Spruch:
Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.
Text
Begründung
Die Antragstellerin ist mit einem Marktanteil von ca 25 % Österreichs größter Sportartikel‑Einzelhändler und 100%ige Tochtergesellschaft der S***** AG. Im Geschäftsjahr 2011/2012 erwirtschaftete sie Umsatzerlöse von ca 320 Mio EUR. Sie betreibt in Österreich rund 50 Filialen. Seit 28. Juni 2013 hält die S***** International plc 51 % der Anteile der S***** AG.
Die Antragsgegnerin ist eine 100%ige Tochtergesellschaft der A***** B.V., die wiederum zu 100 % im Eigentum der A***** mit Sitz in Kobe, Japan, steht. Die Haupttätigkeit der A***** Gruppe besteht weltweit in der Herstellung und dem Verkauf von Sportschuhen, Sportbekleidung, Lifestyle‑Schuhen und Lifestyle‑Bekleidung sowie entsprechenden Accessoires.
Die Antragstellerin verband ihre Abstellungs- und Feststellungsanträge vom 12. 8. 2013 mit folgenden Anträgen auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung nach § 48 KartG sowie vorläufiger Untersagung nach § 7 Abs 4 NahVersG:
„Bis zur Rechtskraft des über den Antrag auf Abstellung des gegen § 4 NahVersG, § 2 NahVersG und § 1 NahVersG bzw gegen Art 102 AEUV/§ 5 KartG und Art 101 AEUV/§ 1 KartG verstoßenden Verhaltens ergehenden Entscheidung wird der Antragsgegnerin mit sofortiger Wirkung untersagt,
‑ die Annahme von Bestellungen der Antragstellerin unter den zwischen der Antragstellerin und der Antragsgegnerin abgeschlossenen Vereinbarungen (Konditionsvereinbarung vom 7. 2. 2005 und Nebenvereinbarung vom 26. 4. 2012) zu verweigern;
‑ die Belieferung der Antragstellerin mit Waren, welche die Antragstellerin unter den oben genannten Bedingungen bestellt, zu verweigern.“
A***** sei bei Walking‑ und Indoor‑Footwear mit einem umsatzbasierenden Marktanteil von jeweils 39 % und 38 % im Jahr 2012 marktbeherrschend. Zusätzlich sei A***** mit 32 % umsatzbasierendem Marktanteil der führende Hersteller von Laufschuhen und mit 17 % Marktanteil ein wichtiger Hersteller von Tennisschuhen. Gehe man von einem getrennten Markt für Performance‑Sportschuhe aus, habe A***** einen Marktanteil von wahrscheinlich mehr als 40 %. Die Antragsgegnerin habe ihre Vertragsbeziehung zur Antragstellerin rechtsgrundlos vorzeitig beendet und weigere sich seither, die Antragstellerin zu beliefern. Sie stütze die Vertragsbeendigung auf die unzutreffende Behauptung, die Antragstellerin habe § 13 der „Fair Play‑Regeln“ verletzt. Danach könnten unter der Überschrift „Laufzeit/Kündigung“ beide Vertragsteile neben einer ordentlichen Kündigung mit einer Kündigungsfrist von nicht weniger als sechs Monaten ihre Vertragsbeziehung aus wichtigem Grund mit sofortiger Wirkung auflösen, wenn ...
(ii) der autorisierte Händler vollständig oder teilweise mit einer Drittpartei fusioniert oder Änderungen der direkten oder indirekten Kontrolle unterliegt.
Der wirkliche Grund für die Beendigung der Vertragsbeziehung liege aber in der Übernahme einer Beteiligung an der Antragstellerin von 51 % durch die S*****, die in der Vergangenheit A*****‑Produkte außerhalb von Österreich zu Preisen unterhalb der unverbindlichen Preisempfehlung der A*****‑Gruppe verkauft habe. Die Weigerung, die Antragstellerin zu beliefern, sei ein Versuch, die Einhaltung von unverbindlichen Preisempfehlungen im selektiven Vertriebssystem zu sichern. § 13 der „Fair Play‑Regeln“ sei unwirksam, weil er gegen das Kartellverbot verstoße. Durch die Lieferverweigerung entstehe der Antragstellerin eine Lücke im Sortiment, sie habe für Frühjahr/Sommer 2014 nicht genug Sportschuhe vorrätig. Alleine für diesen Zeitraum hätte sie 23.000 Paar A*****‑Laufschuhe im Gegenwert von 1.223.000 EUR bestellt. Es sei nicht möglich, diese Lücke ohne weiteres mit Sportschuhen anderer Hersteller zu schließen, wodurch der Antragstellerin Umsatz verloren gehe.
Im Jahr 2011 sei es in Großbritannien wegen des Verkaufs von drei A*****‑Schuhmodellen zu einem Rabatt von 50 % durch S***** zu einem Streit zwischen A***** und S***** gekommen, der in einer Beschwerde bei der britischen Wettbewerbsbehörde gemündet habe. Die Wettbewerbsbehörde habe beschlossen, eine angekündigte Durchsuchung der Geschäftsräume von A***** durchzuführen. Die in diesem Rahmen sichergestellten Unterlagen hätten allerdings nicht ausgereicht, um das vorgeworfene Verhalten nachzuweisen. Das Verfahren sei eingestellt worden.
Die Lieferverweigerung gefährde die Wettbewerbsfähigkeit der Antragstellerin, die Letztverkäuferin im Sinne des § 4 Abs 1 Satz 2 NahVersG sei. Mangels vollständiger Produktpalette drohe ein Reputationsverlust und Imageschaden. Die Marke A***** werde von vielen potentiellen Kunden besonders stark nachgefragt. Der Wettbewerbsnachteil der Antragstellerin werde dadurch verstärkt, dass mit 1. 7. 2013 die Vorbestellungsfrist für Frühjahr/Sommer 2014 abgelaufen sei und danach keine Bestellungen mehr akzeptiert würden. Weil die Antragsgegnerin die Antragstellerin von ihrem selektiven Vertriebssystem ausgeschlossen habe, liege eine Diskriminierung im Vergleich zu anderen Händlern vor. Damit verstoße die Antragsgegnerin gegen § 2 Abs 1 NahVersG. Eine sachliche Rechtfertigung sei nicht ersichtlich. Durch die Lieferverweigerung missbrauche die Antragsgegnerin auch ihre marktbeherrschende Stellung in den Bereichen Walking‑, Indoor‑Footwear und Premium‑Running‑Footwear. Substituierbarkeit mit Sportschuhen anderer Hersteller sei aus Verbrauchersicht nur beschränkt gegeben.
