OGH 1Ob94/14a

OGH1Ob94/14a24.7.2014

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Sailer als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte Univ.‑Prof. Dr. Bydlinski, Mag. Wurzer, Mag. Dr. Wurdinger und die Hofrätin Dr. Hofer‑Zeni‑Rennhofer als weitere Richter in der Pflegschaftssache des mj B***** B*****, geboren am 23. April 2009, über den außerordentlichen Revisionsrekurs der Mutter I***** F***** B*****, vertreten durch Mag. Dr. Felix Sehorz, Rechtsanwalt in Wien, gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 21. März 2014, GZ 43 R 146/14k‑42, mit dem der Beschluss des Bezirksgerichts Leopoldstadt vom 29. Jänner 2014, GZ 55 Ps 176/13d‑23, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2014:0010OB00094.14A.0724.000

 

Spruch:

Der außerordentliche Revisionsrekurs wird mangels der Voraussetzungen des § 62 Abs 1 AußStrG zurückgewiesen.

Begründung:

Das Rekursgericht bestätigte den Beschluss des Erstgerichts, mit dem dieses unter anderem aussprach, dass die Obsorge über den Minderjährigen beiden Eltern gemeinsam zukommt, anordnete, dass dessen Aufenthalt hauptsächlich bei der Mutter sein soll, und dem Vater ein umfangreiches Kontaktrecht einräumte. Bereits bisher habe der Vater in einem großen zeitlichen Ausmaß Betreuungsleistungen für den Minderjährigen erbracht, weswegen die gemeinsame Obsorge für das Wohl des Kindes am besten geeignet sei. Der Umfang des Kontaktrechts orientiere sich an der von den Eltern bisher geübten Betreuungspraxis, wobei eine stärkere Einschränkung des Kontakts zu seinem Vater dem Wohl des Minderjährigen abträglich wäre.

Dagegen richtet sich der außerordentliche Revisionsrekurs der Mutter, die keine Rechtsfragen von der Bedeutung gemäß § 62 Abs 1 AußStrG geltend macht.

Rechtliche Beurteilung

1. Nach § 180 Abs 2 ABGB idF KindNamRÄG 2013 hat das Gericht ‑ allenfalls nach Ablauf der Phase einer vorläufigen elterlichen Verantwortung gemäß § 180 Abs 1 ABGB ‑ über die Obsorge endgültig zu entscheiden. Dabei kann es ‑ sofern dies dem Wohl des Kindes entspricht ‑ beide Elternteile mit der Obsorge betrauen. Ob die Voraussetzungen für eine Obsorgeübertragung ‑ hier mit der Folge, dass die Ausübung der Obsorge beiden Elternteilen zukommt ‑ erfüllt sind, hängt grundsätzlich von den Umständen des Einzelfalls ab und wirft im Regelfall keine Rechtsfrage von der Bedeutung gemäß § 62 Abs 1 AußStrG auf, wenn dabei ausreichend auf das Kindeswohl Bedacht genommen wurde (RIS‑Justiz RS0115719; RS0007101 [T8]. Eine Fehlbeurteilung dieser Frage durch die Vorinstanzen, die vom Obersten Gerichtshof aus Gründen der Rechtssicherheit oder der Einzelfallgerechtigkeit zu korrigieren wäre, liegt nicht vor. Die Mutter bekämpft nach ihrem Rechtsmittelantrag zwar auch die Anordnung der gemeinsamen Obsorge, kommt in Ausführung ihres Rechtsmittels darauf aber nicht mehr zurück und gibt damit auch nicht zu erkennen, inwieweit sie sich inhaltlich noch gegen diesen Teil der Entscheidung wendet.

2.1 Nach § 180 Abs 2 ABGB hat das Gericht, wenn es beide Eltern mit der Obsorge betraut, festzulegen, in wessen Haushalt das Kind hauptsächlich betreut wird. Bereits nach der Rechtslage vor dem KindNamRÄG 2013 war es in den Fällen, in denen die Obsorge beider Eltern weiter bestehen blieb, erforderlich, eine Regelung über den hauptsächlichen Aufenthalt des Kindes zu treffen (vgl § 177 Abs 2 ABGB aF). Das KindNamRÄG 2013 hat den Begriff des hauptsächlichen Aufenthalts des Kindes durch den des Haushalts der hauptsächlichen Betreuung ersetzt und für alle Fälle der gemeinsamen Obsorge übernommen. Nach den Gesetzesmaterialien soll diese terminologische Anpassung die Aufgaben und Leistungen des Elternteils, bei dem das Kind in erster Linie lebt, besser zum Ausdruck bringen als der bisherige Wortlaut des Gesetzes, ohne dass mit dieser Anpassung eine Änderung der Rechtsfolgen verbunden wäre (ErläutRV 2004 BlgNR 24. GP 26).

