Schutzmaßnahmen zugunsten der Spieler verpflichtet, wegen der „psychologisch ähnlichen Situation“ auch im Anlassfall analog anwendbar sei, wie die Revision meint, ist schon im Ansatz verfehlt:

3.2. Nach herrschender Ansicht ist die gesamte geltende Rechtsordnung Maßstab bei Beantwortung der Frage, ob eine Gesetzeslücke vorliegt. Ob eine Gesetzeslücke vorliegt, ist aufgrund der Rechtsordnung einschließlich aller auch als Auslegungskriterien heranzuziehenden Maßstäbe zu beurteilen. Eine ‑ hier allein in Frage kommende ‑ teleologische Lücke liegt vor, wenn die ‑ mit Hilfe der Interpretationsregeln ermittelte ‑ ratio legis (das höhere Rechtsprinzip) in Verbindung mit dem Gleichheitsgrundsatz die Erstreckung der Rechtsfolgenanordnung (der Werttendenz) einer gesetzlichen Norm auf den gesetzlich nicht unmittelbar geregelten Fall fordert (4 Ob 7/04i = SZ 2004/33 mwN; vgl RIS‑Justiz RS0008866 [T9, T27]). Eine Gesetzeslücke liegt vor, wenn die aus der konkreten gesetzlichen Regelung hervorleuchtenden Zwecke und Werte die Annahme nahelegen, der Gesetzgeber habe einen nach denselben Maßstäben regelungsbedürftigen Sachverhalt übersehen (RIS‑Justiz RS0008866 [T10]).

3.3. Die Teilnahme an Glücksspielen nach dem GlückspielG mag zwar vom wirtschaftlichen Ergebnis her betrachtet der Beteiligung an Spekulationsgeschäften ähnlich sein, doch unterscheiden sich beide Betätigungsfelder in ihrer gesetzlichen Ausgestaltung und den dem jeweiligen Rechtsrahmen zugrundeliegenden Zwecken und Wertungen deutlich. Dazu kommt, dass bei Spekulationsgeschäften mit an der Börse gehandelten Papieren ‑ anders als bei der Teilnahme an einem Glücksspiel ‑ das Risiko von vielfältigen externen Faktoren abhängt, deren Einschätzung dem Anleger obliegt, der damit die Gefahrengeneigtheit eines Geschäfts in gewissem Ausmaß steuern kann. Die Existenz einer Rechtsfolgenanordnung im GlücksspielG (hier: § 25 Abs 3 GlücksspielG) legt deshalb keineswegs den Schluss nahe, der Gesetzgeber habe bei Regelung der Börsengeschäfte übersehen, eine gleichartige Norm (etwa in Form des Ausschlusses bestimmter Personen von spekulativen Geschäften) zu schaffen. Dass eine Regelung wünschenswert wäre, rechtfertigt noch nicht die Annahme einer Gesetzeslücke (RIS‑Justiz RS0008866 [T6]).

4.1. Soweit das Rechtsmittel geltend macht, die von ihm anlässlich der Kontoeröffnung ungelesen unterschriebenen Urkunden Beil ./C und ./D (Verzichtserklärung, Telefonvereinbarung ‑ Termingeschäft) seien nicht Vertragsbestandteil geworden, da kein Rechtsfolgewille der Mitarbeiterin der Bank vorgelegen habe, geht es nicht vom festgestellten Sachverhalt aus.

4.2. Dieser kann nämlich aus dem Gesamtzusammenhang zwanglos nur dahin verstanden werden, dass die Bankberaterin diese Urkunden dem Beklagten deshalb zur Unterschrift vorlegte, damit die darin enthaltenen Bedingungen Grundlage der über das neu eröffnete Konto abgewickelten Geschäfte werden. Am Rechtsfolgewillen der Bank ist daher nicht zu zweifeln, mag die Mitarbeiterin dem Beklagten auch keine mündliche Auskunft über den Inhalt der Urkunden erteilt haben. In diesem Punkt ist daher die Rechtsrüge nicht gesetzmäßig ausgeführt (RIS‑Justiz RS0043312, RS0043603).

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