Der relevante geografische Markt sei nach der Entscheidung der Europäischen Kommission vom 24. 1. 2006, Adidas/Reebok, national abzugrenzen. Gehe man wie in dieser Entscheidung von einem separaten Markt für höherpreisige Performance‑Sportschuhe aus, steige der Marktanteil von A***** im Bereich Running‑Footwear auf 40 % an. Der Marktmissbrauch werde besonders deutlich, wenn das marktbeherrschende Unternehmen die Belieferung mit der Begründung einstelle, Einzelhändler hätten Produkte unter dem festgesetzten Mindestpreis verkauft, womit die Vertragsbeendigung letztlich der Durchsetzung der Preisdisziplin und damit der Durchsetzung eines Kartellverstoßes in einem selektiven Vertriebssystem diene. Dies deute auf einen Verstoß gegen Art 101 AEUV bzw § 1 KartG hin. Eine Freistellung nach Art 101 Abs 3 AEUV sei nicht möglich, weil zur Vermeidung von Kollusions‑ und Marktabschottungseffekten die Marktanteile der am selektiven Vertriebssystem beteiligten Händler und Hersteller unter 30 % liegen müssten; diese Grenze sei hier überschritten. § 13 der „Fair Play‑Regeln“ sei kartellrechtswidrig, weil die Vertragsbeziehung mit dem Kunden im Fall eines Kontrollwechsels unabhängig davon beendet werden könne, ob dies Auswirkungen auf den Vertrieb der A*****‑Produkte durch den betroffenen Kunden habe.
Die Antragsgegnerin beantragte die Abweisung des Sicherungsantrags. Zahlreiche Verträge im Geschäftsverkehr sähen eine „Change‑of‑Control“‑Klausel vor, dies sei üblich. A***** habe ein standardisiertes Verfahren für die Aufnahme von Händlern in ihr selektives Vertriebssystem entwickelt, das die Vertriebspolitik von A***** und das Verhältnis zu ihren Händlern bestimme. Druck zur Einhaltung unverbindlicher empfohlener Verkaufspreise sei nicht ausgeübt worden. Die vorzeitige Beendigung der Vertragsbeziehung zwischen den Streitteilen sei auf die Übernahme von 51 % der Anteile durch S***** zurückzuführen. Dieser Kontrollwechsel habe die Antragsgegnerin gemäß § 13 der „Fair Play‑Regeln“ berechtigt, die Vertragsbeziehung vorzeitig zu beenden. Die Kündigung habe für die Antragstellerin nicht überraschend sein können und auch nicht zu spürbaren Wettbewerbsnachteilen geführt, weil die Antragstellerin trotz Kündigung bis Ende des Jahres 2013 sämtliche Produkte der Marke A***** aus der Herbst‑/Winterkollektion 2013 bestellen habe können. Die Antragstellerin habe genügend Zeit gehabt, bei anderen Herstellern entsprechend größere Bestellungen vorzunehmen. Die Antragstellerin habe im Geschäftsjahr 2012 von der Antragsgegnerin Produkte der Marke A***** im Wert von 2,8 Mio EUR gekauft. Dies sei im Vergleich zum Gesamtumsatz der Antragstellerin lediglich ein Anteil von 1,75 % und damit vernachlässigbar. Auch im Bereich Sportschuhe biete die Antragstellerin insgesamt 583 Modelle an, darunter lediglich 44 Modelle von A*****. Die Entscheidung von A*****, nicht mehr mit S***** zusammenzuarbeiten, sei auf strategische Gründe zurückzuführen. Die Geschäftsbeziehung mit der britischen Handelsgruppe habe sich immer weiter verschlechtert. Auch sei 2010 fast ein Drittel der Gesamtverkäufe von A*****‑UK auf S***** entfallen. Eine derartig starke Abhängigkeit sei mit kommerziellen Risken verbunden, die A***** nicht weiter habe tragen wollen. So habe S***** dadurch Geschäftsbedingungen einseitig diktieren können und etwa Rabatte von bis zu 26 % erreicht, wogegen im Normalfall nur solche bis maximal 16 % gewährt würden. Außerdem habe S***** ihre Rechnungen fast nie rechtzeitig beglichen, was zu erheblichen Zahlungsrückständen von bis zu 5 Mio britischer Pfund geführt habe. Auch sei S***** kein verlässlicher Abnehmer gewesen und habe zB im April 2011 die Bestellung einer großen Menge von Sportbekleidung storniert, obwohl mit der Herstellung des Gewebes in Japan bereits begonnen worden sei. Weiters habe sich S***** zur Durchsetzung ihrer eigenen Position unredlicher und unlauterer Verhaltensweisen bedient, indem sie Lieferanten unter Androhung von behördlichen Anzeigen sowie Einleitung von Gerichtsverfahren zur Akzeptanz von für die Lieferanten ungünstigen Bedingungen zu bewegen versucht habe. Die Entscheidung Adidas/Reebok sei nicht einschlägig; auch habe die Europäische Kommission in dieser Entscheidung eine genauere Marktabgrenzung ausdrücklich offen gelassen.
Der zur Marktabgrenzung vorgelegte Handelsbericht könne weder für die sachliche Marktabgrenzung noch für die Marktanteile der Antragsgegnerin Anhaltspunkte bieten, weil er ausschließlich den Einzelhandelsmarkt betrachte, nicht aber den Großhandelsbereich. Zudem stelle dieser Bericht lediglich die Anteile einzelner Hersteller an willkürlich gewählten Produktgruppen dar, ohne auf die Frage der Austauschbarkeit der Produkte aus Sicht der Konsumenten einzugehen; das Dokument sei daher zur sachlichen Marktabgrenzung ungeeignet. Die Lebenserfahrung zeige, dass Running‑Footwear oder Tennis‑Footwear auch zum Spazierengehen oder Indoor verwendet werde; das selbe gelte für Nordic Walking‑ oder Walking‑Footwear. Der Verbraucher verwende auch Indoor‑, Walking‑, Running‑ und Tennis‑Footwear vermehrt als Lifestyle‑Schuhe und umgekehrt.