2.2 Die vom Rekursgericht bestätigte Anordnung des Erstgerichts, das in diesem Zusammenhang auf den ‑ auf das KindRÄG 2001 zurückgehenden ‑ Begriff des „hauptsächlichen Aufenthalts“ zurückgegriffen hat, ist daher entsprechend der nunmehrigen Gesetzesterminologie so zu lesen, dass die hauptsächliche Betreuung des Minderjährigen im Haushalt der Mutter erfolgt. Das ist angesichts des Umfangs der dem Vater zur Ausübung seines Kontaktrechts eingeräumten Zeiten (danach befindet sich der Minderjährige zu mehr als 40 % bei ihm) auch tatsächlich der Fall (vgl 7 Ob 277/03s). Die Entscheidungen der Vorinstanzen entsprechen damit noch dem Modell eines „Heimes erster Ordnung“ (vgl dazu Stabentheiner in Rummel ABGB³ 1. ErgBd §§ 177‑177b Rz 6; Deixler-Hübner in Kletečka/Schauer , ABGB‑ON 1.02 § 179 Rz 7). Die von der Mutter in ihrem außerordentlichen Rechtsmittel gegen die Anordnung einer „Doppelresidenz“ (in der Literatur auch als „Wechselmodell“ bezeichnet [dazu Raunigg/Willman , Doppelresidenz: Wechselmodell -Paritätsmodell - Pendelmodell ‑ Wandelmodell, EF‑Z 2010, 245; Barth , Zur „Doppelresidenz“ des Kindes nach österreichischem Recht, iFamZ 2009, 181; Beck , Kindschaftsrecht² Rz 501]) vorgetragenen Argumente werden hier somit nicht schlagend.

3. Die nach pflichtgemäßem Ermessen zu treffende Entscheidung, inwieweit einem Elternteil unter Bedachtnahme auf Persönlichkeit, Eigenschaft und Lebensumstände das Kontaktrecht eingeräumt wird, hängt ebenfalls von den konkreten Umständen des Einzelfalls ab. Der Entscheidung darüber kommt daher keine Bedeutung iSd § 62 Abs 1 AußStrG zu, wenn nicht leitende Grundsätze der Rechtsprechung (RIS‑Justiz RS0097114 [T10]) oder das Kindeswohl verletzt wurden (RIS‑Justiz RS0097114 [T1]; RS0087024; RS0048062). Die dem Vater von den Vorinstanzen zugestandenen Kontaktzeiten gehen zwar über das Ausmaß des persönlichen Verkehrs hinaus, das in der Judikatur üblicherweise im Alter des Minderjährigen zugestanden wird, tragen aber den besonderen Umständen Rechnung. Danach hat dieser aufgrund der von den Eltern nach ihrer Trennung Mitte 2012 gelebten Betreuungssituation zu beiden Elternteilen eine sehr enge Beziehung. Bei einer weitergehenden Einschränkung seines Kontaktrechts wäre die gute Beziehung des Vater zu seinem Kind gefährdet, womit auch das Wohl des Minderjährigen beeinträchtigt wäre. Vor diesem Hintergrund ist es auch angesichts seines Alters und der gesundheitlichen Beeinträchtigung der Mutter vertretbar, dass die Vorinstanzen dem Vater ein Kontaktrecht einräumten, das sich am Ausmaß von dessen bisherigem persönlichen Umgang mit seinem Sohn orientiert, zeitlich jedoch hinter der bislang geübten Praxis zurückbleibt. Soweit die Revisionsrekurswerberin Auffälligkeiten beim Minderjährigen auf das Ausmaß des bisherigen - in ihrem Einvernehmen ausgeübten - Kontaktrechts zurückführt und daraus eine Gefährdung ihres Sohnes ableitet, weicht sie von den Sachverhaltsfeststellungen der Vorinstanzen ab, wonach gerade Hinweise dafür fehlen, dass das Stottern des Minderjährigen, wenn er aufgeregt ist und schnell etwas mitteilen will, auf den Umfang der Kontakte zu seinem Vater zurückzuführen wäre.

Einer weiteren Begründung bedarf dieser Beschluss nicht (§ 71 Abs 3 AußStrG).

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