Der räumlich relevante Markt sei zumindest europaweit, wenn nicht sogar weltweit, abzugrenzen (Großhandel). Es bestünden hinreichend alternative Bezugsmöglichkeiten. Die Antragsgegnerin habe schon deshalb keinen Missbrauch zu verantworten, weil die Kündigung sachlich gerechtfertigt gewesen sei. § 13 der „Fair Play‑Regeln“ bezwecke und bewirke keine Wettbewerbsbeschränkung. Auch das selektive Vertriebssystem sei zulässig. § 2 Abs 1 NahVersG konstituiere keine Verpflichtung zum Abschluss eines Vertrags. Eine generelle Anwendbarkeit dieser Bestimmung auf den vorliegenden Fall sei verfehlt, weil diese gegen das „Greißler‑Sterben“ zur Sicherung der Nahversorgung (insbesondere mit Lebensmitteln) erlassen worden sei. Die Antragsgegnerin treffe auch keine Belieferungspflicht. Nach § 4 Abs 1 Satz 1 NahVersG seien Unternehmen grundsätzlich bei der Auswahl des Letztverkäufers frei. Eine Beeinträchtigung der Wettbewerbsfähigkeit der Antragstellerin liege nicht vor, wenn die Antragstellerin fast 500 verschiedene Marken anbiete, aber unter 583 Sportschuhmodellen nur 44 der Marke der Antragsgegnerin. Auch habe die Antragstellerin im Geschäftsjahr 2012 einen Gesamtumsatz von 320 Mio EUR erzielt und mit Produkten der Marke A***** im Vergleich dazu lediglich 1,75 %. Ein drohender unwiederbringlicher Schaden im Sinne des § 7 Abs 4 NahVersG, der für die vorläufige Untersagung Voraussetzung wäre, sei nicht bescheinigt, weil die Antragsgegnerin für die Herbst‑/Winterkollektion 2013 ohnehin allen Bestellungen nachgekommen sei und für die Frühjahrs‑/Sommerkollektion 2014 ausreichende Möglichkeit bestanden habe, Produkte anderer Marken einzukaufen.
Das Erstgericht wies den Sicherungsantrag ab. Es ging dabei ua von folgenden Feststellungen aus:
Die Antragstellerin und die Antragsgegnerin schlossen im September 2005 eine Konditionenvereinbarung als Grundlage für die einzeln abzuschließenden Liefergeschäfte, die ab dem 1. 1. 2006 gültig war und für unbestimmte Zeit gelten sollte.
Im Laufe des Jahres 2011 begann die Antragsgegnerin im europäischen Wirtschaftsraum und der Schweiz ein selektives Vertriebssystem aufzubauen, in das Vertragspartner im Rahmen eines standardisierten Verfahrens aufgenommen wurden. Bereits im Einführungsschreiben wurde auf die dazu eingeführten „Fair Play‑Regeln“ hingewiesen, darüber hinaus wurden weitere Dokumente der Vertriebspolitik der Antragsgegnerin übermittelt.
Die Antragstellerin akzeptierte die Bedingungen des Vertriebssystems und wurde in der Folge auf dieser Basis mit der Antragsgegnerin geschäftlich tätig.
Am 29. 5. 2013 erschienen in den Medien Berichte über die Übernahme der Antragstellerin durch die britische S*****‑Gruppe zu 51 %. Am selben Tag wurden die Antragsgegnerin und alle Lieferpartner der Antragstellerin davon informiert. In einem Schreiben vom 10. 6. 2013 teilte die Antragsgegnerin der Antragstellerin mit, dass wesentlicher Teil des Vertriebsvertrags die „Fair Play‑Regeln“ seien, nach deren § 13. über Änderungen der Kontrolle zu informieren sei. Es wurde um Information ersucht, ob der Kontrollwechsel bereits stattgefunden habe. In einem E‑Mail vom 17. 6. 2013 wurde dies unter genauer Darlegung der neuen Eigentumsverhältnisse bei der Antragstellerin bestätigt.
Mit Schreiben vom 18. 6 2013 kündigte die Antragsgegnerin den selektiven Vertriebsvertrag wegen Kontrollwechsels gemäß § 13 der „Fair Play‑Regeln“ mit sofortiger Wirkung. Orderaufträge für Frühjahr/Sommer 2014 seien daher nichtig und würden gelöscht; bestätigte Vororder für Herbst/Winter 2013 dagegen würden wie bestätigt geliefert.
Die A***** Gruppe beendete im Jahr 2011 bei Einführung der selektiven Vertriebspolitik die Geschäftsbeziehung mit S***** und anderen Einzelhändlern, darunter 17 Geschäftspartnern in Großbritannien und Irland. A***** weigerte sich auch in anderen Ländern, S***** und deren Tochterunternehmen zu beliefern. Am 28. 9. 2011 reichte S***** deshalb eine Beschwerde bei der britischen Wettbewerbsbehörde ein. Diese stellte die Ermittlungen mit Schreiben vom 23. 5. 2013 ein.
Das Erstgericht konnte nicht feststellen, dass A***** im Jahr 2012 in Österreich bei Walking‑ und Indoor‑Footwear mit einem umsatzbasierenden Marktanteil von 39 % und 38 % marktbeherrschend gewesen sei. Ebenso wenig konnte festgestellt werden, dass A***** mit 32 % umsatzbasierendem Marktanteil der führende Hersteller von Laufschuhen und mit 17 % Marktanteil ein wichtiger Hersteller von Tennisschuhen sei. Letztlich konnte auch nicht festgestellt werden, dass A***** in einem Markt für Performance‑Sportschuhe mit einem Marktanteil von mehr als 40 % marktbeherrschend sei.
Der Anteil von A***** an Laufschuhen im Sortiment der Antragstellerin beträgt etwa 10 %.
Die Antragstellerin hat beim Landesgericht Wels zu 2 Cg 135/13z als klagende Partei einen inhaltlich gleichen Antrag auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung gestellt, der mit Beschluss vom 17. 9. 2013 nach Einvernahme von Auskunftspersonen und Urkundeneinsicht abgewiesen wurde. Das Landesgericht Wels ging in seiner Entscheidung davon aus, dass die Kündigung des Vertriebsvertrags ausschließlich im erfolgten Kontrollwechsel begründet gewesen, die „Fair Play‑Regeln“ gültig vereinbart worden und nicht gesetzwidrig seien und seitens der Antragsgegnerin keinerlei Druck auf die Antragstellerin ausgeübt worden sei, unverbindlich empfohlene Mindestpreise einzuhalten. Das Vorliegen einer marktbeherrschenden Stellung der Antragsgegnerin sei nicht bescheinigt worden, die Nichtbelieferung sei aus sachlichen Gründen gerechtfertigt. Das Verfahren wurde in der Folge bis zur Beendigung des Verfahrens vor dem Kartellgericht unterbrochen.
Das Erstgericht traf noch weitere ‑ auf die Gegenäußerung der Antragsgegnerin und mit dieser vorgelegte Urkunden gestützte ‑ Feststellungen und gelangte in rechtlicher Hinsicht zu dem Ergebnis, dass es der Antragstellerin nicht gelungen sei, die marktbeherrschende Stellung der Antragsgegnerin für bestimmtes Schuhwerk zu bescheinigen. Die Missbrauchstatbestände des Art 102 AEUV und § 5 KartG schieden daher aus. Auch habe sich A***** auf sachlich gerechtfertigte Gründe für die Kündigung ihrer Vertragsbeziehung zu S***** berufen können, und das Bescheinigungsverfahren habe weiters nicht ergeben, dass für die Kündigung vom 18. 6. 2013 unsachliche und wettbewerbswidrige Gründe verantwortlich gewesen seien. Weder das NahVersG noch Art 101 AEUV oder § 1 KartG seien daher taugliche Grundlagen für Ansprüche der Antragstellerin. Nach rechtswirksamer Beendigung sämtlicher Verträge zwischen den Parteien aufgrund des § 13 der „Fair Play‑Regeln“ habe auch keine Lieferverpflichtung gegenüber der Antragstellerin bestanden. Dass durch die Nichtbelieferung die Nahversorgung gefährdet werde, habe die Antragstellerin nicht vorgebracht; solches sei auch nicht ersichtlich. Dass ihre Wettbewerbsfähigkeit durch die Nichtbelieferung mit Laufschuhen wesentlich beeinträchtigt werde, sei aufgrund der relativ geringen Zahl der Lieferungen im Laufschuhsortiment (10 % und nur viertgrößter Laufschuhlieferant der Antragstellerin) nicht nachvollziehbar. Da nach dem bescheinigten Sachverhalt weder A***** noch die Antragsgegnerin Wiederverkaufspreise festgesetzt hätten und auch die britische Wettbewerbsbehörde keine Indizien in diese Richtung gefunden und daher ihr Verfahren eingestellt habe, könne sich die Antragstellerin nicht erfolgreich auf das NahVersG berufen. Dass der Antragstellerin durch die Lieferverweigerung für die Kollektion Frühjahr‑/Sommer 2014 ein unwiederbringlicher Schaden entstehen könnte, sei im Hinblick auf den geringen Anteil der Laufschuhe mit 10 % am Sortiment nicht schlüssig behauptet und bescheinigt worden. Außerdem habe ihr seit geraumer Zeit bewusst sein müssen, dass bei einem Kontrollwechsel durch S***** eine Kündigung der Vertragsbeziehung bevorstehe. Die Antragstellerin habe daher hinreichend Zeit gehabt, sich anderwärtig einzudecken.
Gegen diese Entscheidung richtet sich der Rekurs der Antragstellerin mit dem Abänderungsantrag, die einstweilige Verfügung zu erlassen; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Die Antragsgegnerin beantragt, dem Rekurs nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Der Rekurs ist nicht berechtigt:
I. Zum Verfahrensmangel
I.1. Die Antragstellerin sieht einen Verfahrensmangel darin, dass ihre Äußerung vom 8. 10. 2013, ON 9, vom Kartellgericht zurückgewiesen und bei der Provisorialentscheidung nicht berücksichtigt wurde.
Die Antragsgegnerin habe in ihrer Äußerung zum Provisorialantrag erhebliche neue Tatsachen vorgebracht und zum ersten Mal konkrete Behauptungen zur Unzumutbarkeit der weiteren Belieferung der Antragstellerin im Zusammenhang mit dem Verhalten von S***** in Großbritannien geltend gemacht. Diese Behauptungen seien für die Antragstellerin neu gewesen. Sie habe in der zurückgewiesenen Gegenäußerung jeden der einzelnen behaupteten Unzumutbarkeitsgründe widerlegt und dazu auch Beweismittel angeboten. Hätte das Erstgericht dies verwertet, hätte es zur Feststellung gelangen müssen, dass kein Verhalten von S***** Grund für die Beendigung der Geschäftsbeziehung gewesen sei.
Außerdem habe die Antragstellerin in diesem Schriftsatz bestritten, dass die von der Antragsgegnerin vorgelegte Fassung der „Fair Play‑Regeln“ die tatsächlich vereinbarte gewesen sei. Die tatsächlich vereinbarte Version habe nämlich keine „Change‑of‑Control“‑Klausel enthalten. Dadurch, dass das Erstgericht weder Einsicht in die vorgelegten Beilagen genommen noch die namhaft gemachte Auskunftsperson vernommen habe, sei das Verfahren mangelhaft geblieben. Andernfalls wäre das Erstgericht zu dem Ergebnis gekommen, dass die „Change‑of‑Control“‑Klausel nicht wirksam vereinbart worden und daher kein Kündigungsgrund gewesen sei.
Im Gefolge der Entscheidung des EGMR vom 15. 10. 2009, Micallef gegen Malta, Bsw 17056/06, sei nunmehr im Regelfall auch im Provisorialverfahren Art 6 EMRK anzuwenden; dies in der vorliegenden Konstellation auch deshalb, weil die Antragstellerin keine Möglichkeit zur Erhebung eines Widerspruchs habe. Es müsse ihr daher rechtliches Gehör geboten werden, wenn der Antragsgegner neue erhebliche Tatsachen vorbringe.
I.2. Richtig ist, dass der EGMR in seiner Entscheidung Micallef, Bsw 17056/06, vom 15. 10. 2009 ausgesprochen hat, dass Art 6 EMRK auch auf Verfahren über vorläufige Maßnahmen anwendbar ist, wenn davon auszugehen ist, dass diese ‑ ungeachtet der Dauer ihrer Geltung ‑ effektiv über einen zivilrechtlichen Anspruch oder eine Verpflichtung entscheiden. In Ausnahmefällen kann eine sofortige Erfüllung aller Anforderungen des Art 6 EMRK unmöglich sein. Während auch in diesen Fällen die Unabhängigkeit und Unparteilichkeit des betroffenen Tribunals oder Richters unentbehrlich ist, können in solchen besonderen Fällen andere Verfahrensgarantien nur in jenem Ausmaß anwendbar sein, das mit der Art und dem Zweck des jeweiligen Provisorialverfahrens vereinbar ist (RIS‑Justiz RS0127445).
I.3. In der Lehre vertritt König, Einstweilige Verfügungen im Zivilverfahren, Rz 6/42c, dass der gefährdeten Partei auf die Äußerung des Gegners hin ‑ schon wegen des fehlenden Widerspruchsrechts ‑ Gehör zu gewähren sei (Recht auf Replik); dies jedenfalls dann, wenn in der Äußerung neue erhebliche Tatsachen bescheinigt worden seien.
G. Kodek, Die Anwendbarkeit von Art 6 EMRK im Provisorialverfahren, Zak 2010/7, 8, verweist darauf, dass die Rechte nach Art 6 EMRK auch dem Antragsteller zukommen. Bei Gehörgewährung im Wege einer mündlichen Verhandlung und damit Eröffnung des Fragerechts als Ausfluss des rechtlichen Gehörs im weiteren Sinne könnten Folgeprobleme (insbesondere die Möglichkeit der gefährdeten Partei, auf eine allfällige Gegenäußerung zu reagieren, sowie die Frage der Zulässigkeit der Einbringung eines neuerlichen Sicherungsantrags, wenn die Abweisung aufgrund von Einwenden des Gegners erfolgte, zu denen sich die gefährdete Partei nicht äußern konnte), zumindest im Fall der Aufnahme von Personalbeweisen vermieden werden.
Unter Berücksichtigung der Folgejudikatur des EGMR hat G. Kodek in FS Delle Karth,Einstweilige Verfügungen nach Micallef v Malta ‑ eine Nachlese 521 ff,dargelegt, dass das rechtliche Gehör nicht nur dann verletzt ist, wenn einer Partei die Möglichkeit genommen wird, sich im Verfahren überhaupt zu äußern, sondern auch dann, wenn einer gerichtlichen Entscheidung Tatsachen und Beweisergebnisse zugrunde gelegt werden, zu denen sich die Beteiligten nicht äußern konnten. Das Gericht hat daher Parteien Verfahrensvorgänge, die erkennbar für sie wesentliche Tatsachen betreffen, bekannt zu geben und ihnen die Möglichkeit zur Stellungnahme zu eröffnen. Insgesamt sei davon auszugehen, dass sich durch die Entscheidung Micallef das Regel‑Ausnahme‑Verhältnis verschoben habe. Sei früher die Einseitigkeit der Regelfall gewesen, stelle nunmehr die Unterlassung der Gewährung vorgängigen Gehörs die Ausnahme dar und müsse daher besonders begründet werden. Strittig sei, ob der gefährdeten Partei bei Anwendbarkeit des Art 6 EMRK ein Recht auf Replik zustehe. Dies sei wegen des Neuerungsverbots im Rekursverfahren und mangels Widerspruchsmöglichkeit der gefährdeten Partei wohl insbesondere dann zu bejahen, wenn in der Äußerung neue erhebliche Tatsachen bescheinigt worden seien. Hinsichtlich einer neuerlichen Duplik des Gegners gelte wohl die allgemeine Dringlichkeitsregel: Liefe diese in Ansehung des Zwecks des Provisorialverfahrens der Effektivität des einstweiligen Rechtsschutzes zuwider, reiche die nachträgliche Widerspruchsmöglichkeit zur Wahrung des rechtlichen Gehörs aus.
I.4. In der Judikatur wurde im Gefolge der Entscheidung Micallef ausgesprochen, dass dann, wenn ein Rekursgericht in einem zweiseitig geführten Sicherungsverfahren beabsichtige, seine Entscheidung auf Beweismittel zu stützen, zu denen die gegnerische Partei in erster Instanz nicht Stellung nehmen konnte, dieser vor der Entscheidung Gelegenheit zur Äußerung zu geben ist (RIS‑Justiz RS0126204).
In der Entscheidung 9 ObA 44/11b hat der Oberste Gerichtshof die Zurückweisung von Schriftsätzen durch das Erstgericht gebilligt. Auch nach der Entscheidung Micallef hänge die Effektivität der Provisorialmaßnahme von einer raschen Entscheidung ab. Das Erstgericht habe gerade aus der Überlegung der effizienten Verfahrensgestaltung weitere Anträge der Parteien zurückgewiesen.
I.5. Im vorliegenden Fall ist die Rechtmäßigkeit der Kündigung bzw die Pflicht zur Aufrechterhaltung eines Liefervertrags (einer Rahmenvereinbarung zu Lieferverträgen) über Sportschuhe zu beurteilen. Es handelt sich daher unzweifelhaft um „civil rights“.
Das Kartellgericht hat hier ‑ in dem nach § 48 KartG sowie § 7 Z 4 NahVersG grundsätzlich zweiseitigen - Provisorialverfahren der Gegnerin der gefährdeten Partei (wie zum Antrag in der Hauptsache) eine vierwöchige Äußerungsfrist eingeräumt, also die Entscheidung im Provisorialverfahren offensichtlich nicht von vornherein als besonders dringlich eingestuft. Dem Akteninhalt sind keine Umstände zu entnehmen, dass sich die Dringlichkeit in der Folge erhöht hätte.
I.6. In der Nichtberücksichtigung der rund zwei Wochen nach der letzten Äußerung bzw Urkundenvorlage der Gegnerin der gefährdeten Partei eingelangten weiteren Äußerung der Antragstellerin zu den Argumenten der Gegnerin der gefährdeten Partei in Kombination mit der Tatsache, dass das Kartellgericht seine Feststellungen (insbesondere zu den Umständen und Gründen der Kündigung) auch auf die Gegenäußerung und die damit vorgelegten Urkunden gestützt hat, liegt eine Mangelhaftigkeit des Verfahrens (zur Einordnung der Rechtsfolgen der Gehörsverweigerung vgl auch G. Kodek in FS Delle Karth,Einstweilige Verfügungen nach Micallef v Malta ‑ eine Nachlese 521, 542 f).
I.7. Festzuhalten ist, dass sich dieser Verfahrensmangel nicht auf die (Negativ-)Feststellungen zu den Marktanteilen auswirkt.
Dazu beruft sich die Antragstellerin auf einen „Total Footwear, Austria, Pos‑Panelmarket 2012“ genannten Handelsbericht, in dem der Gesamtsportschuhverkauf am Point of Sale (POS) in Österreich in 13 ‑ ersichtlich nicht nach dem im Kartellrecht anzuwendenden Bedarfsmarktkonzept abgegrenzten und daher methodisch ungeeigneten (vgl 16 Ok 14/08) ‑ Kategorien eingeteilt wird, darunter auch die von der Antragstellerin herangezogenen Bereiche Indoor, Running, Tennis und Walking. Selbst wenn man im Hinblick auf die Judikatur (vgl 16 Ok 1/96 und 16 Ok 11/02) davon ausgeht, dass diesen Urkunden dennoch Beweiswert im Provisorialverfahren zukommen kann, liegt keine Verletzung des rechtlichen Gehörs vor, weil die Antragstellerin selbst das Beweismittel vorgelegt hat und dieses lediglich als nicht ausreichend erachtet wurde, um ihre Behauptungen glaubhaft zu machen (4 Ob 56/12g).
I.8. Der im Übrigen vorliegende Verfahrensmangel führt nur dann zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung, wenn die aufgezeigte Gehörsverletzung für die geltend gemachten Provisorialansprüche entscheidungsrelevant war. Es sind daher im Folgenden die Argumente des Rekurses unter diesem Gesichtspunkt zu überprüfen:
II. Zur Tatsachenrüge
Soweit sich die Rekurswerberin auf unvollständige Tatsachenfeststellungen beruft, ist ihr zu erwidern, dass nach der ständigen Rechtsprechung der Oberste Gerichtshof als Kartellobergericht ausschließlich als Rechtsinstanz tätig wird und eine Überprüfung der Beweiswürdigung damit ‑ ebenso wie in allen anderen Verfahrensarten ‑ ausscheidet (RIS‑Justiz RS0123662; RS0109206 [T5a bis T11]). Die Judikatur, wonach eine Überprüfung der Feststellungen möglich ist, sofern sie nicht auf unmittelbar durch das Erstgericht aufgenommenen Parteienaussagen oder Zeugenaussagen getroffen worden sind, ist überholt (RIS‑Justiz RS0109206 [T11]).
III. Zu Art 102 AEUV bzw § 5 KartG
III.1. Die Revisionswerberin meint, eine marktbeherrschende Stellung gemäß § 4 Abs 3 KartG iVm § 4 Abs 1 KartG liege auch dann vor, wenn der Unternehmer eine im Verhältnis zu seinen Abnehmern überragende Marktstellung habe. Darunter sei auch eine sortimentsbezogene Abhängigkeit zu verstehen. Gerade bei Markenartikeln erwarte der Kunde, dass der Händler die wichtigsten Marken im Sortiment habe. Dies habe der Oberste Gerichtshof in seiner Entscheidung 16 Ok 20/04 zur marktbeherrschenden Stellung eines Filmverleihers in Bezug auf Multiplex‑Kinos bestätigt. In Bezug auf Sportschuhe gebe es dazu auch Entscheidungen des BGH sowie des Landesgerichts Frankfurt. Das Erstgericht habe dagegen seine Beurteilung der Marktbeherrschung lediglich auf § 4 Abs 2 Z 1 KartG konzentriert.
III.2. Nach § 4 Abs 3 KartG gilt ein Unternehmen auch als marktbeherrschend, wenn es im Verhältnis zu seinen Abnehmern oder Lieferanten überragende Marktstellung inne hat. Eine solche liegt insbesondere vor, wenn diese zur Vermeidung schwerwiegender betriebswirtschaftlicher Nachteile auf die Aufrechterhaltung der Geschäftsbeziehung angewiesen sind.
In dieser Bestimmung wird eine relative Marktbeherrschung (Hoffer/Barbist, Das neue Kartellrecht, 32) festgelegt, die auf die Aufrechterhaltung der Geschäftsbeziehungen abstellt, aber keinesfalls die Kontrahierungsfreiheit der Marktteilnehmer zusätzlich beschränken soll. Entscheidend ist, ob Ausweichmöglichkeiten vorhanden sind, also alternative Absatz‑ oder Bezugsmöglichkeiten zu wirtschaftlich vertretbaren Bedingungen bestehen (Vartian in Petsche/Urlesberger/Vartian, KartG, § 4 Rz 43 f).
III.3. In der Judikatur wurde dieser Beherrschungstatbestand im Bereich des Filmverleihs herangezogen, so in der vom Rekurs zitierten Entscheidung 16 Ok 20/04, aber auch in 16 Ok 6/08.
Diesen Entscheidungen lag allerdings auf Tatsachenebene zugrunde, dass der wirtschaftliche Erfolg von Multiplex‑Kinos von der Breite des Filmangebots abhängig ist, sodass sie unter Berücksichtigung des Besucherverhaltens bei der Programmgestaltung zumindest auf jeden Film angewiesen sind, der in Österreich neu auf den Markt kommt und nicht zu einem absoluten Minderheitenprogramm zählt. Ein Multiplex kann auf längere Sicht nur mit einem ausgewogenen „Filmmix“ überleben und braucht pro Jahr 180 bis 200 neue Filme. Im Hinblick darauf sprach das Kartellobergericht aus, dass die dortigen Antragstellerinnen zur Vermeidung schwerwiegender betriebswirtschaftlicher Nachteile auf die Aufrechterhaltung der Geschäftsbeziehung zur dortigen Erstantragsgegnerin im Sinne des § 34 Abs 2 KartG 1988 (= § 4 Abs 3 KartG 2005) angewiesen sind. Es betonte aber auch, dass grundsätzlich nicht einmal für Monopolisten oder marktbeherrschende Unternehmen ein Kontrahierungszwang dahin besteht, jeden von einem Dritten gewünschten Vertrag abzuschließen. Vielmehr kann der Vertragsabschluss aus sachlich gerechtfertigten Gründen abgelehnt werden, sofern dies durch objektive Gründe gerechtfertigt ist.
Dies bekräftigte das Kartellobergericht auch in 16 Ok 23/04 im Arzneimittelbereich und auch für das europäische Wettbewerbsrecht. Die Pflicht zum Vertragsabschluss ist dort bejaht worden, wo die Monopolstellung sittenwidrig ausgenützt worden ist. Ein missbräuchliches Unterlassen ‑ insbesondere in Form einer Lieferverweigerung ‑ wird dann zugerechnet, wenn das Verhalten durch keine objektiven Gründe gerechtfertigt ist.
Auch jüngst hat der erkennende Senat in 16 Ok 1/12 diesen Standpunkt für nicht monopolistische Unternehmen der öffentlichen Hand bekräftigt, sofern die Verweigerung nicht der Pflicht zur Gleichbehandlung widerspricht. Ist bereits mit anderen Nachfragern kontrahiert worden, hat dies aber auch mit neuen Nachfragern zu erfolgen, die als geeignete Vertragspartner in Betracht kommen. Die Grenze der Kontrahierungspflicht ergibt sich aus der Eignung des Geschäftsanbahnenden zur Durchführung des Geschäfts und aus vorhandenen Kapazitäten des Marktbeherrschers.
III.4. Im Anlassfall scheidet ein Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung schon mangels Bescheinigung einer marktbeherrschenden Stellung aus.
III.5. Auch ein Anspruch nach § 4 Abs 3 KartG insoweit, als die Antragstellerin zur Vermeidung schwerwiegender betriebswirtschaftlicher Nachteile auf die Aufrechterhaltung der Geschäftsbeziehung mit der Antragsgegnerin angewiesen wäre bzw (ähnlich wie bei den Multiplex‑Entscheidungen) in ihrer wirtschaftlichen Existenz davon abhinge, kann schon deshalb verneint werden, weil die Antragstellerin in ihrem Rekurs selbst zugesteht, dass nur 10 % ihres Laufschuhangebots von der Antragsgegnerin stammen. Überdies hat nach dem von ihr vorgelegten Bericht über die Verkaufszahlen (./B) allein der Bereich „Running“ einen signifikanten Anteil am Sportschuhverkauf, wohingegen die weiter von der Antragstellerin herangezogenen Märkte „Walking“, „Tennis“ und „Indoor“ selbst danach jeweils nicht über 2 ‑ 3 % Anteil am Gesamtumsatz mit Sportschuhen haben.
IV. Zur „Change‑of‑Control“‑Klausel
IV.1. Die Antragstellerin hat in ihrem verfahrenseinleitenden Schriftsatz mit ausführlicher Begründung die Kartellrechtswidrigkeit dieser Klausel behauptet und in ihrem weiteren Schriftsatz sodann geltend gemacht, diese Klausel überhaupt nicht vereinbart zu haben; § 13 der „Fair Play‑Regeln“ der Antragsgegner in der vereinbarten Form habe einen anderen Inhalt gehabt.
Die dazu vorgelegte Beilage ./CC enthält die „Change of Control“‑Klausel tatsächlich nicht, dafür aber eine jederzeitige ordentliche Kündigungsmöglichkeit mit einer Kündigungsfrist von drei Monaten, wobei die Antragsgegnerin in dieser Zeit nicht verpflichtet wird, irgendwelche Bestellungen für irgendeine Saison anzunehmen, für die die Lieferung nach dem Ende der Kündigungsfrist stattfindet. Diese Urkunde ist allerdings nicht unterschrieben. Ob sie tatsächlich Vertragsinhalt wurde oder nur eine später geänderte Rohfassung darstellt, ist nicht ersichtlich.
IV.2. Geht man aber vom nunmehrigen Rechtsstandpunkt der Antragstellerin aus, dass die (von ihr selbst mit Beilage ./CC vorgelegte) Version des § 13 der Fair Play‑Regeln Vertragsinhalt wurde, ist damit für die Antragstellerin nichts gewonnen. Nach dieser Vertragsversion hätte die Antragsgegnerin nämlich mit dreimonatiger Kündigungsfrist ohne weiteres ordentlich kündigen können. Nach dem unstrittigen Verfahrenssachverhalt erfolgte die Kündigung durch die Antragsgegnerin am 18. 6. 2013. Auch nach der aufgezeigten Vertragsversion hätte die Antragsgegnerin ab 19. 9. 2013 keinerlei Lieferverpflichtung mehr getroffen.
Darauf, dass auch diese Vereinbarung wettbewerbswidrig wäre, stützt sich die Antragstellerin selbst nach Änderung ihres Vorbringens zur „Fair Play‑Klausel“ nicht. Auf die im Rekurs näher dargelegte Unzulässigkeit der „Change‑of‑Control“‑Klausel und das dazu erstattete Vorbringen kommt es somit nicht an.
V. Zum Nahversorgungsgesetz
V.1. Die Rekurswerberin macht geltend, dass das Verhalten der Antragsgegnerin auch geeignet sei, den leistungsgerechten Wettbewerb im Sinne des NahVersG zu gefährden. Ein marktmissbräuchliches Verhalten sei stets auch leistungswidrig im Sinne des § 1 NahVersG. Diese Bestimmung stelle qualitative Kriterien auf, die über § 5 KartG hinausgingen. Kunden eines sortimentsabhängigen Einzelhändlers erwarteten in den wesentlichen Produktgruppen ein vollständiges Sortiment. Erfülle ein Sporteinzelhändler diese Erwartung nicht, schädige dies sein Ansehen und seine Wettbewerbsfähigkeit. Darin liege ein unwiederbringlicher Schaden. Deshalb sei auch die Tatsache, dass letztlich nur 10 % der an die Antragstellerin gelieferten Laufschuhe von der Antragsgegnerin kämen, ebenso unerheblich wie die Frage, ob die Antragstellerin rechtzeitig entsprechende Mengen von anderen Sportschuhherstellern habe bestellen können. Bei richtiger Anwendung des NahVersG hätte das Erstgericht zu dem Ergebnis kommen müssen, dass die Antragsgegnerin gemäß § 4 Abs 1 Satz 2 NahVersG verpflichtet sei, die Antragstellerin weiterhin zu beliefern. § 4 NahVersG setze anders als § 2 NahVersG keine Diskriminierung voraus.
V.2. § 4 Abs 1 NahVersG ordnet an, dass Unternehmer, soweit andere Rechtsvorschriften nichts Gegenteiliges bestimmen, insbesondere in der Auswahl der Letztverkäufer frei sind. Sie können nach dieser Bestimmung aber zum Vertragsabschluss verpflichtet werden, wenn durch die Nichtbelieferung des Letztverkäufers die Nahversorgung gefährdet ist oder die Wettbewerbsfähigkeit des Letztverkäufers bei derjenigen Warengattung, zu der die nicht gelieferte Ware gehört, wesentlich beeinträchtigt wird.
Die Nahversorgung ist nach § 4 Abs 2 NahVersG dann gefährdet, wenn es einer maßgeblichen Anzahl von Verbrauchern nicht möglich ist, die zur Befriedigung der notwendigen Bedürfnisse des täglichen Lebens dienenden Waren unter zumutbarem Zeit‑ und Kostenaufwand ohne Benützung eines Kraftfahrzeugs oder öffentlichen Verkehrsmittels zu kaufen.
V.3. Dass es sich bei den hier zu beurteilenden Untergruppen von Sportschuhen um notwendigen Bedürfnissen des täglichen Lebens dienende Waren handelte, sodass durch ihre mangelnde Lieferbarkeit die Nahversorgung gefährdet wäre, behauptet aber auch die Antragstellerin nicht.
V.4. Eine auf dieser Bestimmung basierende Kontrahierungspflicht käme weiters in Betracht, wenn durch die Nichtbelieferung die Wettbewerbsfähigkeit des Letztverkäufers, also der Antragstellerin, wesentlich beeinträchtigt wäre.
Bereits nach dem Bericht des Handelsausschusses (565 der BlgNR 14. GP) ist eine wesentliche Beeinträchtigung der Wettbewerbsfähigkeit durch Verweigerung weiterer Belieferungen nicht anzunehmen, wenn die nicht gelieferte Ware trotz Lieferbereitschaft nur einen im Verhältnis zu den übrigen verkauften Waren geringen Anteil am Umsatz der betreffenden Warengattung des Letztverkäufers hatte (Farnleitner/Straberger, Nahversorgungsgesetz 56). Ein Recht auf Vollsortimentierung kann nach Auffassung des Handelsausschusses aus § 4 Abs 1 NahVersG nicht hergeleitet werden. Es ist daher davon auszugehen, dass Erzeuger, Großhändler und Zwischenhändler in der Auswahl jener Vertriebswege und Vertriebsarten, die letztlich den Letztverbraucher erreichen, grundsätzlich frei sind (Farnleiter/Straberger aaO, 58). Der Kontrahierungszwang gemäß § 4 NahVersG soll erkennbar restriktiv geübt werden (Koppensteiner, Österreichisches und Europäisches Wettbewerbsrecht³ § 31 Rz 12).
V.5. Die Antragstellerin gesteht in ihrem Rekurs (S 27) selbst zu, dass nur 10 % der an sie gelieferten Laufschuhe von der Antragsgegnerin stammen. Eine wesentliche Beeinträchtigung der Wettbewerbsfähigkeit der Antragstellerin kann unter diesen Umständen nicht bejaht werden.
V.6. Das vom Rechtsmittel vermisste Eingehen auf § 2 NahVersG erübrigt sich schon deshalb, weil nach dieser Bestimmung das Gewähren oder Fordern von unterschiedlichen Bedingungen bei Vorliegen gleicher Voraussetzungen ohne sachliche Rechtfertigung verpönt ist. Es sind damit jene Fälle nicht erfasst, in denen gar keine Bedingungen geboten werden, also etwa Lieferverweigerung oder Abnahmeverweigerung, weil diese Fälle durch § 4 NahVersG geregelt sind (Farnleitner/Straberger § 2 NahVersG, 42). Aus § 2 NahVersG lässt sich daher im Gegensatz zu § 35 KartG (nunmehr § 5 KartG 2005) wegen des e‑contrario‑Schlusses aus den §§ 3 und 4 NahVersG kein allgemeines Diskriminierungsverbot hinsichtlich des Vertragsschlusses (Kontrahierungszwang) ableiten, sondern nur hinsichtlich des Vertragsinhalts (Koppensteiner, Österreichisches und Europäisches Wettbewerbsrecht³ § 31 Rz 8; so im Ergebnis auch Barfuß, Das Bundesgesetz zur Verbesserung der Nahversorgung und der Wettbewerbsbedingungen („NahVersG“), ÖZW 1978, 10, 12).
VI. Zum Kartellverstoß
VI.1. Die Rechtsmittelwerberin meint, dass die Antragstellerin die qualitativen Kriterien des selektiven Vertriebssystems der Antragsgegnerin erfülle. Die Qualität des Vertriebs der Antragstellerin selbst habe sich aufgrund der Übernahme durch S***** nicht verschlechtert. Die vorgebrachten Unzumutbarkeitsgründe beträfen lediglich das Verhältnis zwischen S***** und der Unternehmensgruppe, der die Antragsgegnerin angehöre. Keiner dieser vom Erstgericht ohne Anhörung der Antragstellerin als bescheinigt angenommenen Gründe habe aber tatsächlich die Unzumutbarkeit der Belieferung zur Folge. Die Unternehmensgruppe der Antragsgegnerin gehe planmäßig vor und beliefere global Tochterunternehmen von S***** nicht mehr. Sie habe auch angekündigt, alle anderen Unternehmen, an denen S***** in der Zukunft Mehrheitsanteil erwerben werde, von ihrem selektiven Vertriebssystem auszuschließen. Die Lieferverweigerung schädige die Wettbewerbsposition des sortimentsabhängigen Händlers wie der Antragstellerin und reduziere den markeninternen Wettbewerb und damit die Auswahlmöglichkeit der Verbraucher in Österreich. Die Lieferverweigerung laufe daher Art 101 Abs 1 AEUV und § 1 Abs 1 KartG zuwider. Die Antragsgegnerin könne sich auch nicht auf eine Freistellung nach der Vertikal‑GVO berufen. Auch im Rahmen dieser Verordnung habe die Antragsgegnerin ihr qualitativ orientiertes selektives Vertriebssystem so auszurichten, dass sie die Abnehmer nach objektiven Kriterien auswähle und diese Kriterien unterschiedslos anwende. Im Übrigen komme die Antragsgegnerin schon deshalb nicht in den Genuss der Freistellung durch die Vertikal‑GVO, weil ihr Marktanteil auf den relevanten Märkten 30 % überschreite.
VI.2. Mit diesem Vorbringen hält die Antragstellerin ihr ursprüngliches Vorbringen, die Kündigung durch die Antragsgegnerin sei in Wahrheit deshalb erfolgt, um die Preisgestaltung der Antragstellerin zu beeinflussen, also eine Preisbindung der zweiten Hand zu erreichen, die als sogenannte Kernbeschränkung jedenfalls kartellrechtswidrig wäre, im Rekurs nicht mehr aufrecht.
Im Bereich sonstiger vertikaler Vereinbarungen ist aber das Spürbarkeitskriterium für Wettbewerbs-beschränkungen von besonderer Bedeutung (vgl Reidlinger/Hartung, Das österreichische Kartellrecht², 83). Es liegt nämlich sowohl Art 101 AEUV als auch § 1 KartG das ungeschriebene Tatbestandsmerkmal zugrunde, dass eine Wettbewerbsbeschränkung spürbar sein muss (vgl Petsche/Tautscher in Petsche/Urlesberger/Vartian, KartG, § 1 KartG Rz 59 mwN).
Ausgehend von den Feststellungen des Erstgerichts hat die Antragstellerin im Bereich des österreichischen Sportartikel‑Einzelhandels einen Marktanteil von ca 25 %. Bedenkt man, dass die bekämpfte Vertragsauflösung auch nach dem eigenen Vorbringen der Antragstellerin im Rekurs nur 10 % der an sie gelieferten Laufschuhe betrifft, ist die Bejahung des Spürbarkeitskriteriums bereits aus diesem Blickwinkel fragwürdig. Zu bedenken ist weiters, dass (selbst wenn man die offensichtlich nicht auf dem Bedarfsmarktkonzept beruhenden Erhebungen über die Marktanteile im Sportschuhhandel in Österreich laut Beilage ./B zugrunde legen wollte) die Antragsgegnerin lediglich in vier von 13 Bereichen Marktanteile von rund 30 % erreicht. Von diesen vier Bereichen wiederum hat aber nur einer (Running) am gesamten Sportschuhbereich einen Anteil von mehr als 2 % bis 3 %.
Angesichts dieser Umstände kann insgesamt nicht mit einer für das Bescheinigungsverfahren notwendigen Sicherheit davon ausgegangen werden, dass der Antragstellerin die Bescheinigung einer (keine Kernbeschränkung betreffenden) spürbaren Kartellrechts-widrigkeit gelungen ist.
VII. Ergebnis
Dem Rekurs ist daher trotz Vorliegens des geltend gemachten Verfahrensfehlers (Nichtanhörung der Antragstellerin zum Vorbringen und zu den Beweismitteln der Gegenäußerung, auf die maßgeblichen Teile der Feststellung gestützt wurden) nicht stattzugeben.
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